JurPC Web-Dok. 98/2017 - DOI 10.7328/jurpcb201732798

OLG Hamm

Beschluss vom 14.03.2017

4 W 34/16 + 4 W 35/16

Auslegung eines gerichtlichen Unterlassungsgebotes

JurPC Web-Dok. 98/2017, Abs. 1 - 31


Leitsätze:

1. Zur Reichweite eines gerichtlichen Unterlassungsgebotes.

2. Zu den wesentlichen Eigenschaften iSd Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB bei einem Sonnenschirm (tlw. entgegen OLG Hamburg, MMR 2014, 818).

3. Zum Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit im Ordnungsmittelfestsetzungsverfahren.

Gründe:

Abs. 1
A.Abs. 2
Das Landgericht verurteilte die Schuldnerin am 24.02.2014 im Wege der einstweiligen Verfügung u.a., es zu unterlassen,Abs. 3
im elektronischen Geschäftsverkehr Sonnenschirme und das entsprechende Zubehör an Verbraucher zu verkaufen, ohne, unmittelbar bevor der Verbraucher seine Bestellung abgibt, klar und verständlich in hervorgehobener Weise die Information über die wesentlichen Merkmale der Ware zur Verfügung zu stellen.Abs. 4
Dieser Verurteilung zugrunde lag eine Gestaltung des Online-Shops der Schuldnerin, bei der ein in den „elektronischen Warenkorb" eingelegtes Produkt in der „Warenkorbansicht", die zugleich die Schaltfläche zur Abgabe der Bestellerklärung („Kaufen") enthielt, wie folgt beschrieben wurde (ohne Abbildung des Produktes):Abs. 5
„GLATZ ,Sunwing‘ Schirm 260x260cm, Stoffklasse 5".Abs. 6
Das Landgericht sah hierin einen Verstoß gegen die Regelung in § 312g Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. iVm Art. 246 § 1 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB a.F.Abs. 7
Mit ihrem Ordnungsmittelantrag beanstandete die Gläubigerin eine „Warenkorbansicht" mit der „Kaufen"-Schaltfläche, in der ein ausgewähltes Produkt – neben einer Abbildung des Produktes – wie folgt beschrieben wurde:Abs. 8
„Alu-Marktschirm ,Sahara‘ Ø300cm, terrakottaAbs. 9
Sonnenschirm mit komfortablem Kurbelantrieb. Wasserabweisender Polyesterbezug terrakottafarben mit Volants. Kartonverpackt."Abs. 10
Das Landgericht sah hierin eine Zuwiderhandlung gegen das oben wiedergegebene Unterlassungsgebot. Mit Beschluss vom 18.12.2015 setzte es gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 €, ersatzweise einen Tag Ordnungshaft, fest. Den Gegenstandswert des Ordnungsmittelverfahrens setzte das Landgericht ebenfalls auf 500,00 € fest.Abs. 11
Gegen die Ordnungsmittelfestsetzung wenden sich die Gläubigerin und die Schuldnerin mit ihren jeweils form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerden. Die Gläubigerin begehrt eine Heraufsetzung des Ordnungsgeldes auf 5.000,00 €; die Schuldnerin ist der Auffassung, es liege keine Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot vor. Diese beiden sofortigen Beschwerden sind Gegenstand des Beschwerdeverfahrens I-4 W 35/16.Abs. 12
Darüber hinaus wenden sich die Verfahrensbevollmächtigten der Gläubigerin mit einem von ihnen als „Streitwertbeschwerde" bezeichneten Rechtsmittel gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Ordnungsmittelverfahren, sie begehren eine Heraufsetzung dieses Wertes auf 5.000,00 €. Diese „Streitwertbeschwerde" ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens I-4 W 34/16.Abs. 13
Mit Beschluss vom 02.03.2016 setzte das Landgericht das Ordnungsgeld auf 1.000,00 €, ersatzweise zwei Tage Ordnungshaft, herauf; den „Streitwert" des Ordnungsmittelverfahrens setzte es ebenfalls auf 1.000,00 € herauf. Im Übrigen half es den eingelegten Rechtsmitteln nicht ab.Abs. 14
B.Abs. 15
I. Beschwerdeverfahren I-4 W 35/16Abs. 16
Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin ist unbegründet; die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist begründet und führt zur Zurückweisung des Ordnungsmittelantrages.Abs. 17
1. Die Voraussetzungen für die Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 890 ZPO liegen nicht vor. Es fehlt an einer Zuwiderhandlung gegen das vom Landgericht im Wege der einstweiligen Verfügung ausgesprochene Unterlassungsgebot.Abs. 18
a) Es spricht bereits vieles dafür, dass von dem gerichtlich ausgesprochenen Unterlassungsgebot nur solche „Warenkorbansichten" – als kerngleiche Verstöße – erfasst werden, die sich auf diejenigen Merkmalsangaben beschränken, die in der der Verurteilung zugrundeliegenden „Warenkorbansicht" enthalten waren, und „Warenkorbansichten", die – wie die im Ordnungsmittelantrag bezeichnete Ansicht – weitergehende Angaben enthalten, ungeachtet der Frage ihrer Gesetzeskonformität nicht als Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Unterlassungsgebot gewertet werden können. Denn das Landgericht hat weder in der Urteilsformel noch in den Entscheidungsgründen seines Urteils angegeben, welche konkreten Angaben es in der damals streitgegenständlichen „Warenkorbansicht" vermisst hat. Dies spricht dafür, dass die Entscheidung des Landgerichts – und damit auch ihr vollstreckungsfähiger Inhalt – sich auf das Erkenntnis beschränkt, dass die damals streitgegenständliche Internetansicht den gesetzlichen Vorgaben nicht entsprach. Anderenfalls müsste – was mit den Aufgaben und der Struktur des Zwangsvollstreckungsverfahrens indes kaum vereinbar wäre – die im Verfügungsverfahren (Anordnungsverfahren) unbeantwortet gelassene materiell-rechtliche Frage nach dem inhaltlichen Umfang der hier in Rede stehenden gesetzlichen Informationspflicht nachträglich im Ordnungsmittelverfahren einer Klärung zugeführt werden.Abs. 19
b) Letztlich kann dies indes dahinstehen. Denn die mit dem Ordnungsmittelantrag beanstandete „Warenkorbansicht" erweist sich letztlich als gesetzeskonform.Abs. 20
Nach § 312j Abs. 2 BGB iVm Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB (vormals: § 312g Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. iVm Art. 246 § 1 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB a.F.) muss der Unternehmer dem Verbraucher bei einem Verbrauchervertrag im elektronischen Geschäftsverkehr, unmittelbar bevor der Verbraucher seine Bestellung abgibt, Informationen über die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen in dem für das Kommunikationsmittel angemessenen Umfang klar und verständlich in hervorgehobener Weise zur Verfügung stellen.Abs. 21
Diesen Anforderungen genügt die mit dem Ordnungsmittelantrag beanstandete „Warenkorbansicht". Sie informiert den Betrachter über die wesentlichen Eigenschaften der von ihm ausgewählten Ware. Gefordert ist nach der gesetzlichen Regelung eine detaillierte und übersichtliche Beschreibung ohne Weitschweifigkeit, aus der der Verbraucher die für seine Bestellentscheidung maßgeblichen Merkmale entnehmen kann (Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl. (2017), Art. 246a § 1 EGBGB Rdnr. 3 iVm Art. 246 EGBGB Rdnr. 5). Die im Ordnungsmittelverfahren verfahrensgegenständliche „Warenkorbansicht" gibt dem Verbraucher unmittelbar vor der Abgabe seiner Bestellerklärung übersichtlich Auskunft über die Form des Sonnenschirms (ergibt sich aus der Abbildung), über das Material des Gestells („Alu" = Aluminium), über die Farbe des Gestells (ergibt sich aus der von der Gläubigerin lediglich in schwarz-weiß ausgedruckten, im Original indes zweifellos farbigen Abbildung), über die Größe der Schirmbespannung („Ø300cm"), über die Farbe der Schirmbespannung („terrakotta"), über das Material der Schirmbespannung („Polyester") und über den Mechanismus zum Aufspannen des Schirms („Kurbelantrieb"). Damit sind alle wesentlichen Eigenschaften des in den „Warenkorb" eingelegten Schirms genannt. Der Auffassung des Oberlandesgerichts Hamburg (OLG Hamburg, MMR 2014, 818), zu den wesentlichen Eigenschaften eines Sonnenschirms gehöre auch dessen Gewicht, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Es ist allgemein bekannt, dass es sich bei einem Sonnenschirm (ohne Schirmständer) um einen eher schweren Gegenstand handelt, den indes ein Mensch mit einer durchschnittlichen körperlichen Konstitution mit maßvollem Kräfteeinsatz tragen kann; es ist nicht erkennbar, dass dies bei dem hier verfahrensgegenständlichen Schirm anders sein sollte, zumal sein Gestell aus Aluminium besteht. Die Angabe eines konkreten Gewichtes mag vielleicht den einen oder anderen Verbraucher interessieren, zu den „wesentlichen Eigenschaften" im Sinne der hier einschlägigen gesetzlichen Regelung gehört das konkrete Gewicht indes nicht.Abs. 22
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 891 Satz 3, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.Abs. 23
Für eine Ermäßigung oder Nichterhebung der im Beschwerdeverfahren anfallenden Gerichtsgebühr nach Nr. 2121 des Kostenverzeichnisses zum GKG besteht kein Anlass.Abs. 24
II. Beschwerdeverfahren I-4 W 34/16Abs. 25
1. Das von den Verfahrensbevollmächtigten der Gläubigerin als „Streitwertbeschwerde" bezeichnete Rechtsmittel ist als Beschwerde nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Im vorliegenden Ordnungsmittelverfahren bedarf es lediglich der Festsetzung des Wertes des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit (§ 33 Abs. 1 RVG). Ein Streitwert (im Sinne des GKG) für die Gerichtsgebühren ist nicht festzusetzen, weil im Ordnungsmittelverfahren keine wertabhängigen Gerichtsgebühren anfallen.Abs. 26
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Festsetzung eines Gegenstandswertes für das Ordnungsmittelverfahren in Höhe von 5.000,00 €.Abs. 27
Maßgebend für die Festsetzung des Gegenstandswertes ist hier die Regelung in § 25 Abs. 1 Nr. 3 RVG. Nach § 25 Abs. 1 Nr. 3 RVG bestimmt sich der Gegenstandswert nach dem Wert, den die zu erwirkende Unterlassung für den Gläubiger hat. Hierbei handelt es sich nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Senats um nichts anderes als um eine Umschreibung für den Wert der Hauptsache bzw. – im Falle der Vollziehung einer einstweiligen Verfügung – für den Streitwert des vorangegangenen Verfügungsverfahrens (Anordnungsverfahrens) (Senat, Beschluss vom 31.07.2015 – I-4 W 86/14 – ). Festzusetzen ist der volle Anspruchswert und nicht lediglich ein Bruchteil dieses Wertes (Senat, a.a.O., m.w.N.).Abs. 28
Das Landgericht hatte den (Gesamt-)Streitwert des Verfügungsverfahrens (Anordnungsverfahrens), das neben dem hier verfahrensgegenständlichen Unterlassungsanspruch noch vier weitere Ansprüche zum Gegenstand hatte, mit Beschluss vom 24.02.2014 in nicht zu beanstandender Weise auf 25.000,00 € festgesetzt, wobei auf den hier verfahrensgegenständlichen Unterlassungsanspruch ein (Einzel-)Streitwert von 5.000,00 € entfiel.Abs. 29
Nach den eingangs genannten Grundsätzen ist damit der letztgenannte Wert (5.000,00 €) als Gegenstandswert des vorliegenden Ordnungsmittelverfahrens festzusetzen; dieser Wert ist damit im Übrigen auch der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens I-4 W 35/16.Abs. 30
3. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 RVG).Abs. 31

 
(online seit: 19.07.2017)
 
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Hamm, OLG, Auslegung eines gerichtlichen Unterlassungsgebotes - JurPC-Web-Dok. 0098/2017