JurPC Web-Dok. 46/2024 - DOI 10.7328/jurpcb202439347

OLG Frankfurt a.M.

Beschluss vom 15.02.2024

7 ORs 2/24

Zur Zulässigkeit von Verweisen auf Videomitschnitte gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO

JurPC Web-Dok. 46/2024, Abs. 1 - 32


Leitsatz:

Zur Überprüfbarkeit der Beweiswürdigung in der Revisionsinstanz und zur Zulässigkeit von Verweisen auf Videomitschnitte gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO

Ergänzung durch die Redaktion:

Da die Kammer die Videomitschnitte vorliegend nicht in Bezug genommen hat, kann dahinstehen, ob dem Senat die Möglichkeit hierzu durch einen - die Sequenz konkret bezeichnenden - Verweis im Sinne von § 267 Abs. 1 S. 3 StPO eröffnet werden kann, oder sich - entsprechend den (nicht tragenden) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 332/11 = BeckRS 2011, 28275 Rn 14 ff. sowie Beschluss vom 2. Dezember 2020 - 2 StR 203/20 = BeckRS 2020, 43187 Rn 7; ebenso Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Auflage 2023, § 267 Rn 9) - ein Verweis im Sinne dieser Vorschrift auf Videomitschnitte grundsätzlich verbietet und stattdessen eine ausführliche Beschreibung des Geschehens erforderlich ist (vgl. zum Meinungsstand BeckOK-Peglau StPO, 50. Edition, Stand: 1. Januar 2024, § 267 Rn 8). Im Ausgangspunkt zutreffend ging die Kammer davon aus, dass auch eine bewusst unvollständige Mitteilung von Tatsachen als unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln ist, wenn aus den mitgeteilten Tatsachen eine ehrenrührige Schlussfolgerung zu ziehen ist (MüKo-Regge/Pegel StGB, 4. Auflage 2021, § 187 Rn 9).

Gründe:

I.Abs. 1
Das Amtsgericht - Strafrichter - Stadt… hatte gegen den Angeklagten durch Urteil vom 22. Mai 2023 wegen Verleumdung eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 € verhängt. Das Landgericht Limburg an der Lahn - 4. kleine Strafkammer - hat die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 17. Oktober 2023 verworfen.Abs. 2
Gegenstand der Verurteilung ist eine von dem Angeklagten veranlasste Veröffentlichung einer von ihm erstellten Videobotschaft über den Messengerdienst Telegram. In dieser Videobotschaft hat der Angeklagte eine Erklärung zu der am Vortag stattgefundenen Demonstration der Gruppierung namens „Stadt1 steht auf!“ zum Thema „Für eine freie Impfentscheidung, Demokratie, Menschlichkeit und ein neues Miteinander“ abgegeben. Diese Demonstration war ausweislich der Feststellungen des landgerichtlichen Urteils unter der - gerichtlich bestätigten - Auflage des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes genehmigt worden.Abs. 3
In Bezug auf diese Videobotschaft hat die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte unwahre bzw. aus dem Zusammenhang gerissene Behauptungen aufgestellt hat, um bewusst den Eindruck zu erwecken, dass der verantwortliche Einsatzleiter der Polizei, der Zeuge EPHK A, sich eines massiven, durch nichts gerechtfertigten Eingriffs in das grundgesetzlich geschützte Recht der Versammlungsfreiheit schuldig gemacht hat. Der Angeklagte habe den Zeugen EPHK A als vermeintlich unprofessionellen, unmotiviert aggressiv handelnden Einsatzleiter verächtlich machen und in der öffentlichen Meinung herabwürdigen wollen.Abs. 4
Konkret legt die Kammer der Verurteilung fünf Passagen aus der Videobotschaft zugrunde:Abs. 5
Die erste Aussage des Angeklagten steht im Zusammenhang damit, dass er betont habe, dass die Versammlung friedlich verlaufen sei und er, der Angeklagte, sich äußern wolle, bevor irgendwer hiervon „abweichenden Mist“ erzähle. Sodann heißt es: „Man habe einen friedlichen und gewaltfreien Demonstrationszug gehabt. Von der B-Klinik sei der Zug in Richtung C gegangen. Am C-Markt sei wiederum eine Polizeikontrolle gewesen, „um Leute von uns rauszuziehen.“ Hierbei unterließ es der Angeklagte bewusst, darauf hinzuweisen, dass er und einige Mitstreiter durch das bewusst auflagenwidrige Nichttragen einer Maske den Anlass für das polizeiliche Einschreiten gegeben hätten.“Abs. 6
Die zweite Aussage des Angeklagten in der Videobotschaft bezieht sich auf eine Situation, in welcher der Angeklagte, der Zeuge D und einige weitere Demonstranten seitens der Polizei zum Anlegen des Mund-Nasen-Schutzes aufgefordert wurden. Diesbezüglich hat die Kammer festgestellt: „Der Angeklagte führte weiter aus, daraufhin hätten er und zwei Mitstreiter sich auf die Straße gekniet und die Hände hinter den Kopf genommen, um zu zeigen, dass man gewaltfrei sei und nicht zur Eskalation beitragen wolle. Die jungen Polizisten hätten sich vorbildlich und ruhig verhalten.“ Sodann wird die Aussage des Angeklagten wörtlich wie folgt zitiert: „Aber Herr A der Polizeichef aus Stadt1 meinte dann, mich anschreien zu müssen, mich anbrüllen zu müssen, mich zu beleidigen. Dafür gibt es 30 Zeugen.“ Diesbezüglich geht die Kammer davon aus, dass „eine Beleidigung durch den Zeugen A (…) - wie der Angeklagte wusste - nicht stattgefunden (hat). Zudem war dem Angeklagten bekannt, dass der Zeuge seine Stimme hatte heben müssen, um sich gegen den Lärm der Trommler hinweg verständlich machen zu können.“ In Bezug auf „die Trommler“ hatte die Kammer festgestellt, dass der Angeklagte von zahlreichen mit Trommeln versehenen Mitstreitern flankiert war, die eine ohrenbetäubende Geräuschkulisse erzeugten. Hinsichtlich der Intention des Angeklagten zur Abgabe der hier in Rede stehenden Passage in der Videobotschaft hat die Kammer ausgeführt: „Diesen Umstand verschwieg der Angeklagte bei seiner Schilderung ganz bewusst, um das Schreien für den uninformierten Empfänger dieser Information als übergriffige Handlung des Beamten darzustellen. Gleiches gilt für die frei erfundene Behauptung einer Beleidigung.“Abs. 7
Die dritte Äußerung bezieht sich sodann auf das Einschreiten der Polizei gegen den Zeugen D, der bei der Demonstration als Ordner eingesetzt war. Hierzu hat die Kammer die Videobotschaft wie folgt wörtlich wiedergegeben: „Ja und später wurde dann einer von unseren Ordnern von ihm, äh, ja zur Seite gezogen, hin- und hergerissen umgedreht, das kann man nachher alles gut auf dem Video sehen. Unser Ordner, der sich total friedlich verhalten hat, wurde dann wie ein Schwerverbrecher auf den C-Parkplatz gezogen.“ Des Weiteren hat die Kammer insoweit festgestellt: „Hierbei verschwieg der Angeklagte bewusst, dass der genannte Ordner gegen eine gerichtlich bestätigte Auflage verstoßen, sich der Feststellung seiner Personalien zu entziehen versucht hatte und allein deshalb von dem Zeugen EPHK A festgehalten worden war. Der Angeklagte tat dies ganz bewusst, um die Handlung des Zeugen EPHK A für den uninformierten Empfänger als übergriffige Handlung des Beamten darzustellen.“Abs. 8
Die vierte Äußerung des Angeklagte steht im Zusammenhang mit einem von der Lebensgefährtin des Angeklagten, der Zeugin E, verursachten Zusammenstoß mit dem Zeugen EPHK A. Hierzu äußerte der Angeklagte sich ausweislich der Feststellung wie folgt: „Meine Freundin wurde noch von Herrn A geschubst. Ich bin froh, dass sie nicht gestolpert ist auf den Kopf gefallen.“ Des Weiteren hat die Kammer insofern festgestellt, dass der Angeklagte gezielt den Umstand (verschwieg), dass es sich bei dem erwähnten Schubsen um eine Reflexhandlung des Zeugen A gehandelt hatte, als Reaktion darauf, dass die Zeugin E ihm versehentlich von hinten auf den Fuß getreten hatte. Der Angeklagte tat dies ganz bewusst, um die Handlung des Zeugen A für den uninformierten Empfänger dieser Nachricht als übergriffige Handlung des Beamten darzustellen.“Abs. 9
Schließlich habe der Angeklagte das Verhalten des Zeugen A gegen Ende seiner Videobotschaft dahingehend zusammengefasst, dass „man (gemeint gewesen sei der Polizeibeamte A als Einsatzleiter) (…) nicht so das Ganze zum Eskalieren bringen (müsse).“Abs. 10
Hinsichtlich der Verbreitung der Videobotschaft hat die Kammer abschließend festgehalten, dass dies in den Tagen nach der Veröffentlichung von dem Zeugen EPHK A und einer unbestimmten Vielzahl sonstiger Internetnutzer wahrgenommen worden sei und der Zeuge EPHK A am 18. März 2023 Strafanzeige wegen Verleumdung gestellt habe.Abs. 11
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat die Kammer in Bezug auf das der Behauptung des Angeklagten, von dem Zeugen EPHK A „angeschrien, angebrüllt und beleidigt“ worden zu sein, zugrundeliegende und abweichend hiervon festgestellte Geschehen Folgendes ausgeführt:Abs. 12
„2. Den Verlauf der Demonstration vom 15.03.2022 (sic!) und insbesondere die in den Feststellungen erwähnten Szenen während und nach dem erstmaligen Hinknien des Angeklagten, des Zeugen D und einiger anderer Mitstreiter hat die Kammer durch die Inaugenscheinnahme zur Akte gelangter Videosequenzen festgestellt, die von Teilnehmern des Versammlungszuges aufgenommen und im Internet veröffentlicht worden waren. Aus der Inaugenscheinnahme wurde zunächst ersichtlich, dass der Zeuge A gezwungen war, zur Kontaktaufnahme mit dem maskenlos auf dem Boden knienden Angeklagten zu schreien, da die zahlreichen, das Geschehen umrundenden Trommler einen ohrenbetäubenden Lärm erzeugten.Abs. 13
3. Dass der Zeuge A den Angeklagten in der ersten Phase des Geschehens entgegen dessen Behauptung nicht beleidigt hat, folgt aus den inhaltsgleichen Angaben des Ersteren. Dieser hat bekundet, er habe den Angeklagten aufgefordert, er solle sich die Maske anziehen, sonst werde er herausgezogen. Er habe den Angeklagten definitiv nicht als Lügner bezeichnet. Dazu habe er keinen Grund gehabt. Er habe ihn allerdings auf den Versammlungsleiter F angesprochen, da dieser nicht auffindbar gewesen sei. Er habe dem Angeklagten in diesem Zusammenhang vorgeworfen, er lasse diesen mit seinem ordnungswidrigen Verhalten auflaufen. Der Glaubhaftigkeit der Darstellung des Zeugen A steht nicht entgegen, dass die Zeug(i)n E auch nach dem Hinweis auf ihr Auskunftsverweigerungsrecht auch zweitinstanzlich bekundet hat, sie habe in der maßgeblichen Situation wahrgenommen, dass der Zeuge A ihren Lebensgefährten G als Lügner tituliert habe. Bei dieser Aussage handelt es sich zur festen Überzeugung um eine uneidliche Falschaussage und den Versuch einer Strafvereitelung. Durch die Inaugenscheinnahme der nachfolgenden Szenen war die von der Zeugin E getragene Oberbekleidung bekannt. Durch die Inaugenscheinnahme der Szene in der der Zeuge A den Angeklagten ansprach(,) kann die Kammer aufgrund der Kenntnis vom Aussehen der Zeugin E ausschließen, dass diese sich im maßgeblichen Zeitpunkt in einer Entfernung von den beiden Handelnden aufgehalten haben könnte, die eine solche akustische Wahrnehmung des Gesprochenen ermöglicht hätte. Gänzlich ausgeschlossen ist dies aufgrund des bereits geschilderten ohrenbetäubenden, durch die unmittelbar hinter dem Angeklagten stehenden Trommler verursachten Lärms.“Abs. 14
Hinsichtlich der Situation betreffend die Kontrolle des Zeugen D durch den Zeugen EPHK A führt die Kammer zur Beweiswürdigung Folgendes aus:Abs. 15
„4. Auch die Feststellungen zur Kontaktaufnahme des Zeugen A mit dem Zeugen D beruhen in erster Linie auf der Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen. Auf diesen war entsprechend der getroffenen Feststellungen zu erkennen, dass der Zeuge D von Beginn an zu den maskenlosen Mitstreitern des Angeklagten gehörte und auf welche Weise der Zeuge A zu diesem Kontakt aufnahm. Die Inaugenscheinnahme der Aufnahmen belegte die Richtigkeit der Angaben des Zeugen A. Dieser hat ausgeführt, er habe den ihn bis dahin unbekannten Zeugen D angesprochen und ihn am linken Oberarm gepackt, um seine Personalien an der Seite festzustellen. Dieser habe sich - durch eine gelbe Weste als Ordner ausgewiesen - zweifach an der Aktion des Hinkniens des Angeklagten beteiligt und habe ebenfalls keine Maske getragen. Der Zeuge D habe bekundet, er könne sich nicht ausweisen. Er, A, habe erwidert, dann müsse er ihn bitten, i(h)m zu folgen, um am Rande des Geschehens entsprechende Feststellungen treffen zu können. D habe sich jedoch geweigert und habe dazu angesetzt, sich in der Richtung des Demonstrationszuges zu entfernen. Daher habe er ihn dann an sich gezogen und auf den Parkplatz geleitet. Diese Schilderung des Zeugen A deckt sich - wie erwähnt - vollständig mit dem Inhalt Videoaufzeichnung dieser Szene. (…).“Abs. 16
Mit der seitens des Angeklagten gegen das landgerichtliche Berufungsurteil frist- und formgemäß eingelegten und begründeten Revision wird die Verletzung materiellen Rechts gerügt.Abs. 17
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 4. Januar 2024 beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.Abs. 18
II.Abs. 19
Das Rechtsmittel hat - zumindest vorläufig - Erfolg.Abs. 20
1. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung der Strafkammer hält auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs, wonach allein zu prüfen ist, ob dem Tatgericht bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind, nicht stand. Ein solcher in sachlich-rechtlicher Hinsicht anzunehmender Rechtsfehler liegt unter anderem dann vor, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (ständige Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 18. März 2021 - 4 StR 480/20 = BeckRS 2021, 9394 Rn 2 m.w.N.).Abs. 21
Dies ist vorliegend - wie die Verteidigung zu Recht rügt - zunächst der Fall, soweit es die Beweiswürdigung bezüglich des Inhalts des Gesprächs zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen EPHK A betrifft. Insofern lässt die diesbezügliche Beschreibung der Videosequenz nämlich offen, anhand welcher Merkmal die Kammer die Zeugin E, wie beispielsweise die Art oder die Farbe der Oberbekleidung, identifiziert hat und in welcher Entfernung sich die Zeugin in der maßgeblichen Situation von dem Angeklagten und dem Zeugen EPHK A entfernt aufhielt. Nur in diesem Fall wäre für den Senat allein anhand der Beweiswürdigung nachvollziehbar, ob eine akustische Wahrnehmung des Gesprächsinhalts - unter Berücksichtigung des ebenfalls nicht näher quantifizierten - „ohrenbetäubenden Lärms“, für die Zeugin E ausgeschlossen war.Abs. 22
Mit Blick auf den in der Beweiswürdigung beschriebenen „ohrenbetäubenden Lärm“ ist auch die Beweiswürdigung betreffend die Kommunikation zwischen dem Zeugen D und dem Zeugen A, die nach den Urteilsgründen ort- und zeitnah zu dem zuvor geschilderten Geschehen stattfand, nicht nachvollziehbar. Trotz dieses Lärms sieht die Kammer nämlich die Richtigkeit der Aussage des Zeugen EPHK A, die sich eben nicht nur auf ein äußeres Geschehen, sondern auch auf den Inhalt des Gesprächs mit dem Zeugen D bezog, durch die Inaugenscheinnahme der Videoaufnahme bestätigt. Mit anderen Worten muss der Gesprächsinhalt auf der Videoaufnahme hörbar sein, womit sich - die Richtigkeit der Darstellung im Rahmen der Beweiswürdigung unterstellt - die Frage aufdrängt und damit der Erörterung bedurft hätte, weshalb die akustische Wahrnehmbarkeit in dieser Situation, nicht aber für die Zeugin E bezüglich des Gesprächs zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen EPHK A, gegeben war.Abs. 23
Dem Senat ist verwehrt, diese von der Strafkammer beschriebenen Wahrnehmungen anhand der Videosequenzen selbst nachzuvollziehen. Da die Kammer die Videomitschnitte vorliegend nicht in Bezug genommen hat, kann dahinstehen, ob dem Senat die Möglichkeit hierzu durch einen - die Sequenz konkret bezeichnenden - Verweis im Sinne von § 267 Abs. 1 S. 3 StPO eröffnet werden kann, oder sich - entsprechend den (nicht tragenden) Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 2. November 2011 - 2 StR 332/11 = BeckRS 2011, 28275 Rn 14 ff. sowie Beschluss vom 2. Dezember 2020 - 2 StR 203/20 = BeckRS 2020, 43187 Rn 7; ebenso Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Auflage 2023, § 267 Rn 9) - ein Verweis im Sinne dieser Vorschrift auf Videomitschnitte grundsätzlich verbietet und stattdessen eine ausführliche Beschreibung des Geschehens erforderlich ist (vgl. zum Meinungsstand BeckOK-Peglau StPO, 50. Edition, Stand: 1. Januar 2024, § 267 Rn 8).Abs. 24
2. Der Senat weist für die erneute Verhandlung der Sache darauf hin, dass nicht sämtliche Äußerungen des Angeklagten als unwahre Tatsachenbehauptungen im Sinne des § 187 StGB, sondern teils als Meinungsäußerung zu qualifizieren sind und insofern mit Blick auf die Strafzumessung eine differenzierte Darstellung notwendig ist.Abs. 25
Im Ausgangspunkt zutreffend ging die Kammer davon aus, dass auch eine bewusst unvollständige Mitteilung von Tatsachen als unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln ist, wenn aus den mitgeteilten Tatsachen eine ehrenrührige Schlussfolgerung zu ziehen ist (MüKo-Regge/Pegel StGB, 4. Auflage 2021, § 187 Rn 9). Der Versuch der Verteidigung, diesen Maßstab für den vorliegenden Fall unter Heranziehung der Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine Verdachtsberichterstattung zu relativieren, geht von vornherein fehl. Es liegt schon kein mit einer Verdachtsberichterstattung vergleichbarer Fall vor, bezieht sich der Angeklagten doch auf ein Geschehen, das er teils selbst unmittelbar miterlebt bzw. welches er sich auf einem Video angeschaut hat bzw. zumindest anschauen konnte.Abs. 26
Unter Berücksichtigung der bisherigen Feststellungen gilt für die Einordnung der Äußerungen des Angeklagten als Tatsache oder Werturteil Folgendes:Abs. 27
Die rechtliche Einordnung als Tatsache in Bezug auf die Aussage, am C-Markt sei eine Polizeikontrolle gewesen „um Leute von uns rauszuziehen“, ist nicht zu beanstanden. Maßgeblich ist diesbezüglich, dass der Angeklagte ausweislich der Feststellungen bewusst den Hintergrund für das polizeiliche Einschreiten verschwiegen hat, womit er den Eindruck eines willkürlichen, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht ausreichend würdigenden polizeilichen Einschreitens erweckte. Auf die Frage, ob seitens der Polizei eine Verpflichtung zur Ahndung des „Maskenverstoßes“ bestand, oder nicht, kommt es entgegen der Auffassung der Verteidigung nicht an. Der Zeuge EPHK A hatte sich aufgrund der (gerichtlich bestätigten) Auflage zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes während der Versammlung zu Recht dafür entschieden, zumindest die Personalien des ihm damals unbekannten Zeugen D festzustellen, um - zu einem späteren Zeitpunkt - die Möglichkeit zu haben, ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten.Abs. 28
Ebenfalls entgegen der Auffassung der Verteidigung ist auch die Aussage „Herr A (…) meinte dann, mich anschreien zu müssen, mich anbrüllen zu müssen, mich zu beleidigen. Dafür gibt es 30 Zeugen.“, als (unwahre) Tatsache zu qualifizieren. Die Begriffe „anschreien“ und „anbrüllen“ stehen - wenn nicht der gesamte Kontext mitgeteilt wird - für eine unverhältnismäßige Art und Weise der Kommunikation. Mit dem Vorwurf einer Beleidigung wird zudem eine inhaltlich unangemessene Kommunikation behauptet. Dieser Einordnung steht - entgegen der Einschätzung der Verteidigung - nicht entgegen, dass es sich bei dem Begriff „Beleidigung“ um einen Rechtsbegriff handelt. Der Ausdruck der „Beleidigung“ wird auch umgangssprachlich verwendet, und zwar in dem zutreffenden Sinne einer ehrverletzenden Äußerung.Abs. 29
Zudem stellt die Formulierung, der Zeuge EPHK A habe den Zeugen D „zur Seite gezogen, hin- und hergerissen umgedreht“, nach den bisherigen Feststellungen eine (unwahre) Tatsachenbehauptung dar. An dieser Einordnung ändert sich auch nichts dadurch, dass der Angeklagte insgesamt - und an dieser Stelle nochmals explizit - auf die Videomitschnitte verwiesen hat. Abgesehen davon, dass der Angeklagte nicht damit rechnen konnte, dass sich alle Empfänger der Videobotschaft die Videomitschnitte bezüglich der Demonstration ebenfalls ansehen werden, hat der Angeklagte das Geschehen als objektiv feststehend - frei von jeglichen Wertungselementen - beschrieben und lediglich zur Untermauerung seiner Worte auf die Videos verwiesen. In Übereinstimmung mit der Verteidigung und der Generalstaatsanwaltschaft ist dieser Passus der Videobotschaft jedoch als Meinungsäußerung einzuordnen, soweit der Angeklagte ausführte, der Zeuge D habe „sich total friedlich verhalten (und sei) dann wie ein Schwerverbrecher auf den C-Parkplatz gezogen“ worden. Ungeachtet der Tatsache, dass der Zeuge D durch den Maskenverstoß Anlass für ein Einschreiten gegeben hat, handelt es sich bei der gewählten Formulierung („Schwerverbrecher“) um eine reine Wertung. Dasselbe gilt, wie die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht ausführt, auch für die abschließend festgestellte Äußerung des Angeklagten im Rahmen der Videobotschaft, dass „man (gemeint gewesen sei der Polizeibeamte A als Einsatzleiter) (…) nicht so das Ganze zum Eskalieren bringen (müsse).“Abs. 30
Als unbedenklich erweist es sich nach dem Vorgesagten aber schließlich, wenn die Kammer die Textpassage, „Meine Freundin wurde noch von Herrn A geschubst. Ich bin froh, dass sie nicht gestolpert ist auf den Kopf gefallen.“, als Tatsache behandelt. Entsprechend den Feststellungen des Urteils, hat der Angeklagte den Kontext dieses „Schubsens“ weggelassen und damit die Situation bewusst verzerrt dargestellt. Dafür, dass es sich hierbei - was die Verteidigung als mögliche Betrachtung aufzeigt - um eine bewusste, aggressive „Retourkutsche“ des Zeugen EPHK A gehandelt haben könnte, geben zumindest die bisherigen Feststellungen keinen Anhalt.Abs. 31
3. Der Senat weist für die erneute Verhandlung schließlich darauf hin, dass die Kammer festzustellen und im Rahmen der Beweiswürdigung nachvollziehbar darzustellen haben wird, dass außer dem Zeugen EPHK A weitere Personen vom Inhalt der Videobotschaft auf Telegram des Angeklagten Kenntnis genommen haben. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme zur Verwirklichung des Tatbestands des § 187 StGB, wonach die unwahre Tatsache wider besseren Wissens „in Beziehung auf einen anderen“ verlautbart werden muss, genügt nicht (vgl. Fischer StGB, 71. Auflage 2024, § 186 Rn 10). Dass Dritte von den auf der Plattform Telegram veröffentlichten Inhalten Kenntnis nehmen, versteht sich nämlich nicht von selbst.Abs. 32

(online seit: 27.03.2024)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Frankfurt a.M., OLG, Zur Zulässigkeit von Verweisen auf Videomitschnitte gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO - JurPC-Web-Dok. 0046/2024