JurPC Web-Dok. 202/2001 - DOI 10.7328/jurpcb/20011610200

Arndt Bohrer *

Rezension: Puppe/Ziegler/Martin/Hupp, Wissensbasierte Diagnosesysteme im Service-Support - Konzepte und Erfahrungen

JurPC Web-Dok. 202/2001, Abs. 1 - 6


Frank Puppe/Susanne Ziegler/Ulrich Martin/Jürgen Hupp
Wissensbasierte Diagnosesysteme im Service-Support - Konzepte und Erfahrungen
227 Seiten, 54 Abb., 1 Begleit-CD-ROM
Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2001
ISBN 3-540-67288-5
DM 89,00

1. Überblick

Die in dem Buch zusammengefassten 13 Aufsätze geben einen Einblick in Umsetzungsmöglichkeiten und Einsatzerfahrungen mit Expertensystemen in verschiedenen Aufgabenbereichen. Die ersten zehn Aufsätze behandeln einen Problemschwerpunkt, die letzten drei stellen jeweils als Fallstudien ein komplettes Expertensystem vor. Alle vorgestellten Systeme und Konzepte basieren auf dem Epertensystem-Shell-Baukasten D3. D3 wurde am Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz und Angewandte In-formatik (Prof. Dr. Frank Puppe) der Universität Würzburg entwickelt. Die Aufsätze sind in folgende Kapitel zusammengefasst: I. Einführung II. Entwicklung von Diagnosesystemen mit Wissensformalisierungsmustern III. Kooperierende und integrierte Diagnosesysteme IV. Organisation und betriebliche Einführung V. Erfahrungen. Auf der Begleit-CD-ROM ist die Software, ein Online-Handbuch, ein Tutorial und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung enthalten. Die gleichen Dateien können auch von der D3-Homepage heruntergeladen werden.(1) In keinem der Aufsätze wird auf die Möglichkeiten der Unterstützung juristischer Entscheidungsfindung mit Hilfe eines auf D3 basierenden Systems eingegangen.(2) Die beschriebenen Systeme stammen dagegen aus den Bereichen Botanik (Baumerkennung), medizinische Diagnose und technische Fehlersuche. JurPC Web-Dok.
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2. Wert des Buches für Juristen

Wo liegt also der Wert des Buches für den Juristen? Durch viele Beispiele und die große Zahl an Illustrationen (Screenshots und schematische Darstellungen) wird sehr gut deutlich, wie ein Expertensystem in der Praxis genutzt werden kann, d.h. wie die Dialogoberfläche gestaltet werden kann, auf welche Weise verschiedene Dokumente (in den Beispielen etwa technische Dokumentationen, Bestellformulare, Stücklisten, Videos etc.) in das System eingebunden werden können. Möglichkeiten zur Integration eines Expertensystems in das Internet werden ebenfalls an mehreren Beispielen aufgezeigt. Der gedankliche Transfer auf den juristischen Bereich erfordert jetzt nicht mehr viel Phantasie: Vor dem geistigen Auge tausche man die technische Dokumentation gegen einen Online-Kommentar, das Bestellformular gegen die aus einer Datenbank aufgerufene Entscheidung und die Stückliste gegen eine Gesetzesnorm aus. Man darf sich daher auch nicht durch die Begriffswahl irritieren lassen: Zwar deutet der Begriff "Diagnose" auf den Einsatzschwerpunkt im medizinischen Bereich hin. Man kann statt "Diagnosesystem" jedoch genauso gut "Rechtsfolgenbestimmungssystem" lesen. Abs. 2

3. Kurzdarstellung zweier ausgewählter Beiträge

Im folgenden möchte ich zwei der dreizehn Aufsätze näher vorstellen, die ich im Hinblick auf juristische Einsatzzwecke für besonders aufschlussreich halte: Abs. 3

3.1. Hilfsmittel zur Komplexitätsreduktion

Beitrag 5: Komplexitätsreduktion durch grafische Wissensabstraktion, von Stefan Bamberger/Ute Gappa/Franziska Klügl/Frank Puppe, S. 52 - 71
Der Beitrag zeigt, wie man durch konsequente Nutzung von grafischen Aggregations-, Abstraktions- und Navigationsprinzipien auch sehr große und komplexe Anwendungsbereiche vollständig in einer visuellen Sprache modellieren kann (anstatt in einer textbasierten Programmiersprache). Die Autoren behandeln dabei zwei Problemfelder, die auch bei der Entwicklung juristischer Expertensysteme relevant sind: Nämlich zum einen den Wunsch, die Sprachbarriere zwischen Mensch und Maschine zu reduzieren, zum anderen das Ziel, die Komplexität des Wissensgebietes zu beherrschen. Die Reduzierung der Sprachbarriere verbessert die Akzeptanz von Computersystemen und ermöglicht im Idealfall den Aufbau und die Pflege einer Wissensbasis durch den Fachexperten - unter Einsparung eines Programmexperten, eines "Wissensingenieurs". Bei der Komplexitätsproblematik geht es darum, dass auch bei umfangreichen Wissensbasen durch unterschiedliche Darstellungsmöglichkeiten auf verschiedenen Detaillierungs- und Abstraktionsebenen die komplexe Relationsstruktur übersichtlich erkennbar bleiben soll. Eine Anforderung, die auch bei verschachtelten juristischen Prüfungen besteht. In dem mit zahlreichen Illustrationen versehenen Aufsatz werden die mit D3 möglichen Lösungen für die beiden Probleme anschaulich dargestellt: Durch verschiedene, vom Anwender konfigurierbare grafische Editoren, wie z.B. Formulare, Graphen und Tabellen, soll die übersichtliche Erfassung des Wissens ohne Programmierkenntnisse ermöglicht werden.
Abs. 4

3.2. Internetbasierte "Hybridsysteme"

Beitrag 7: Diagnostik im Internet - Bedarf, Realisierung und Stand der Technik, von Mitchel Berberich, S. 92 - 113
Der Autor untersucht die Vorteile von Entscheidungsunterstützungssystemen im Internet im Vergleich zu stand-alone Systemen. Zwei Aspekte hebt er besonders hervor: Zum einen den verminderten Installations- und Wartungsaufwand eines netzwerkbasierten Systems. Zum zweiten die Möglichkeit der Verknüpfung des Expertensystems mit anderen Informationsquellen im Internet. Durch die Einbindung in das Internet können "Hybridsysteme" aufgebaut werden, die aus einem Expertensystem und einem herkömmlichen Hypertextssystem bestehen. Das Expertensystem dient dazu, das Problem einzugrenzen und den Benutzer zu einer Wissensquelle zur Lösung seines Problems zu führen, sei die nun ein Dokument, ein anderes wissensbasiertes System oder der Kontakt mit einem menschlichen Experten. Der Autor geht ferner auf Vor- und Nachteile der denkbaren Architekturen ein und stellt verschiedene Dialogoberflächen vor. Ein solches Hybridsystem könnte sich auch im juristischen Bereich anbieten, denn das Online-Angebot an juristischer Information - als eine Komponente des Systems - wird immer umfangreicher und zuverlässiger.
Abs. 5

4. Fazit

Wer bereits Erfahrung mit der Entwicklung juristischer Expertensysteme hat, könnte aus einigen der Aufsätze wertvolle Anregungen beziehen. Lobenswert ist auch, dass alle 15 Autoren mit Kontaktadresse und E-mail aufgeführt sind. Ein Wehmutstropfen ist allerdings der hohe Preis von DM 89,-.
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Fußnoten:

(1) http://www.d3web.de
(2) Ich entwickele zur Zeit im Rahmen meiner Dissertation eine Computerunterstützung zur Prüfung des Anwendungsbereichs urheberrechtlicher Abkommen mit Hilfe von D3.
* Arndt Bohrer ist Diplom-Ingenieur Maschinenbau und hat das Erste Juristische Staatsexamen erfolgreich absolviert. Er promoviert im Bereich juristischer Expertensysteme bei Prof. Dr. Herberger, Universität des Saarlandes, und betreut die Seite "Juristische Expertensysteme" beim Juristischen Internet-Projekt Saarbrücken, http://www.jura.uni-sb.de/projekte/expertensysteme/.
[online seit: 22.10.2001]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Bohrer, Arndt, Rezension: Puppe/Ziegler/Martin/Hupp, Wissensbasierte Diagnosesysteme im Service-Support - Konzepte und Erfahrungen - JurPC-Web-Dok. 0202/2001