JurPC Web-Dok. 87/2013 - DOI 10.7328/jurpcb201328582

Redaktion JurPC

"Wer wird Millionär" und das Römische Recht

JurPC Web-Dok. 87/2013, Abs. 1 - 5


"Sachverhalt:"

In der RTL-Fernsehsendung "Wer wird Millionär?" wurde am 06.05.2013 folgende Frage mit folgenden Antwortmöglichkeiten gestellt:

Wer auf der „Tribüne“ Platz nimmt, tut dies der Wortherkunft zufolge eigentlich, um...?
A: Gekrönt zu werden
B: Recht zu sprechen
C: Orgien zu feiern
D: Almosen zu verteilen.

Der Kandidat nahm einen Joker in Anspruch und telefonierte mit einem Bekannten, der Antwort B für richtig hielt. Der Kandidat war sich jedoch nicht sicher und nahm einen zweiten Joker in Anspruch und befragte jemanden aus dem Studio-Publikum. Seine Wahl traf auf eine Studentin aus dem Saarland, die ihm zu Antwort D riet. Der Kandidat entschied sich für Antwort D. Nach Ansicht der Redaktion der Sendung war Antwort B richtig, so dass der Kandidat, statt 125.000 Euro Gewinnsumme zu erreichen, auf 500 Euro Gewinnsumme zurückfiel. Die Sendung hatte aufgrund des dramatischen Verlaufs ein großes Echo in den Medien, die sich vor allem negativ über die 19-jährige Studentin äußerten.

Prof. Dr. Maximilian Herberger nahm die Sendung zum Anlass, eine E-Mail an RTL zu schreiben. Den E-Mail-Schriftverkehr geben wir unten wieder.


JurPC Web-Dok.
87/2013, Abs. 1

Erste Mail an RTL:

Hier die erste Mail von Prof. Dr. Herberger:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

im Augenblick tobt ja im Internet (nicht ohne Beteiligung von RTL) ein gewisser Meinungskampf um die Frage, wie man in der Sendung "Wer wird Millionär" vom 6.5.2013 richtigerweise auf die folgende Frage hätte antworten müssen:

Wer auf der „Tribüne“ Platz nimmt, tut dies der Wortherkunft zufolge eigentlich, um...? Die vorgesehenen Antworten waren: A: Gekrönt zu werden, B: Recht zu sprechen, C: Orgien zu feiern, D: Almosen zu verteilen. Für richtig erklärt wurde: B: Recht zu sprechen

Diese Antwort ist aber falsch, und zwar aus folgenden Gründen. Richtig wäre die Antwort nur, wenn man zeigen könnte, dass es je jemanden gegeben hat, der, um "Recht zu sprechen", auf einer Tribüne Platz genommen hätte. Historisch gibt es dieses Faktum nicht. Auf der Tribüne sitzen diejenigen, die einem Geschehen zusehen, also das Publikum, die öffentlichkeit - nicht aber derjenige, der Recht spricht. Um die Richtigkeit von Antwort B. darzutun, wurde dann noch von Herrn Jauch über den römischen Tribun spekuliert, dies wahrscheinlich, weil in der Frage von der "Wortherkunft" die Rede war.

Nach dem eben vorgetragenen Argument kommt es zwar darauf nicht mehr an, trotzdem sei hilfsweise auch dazu Stellung genommen. Nach Herrn Jauchs Erwägungen müsste der sprachliche Zusammenhang zwischen dem Wort "tribunus" und dem Wort "Tribüne" dazu führen, dass Antwort B. richtig ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn der römische Tribun je Recht gesprochen hätte. Auch dies ist aber nicht der Fall. Der römische Tribun war kein Gerichtsmagistrat. Dies hätte sich bereits durch eine aufmerksame Lektüre des einschlägigen Wikipedia-Artikels erkennen lassen. Ich meine also, dass man den Fall neu aufrollen müsste - dies übrigens auch aus juristischen Gründen. Wenn unzutreffenderweise eine falsche Antwort für richtig erklärt wurde, hat der Kandidat natürlich nicht verloren. Für die Richtigkeit von Antwort D. (Almosen zu verteilen) lassen sich übrigens - folgt man der etymologischen tribunus-Logik von Herrn Jauch - starke Argumente vortragen.

Vorläufig mag ein Zitat genügen: "Und wenn heute Karnevalisten Karamelbonbons unters Volk streuen, so folgen sie der "sparsio", einer Tradition der Antike: Kaiser, Künstler und Volkstribunen warfen den Massen Leckereien, ja sogar Gold und Silber vor die Füße." (http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-9295567.html) Wenn das keine Almosenverteilung ist ... .

Nach dieser Deutung hat der Kandidat sogar eine richtige Antwort gegeben, was die juristische Frage besonders spannend macht. Gerne möchte ich diese Debatte mit Ihnen so internet-öffentlich weiter verfolgen, wie Sie dies zu dieser Thematik bisher getan haben. Deswegen werde ich - Ihr Einverständnis vorausgesetzt - unsere Korrespondenz veröffentlichen. Leider verfüge ich nicht über die E-Mail-Adresse von Herrn J... A... . Aus Datenschutzgründen können Sie mir diese E-Mail-Adresse selbstverständlich nicht zukommen lassen. Ich wäre Ihnen deswegen zu Dank verbunden, wenn Sie ihm meine Mail zuleiten könnten.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. iur. Maximilian Herberger

P.S.Um sogleich die nötige Transparenz herzustellen: Ich verhehle nicht, dass ich von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt mit der Venia für Rechtsgeschichte ausgestattet worden bin und in Saarbrücken (!) lehre."

Abs. 2

Antwort von RTL:

Die Antwort von RTL kam prompt - aber knapp. Es ist zudem zu vermuten, dass sämtliche Anfragen in dieser Angelegenheit mit gleichlautenden Schreiben beantwortet wurden, so dass keine individuellen Antworten vorliegen.

Hier die Mail von RTL:

"Hallo,

vielen Dank für Ihre E-Mail und Ihr Interesse an der Quizshow "Wer wird Millionär?".

Gerne nennen wir Ihnen vorab noch einmal die genaue Frage mit den entsprechenden Antwortmöglichkeiten:

Wer auf der "Tribüne" Platz nimmt, tut dies der Wortherkunft zufolge eigentlich, um ...?
A: gekrönt zu werden B: Recht zu sprechen C: Orgien zu feiern D: Almosen zu verteilen

Der Ursprung des Wortes Tribüne liegt, wie in den gängigen etymologischen Wörterbüchern (Kluge, Etymologisches Wörterbuch; dtv, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen) nachzulesen ist, nicht im lateinischen Wort "tribun", sondern in der sehr ähnlichen Vokabel "tribunal". Darunter verstand man ein ursprünglich hölzernes Gestell, auf dem die im alten Rom für die Rechtspflege zuständigen Prätoren mit den ihnen unterstellten Richtern Platz nahmen, um Recht zu sprechen. Später wurde der Name "tribunal" auch auf den Platz übertragen, den der Prätor und andere Würdenträger im Theater einnahmen. Aus dieser sekundären Bedeutung der Vokabel entstand das französische Wort "tribune", das als "Tribüne" Eingang in die deutsche Sprache fand. Seiner ursprünglichen Verwendung entsprechend gehört auch das Wort "Tribunal" als Bezeichnung für einen Gerichtshof zum deutschen Wortschatz.

Weiterführende Informationen zur Sendung erfahren Sie u.a. über die Zuschauerseite des Senders: http://www.rtl.de/cms/mein-rtl/zuschauerservicefaq.html#wwm

Mit freundlichen Grüßen aus Köln
... Redakteurin
RTL-Zuschauerservice
RTL Television GmbH
D-50570 Köln"

Abs. 3

Zweite Mail an RTL:

Prof. Dr. Herberger antwortete darauf wie folgt:

"Hallo,

herzlichen Dank für Ihre schnelle Antwort!

Ihr Hinweis zur Etymologie ändert aber nichts daran, dass auch unter Berücksichtigung dieses Aspekts die Antwort B. falsch bleibt. Sie führen unter Berufung auf Kluge "Tribüne" auf "Tribunal" zurück. Bei Kluge steht allerdings zu "Tribunal", dass es sich dabei um die "Bühne für den Tribun" handelt. (Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 24., durchgesehene und erweiterte Auflage, Bearbeitet von Elmar Seebold, Berlin 2002, Art. Tribunal und Tribüne). Und der Tribun hat kein Recht gesprochen.

Also konnte er - Ihrer eigenen Quelle nach - der Wortherkunft nach nicht jemand sein, der auf der "Tribüne" Platz nimmt, um Recht zu sprechen. Dass man in der Redaktion leider von einer falschen Annahme ausgegangen ist, zeigen auch die Worte, die Günther Jauch zur Erläuterung in der Sendung gesprochen hat.

Ich zitiere:
„Der Begriff ‚Tribun‘ geht zurück auf den römischen Tribun. Wir kennen den Begriff ‚Tribunal‘. ‚Tribunal‘ ist der erhöhte Platz für den Richterstuhl des Tribunen. Er hat Recht gesprochen. Tribüne, Tribunal, Richterstuhl – ja so isses.“

Nein, so isses nicht: Das ‚Tribunal‘ war nicht der erhöhte Platz für den Richterstuhl des Tribunen. Und der Tribun hat auch nicht Recht gesprochen. Meinen Sie nicht, es wäre an der Zeit, dem Kandidaten, der wegen der falschen Einstufung der Antwort B. als richtig ausgeschieden ist, eine zweite Chance zu geben?
Wir Juristen nennen das "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand".

Und sollten Sie nicht auch etwas zur Ehrenrettung der Studentin tun, die ganz richtig Antwort B. als falsch bezeichnet hat?

Schließlich ist wegen des redaktionellen Fehlers ein "shitstorm" auf sie hereingebrochen, unter dem man als sensibler Mensch schon zusammenbrechen kann.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie unsere Korrespondenz Herrn Jauch vorlegen könnten, auf dessen Fairness ich mich verlasse.

Mit freundlichen Grüßen aus Saarbrücken

Prof. Dr. iur. Maximilian Herberger"
Abs. 4

Zu den Folgen der Sendung:

Die Medien berichteten äußerst negativ über die 19-jährige Studentin. Schlagzeilen wie "Wichtigtuer-Studentin führt Kandidat in die Irre" waren dabei eher noch harmlos. Im Internet setzte parallel ein "shitstorm" gegenüber der Studentin ein. Der Facebook-Account der 19-jährigen Studentin musste zu ihrem Schutz gesperrt werden, da massenhaft aggressive und beleidigende Nachrichten gepostet wurden.

Das Phänomen des shitstorms im Internet betrifft nicht nur Unternehmen, die Fehler in der Außendarstellung machen und dafür "vom Netz abgestraft" werden. Es können wie das vorliegende Beispiel zeigt, auch einzelne Privatpersonen betroffen sein. Da es sich um ein Massenphänomen handelt, ist die Entwicklung eines shitstorms nicht steuerbar. Sofern einzelne beleidigende oder ehrverletzende äußerungen bestimmten Tätern zugeordnet werden können, ergeben sich juristisch Möglichkeiten dagegen vorzugehen. Hierzu hat Prof. Dr. Dirk Heckmann einen Blog-Beitrag verfasst, der unter http://www.theeuropean.de/dirk-heckmann/11145-juristische-betrachtung-des-shitstorms abgerufen werden kann. Diese juristischen Möglichkeiten beinhalten aber nicht unbedingt die vollständige Wiederherstellung des guten Rufes der betroffenen Personen. Denn es ist offensichtlich, dass in der öffentlichen Wahrnehmung "irgendetwas hängenbleibt". Ob dies durch eine gleichsam öffentliche Entschuldigung aus der Welt geschafft werden kann, ist offen. Das vorliegende Beispiel wirft auch die Frage auf, ob der Fernsehsender zivilrechtlich wegen des Ausfalls der Kommunikationsmöglichkeiten der Studentin zur Verantwortung gezogen werden kann. Vor allem geht es jedoch um die Person der 19-jährigen Studentin, die Zielscheibe auch von anonymen Attacken wurde. Ein sensibler Mensch, der nicht gewohnt ist in der öffentlichkeit zu stehen, kann unter der Last der öffentlichen Missbilligungen in den Medien zerbrechen. Wer von einem - verharmlosenden - "shitstorm" spricht, muss auch diese persönlichen Konsequenzen für die betroffenen Menschen im Auge behalten.

Wer die lebhafte Facebook-Debatte weiter mitverfolgen will, kann dies tun unter https://www.facebook.com/LsHerbergerSB.
JurPC Web-Dok.
87/2013, Abs. 5
[ online seit: 14.05.2013 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Redaktion JurPC, "Wer wird Millionär" und das Römische Recht - JurPC-Web-Dok. 0087/2013