JurPC Web-Dok. 4/2001 - DOI 10.7328/jurpcb/20011617

LG Berlin
Beschluss vom 05.05.2000

18 O 205/00

Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze

JurPC Web-Dok. 4/2001, Abs. 1 - 13


ZPO §§ 700, 340 Abs. 1, 130 Nr. 6

Leitsatz (der Redaktion)

Das Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze gebietet es, dass nach Einreichung des bestimmenden Schriftsatzes per Telefax unverzüglich das Original des Schriftsatzes nachgereicht wird.

Gründe

Der per Fernkopie bei dem Amtsgericht Wedding eingelegte Einspruch ist unzulässig, da er mangels einer Unterschrift den Formerfordernissen, die an einen bestimmenden Schriftsatz zu stellen sind, nicht genügt (§§ 700, 340 Abs.1, 130 Nr.6 ZPO). Bei der Einspruchsschrift handelt es sich um einen bestimmenden Schriftsatz (vgl. Baumbach/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 58. Auflage, § 129 Rdn. 5 ff), bei dem die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers erforderlich ist (vgl. BGH in NJW 1997, S. 3380 [3381]). Zweck dieses Erfordernisses ist es, den Aussteller eindeutig identifizieren zu können (BVerfG in NJW 1987, S. 2067; BGH a.a.O.). Fehlt die (eigenhändige) Unterschrift, ist die Prozesshandlung nicht wirksam vorgenommen (vgl. BGH in NJW 1998, S. 3649 (Vorlagebeschluss)). "Damit soll", so führt der Bundesgerichtshof aus, "von vornherein möglichst jeder Zweifel darüber ausgeschlossen werden, ob diese für den Gang des Verfahrens wesentlichen Prozesshandlungen von der nach dem Gesetz allein befugten Person vorgenommen sind." Eine Fernkopie kann eine eigenhändige Unterschrift aufgrund der Art der Übermittlung notwendig nicht enthalten, weshalb der Ausschluss jeder Zweifel über den Urheber der entäußerten Erklärung damit gerade nicht möglich ist, selbst wenn die Telekopie "mit einer Unterschrift endet" (vgl. BFH in NJW 1996, S. 1432).JurPC Web-Dok.
4/2001, Abs. 1
Gleichwohl erachtet insbesondere die Rechtsprechung das Einreichen bestimmender Schriftsätze mittels Telefax (zur Wahrung von Fristen) als zulässig. Grund dafür ist es, dass dem Rechtsuchenden der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht unnötig erschwert werden soll (vgl. BVerfG a.a.O.), ferner, dass den Parteien Gelegenheit gegeben werden soll, Fristen grundsätzlich in vollem Umfang unter Nutzung der modernen Kommunikationsmittel ausschöpfen zu können (zusammenfassend Schwachheim in NJW 1999, S. 621, 622 m.w.N.). Dies bedeutet indes keine Aufgabe des Erfordernisses der eigenhändigen Unterschrift. So führt der Bundesgerichtshof aus, dass, "um dem Gebot der eigenhändigen Unterschrift zu genügen, die Kopiervorlage ...... unterschrieben ...... und diese Unterschrift auf der bei Gericht eingehenden Kopie wiedergegeben" worden sein muss (vgl. BGH in NJW 1998, S. 3649 [3650]). Dem schließt sich die erkennende Kammer auch an, jedoch bedarf es nach ihrer Ansicht auch einer Möglichkeit, die vorgenannten Umstände zu verifizieren, nämlich eines Mittels, anhand welchem sich feststellen läßt, dass das eigenhändig unterschriebene Original auch tatsächlich Vorlage für das Herstellen der Kopie mittels Telefax war. Die übermittelte Fernkopie selbst ist dazu ungeeignet, denn "angesichts der leichten und für den Empfänger nicht erkennbaren technischen Gestaltungs- und Manipulationsmöglichkeiten (z.B. läßt sich eine Unterschrift mit Hilfe eines Scanners eingeben unter irgendeinen Text setzen und die Kopie einer solchen 'Arbeit' per Fax übermitteln mit dem Ergebnis, dass beim Empfänger ein 'unterschriebener' Schriftsatz ausgedruckt wird, der im Original nicht existiert und sich nicht von der Telekopie eines echten Schriftstücks unterscheidet) kann einer Telekopie für sich allein kein Beweiswert beigemessen werden" (vgl. BFH a.a.O. m.w.N.). Selbst wenn eine eingescannte Unterschrift nicht zur Verfügung steht, kann die Unterschrift aus einem vorhandenen Text konventionell ausgeschnitten, unter den des zu übermittelnden Schriftstücks geklebt und mit ausgereiften Kopiergeräten spurenlos einkopiert und sodann übermittelt werden. Aus diesen Gründen hält es das erkennende Gericht, entgegen der vom Bundesgerichtshof (in NJW 1993, S. 3141) vertretenen Auffassung für erforderlich, dass genau dasjenige Original, welches als Kopiervorlage bei der Übermittlung des fristwahrend per Telekopie eingereichten bestimmenden Schriftstücks gedient hatte, unverzüglich im Original zur Akte gelangt. Nur dann nämlich kann für den Verfahrensablauf hinreichend zügig und auch hinreichend sicher überprüft werden, ob der Fernkopie ein authentisches Original zugrunde lag. Dies ist dem Gericht dann durch einfache Schriftvergleichung (entsprechend § 442 ZPO) möglich, wobei es, anders als bei der Überprüfung der "Echtheit" der Unterschrift (vgl. § 441 Abs. 1 ZPO), hier nur auf die Feststellung der optischen Identität der Schriftzüge und der davon erfassten schriftlichen Erklärung ankommt, die das Gericht aus eigener Anschauung treffen kann. Die Identitätsprüfung führt auch zu hinreichend sicheren Ergebnissen da eine nachträgliche Fertigung eines "Originals", welches nicht tatsächlich Vorlage für die Fernkopie gewesen ist, angesichts der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen, (wie im übrigen im vorliegend zu entscheidenden Fall ersichtlich), nahezu ausgeschlossen erscheint.Abs. 2
Die von der erkennenden Kammer vertretene "vermittelnde Lösung" (auch noch in der 20. Auflage bei Zöller/Greger, § 130 Rdn. 11) genügt dem Gebot der Rechtssicherheit im Verfahren und ist auch nicht aus praktischen Erwägungen (wie bei Henneke in NJW 1998, S. 2194 [2195] ausgeführt) abzulehnen. Es wird dadurch auch keine "Fristenverlängerungsautomatik" geschaffen (vgl. Henneke a.a.O.), da das Original unverzüglich nachzureichen ist, was angesichts des Zweckes von den Betroffenen auch verlangt werden kann. Wie dargelegt, soll die Möglichkeit, bestimmende Schriftsätze per Fernkopie einzureichen, das volle Ausschöpfen von Fristen unter Nutzung der modernen Kommunikationstechnik gewährleisten; sie dient mithin wesentlich der Erleichterung bei der Wahrung von Fristen, insbesondere Notfristen. Dem Rechtsuchenden wird letztlich eingeräumt, bestimmende Schriftstücke "fünf Minuten vor Zwölf" von seinem Standort aus zu übermitteln, ohne durch einzuplanenden "normalen" Postlauf, (der u.U. mit mehreren Tagen anzusetzen wäre), einen Teil der Frist zu verlieren. Der Einwurf kurz vor Fristablauf war zwar grundsätzlich durch Einrichten von Nachtbriefkästen mit Schaltuhr bei den Gerichten auch schon vor der Verbreitung von Telefaxgeräten möglich, jedoch ermöglicht die Nutzung dieser einen weiteren, u.a. Zeitgewinn.Abs. 3
Einem weiteren Zweck dient diese Möglichkeit indes nicht; weder soll auf das Unterschriftserfordernis verzichtet werden, noch soll die laufende Frist (was durch Einsparung nur indirekt der Fall ist) tatsächlich verlängert werden. So genügt insbesondere eine Fernkopie, deren (im Original) unterschriebener Teil erst nach 0.00 Uhr am Tage nach Ablauf der Frist übermittelt wird, auch bei Beginn der Übermittlung am Vortage, nicht den Anforderungen an einen form- und fristgerecht eingereichten bestimmenden Schriftsatz (vgl. BGH in NJW 1994, S. 2097, 2098). Abs. 4
Geht man unter Berücksichtigung aller vorgenannten Erwägungen, wie die erkennende Kammer davon aus, dass die Übermittlung per Fernkopie allein der Erleichterung der Fristwahrung dient, so verbleibt es grundsätzlich dabei, dass eine dann unverzüglich folgende Übermittlung auf dem "normalen" Weg, die das allein formgültige Original an das Gericht gelangen läßt, weitere Wirksamkeitsvoraussetzung ist. Dies ergibt sich nicht nur aus den dargelegten Gründen der Rechtssicherheit, sondern auch daraus, dass das bloße Vorliegen eines im Original unterschriebenen Exemplars (am Faxgerät des Absenders) noch keine "Entäußerung" dieses Originals bedeutet, was auch der Bundesgerichtshof in Bezug auf Wahrung der Schriftform im Bereich des bürgerlichen Rechts annimmt (vgl. BGHZ 121, S. 224 [228 ff]). Zwar differenziert die genannte Entscheidung den genannten Bereich vom dem der fristwahrenden Übermittlung im Prozessbereich, diese Differenzierung ist jedoch im Rahmen des Begriffs "Entäußerung" nicht ohne weiteres nachvollziehbar, da nach Dafürhalten der erkennenden Kammer auch und gerade ein bestimmender Schriftsatz gegenüber dem Gericht "entäußert" werden muss, will er prozessuale Wirkung entfalten. Abs. 5
Den Ausführungen der insgesamt zitierten Rechtsprechung im einzelnen kann auch nur entnommen werden, dass ausschließlich wegen der Technik der Fernübertragung, die ein Übermitteln eines Originals selbst nicht ermöglicht, und nur vorläufig (zum Zwecke der Fristwahrung) auf das Erfordernis des Zugehens eines unterschriebenen Originals verzichtet werden kann. Es ist insbesondere keine Entscheidung ersichtlich, nach der allein die Ablichtung eines bestimmenden Schriftsatzes, (mit abgelichteter Unterschrift), per "normaler" Post übersandt, für formwirksam gehalten würde. Was die Fälle telegrafischer und fernschriftlicher Einreichung, auch telefonischer Aufgabe von Telegrammen betrifft, so ist die Zulassung solcher, inzwischen kaum noch praktischer Einzelfälle "kein Grund, die vom Gesetzgeber aus wohlerwogenen Gründen vorgeschriebene Schriftform völlig aufzugeben" (vgl. nochmals BGH in NJW 1998, 3649 [3650]).Abs. 6
Schließlich ist das unverzügliche Absenden des Originals eines bestimmenden Schriftsatzes, nachdem es als Vorlage für die Fernkopie gedient hatte, dem Rechtsuchenden auch zumutbar, denn es musste als solche bereits vollständig vorliegen, und es bedarf dann nur noch der für die Übermittlung auf dem Postweg wenigen erforderlichen Handgriffe. Mithin tritt die formwirksame Abgabe der Erklärung mit der tatsächlichen Entäußerung ein, wobei dem Rechtsuchenden dann lediglich die Zeit des "normalen" Postlaufs, die vor der Möglichkeit der Nutzung des Mediums Telefax in die laufende Frist einzuplanen gewesen wäre, für eine fristgerechte Abgabe zur vollständigen Ausschöpfung der Frist zur Verfügung gestellt wird, was allein Intention der Rechtsprechung zur Fristwahrung ist.Abs. 7
Vorliegend ist eine mit einem Unterschriftsbild versehene Einspruchsschrift per Telefax am 15. März 2000 beim zuständigen Amtsgericht eingegangen, was nach Zustellung des Vollstreckungsbescheides am 3. März 2000 fristwahrend war. Indes wahrte die Fernkopie aus den vorgenannten Erwägungen die Schriftform nicht, da das der Fernkopie zugrunde gelegte Original mit einer (handschriftlich gefertigten) Unterschrift nicht innerhalb einer normalen Postlaufzeit, selbst vom Ablauf der Einspruchsfrist an gerechnet, bei Gericht eingegangen ist. Der Geschäftsführer der Beklagten hat vielmehr in seinem am 28. April 2000 an das Landgericht gerichteten Schreiben kundgetan, dass er das Original überhaupt nicht abgesandt habe. Dies konnte die Form aber nicht wahren, was dem Geschäftsführer der Beklagten auch bewusst sein musste, schon da die dem Vollstreckungsbescheid (auf der Rückseite) beigefügte Rechtsmittelbelehrung auf die für den Einspruch erforderliche Schriftform ausdrücklich hinweist. Dass Schriftform die Vollziehung einer eigenhändigen Unterschrift bedeutet, leuchtet auch Nichtrechtskundigen ohne weiteres ein (vgl. insoweit OLG Karlsruhe in OLGR 98, S. 93 [94]). Ebenso einleuchtend ist es auch oder gerade für den Nichtrechtskundigen, dass Wahrung der Schriftform auch Übermittlung eines unterschriebenen Originals bedeutet. Dies war es ausweislich des Inhaltes der Fernkopie jedenfalls für den Geschäftsführer der Beklagten, da er mit der Angabe "Vorab per Telefax an:" selbst das Wissen um die Vorläufigkeit der Übermittlung zu erkennen gegeben hat.Abs. 8
Die vom dem Geschäftsführer der Beklagten mit dem Schreiben vom 26. April 2000 nachgereichte Einspruchsschrift mit einer Originalunterschrift wäre selbst dann nicht mehr form- und fristgerecht eingegangen, wenn sie tatsächlich, wie der Geschäftsführer dies behauptet, "das Original" des am 15. März 2000 per Fernkopie eingegangenen Einspruchs gewesen wäre. Dem Formerfordernis im Anschluss an die Fristwahrung konnte nämlich aus den genannten Gründen der Rechtssicherheit sowie des Zwecks der Vereinfachung hinsichtlich der Fristwahrung nur dann genüge getan werden, wenn ein Original unverzüglich, wie dargelegt, innerhalb einer normalen Postlaufzeit, bei Gericht eingegangen wäre.Abs. 9
Hier mangelt es darüber hinaus, entgegen den Angaben des Geschäftsführers in dem Schreiben vom 26. April 2000, an der Identität zwischen der im Original eingereichten Einspruchsschrift und dem per Fernkopie fristgerecht übermittelten Einspruch, was sich durch einfache Vergleichung der Schriftstücke zweifelsfrei feststellen läßt. Zum einen enthält das als "Original" bezeichnete Schriftstück nicht die auf der Fernkopie handschriftlich eingetragene Faxnummer, was es aber notwendig müßte, hätte es bei der Übermittlung so vorgelegen, zum anderen weicht das Unterschriftsbild an zwei Stellen: Abstand des Abstriches von der folgenden Schleife am Anfang, sowie Krümmung und Länge des Auslaufs des letzten Buchstaben, deutlich vom anderen ab.Abs. 10
Die am 28. April 2000 beim Landgericht im original eingegangene Einspruchsschrift ist als Einspruch selbst zwar formgültig, aber nicht fristgerecht eingereicht worden, weshalb der Einspruch auch insoweit als unzulässig zu verwerfen war.Abs. 11
Sofern man in dem Schreiben vom 6. April 2000 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sehen wollte, wäre dieser jedenfalls zurückzuweisen, da die Beklagte nicht ohne Verschulden die Einspruchsfrist versäumt hat (§ 233 ZPO). Da dem Geschäftsführer der Beklagten, wie oben dargelegt, bewußt war, dass er das Original der Einspruchsschrift vom 15. März 2000 hätte unverzüglich absenden müssen, er dies aber unterlassen hat, handelte er schuldhaft. Abs. 12
Die Kostenentscheidung folgt einer entsprechenden Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO.
JurPC Web-Dok.
4/2001, Abs. 13
Anmerkung der Redaktion:
Bitte beachten Sie auch die Anmerkung von Frau Dr. Susanne Wimmer-Leonhardt zu der vorliegenden Entscheidung, JurPC Web-Dok. 35/2001.
[online seit: 15.01.2001]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Berlin, LG, Schriftformerfordernis für bestimmende Schriftsätze - JurPC-Web-Dok. 0004/2001