JurPC Web-Dok. 37/2016 - DOI 10.7328/jurpcb201631337

SG Stralsund

Beschluss vom 19.10.2015

S 3 KR 235/15 ER

Elektronische Gesundheitskarte ohne Lichtbild

JurPC Web-Dok. 37/2016, Abs. 1 - 26


Leitsatz:

Die im Wege einer einstweiligen Anordnung verfolgte Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild erfordert die Glaubhaftmachung von Tatsachen im Sinne der Ausnahmeregelung in § 291 Abs. 2 S. 1 Halbsatz 3 SGB V. Führt der Antragsteller pauschal religiöse Gründe an, so obliegt ihm die konkrete Angabe von Tatsachen, die es der Kammer ermöglichen, die geltend gemachte Unzumutbarkeit der Übersendung eines Lichtbildes nachzuvollziehen.

Gründe:

Abs. 1
I.Abs. 2
Streitig ist die Herausgabe einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild.Abs. 3
Der Antragsteller (Ast.) ist bei der Antragsgegnerin (Ag.) krankenversichert. Mit dem am 8. Oktober 2015 im Wege der Rechtshilfe für das Sozialgericht Stralsund im Amtsgericht xxx aufgenommenen Antrag auf Erlass einstweilige Verfügung wegen Herausgabe einer Sache, trägt der Ast. vor, dass seine bisher gültige Krankenfertigungskarte von seinen behandelnden Ärzten nicht mehr anerkannt werde. So sei ihm zum Beispiel Anfang September bei der Zahnarztpraxis Frau Dr. xxx eine Behandlung verweigert worden, da er nicht im Besitz einer elektronischen Gesundheitskarte sei. Die Erteilung einer solchen Karte habe er bereits im Jahre 2014 beantragt. Er habe aus religiösen Gründen die Erteilung einer Karte ohne Lichtbild beantragt. Eine nähere Begründung dahingehend sei gesetzlich nicht vorgeschrieben. Gegen die Anforderung der Ag. auf Einreichen eines Lichtbildes habe er Widerspruch eingelegt und unter anderem mit Schreiben vom 5. Februar 2015 und gleichlautend erneut am 26. August 2015 Widerspruch eingelegt. Auf das Schreiben der Ag. vom 25. September 2015 habe er telefonisch am 5. Oktober 2015 das Vorliegen religiöser Gründe geltend gemacht, nachdem ihm die Sachbearbeiterin Frau xxx selbst angeraten habe. Sie habe ihm in dem Gespräch die umgehende Zusendung der Karte zugesichert. Aus seinen bisherigen Erfahrungen mit der xxx gehe er davon aus, dass er die Karte nicht zeitnah übersandt bekommen werde. Er benötige die Karte jedoch umgehend dabei ihm erforderliche Behandlungen (z.B. Zahnarzt), die nicht aufgeschoben werden könnten, anstehen würden.Abs. 4
Der Ast. beantragt,Abs. 5
1. Die Ag. hat an den Ast. eine elektronische Gesundheitskarte ohne Lichtbild zur Versicherten-Nummer: innerhalb von zwei Wochen ab Erlass der einstweiligen Anordnung herauszugeben.Abs. 6
2. Der Ag. wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das in Ziffer 1. ausgesprochene Gebot ein Ordnungsgeld bis zum 250.000,00 € verhängt.Abs. 7
3. Die Ag. trägt die Kosten des Verfahrens.Abs. 8
4. Die Zustellung des Beschlusses soll durch die Geschäftsstelle an die zuständige Gerichtsvollzieherverteilungsstelle erfolgen.Abs. 9
Die Ag. beantragt,Abs. 10
den Antrag abzulehnen.Abs. 11
Sie macht geltend, dass sie den Ast. mit einem maschinell erstellten Schreiben in 2014 darüber informiert habe, dass in den nächsten Monaten eine neue, elektronische Gesundheitskarte, die bisherige Krankenversicherungskarte ablöst und diese Karte ein Lichtbild (Passbild) enthalten werde. Zugleich sei der Ast. um Unterstützung durch Beantwortung eines Antwortbogens zur elektronischen Gesundheitskarte gebeten worden, auf dem ein Lichtbild anzubringen sei, sowie die persönlichen Daten zu überprüfen bzw. Änderungen anzugeben. Da der Ast. bis zum 28. Januar 2015 nicht auf die Anforderung eines Lichtbildes reagiert habe, sei der Versand einer vorläufigen Gesundheitskarte ohne Lichtbild (in Form einer „Pappkarte"), die bis zum 31. März 2015 befristet gewesen sei, erfolgt. Am 5. Februar 2015 habe der Ast. erneut das Servicecenter in xxx aufgesucht habe sich erneut einen Antwortbogen für die elektronische Gesundheitskarte aushändigen lassen und habe mitgeteilt, dass er diesen ohne Foto zurückschicken werde und habe hierfür religiöse Gründe genannt. Mit Schreiben vom 5. Februar 2015 habe er Widerspruch wegen der Anforderung eines Lichtbildes für die elektronische Gesundheitskarte eingelegt. Der Ast. habe im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Lichtbildanforderung rechtswidrig sei. Bis zum 30. September 2015 sei er erneut mit einer vorläufigen Gesundheitskarte ohne Lichtbild versorgt worden. Mit Bescheid vom 15. Juni 2015 habe sie den Antrag auf Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild abgelehnt. Mit Vorstandsbeschwerde vom 22. September 2015 habe der Ast. ihre Arbeitsweise gerügt und unverzüglich eine "Plastikkarte. …. ohne Fahndungsfoto" verlangt. Der Kläger sei dann mit Schreiben vom 25. September 2015 mitgeteilt worden, dass die Voraussetzungen für Ausnahmen der Aufstellung einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild nicht vorliegen würden. Daraufhin habe sich der Ast. telefonisch bei ihrer Mitarbeiterin Frau xxx gemeldet in dessen Verlauf der Ast. unter anderem gesagt habe, "wenn wir einen Grund brauchen, dann sagt er aus "religiösen Gründen". Er sei jedoch nicht kirchlich". Der Antrag sei mangels Anordnungsgrund abzulehnen. Die vom Ast. abgegebene Versicherung an Eides statt sei nicht dazu geeignet, einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Der Kläger habe auch widersprüchliche Angaben gemacht, soweit er sich für die Ausstellung einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild auf religiöse Gründe berufen würde. Es sei nicht glaubhaft, dass der Ast. dem ausnahmeberechtigten Personenkreis zuzurechnen sei. Ihn treffe die Verpflichtung, an der Herstellung der elektronischen Gesundheitskarte mit Lichtbild mitzuwirken und diese zu verwenden, um seine Berechtigung zur Inanspruchnahme von vertrags(zahn)ärztlicher Versorgung nachzuweisen und damit zugleich Abrechnungen der Leistungserbringer, den online erfolgenden Abgleich von Versicherten Stammdaten und die Übermittlung ärztlicher Verordnungen zu ermöglichen. Weise ein Versicherter seine Berechtigung nicht mittels elektronischer Gesundheitskarte nach, müsse er den sich daraus ergebenden Nachteil hinnehmen. Ausdrücklich werde in diesem Zusammenhang bestritten, dass ihre Mitarbeiterin Frau xxx dem Ast. angeraten habe, religiöse Gründe geltend zu machen.Abs. 12
Die Kammer hat die Verwaltungsakten der Ag. beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird hierauf ergänzend Bezug genommen.Abs. 13
II.Abs. 14
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber hier nicht begründet.Abs. 15
1.Abs. 16
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten; beide sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO).Abs. 17
In gerichtlichen Eilverfahren begegnet es zwar grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Fachgerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten im Rahmen eines lediglich summarischen Verfahrens orientieren. Allerdings ist ihnen nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG in den Fällen, in denen es um existenziell bedeutsame Sozialleistungen geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt, sondern sie haben diese abschließend zu prüfen (vgl. Beschluss des BVerfG vom 29. November 2007 - 1 BvR 2496/07, zitiert nach juris, Rn. 16 m.w.N.). Für den Fall, dass dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, bei der die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen ist und sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen müssen (BVerfG a.a.O.).Abs. 18
2.Abs. 19
Unter Heranziehung der vorgenannten Maßgaben war der beantragte Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel der Herausgabe einer elektronischen Gesundheitskarte ohne Lichtbild abzulehnen. Dies beruht darauf, dass nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand der Ast. keinen Anspruch auf die Aushändigung einer elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ohne Lichtbild hat und ihm bei dieser Sachlage ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens zuzumuten ist.Abs. 20
a)Abs. 21
Die Ag. verweist zu Recht darauf, dass das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 18. November 2014 (B 1 KR 35/13 R) entschieden hat, dass ihn als Versicherten kraft Gesetzes die Obliegenheit trifft, die eGK in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung, erweitert um die Angaben des Geschlechts und Zuzahlungsstatus, bei Inanspruchnahme vertragsärztlicher Leistungen vor Beginn der Behandlung zum Nachweis seiner Berechtigung dem Vertrags(zahn)arzt auszuhändigen (vgl. § 15 Abs. 2 SGB V idF durch Art 1 Nr. 5 Buchst a GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190; § 291 Abs. 2 S 1 SGB V nF = insgesamt idF durch Art 1 Nr. 5a Gesetz zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften vom 24.7.2010, BGBl I 983). Die Nachweisobliegenheit bezweckt neben der Missbrauchsabwehr, die Abrechnung von Leistungen (§ 291 Abs. 1 S 3 SGB V) und die Übermittlung ärztlicher Verordnungen (§ 291a Abs. 2 S 1 Nr. 1 SGB V) zu ermöglichen. Die Karte lässt rechtlich auch den online erfolgenden Abgleich von Versichertenstammdaten zu (§ 291 Abs. 2b SGB V). Die Kammer folgt den zutreffenden Darlegungen des BSG in diesem Urteil und sieht hier zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen in entsprechender Anwendung des § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung ab.Das BSG führt dort zutreffend u.a. aus, dass ein Lichtbilderfordernis für die Krankenversichertenkarte seit 1. Januar 2006 besteht.Abs. 22
b)Abs. 23
Der Ast. hat nach der Gesetzeslage keinen Anspruch auf die von ihm gewünschte Ausstellung der Karte ohne Lichtbild. Die Ausnahmebestimmungen über eine eGK ohne Lichtbild (vgl. zum Ausnahmecharakter auch Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BR-Drucksache 676/04 S. 53 bzw. BT-Drucksache 15/4228 S. 27, Zu Nummer 17 <§ 291>) greifen nämlich hier nicht zu Gunsten des Ast. ein. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 15/1525, S. 143, Zu Nummer 17 <§ 291>) sind die Ergänzungen der Krankenversichertenkarte durch das Aufbringen eines Lichtbildes des Karteninhabers und die Erweiterung der administrativen Daten der Krankenversichertenkarte um die Angabe des Geschlechtes erforderlich, um die eindeutige Zuordnung der Krankenversichertenkarte zum jeweiligen Karteninhaber zu verbessern und damit den Missbrauch zu verhindern. Eine Ausnahme gilt gemäß § 291 Abs. 2 S. 1. letzter Halbsatz SGB V nur für „Versicherte bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres sowie Versicherte, deren Mitwirkung bei der Erstellung des Lichtbildes nicht möglich ist, welche eine Krankenversicherungskarte ohne Lichtbild erhalten. Der Ast. erfüllt zur Überzeugung der Kammer keine der abschließend geregelten Voraussetzungen der Ausnahmen vom Lichtbilderfordernis. Es entspricht – wie das BSG in dem oben genannten Urteil vom 18. November 2014 u.a. entschieden hat - dem Zweck der Regelung des § 291 Abs. 2 S. 1 SGB V, die zwingenden Angaben auf der Krankenversichertenkarte abschließend festzulegen. Mit dem Verzicht auf das Lichtbild bei Versicherten bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres wird ausweislich der Gesetzesbegründung dem Umstand Rechnung getragen, dass sich die Gesichtszüge bei Kindern und Jugendlichen noch stark verändern. Die Altersgrenze knüpft dabei an die sozialrechtliche Handlungsfähigkeit an, die nach § 36 SGB I mit Vollendung des 15. Lebensjahres beginnt. Im Übrigen soll das Lichtbilderfordernis nach dem in der vorgenannten Gesetzesbegründung verkörperten Willen des Gesetzgebers in den Fällen entfallen, in denen es Versicherten nicht möglich ist, selbst ein Lichtbild zu beschaffen (beispielsweise bettlägerige Personen, Personen in geschlossenen Einrichtungen). Keiner dieser Ausnahmefälle liegt hier jedoch vor. Dies gilt auch für die vom Ast. angeführten „religiösen Gründe". Der Kammer sind nämlich keine Religionsgemeinschaften bekannt, deren männlichen Mitgliedern es verboten sein sollte, sich gegenüber dem Staat oder staatlichen Institutionen mit Hilfe eines Lichtbildes auszuweisen. Daher reicht es nach Auffassung der Kammer auch nicht aus, dass der Ast. die von ihm geforderte Mitwirkung bei der Ausstellung einer eGK mit Lichtbild mit einem pauschalen Hinweis auf „religiöse Gründe" verweigert. Vielmehr sind diese behaupteten Gründe durch geeignete Tatsachen hinreichend glaubhaft zu machen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, dass die Kammer im Übrigen in Übereinstimmung mit der Ag. unter Berücksichtigung der bisherigen Erklärungen des Ast. davon ausgeht, dass die von dem Ast. angeführten „religiösen" Gründe tatsächlich bei ihm nicht vorliegen, sondern von ihm nur vorgeschoben werden.Abs. 24
3.Abs. 25
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG; sie entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.Abs. 26

(online seit: 08.03.2016)
 
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
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