JurPC Web-Dok. 129/2019 - DOI 10.7328/jurpcb20193410130

Wolfgang Kuntz [*]

Kuntz, Wolfgang

Rechtsprechungsübersicht zu e-Justice und e-Government 2018/19 (Teil 2)

JurPC Web-Dok. 129/2019, Abs. 1 - 32


A. Einreichung von Schriftsätzen, Klagen, Widersprüchen etc.

Abs. 1
Eine Vielzahl von Entscheidungen im Berichtszeitraum befasst sich mit der Form der Einreichung von Widersprüchen, Klagen, Rechtsmitteln usw. in den verschiedenen Gerichtsbarkeiten. Abs. 2
Für die Zivilgerichtsbarkeit – in den übrigen Gerichtsbarkeiten gelten entsprechende Normen - regelt § 130a ZPO, dass diese Schriftsätze als elektronisches Dokument eingereicht werden können. Dieses elektronische Dokument muss entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Sichere Übertragungswege sind dabei insbesondere das elektronische Anwaltspostfach (beA) und De-Mail. Die Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) bestimmt dazu in § 4, dass ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, entweder auf einem sicheren Übermittlungsweg übermittelt werden darf oder an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts übermittelt werden darf über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht. Mehrere elektronische Dokumente dürfen dabei nicht mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur übermittelt werden. Hierzu wird teilweise entgegen der wohl herrschenden Meinung die Auffassung vertreten, dass das ausgesprochene Verbot der Container-Signatur ggf. einer einschränkenden verfassungskonformen Auslegung bedarf für diejenigen Fälle, in denen die von der Containersignatur umfassten Dokumente alle dasselbe Verfahren betreffen.Abs. 3
Die Gerichte befassen sich überwiegend mit Fällen, in denen entweder per einfacher E-Mail oder per De-Mail eingereicht wurde.Abs. 4

1. Einreichung mit einfacher E-Mail

In dem vom Landgericht Mainz entschiedenen Fall wandte sich eine Betroffene gegen eine Entscheidung des Amtsgerichts, mit welchem die Aufhebung der Betreuung abgelehnt worden war. Hierzu hatte die Betroffene ein handschriftliches und von ihr eigenhändig unterzeichnetes Schriftstück offenbar mit ihrem Smartphone abfotografiert und diese Fotografie dann als Bilddatei von ihrem Mobiltelefon per E-Mail an das Amtsgericht übersandt. Das Landgericht Mainz stellte fest, dass eine per einfacher E-Mail an das Gericht übermittelte Bilddatei mit einem (abfotografierten oder eingescannten) von dem Beschwerdeführer eigenhändig unterzeichneten Schriftstück nicht die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform für die Einlegung einer Beschwerde gemäß §§ 64 Abs. 2 Satz 1, 14 Abs. 2 FamFG i. V. m. § 103 ZPO wahrt[1].Abs. 5
Das Verwaltungsgericht Trier hatte über den Fall einer Wegnahme von Pferden zu entscheiden. Hierzu war von der zuständigen Behörde ein Bescheid erlassen worden. Mit einfachen E-Mails haben die Antragsteller daraufhin zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der Wegnahme der Pferde nicht einverstanden sind. Das Gericht stellte fest, dass eine einfache E-Mail nicht genügt, um formgerecht Widerspruch zu erheben[2].Abs. 6
Nach § 65a Abs. 1 SGG kann die Beschwerde auch per E-Mail eingelegt werden. Zu deren Wirksamkeit muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von dieser signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden[3] In dem vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entschiedenen Fall hatte der Kläger hingegen lediglich eine einfache E-Mail eingereicht, mit welcher dieser - ohne entsprechende Signatur und ohne Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs - sinngemäß Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt hat. Dies reicht nach Ansicht des Gerichts nicht aus.Abs. 7
In dem vom Landgericht Tübingen entschiedenen Fall war ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes mit einer einfachen E-Mail eingelegt worden. Mit Verordnung der Landesregierung zur Übergangsregelung zum Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs und zur Änderung der Subdelegationsverordnung Justiz vom 5. Dezember 2017 wird geregelt, dass § 110a OWiG in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 2018 weiter Anwendung findet. Nach § 110a Abs. 1 S.1 OWiG in der bis zum 31.12.2018 in Baden-Württemberg geltenden Fassung können an die Behörde oder das Gericht gerichtete Erklärungen, Anträge oder deren Begründung, die nach diesem Gesetz ausdrücklich schriftlich abzufassen sind, als elektronisches Dokument eingereicht werden, wenn dieses mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist. Die Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr in Baden-Württemberg (Landes-Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - LERVVO) vom 21. März 2018 (gültig bis 31.12.2018) regelt in § 7, dass anstelle der Übermittlung eines elektronischen Dokuments mit einer qualifizierten elektronischen Signatur die Übermittlung auch auf einem sicheren Übermittlungswege erfolgen kann. Eine einfache E-Mail genügt diesen Formerfordernissen nicht (vgl. LG Münster, Beschluss vom 12.10.2015 - 2 Qs-89 Js 1834/15-76/15)[4].Abs. 8
In dem vom Verwaltungsgericht Gera verhandelten Fall hat der Antragsteller den Antragsschriftsatz per E-Mail, dem der unterschriebene Antragsschriftsatz als eingescanntes PDF-Dokument angehängt war, an das Verwaltungsmailpostfach des Gerichts gesendet. Diese Form der Einreichung genügt jedoch nicht dem Schriftformerfordernis i. S. v. § 81 VwGO i. V. m. § 55a VwGO. Die E-Mail war weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen noch wurde sie als De-Mail im Sinne des De-Mail-Gesetzes versandt. Ein vom Gericht hergestellter, mit der faksimilierten Unterschrift eines Beteiligten versehener Ausdruck eines PDF-Dokuments, der zu den Akten gelangt ist, genügt der Formvorschrift des § 81 Abs 1 VwGO nicht (entgegen BGH, Beschluss vom 18. März 2015 - XII ZB 424/14 -)[5].Abs. 9
Der BGH hatte demgegenüber in seinem Beschluss das genaue Gegenteil entschieden:Abs. 10
„Wird eine im Original eigenhändig unterzeichnete Berufungsbegründung eingescannt und im Anhang einer Email als PDF-Datei nach vorheriger Rücksprache mit der Geschäftsstellenbeamtin an die Geschäftsstelle des Berufungsgerichts geschickt, genügt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Ausdruck einer auf diesem Weg übermittelten Datei der Schriftform. Denn der Ausdruck verkörpert die Berufungsbegründung in einem Schriftstück und schließt mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten ab. Dass die Unterschrift nur in Kopie wiedergegeben ist, ist entsprechend § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO unschädlich, weil der im Original unterzeichnete Schriftsatz elektronisch übermittelt und von der Geschäftsstelle entgegengenommen worden ist.[6]Abs. 11
In dem vom Sozialgericht Freiburg entschiedenen Fall hatte der Kläger für die Übermittlung seiner elektronischen Dokumente keinen der gesetzlich vorgegebenen Wege genutzt und dies auch nach den entsprechenden Hinweisen des Gerichts auch nicht korrigiert. Das von ihm genutzte Angebot unter "www.webegvp.justiz.de" reiche nicht aus, wenn der Anlage kein qualifiziert elektronisch signiertes Dokument beigefügt worden sei. Hierauf weise die Seite auch ausdrücklich hin ("Mit dieser Web-Anwendung können elektronische Nachrichten an die Justizbehörden versendet werden. Eine elektronische Rückantwort ist nicht möglich. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass Dokumente, die der Schriftform bedürfen, für eine wirksame Einreichung qualifiziert elektronisch signiert sein müssen“).Abs. 12
Wird eine Prozesserklärung über EGVP ohne die erforderliche qualifizierte elektronische Signatur übermittelt und kein sonstiger sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Abs. 4 SGG gewählt, ist den notwendigen Formerfordernissen nicht genügt, auch wenn die Erklärung vom Gericht ausgedruckt wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016, B 4 AS 1/16 R, BSGE 122, 71 = SozR 4-1500 § 65a Nr. 3; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 24. Oktober 2017, L 6 AS 159/17 B ER, juris; Müller SGb 2017, 319, 323). Eine Hinweispflicht des Gerichts und eine Heilungsmöglichkeit nach § 65a Abs 6 SGG besteht in diesem Fall nicht (Anschluss an BSG vom 9.5.2018 - B 12 KR 26/18 B = SozR 4-1500 § 65a Nr 4)[7].Abs. 13

2. Schriftlichkeitserfordernisse

In dem vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen entschiedenen Fall ging es um die per E-Mail erklärte Verweigerung des Vorsitzenden des Personalrats die Zustimmung zu einer Änderung der Geschäftsanweisung zu erklären. Es genügt nach Ansicht des Gerichts dem Schriftlichkeitserfordernis aus § 69 Abs. 2 Satz 5 BPersVG, wenn der Vorsitzende des Personalrats dem Leiter der Dienststelle mittels einer mit Grußformel und Namenswiedergabe abschließenden E-Mail die Tatsache der Zustimmungsverweigerung mitteilt und die Gründe für die Zustimmungsverweigerung in einer der E-Mail als Anhang beigefügten Datei im Microsoft Office Format "Word" übermittelt, die lediglich die textliche Wiedergabe der Gründe beinhaltet[8]. Das Gericht begründet dies u.a. wie folgt: Unter dem Begriff "schriftlich" kann jede Verstetigung einer Gedankenerklärung durch Schriftzeichen verstanden werden. Dazu gehören auch Texte, die elektronisch erfasst, übermittelt und gespeichert werden. Ob die Verstetigung in einer Urkunde oder in einem anderen Medium erfolgt, ist mit Blick auf den Wortlaut unerheblich. Maßgeblich ist allein, dass die dauerhafte Lesbarkeit des Textes gewährleistet ist. Dem steht nicht entgegen, dass dieses Verständnis weder den mit dem Schriftlichkeitsbegriff verbundenen Vorstellungen zum Zeitpunkt des Erlasses des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom 5. August 1955 (BGBl. I S. 477), in dessen § 62 Abs. 2 Satz 4 sich die Regelung über die schriftliche Zustimmungsverweigerung erstmals findet, noch denjenigen zum Zeitpunkt der unveränderten Übernahme der Regelung in § 69 Abs. 2 Satz 5 des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom 15. März 1974 (BGBl. I S. 693) entspricht. Die ausschließlich elektronische Übermittlung und Speicherung von Texten war damals noch nicht möglich bzw. üblich, so dass davon auszugehen ist, dass allgemein- wie auch fachsprachlich mit dem Begriff "schriftlich" jedenfalls die Vorstellung von der Verkörperung der Schriftzeichen in einer Urkunde verbunden war.Abs. 14

3. Faxschreiben weiterhin ohne qualifizierte elektronische Signatur

§ 52a FGO ist auf Telefaxschreiben, die mittels Verwendung von Rufnummern i.S. des § 3 Nr. 18 TKG über einen öffentlich zugänglichen Telefondienst i.S.v. § 3 Nr. 17 TKG übermittelt wurden, weiterhin nicht anzuwenden. Der Wirksamkeit der Rücknahme einer finanzgerichtlichen Klage steht es daher nicht entgegen, dass die Rücknahmeerklärung als Telefaxschreiben ohne qualifizierte elektronische Signatur über das allgemeine Telefonnetz übermittelt wurde. Soweit das VG Dresden in den Urteilen vom 21.11.2017 2 K 2108/16 und vom 02.10.2018 2 K 302/18 zu dem mit § 52a FGO im Kern inhaltsgleichen § 55a VwGO eine abweichende Rechtsauffassung vertreten hat, folgt dem der beschließende Einzelrichter nicht[9].Das Gericht begründet dies wie folgt: „Das Wortlautargument geht fehl, weil der Gesetzgeber mit Worten bestimmte Sachverhalte erfassen will. Es würde daher niemand auf die Idee kommen, dass ein Gericht dem Anspruch der Beteiligten auf Erteilung einer "Abschrift" (§ 78 Abs. 1 Satz 2 FGO) durch handschriftliches Abschreiben des Originals folgen leisten muss; es genügt ein Kopiergerät. Umgekehrt sollte mit § 52a FGO deshalb aus Sicht des Gesetzgebers im Kern nur E-Mails (d.h. Zustellung über Internet), nicht aber trotz heute elektronischer Grundlage die Verwendung des regulierten öffentlichen Telefonnetzes (§ 3 Nr. 16 TKG) ausgeschlossen werden. Denn aus den zuletzt (am 01.12.2018) von Müller unter http://ervjustiz.de/vg-dresden-verlangt-fax-mit-qualifizierter-signatur dargelegten Gründen, auf die im Einzelnen verwiesen wird, war mit der Einführung der Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr (für das finanzgerichtliche Verfahren in § 52a FGO, siehe aber neben § 55a VwGO ebenso auch § 130a der Zivilprozessordnung) keine Abschaffung der durch Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschluss vom 05.02.2000 GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160) bestätigten Möglichkeit, bestimmende Schriftsätze (hier die Rücknahme) mittels "einfachem" Telefax zu übermitteln, verbunden (so ausdrücklich Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 30.03.2006 8 B 8/06; ferner z. B. implizit durch Bejahung der Wiedereinsetzung durch rechtzeitiges Telefax ohne Überprüfung des § 52a FGO Bundesfinanzhof, Beschluss vom 26.07.2011 VII R 30/10, BFHE 234, 118 , BStBl. II 2011, 925). Ein auf Abschaffung der von bestimmenden Telefaxschreiben gerichteter gesetzgeberischer Wille ist trotz des durchaus hinreichend weiten Wortlauts ("elektronisches Dokument"), der im Rahmen einer Auslegung von Gesetzen aber nicht allein entscheidend ist (vgl. z. B. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.06.2018 1 BvL 7/14, BGBl. I 2018, 882) und trotz der heute technisch möglicherweise ähnlichen (Un-) Sicherheit von Telefaxschreiben einerseits (insbesondere Computerfax ohne Verwendung von Faxgeräten beim Absender und beim Empfänger) und den nach § 52a FGO nicht zulässigen "einfachen" E-Mails (d.h. ohne qualifizierte Signatur und ohne sog. sicheren Übertragungsweg) anderseits nicht hinreichend deutlich erkennbar.“Abs. 15

4. Einreichung per De-Mail

Das Bundesverfassungsgericht musste über eine per De-Mail eingegangene Verfassungsbeschwerde entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Einreichung einer Verfassungsbeschwerde als De-Mail das Schriftformerfordernis des § 23 Abs 1 S 1 BVerfGG nicht wahrt. Insofern gilt dasselbe wie bei der Übermittlung per E-Mail (vgl hierzu vgl BVerfG, 25.07.2017, 2 BvC 6/17 <Rn 6>; BVerfG, 27.11.2015, 2 BvQ 43/15, FA 2016, 45 <juris Rn 5>). Die Regeln der ERVV sind gemäß § 1 Abs 1 ERVV mangels Bezugsnorm für das BVerfG nicht anwendbar. Der Übermittlungsweg per De-Mail müsste daher vom Gesetzgeber erst eröffnet werden. Auch soweit das BVerfG über eine De-Mail-Adresse verfügt, steht dieser Kommunikationsweg ausdrücklich ausschließlich für Verwaltungsangelegenheiten zur Verfügung[10].Abs. 16

5. Zum Verbot der Containersignatur

Das in § 4 Abs 2 ERVV ausgesprochene Verbot der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente mit einer gemeinsamen qualifizierten elektronischen Signatur bedarf einer verfassungskonformen Auslegung[11]. Vorliegend genügt die Berufung vom 14. März 2018 dem Erfordernis einer qualifizierten Signatur im Sinne von § 65a Abs. 3 SGG i.V.m. § 4 Abs. 2 ERVV, da sämtliche Dokumente in dem mit einer qeS versehenen Container ausschließlich das vorliegende Verfahren betrafen, und somit die Container-Signatur sowohl die Überprüfung als auch die Sicherstellung von Authentizität und Integrität der zur Einlegung des Rechtmittels übermittelten elektronischen Dokumente zulässt.Abs. 17
§ 4 Abs. 2 ERVV bedarf bezogen auf solche Fallgestaltungen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben einer einschränkenden Auslegung. Die qualifizierte elektronische Signatur tritt an die Stelle der eigenhändigen Unterschrift im Sinne etwa der §§ 130 Nr. 6 ZPO, 92 Abs. 1 Satz 3 SGG. Neben den sonstigen Funktionen der Unterschrift soll sie auch gewährleisten, dass das elektronische Dokument nicht spurenlos manipuliert werden kann (Perpetuierungs- oder Integritätsfunktion). Diesen Anforderungen genügt auch eine - im vorliegenden Fall von dem Bevollmächtigten der Klägerin eingesetzte - qualifizierte Container-Signatur (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 – VI ZB 7/13 –, BGHZ 197, 209 mwN; BVerwG, Urteil vom 04. November 2010 – 2 C 16/09 –, BVerwGE 138, 102).Abs. 18
Auch mit einer solchen qualifizierten Containersignatur werden Sinn und Zweck der qualifizierten Signatur - die Sicherstellung von Authentizität und Integrität des Dokuments - erreicht. Die qualifizierte Container-Signatur ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur die jeweils übersandte Einzeldatei, sondern die gesamte elektronische Nachricht umfasst, mit der die Datei an das Gericht übermittelt wird. Ebenso wie die Einzelsignatur stellt sie sicher, dass die Nachricht auf dem Weg vom Sender zum Empfänger nicht manipuliert worden ist. Sie ermöglicht die Feststellung, ob der Inhalt der übersandten Dateien verändert wurde. Darüber hinaus bietet die qualifizierte Container-Signatur eine der Einzelsignatur vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Verfassers, die übersandten Dokumente in den Rechtsverkehr zu bringen (BGH, aaO, mwN).Abs. 19
Ein Verbot der Container- oder Umschlagsignatur, um die Integrität und Authentizität einer qualifizierten elektronischen Signatur uneingeschränkt sicherzustellen, ist jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Absender mit ihr nur elektronische Dokumente verbindet, die – wie im vorliegenden Fall – alle dasselbe Verfahren betreffen.Abs. 20

6. Einrichtung der elektronischen Form als Regelweg

Die elektronische Form ist zumindest seit dem 1.1.2018 neben der Schriftform und der mündlichen Form (zur Niederschrift) als gleich gewichtige Form sowie als weiterer Regelweg zu sehen und in die Rechtsbehelfsbelehrung grundsätzlich aufzunehmen. Etwas anderes dürfte nur dann gelten, wenn der Empfänger einen für die Übermittlung elektronischer Dokumente erforderlichen Zugang nicht eröffnet hat[12].Abs. 21
Die Eröffnung elektronischer Kommunikation im regulären Austausch mit dem Bürger lässt allein noch keinen Schluss auf die Bereitschaft der Behörde zum Empfang gesicherter, elektronischer Widersprüche zu (keine konkludente Widmung). Weder die Verpflichtung nach § 2 EGovG noch die seit 1.1.2018 geltende Fassung von § 84 SGG noch § 36a SGB 1 eröffnen den Zugang für gesicherte E-Mail-Widersprüche. Die technische Möglichkeit zum Empfang verschlüsselter E-Mail-Widersprüche macht die Widmung zur Eröffnung des elektronischen Widerspruchsverfahrens nicht entbehrlich. Rechtsbehelfsbelehrungen ohne Hinweis auf die Möglichkeit der Erhebung eines Widerspruchs in elektronischer Form sind nur dann fehlerhaft, wenn die zuständige Behörde den elektronischen Zugangsweg ausdrücklich oder konkludent eröffnet hat[13].Abs. 22

B. Aktuelle Rechtsprechung zu elektronischen Fristenkalendern

Abs. 23
Der BGH hat etwa seit dem Jahr 1995 in verschiedenen Entscheidungen zu den Sorgfaltspflichten von Anwälten im Zusammenhang mit elektronischen Fristenkalendern Stellung genommen.Abs. 24
Die Sorgfaltspflicht in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu tun, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten[14]. Überlässt er die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft, hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Die elektronische Kalenderführung eines Prozessbevollmächtigten darf nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung grundsätzlich keine geringere Überprüfungssicherheit bieten als die eines herkömmlichen Fristenkalenders. Werden die Eingaben in den EDV-Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrolliert, ist darin ein anwaltliches Organisationsverschulden zu sehen. Denn bei der Eingabe der Datensätze bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten. Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen[15].Abs. 25
Bei der Eingabe von Fristen in den elektronischen Fristenkalender bestehen spezifische Fehlermöglichkeiten. Dazu zählen nicht nur Datenverarbeitungsfehler der EDV, sondern auch Eingabefehler, insbesondere durch Vertippen. Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt, der laufende Fristen in einem elektronischen Fristenkalender erfasst, durch geeignete Organisationsmaßnahmen die Kontrolle der Fristeingabe gewährleisten muss. Das Notieren einer Vorfrist in dem elektronischen Fristenkalender ist zur Kontrolle der Richtigkeit der eingegebenen Berufungsbegründungsfrist nicht geeignet. Sie unterliegt derselben spezifischen Fehleranfälligkeit wie die Eingabe des Fristablaufs selbst. Das gilt auch und gerade dann, wenn die Vorfrist von dem EDV-Programm automatisch notiert wird, da sie dann zwangsläufig falsch ist, wenn auch das Ende der Berufungsbegründungsfrist falsch eingegeben wurde. Ebenso wenig gewährleistet das Notieren des Fristablaufs in der Handakte, dass der Prozessbevollmächtigte Fehler bei der Eingabe der Fristen in den elektronischen Fristenkalender rechtzeitig erkennt, da er sich grundsätzlich nicht auf die Prüfung der Vermerke in den Handakten beschränken darf. Die Kontrolle der Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender kann durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen. Werden die Eingaben in den EDV-Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker oder durch Ausgabe eines Fehlerprotokolls durch das Programm kontrolliert, ist darin nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein anwaltliches Organisationsverschulden zu sehen. Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-Programms, sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem Aufwand rechtzeitig zu erkennen und zu beseitigen[16].Abs. 26
Der BGH musste im Jahr 2018 über die Anforderungen bei Fristeinträgen im Zusammenhang mit Fristverlängerungsanträgen entscheiden. Bei Stellung eines Fristverlängerungsantrags muss als zusätzliche Fristensicherung auch das hypothetische Ende der beantragten Fristverlängerung bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenbuch eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann. Zugleich mit der Eintragung des beantragten (voraussichtlichen) Fristendes ist hierfür auch eine Vorfrist einzutragen[17]. Dem Prozessbevollmächtigten einer Partei ist ein - ihr zuzurechnendes - Verschulden an der Fristversäumung dann nicht anzulasten, wenn zwar die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen oder Anweisungen für eine Fristwahrung unzureichend sind, er aber einer Kanzleikraft, die sich bislang als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Gleiches gilt, wenn die konkrete Einzelanweisung zwar nicht allein, jedoch in Verbindung mit einer allgemein bestehenden - für sich genommen unzureichenden - Anweisung im Falle der Befolgung beider Anordnungen geeignet gewesen wäre, die Fristversäumung zu verhindern[18].Abs. 27
Unterbleibt eine Kontrolle der Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender, so ist darin nach Ansicht des BGH ein Organisationsverschulden zu sehen[19]. Bei der Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender muss eine Kontrolle durch einen Ausdruck der eingegebenen Einzelvorgänge oder eines Fehlerprotokolls erfolgen. Unterbleibt eine derartige Kontrolle, so liegt ein anwaltliches Organisationsverschulden vor. Werden die Fristeingabe in den elektronischen Fristenkalender und die anschließende Eingabekontrolle in zwar mehrstufigen, aber ausschließlich EDV-gestützten und jeweils nur kurze Zeit benötigenden Arbeitsschritten am Bildschirm durchgeführt, besteht eine erhöhte Fehleranfälligkeit. Den Anforderungen, die an die Überprüfungssicherheit der elektronischen Kalenderführung zu stellen sind, wird durch eine solche Verfahrensweise nicht genügt.Abs. 28
Der BFH hatte einen Fall zu entscheiden, in welchem die Computeranlage komplett ausgefallen war[20]. Den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lehnte das Gericht ab. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn bei Verwendung eines elektronischen Fristenkalenders in der Kanzlei des Prozessvertreters nicht dargetan wird, dass ausreichende Vorkehrungen zur Fristenkontrolle für den Fall eines Totalausfalls der Computeranlage getroffen worden sind.Abs. 29
In einer weiteren Entscheidung stellte der BFH fest, dass eine Frist im Fristenkalender nicht als erledigt gestrichen werden darf, bevor die fristwahrende Handlung ausgeführt worden ist. Die Erledigung fristwahrender Handlungen muss am Abend eines jeden Arbeitstags von einer dazu beauftragten Bürokraft anhand des Fristenkalenders noch einmal selbständig überprüft werden. Die Einzelweisung, ein fristwahrendes Schriftstück schon "mittags" zum Kanzleipostamt zu bringen, beseitigt nicht die Ursächlichkeit allgemeiner Organisationsmängel, denn es fehlt die Anweisung, die Handlung sofort und vor allen anderen Aufgaben auszuführen[21].Abs. 30
In dem vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall war eine Eintragung im elektronischen Fristenkalender gelöscht worden. Anwaltliche Prozessbevollmächtigte müssen nach Ansicht des BAG einen elektronischen Fristenkalender so führen, dass er dieselbe Überprüfungssicherheit bietet wie ein herkömmlicher Kalender. Es muss sichergestellt sein, dass keine versehentlichen oder unzutreffenden Eintragungen oder Löschungen erfolgen, die später nicht mehr erkennbar sind. Dies gilt auch für gewerkschaftliche Prozessbevollmächtigte[22].Abs. 31
Besondere Anforderungen gelten nach Ansicht des BAG für den Versand von fristwahrenden Schriftsätzen über beA. Versendet ein Rechtsanwalt fristwahrende Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Gericht, hat er in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend zu belehren, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 46c Abs. 5 Satz 2 ArbGG zu kontrollieren ist. Er hat zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen[23]. Abs. 32

Fußnoten:

[*] Wolfgang Kuntz ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für IT-Recht in Saarbrücken. Der Beitrag arbeitet einen in Arbeitsteilung mit VRiBVerwG Prof. Dr. Uwe Berlit in dem Arbeitskreis "Aktuelle Rechtsprechung zu eGovernment und eJustice" auf dem 28. Deutschen EDV-Gerichtstag am 20.9.2019 in Saarbrücken gehaltenen Vortrag aus. Der Beitrag von Prof. Dr. Berlit ist unter https://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20190117 bereits als Teil 1 der Rechtsprechungsübersicht veröffentlicht. Die Beiträge schließen an an die Berichte zum 24. Deutschen EDV-Gerichtstag 2015 (Berlit, JurPC Web-Dok. 176/2015 (Teil I); Kuntz, JurPC Web-Dok. 202/2015 (Teil II)), zum 25. Deutschen EDV-Gerichtstag 2016 (Kuntz, JurPC Web-Dok. 145/2016 (Teil I); Berlit, JurPC Web-Dok. 149/2016 (Teil II)), zum 26. Deutschen EDV-Gerichtstag 2017 (Kuntz, JurPC Web-Dok. 160/2017 (Teil I); Berlit, JurPC Web-Dok. 164/2017 (Teil II)) sowie zum 27. Deutschen EDV-Gerichtstag 2018 (Berlit, JurPC Web-Dok. 146/2018 (Teil I), Kuntz, JurPC Web-Dok. 158/2018 (Teil II)) und erfassen im Kern den Berichtszeitraum August/September 2018 bis August 2019. Das Manuskript wurde Anfang September 2019 abgeschlossen.
[1] LG Mainz, Beschluss vom 24.10.2018, 8 T 215/18
[2] VG Trier, Beschluss vom 02.05.2019, 8 L 1654/19.TR
[3] Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2018, L 1 KR 601/18 B
[4] LG Tübingen, Beschluss vom 28.01.2019, 9 Qs 6/19
[5] VG Gera, Beschluss vom 12.09.2018, 2 E 1480/18 Ge
[6] BGH, Beschluss vom 18.03.2015, XII ZB 424/14.
[7] SG Freiburg, Beschluss vom 14.09.2018, S 6 SV 2707/18
[8] Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2019, 20 A 3100/17.PVB
[9] Hessisches Finanzgericht, Beschluss vom 06.12.2018, 4 K 1880/14.
[10] BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19.11.2018, 1 BvR 2391/18.
[11] Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.10.2018, L 2 R 117/18.
[12] Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20.12.2018, L 6 AS 202/18 B ER
[13] SG Berlin, Urteil vom 10.05.2019, S 37 AS 13511/18
[14] BGH, Beschluss vom 17.04.2012, VI ZB 55/11
[15] ebenda
[16] BGH, Beschluss vom 12.04.2018, V ZB 138/17
[17] BGH, Beschluss vom 04.09.2018, VIII ZB 70/17
[18] ebenda
[19] BGH, Beschluss vom 28.02.2019, III ZB 96/18
[20] BFH, Beschluss vom 19.03.2019, II R 29/17
[21] BFH, Beschluss vom 21.05.2019, IX R 43/17
[22] BAG, Beschluss vom 03.07.2019, 8 AZN 233/19
[23] BAG, Beschluss vom 07.08.2019, 5 AZB 16/19

[online seit: 15.10.2019]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Kuntz, Wolfgang, Rechtsprechungsübersicht zu e-Justice und e-Government 2018/19 (Teil 2) - JurPC-Web-Dok. 0129/2019