JurPC Web-Dok. 138/2005 - DOI 10.7328/jurpcb/20052011134

Michael Weller *

Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 13.01.2005, Az.: 6 U 2773/04 (= JurPC Web-Dok. 61/2005)

JurPC Web-Dok. 138/2005, Abs. 1 - 40


I. Sachverhaltsschilderung

Die Klägerin, eine Medizintechnik GmbH, hat die Beklagten auf Unterlassung und Zahlung einer Vertragsstrafe in Anspruch genommen. Nach Ansicht der Klägerin verstießen die Beklagten durch die Gestaltung ihres Internet-Auftritts gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften sowie gegen eine von ihnen unterzeichnete Unterlassungserklärung. In dieser Unterlassungserklärung hatten die Parteien sich verpflichtet, nicht für jedermann zugänglich im Internet für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen u.a. mit Gutachten, Zeugnissen, wissenschaftlichen oder fachlichen Veröffentlichungen sowie Hinweisen darauf zu werben. In der Erklärung, die im Wesentlichen den Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 1 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) wiederholt, hatten die Parteien ferner genauer bestimmt, dass "nicht für jedermann zugänglich" im Sinne von "ohne Angabe eines Passwortes" zu verstehen sei.JurPC Web-Dok.
138/2005, Abs. 1
Die Beklagten hatten daraufhin zwar den Zugriff auf ihre Inhalte im Internet von der vorherigen Vergabe eines Passwortes abhängig gemacht. Diese Vergabe erfolgte jedoch nicht kontrolliert, d.h. aufgrund einer einfachen Anmeldung bei der lediglich einige Angaben zur Person abgefragt, aber nicht weiter überprüft wurden. Die Schlagwortliste bei der Abfrage des Berufs enthielt zunächst den Punkt "Privatperson", der später in "Sonstiges" geändert wurde. In den drei der Klage zugrunde liegenden Fällen, erhielten Personen, die dieses Schlagwort bei der Beantragung angegeben haben, ein Passwort zugesandt. Das Landgericht München I hat sich der Auffassung Doepners in Heilmittelwerbegesetz, 2. Aufl. Rn. 15 zu § 2 angeschlossen und die Beklagten wegen Verstoßes gegen das HWG verurteilt. Abs. 2
Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt haben, hatte das OLG München in der Berufung sich noch mit der Frage zu befassen, ob die beschriebene Verfahrensweise der Beklagten bei der Vergabe von Passwörtern einerseits mit der vertraglichen Vereinbarung im Rahmen der Unterlassungserklärung und andererseits mit geltendem (Wettbewerbs-)Recht vereinbar ist. Abs. 3
Das OLG München hat diese Fragen dahingehend beantwortet, dass aus dem in § 11 Abs. 1 Nr. 1 HWG normierten Verbot nicht die Verpflichtung des Werbenden folge, diesbezügliche Inhalte im Internet durch die kontrollierte Passwortvergabe vor dem Zugriff des interessierten Publikums zu schützen. Es sei nicht erforderlich über die Passwortvergabe und die hierzu verlangten Angaben zur Person hinaus, diese Angaben einer weiteren Überprüfung zuzuführen. Eine solche Überprüfung sei nicht mehr von dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gedeckt.Abs. 4
Es sei darüber hinaus zu berücksichtigen, dass es sich bei den in Rede stehenden Inhalten nicht um solche handele, die etwa dem Jugendschutz oder dem Bankgeheimnis unterfielen, so dass sich eine kontrollierte Passwortvergabe hier nicht aufdränge. Dies insbesondere, da das Internet als passive Darstellungsplattform von interessierten Personen auf der Suche nach ganz bestimmten Informationen aufgesucht werde und sich Inhalte nicht einer breiten, unvorbereiteten Öffentlichkeit aufdrängten. Im Übrigen stelle auch die außerhalb der Fachkreise verwendete Äußerung, es existierten wissenschaftliche oder fachliche Veröffentlichungen, noch keinen Hinweis auf solche Veröffentlichungen im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 1 HWG dar.Abs. 5
Auch führe eine Auslegung der Unterlassungserklärung nach §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung des Wortlauts sowie der Umstände des Zustandekommens der Vereinbarung zu keinem anderen Ergebnis. Erkennbar hätten die Beklagten sich nicht über die Passwortvergabe hinaus verpflichten wollen, eine Zugangskontrolle für ihre Internet-Inhalte einzuführen. Das OLG hat darauf gestützt die Verurteilung der Beklagten aufgehoben und die Klage abgewiesen.Abs. 6

II. Hintergrund und Begriffe im vorliegenden Rechtsstreit:

Hintergrund des vorliegenden Rechtsstreits ist eine Besonderheit des deutschen Wettbewerbsrechts. Der Gesetzgeber hat im Heilmittelwerbegesetz (HWG) diverse Werbeverbote und -beschränkungen normiert, die über die üblichen wettbewerbsrechtlichen Beschränkungen im Bereich der Produktwerbung hinausgehen. Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob diese besonderen Regeln eingehalten sind. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Abwägung der gesetzgeberischen Zielsetzung des HWG mit der grundrechtlichen Garantie des Selbstdarstellungsrechts der Werbenden. Um diese Abwägung vornehmen zu können, erscheint es zunächst angebracht, Schutzbereiche und Begrifflichkeiten näher zu betrachten.Abs. 7

1. Zielsetzung der Werbeverbote des HWG:

Durch die in dem HWG normierten Werbeverbote und -beschränkungen soll das Publikum vor Gesundheitsgefahren geschützt werden(1). Hierbei hat der Gesetzgeber in erster Linie die Gefahren im Auge, die durch die Anwendung eines Produktes entstehen können, dessen Wirkungen und Nebenwirkungen vom Laien nicht überblickt werden können und dessen Anwendung daher nicht ohne fachliche Beratung und/oder Aufsicht durch einen Arzt oder Apotheker erfolgen soll(2). Die Gerichte haben ihre Entscheidungen regelmäßig nach dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ausgerichtet(3).Abs. 8
Ob nun auf eine bestimmte Werbemaßnahme das HWG Anwendung findet, richtet sich danach, ob die Werbung als Unternehmens- bzw. Imagewerbung zu betrachten ist oder ob es sich um Absatzwerbung handelt(4). Handelt es sich um Absatzwerbung, auf die das HWG anzuwenden ist, ist nach der Schutzbedürftigkeit der durch die Werbemaßnahme angesprochenen Verkehrskreise zu differenzieren. So unterliegt die Werbung innerhalb der Fachkreise im Sinne von § 2 HWG weniger strengen Restriktionen als eine Maßnahme, die sich an ein breites Publikum wendet. Was im Einzelnen unter "Werbung" zu verstehen ist, ist im HWG indes nicht definiert.Abs. 9

2. Der Werbebegriff des HWG:

a) aa) Ein erster Anhalt für die Definition des Werbebegriffs findet sich im Recht der Europäischen Union. Was innerhalb der Europäischen Union unter den Begriff der Werbung fällt, ist in Art. 86 I des Gemeinschaftskodex (ehemals Art. 1 III der Richtlinie 92/28/EWG) festgelegt. Hiernach gelten als Werbung für Arzneimittel solche Maßnahmen, die die Information oder die Marktuntersuchung zum Gegenstand haben und Anreize mit dem Ziel der Förderung der Verschreibung, der Abgabe, des Verkaufs oder des Absatzes von Arzneimittel schaffen sollen.Abs. 10
Dies ist ein recht weiter Werbebegriff, von dem nicht lediglich anpreisende Präsentationen erfasst sind, sondern auch produktspezifische Angaben, welche ein Arzneimittel näher beschreiben. Insoweit genügt es, wenn mit der konkretisierenden Darstellung des jeweiligen Arzneimittels das Interesse der Absatzförderung verbunden wird(5). Dies hätte jedoch zur Folge, dass die Angabe von Name, Wirkstoff, Konzentration pharmakologisch wirksamer Bestandteile und Preis etwa auf dem Bestellformular einer Internet-Apotheke als Werbung zu gelten hätte. Abs. 11
bb) Hierdurch setzt sich das deutsche Heilmittelwerberecht in Widerspruch zur Garantie des freien Warenverkehrs innerhalb der EU nach Art. 28 ff. EG. Eine Korrektur dieses Werbebegriffs jedoch wie sie etwa das LG Berlin(6) vorgenommen hat, als es solche Angaben, die erforderlich sind, um Arzneimittel im Fällen des Online-Arzneimittelhandels für den Bestellvorgang konkretisieren zu können, von dem Werbebegriff ausgenommen hat, wird jedoch für verfehlt und nicht notwendig erachtet(7). Abs. 12
Eine Einschränkung des Werbebegriffs sei vielmehr aus der E-Commerce-Richtlinie bzw. der Fernabsatz-Richtlinie herzuleiten. Dies führt jedoch letztendlich zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch hiernach können nur solche Angaben vom Werbebegriff ausgenommen werden, die unbedingt erforderlich sind, um den Bestellvorgang überhaupt bearbeiten zu können. Die deutschen Gerichte haben diesen weiten Werbebegriff des Gemeinschaftskodex mit den beschriebenen Einschränkungen übernommen(8).Abs. 13
b) Aber nicht jede Werbemaßnahme im Pharmabereich unterliegt gleich den Werbebeschränkungen und -verboten des HWG. Grundsätzlich nicht erfasst werden nach der Rechtsprechung nämlich solche Maßnahmen, die sich nicht produktbezogen darstellen, sondern als reine Unternehmens- oder Imagewerbung einzustufen sind(9). Welche Form der Werbung vorliegt, entscheidet die Rechtsprechung jeweils am konkreten Einzelfall unter Einbeziehung des Gesamterscheinungsbildes der Werbemaßnahme danach, ob die Darstellung des Unternehmens und dessen Leistungsfähigkeit oder die Anpreisung eines bestimmten oder zumindest individualisierbaren Arzneimittels im Vordergrund steht(10). Abs. 14
Zwar kann und soll auch nicht bestritten werden, dass sowohl produktbezogene Absatz- wie auch Unternehmens- bzw. Imagewerbung darauf gerichtet sind, das Geschäftsergebnis des Werbenden zu verbessern. Doch findet das HWG immer nur dann Anwendung, wenn mit der Werbemaßnahme die Förderung des Absatzes eines bestimmten individualisierbaren Produktes im Vordergrund steht(11). Dies ist Ergebnis der eingangs beschriebenen Schutzrichtung des HWG. Denn die Werbung für ein Unternehmen, das eine breite Palette von Präparaten für verschiedene Anwendungsgebiete und Indikationen anbietet, beinhaltet für sich noch nicht die Gefahr eines Arzneimittelfehlgebrauchs, während der Anpreisung der Vorzüge eines bestimmten einzelnen Produktes die Gefahr der missbräuchlichen Selbstmedikation immanent ist, fehlt es an fachlicher Beratung(12).Abs. 15
c) Als dem Heilmittelwerbegesetz unterfallende Werbung sind im Ergebnis somit solche Maßnahmen einzustufen, die darauf abzielen, den Absatz eines bestimmten, vom Publikum individualisierbaren Heilmittels zu fördern und die jeweilige Maßnahme nach ihrem Gesamterscheinungsbild nicht die Selbstdarstellung des im Pharmabereich tätigen Unternehmens sowie die Herausstellung dessen Leistungsfähigkeit zum Gegenstand hat und ferner durch die Maßnahme ohne fachliche Beratung eine Gesundheitsgefahr durch einen Arzneimittelfehlgebrauch etwa im Wege der Selbstmedikation bestehen kann.Abs. 16

III. Werbung im Internet:

1. Anwendbarkeit des deutschen HWG auf Internet-Inhalte:

a) Wird eine Werbung im Internet geschaltet, ist sie - zumindest theoretisch - von jedem Ort der Erde, von dem Zugang zum Internet besteht, abrufbar. Insoweit kann das Internet als eigener transnationaler virtueller Markt und damit die Anwendbarkeit deutschen Rechts fraglich erscheinen. Dieser virtuelle Markt steht indes mit den einzelnen realen nationalen Märkten in Verbindung. Dies wird deutlich, betrachtet man die Bestellung von Gütern über das Internet. Diese Güter werden an einem realen Marktort hergestellt und vertrieben sowie entweder am selben oder an einem anderen realen Marktort ausgeliefert. Damit setzt sich der virtuelle Markt im Internet lediglich aus Teilen realer Märkte zusammen und ist kein eigenständiger Marktort. Vielmehr schafft das Internet als Medium eine Verbindung zwischen realen Marktteilnehmern und kann aufgrund seiner weltweiten Erreichbarkeit lediglich die Reichweite eines bestimmten Angebots erhöhen. Dadurch werden die für den jeweiligen Herstellungs- bzw. Absatzmarkt geltenden Regeln jedoch nicht außer Kraft gesetzt.Abs. 18
b) Das deutsche internationale Wettbewerbsrecht knüpft traditionell an den Ort der wettbewerbsrechtlichen Interessenkollision an(13). Das bedeutet, dass ein potentieller Wettbewerbsverstoß nach dem Recht des Ortes zu beurteilen ist, auf den sich der Wettbewerber bei der Werbung von Kunden für seine Leistungen begibt. Entscheidend ist die Absicht desjenigen, der Inhalte in das Internet einstellt, welchen Markt er durch die Einstellung zu beeinflussen beabsichtigt(14). Welcher Markt durch den jeweiligen Internet-Inhalt beeinflusst wird, richtet sich im Einzelfall nach einer ganzen Reihe von Kriterien (z.B. Sprache des Internet-Angebots, Zahlungs- und Versandmodalitäten, Zuschnitt und Marktbedeutung des Anbieters etc.), die für sich jedoch nur Indizien für eine Anknüpfung bieten.Abs. 19
Da das Internet keinen eigenen Rechtsraum darstellt, sondern sich der Anbieter über dieses Medium auf reale Märkte begibt, kann folglich auch nur das Recht desjenigen Marktortes zur Anwendung kommen, auf dem sich der Anbieter im jeweiligen Einzelfall befindet. Dies war in dem hier vorliegenden Fall der deutsche Markt mit der Folge, dass der Internet-Auftritt der Beklagten nach den Vorgaben des deutschen Rechts zu beurteilen ist. Da diese Vorgaben nicht nur den inländischen Anbieter binden, sondern auch diejenigen ausländischen Anbieter treffen, die eine spürbare Beeinflussung des deutschen Marktes durch die Einstellung von Inhalten in das Internet beabsichtigen, sind die Beklagten gegenüber ihren ausländischen - insbesondere europäischen - Mitbewerbern durch die Anwendung deutschen Rechts nicht benachteiligt(15).Abs. 20
c) Im Ergebnis hat sich jeder Anbieter, gleich welcher Nationalität, den Vorgaben des deutschen HWG zu unterwerfen, sofern er - zumindest auch - sein Angebot so ausrichtet, dass er sich hiermit auf den deutschen Markt begibt, d.h. um Kunden in Deutschland wirbt. Hierdurch werden Wettbewerbsverzerrungen auf einem einzelnen nationalen Markt - hier dem deutschen - vermieden, denn die Vorgaben binden einen ausländischen Anbieter genauso wie sie einen deutschen Anbieter binden. Deshalb konnte in dem vorliegenden Fall ohne Weiteres das Angebot der Beklagten am Maßstab des deutschen HWG gemessen werden.Abs. 21

2. Das Internet als passive Darstellungsplattform für Werbung:

Das OLG München, das - wie dargelegt - völlig zu Recht den Internet-Auftritt der Beklagten am Maßstab deutschen Rechts gemessen hat, hat in seiner Entscheidung unter anderem kritisiert, dass das Landgericht bei dessen Entscheidung in der Vorinstanz dem Umstand nicht berücksichtigt habe, dass es sich bei der von der Klägerin beanstandeten Maßnahme um eine Selbstdarstellung in einem Medium handele, welches als passive Darstellungsplattform von Interessierten in der Regel auf der Suche nach ganz bestimmten Informationen aufgesucht werde und sich daher der breiten Öffentlichkeit nicht unvorbereitet aufdränge(16). Zur Begründung seiner Kritik verweist das OLG auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30.04.2004(17) sowie auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 9.10.2003(18).Abs. 22
a) Verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 1 HWG:
In dem von dem Berufungsgericht vorliegend zitierten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass das aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Selbstdarstellungsrecht eines im Internet werbenden Arztes gegen den mit der Normierung eines Werbeverbotes durch das HWG verfolgten Zweck abzuwägen ist. In diese Abwägung soll dann einzubeziehen sein, dass das Internet eine passive Darstellungsplattform in der zuvor beschriebenen Weise darstelle. Herausgestellt hat das BVerfG in seinem Beschluss ganz besonders, dass in dem ihm vorgelegten Fall die Gefahr einer Selbstmedikation als eher gering einzustufen sei(19).Abs. 23
aa) Hierdurch hat das BVerfG klargestellt, dass ein Verstoß einer Werbemaßnahme gegen das HWG nur dann nicht vorliegt, wenn im konkreten Einzelfall nach der Gestaltung des Internet-Auftritts das Interesse des Werbenden an der Selbstdarstellung im Internet die gesetzgeberische Zielsetzung, nämlich Gesundheitsgefahren vom Publikum durch einseitige Beeinflussung abzuwenden, nicht außer Kraft setzt.Abs. 24
bb) Hierzu hält es das BVerfG für erforderlich zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Internet um eine passive Darstellungsplattform handelt, bei dem sich Informationen in der Regel nur demjenigen offenbaren, der gezielt danach sucht. Diesem Kriterium ist aus heutiger Sicht entgegenzuhalten, dass durch die gezielte Schaltung von Werbebannern - insbesondere auf häufig frequentierten Seiten des Internet - Informationen an einer Stelle platziert werden können, wo sie sich gleichsam einer Radio- oder Fernsehwerbung einem breiten und in der Regel eben doch unvorbereitetem Publikum zeigen.Abs. 25
Dies macht das von dem BVerfG entwickelte Kriterium jedoch nicht gleich für die juristische Arbeit unbrauchbar, weil sich zwischenzeitlich eine andere Lebenswirklichkeit eingestellt hätte. Es ist durchaus zuzugestehen, dass sich bestimmte Inhalte tatsächlich nur dem Suchenden erschließen. Dies aber hängt wiederum von der konkreten Ausgestaltung des Internet-Inhalts ab. Denn die Informationen auf einer (Unter-)Seite des Internet-Auftritts eines Unternehmens richten sich ausschließlich an denjenigen, der diese Seite entweder gezielt ansteuert oder gezielt zu ihr hingeführt wird. Informationen, die auf einer solchen (Unter-)Seite bereitgehalten werden treffen - wie das BVerfG zutreffend ausgeführt - tatsächlich nur auf ein vorbereitetes Publikum, das diese Informationen auch gesucht hat.Abs. 26
cc) So kann im Ergebnis das vom BVerfG entwickelte Kriterium in dieser - auch vom OLG München - verwendeten Absolutheit keinen Bestand haben. Vielmehr erscheint eine Korrektur dahingehend angebracht, auch die Position der Information innerhalb des Internet mit in die Abwägung einzubeziehen. Denn das Internet ist heute nicht lediglich ein rein passives Darstellungsmedium, das vom Publikum nur auf der Suche nach bestimmten Informationen aufgesucht wird. Vielmehr ergeben sich gerade auch im Internet Möglichkeiten, ein breites Publikum anzusprechen, das nicht nur auf der Suche nach Informationen, sondern auch nach Unterhaltung ist. Abs. 27
Es ist offensichtlich, dass ein präsent platzierter Werbebanner auf einer prominenten Seite wie etwa der Startseite eines Internet-Providers durchaus geeignet ist, solche Gefahren heraufzubeschwören, denen der Gesetzgeber mit dem HWG begegnen wollte. Die Anzeige eines im Pharmabereich tätigen Unternehmens an prominenter Stelle im Internet kann daher heute nicht mehr anders behandelt werden wie ein Werbespot desselben Unternehmens im Rundfunk. Etwas anderes kann nur dann noch anzunehmen sein, wenn sich die Information gerade nicht an prominenter Stelle im Internet befindet, von wo aus sie einem breiten Publikum in einer Weise zugänglich ist, dass sie sich diesem geradezu aufdrängt, sondern erst dann relevant werden kann, wenn nach der betreffenden Information gezielt gesucht wurde.Abs. 28
b) Differenzierung der Schutzbedürftigkeit betroffener Verkehrskreise:
Die in das Internet von den Beklagten eingestellten Informationen erfordern nach Ansicht des OLG München nicht per se eine Zugangskontrolle in Form einer kontrollierten Passwortvergabe. Zwar ist dem OLG zuzugeben, dass sich die Informationen nach ihrer konkreten Gestaltung vorliegend nicht einem breitem unvorbereitetem Publikum geradezu aufdrängten. Aber das HWG differenziert - wie eingangs bereits erwähnt - nach der Schutzbedürftigkeit der jeweils von der Werbung betroffenen Verkehrskreise. So gibt es - wie bereits erwähnt - neben den absoluten Werbeverboten auch solche, die Werbung lediglich außerhalb der Fachkreise verbieten. Um eben eine solche Werbemaßnahme wurde in der vorliegenden Entscheidung gestritten.. Abs. 29
aa) Was unter Fachkreisen zu verstehen ist, ist in § 2 HWG definiert. Hiernach sind hierzu Personen zu zählen, die Angehörige der Heilberufe oder des Heilgewerbes sind, ferner Einrichtungen, die der Gesundheit von Mensch oder Tier dienen sowie sonstige Personen, soweit sie mit Arzneimitteln, Medizinprodukten, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln erlaubterweise Handel treiben oder solche in Ausübung ihres jeweiligen Berufes anwenden.Abs. 30
Die vorgenommene Differenzierung ist im Hinblick auf den vom Gesetzgeber intendierten Schutzzweck der Werbeverbote und -beschränkungen des HWG konsequent. Die Befähigung zur Ausübung eines Berufes in den in § 2 HWG genannten Tätigkeitsfeldern schließt - zwar sicherlich nicht umfassend, so aber doch in Teilen - die Befähigung ein, eine Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen, die dem Laien aufgrund seiner Unbefangenheit und Unkenntnis des Marktgeschehens verwehrt ist. Diejenigen, die den Fachkreisen zuzurechnen sind, sind aufgrund ihrer Ausbildung und Stellung im Berufsleben im Ergebnis weit weniger durch eine einzelne, dem HWG unterfallende Werbemaßnahme gefährdet als dies beim Laien der Fall ist.Abs. 31
bb) Auch im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG ist diese Differenzierung konsequent. Denn das absolute Verbot einer Werbemaßnahme als Einschränkung eines Grundrechts erfordert ein höheres Gefährdungspotential als ein auf bestimmte Verkehrskreise beschränktes Verbot(20). Die Gefährdung von Personen, die in ihrem Alltag mit den beworbenen Heilmitteln umgehen, ist - wie zuvor dargelegt - nicht mit derjenigen von Personen vergleichbar, die keine Ausbildung im Bereich des Heilwesens durchlaufen haben. Das Verbot von Werbemaßnahmen wie der angegriffenen auch auf die Fachkreise im Sinne von § 2 HWG auszudehnen, kann daher schwerlich mit dem Schutzzweck des HWG in Einklang gebracht werden, so dass es sich im Ergebnis als unverhältnismäßige Einschränkung des grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Rechts auf Selbstdarstellung darstellte. Dies insbesondere, weil es zur Erreichung des mit der Regelung des HWG bezweckten Schutzes nicht erforderlich ist, jede Werbemaßnahme für dem HWG unterfallende Mittel zu verbieten.Abs. 32

3. Ausschluss bestimmter Verkehrskreise vom Zugriff auf Internet-Inhalte:

a) Aufgrund der vorausgegangenen Betrachtungen kann dem OLG München nur darin zuzustimmen sein, dass die vorliegend angegriffenen Inhalte nicht aufgrund eines Verbotes generell nicht hätten in das Internet eingestellt werden dürfen. Denn als an die Fachkreise gerichtete Darstellung der Leistung der Beklagten genügt eine Zugriffskontrolle, um den von dem HWG bezweckten Schutz des Publikums zu gewährleisten. Indes erscheint fraglich, ob mit der beschriebenen Art und Weise der unkontrollierten Passwortvergabe der Schutzzweck erreicht werden kann.Abs. 33
Unter Berücksichtigung der dargelegten Umstände erschien es aus Sicht der Klägerin konsequent, die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen. Denn die technische Umsetzung der Zugangskontrolle war schon nach ihrer Anlage nicht geeignet sicherzustellen, dass auch Personen, die nicht den Fachkreisen im Sinne von § 2 HWG zugerechnet werden können, auf die von den Beklagten in das Internet eingestellten Inhalte zugreifen können. Im Gegenteil war die Abfrage von Daten vor der Passwortvergabe gerade darauf ausgelegt, auch Personen, die nicht den Fachkreisen zuzurechnen sind, den Zugriff auf diese Daten einzuräumen. Es wäre vielmehr damit zu rechnen gewesen, dass durch die Gestaltung des Abfrageformulars eben jener Personenkreis bereits von der Beantragung eines Passwortes hätte abgehalten werden sollen. Dass dies nicht der Fall war, ist nicht zuletzt durch die drei der Klage zugrunde liegenden Fälle belegt, in denen Antragstellern auch mit der Angabe des Schlagwortes "Privatperson" bzw. "Sonstiges" ein Passwort zugeteilt wurde.Abs. 34
b) Wenn das OLG vorliegend eine kontrollierte Passwortvergabe im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht für erforderlich erachtet hat, begegnet dies sachlichen Bedenken. Zwar soll nicht bestritten werden, dass die von den Beklagten in das Internet eingestellten Inhalte in aller Regel tatsächlich nur von solchen Personen wahrgenommen werden, die sich gezielt auf die Suche nach Informationen der Art, wie sie die Beklagten einstellten, begeben haben. Dies mag auch zugestandenermaßen in erster Linie ein fachkundiges Publikum sein. Abs. 35
Der Schutzzweck des HWG, nämlich den auf dem Fachgebiet des Werbenden Unkundigen vor einer Gesundheitsgefahr durch die fehlerhafte Anwendung des beworbenen Heilmittel aufgrund einseitiger Beeinflussung zu schützen, kann nur dadurch sichergestellt werden, dass diesem Unkundigen der Zugriff auf solche Inhalte des Internet, die nach dem HWG einem Fachpublikum vorbehalten sind, generell versagt wird. Dies ist schon aufgrund der weit höheren Schutzbedürftigkeit desjenigen, der nicht den Fachkreisen im Sinne von § 2 HWG zugerechnet werden kann, erforderlich.Abs. 36
Die technische Umsetzung der Zugriffskontrolle durch die unkontrollierte Passwortvergabe allein wird dem durch § 11 Abs. 1 Nr. 1 HWG normierten besonderen Schutzbedürfnis der Nicht-Fachkreise nicht gerecht. Zwar haben die Beklagten durch diese Verfahrensweise nicht die von ihnen abgegebene Unterlassungserklärung verletzt. Denn hierin hatten sich die Beklagten lediglich verpflichtet "nicht für jedermann zugänglich" im Sinne von "ohne Angabe eines Passwortes" im Internet in einer bestimmten Weise zu werben. So war dieses vertraglich gesetzte Kriterium vorliegend erfüllt. Denn die über die Passwortvergabe hinausgehende Verpflichtung, die Angaben eines Antragstellers einer weiteren Überprüfung zuzuführen, ist dieser Vereinbarung nicht zu entnehmen.Abs. 37
Eine solche Verpflichtung ergibt sich jedoch direkt aus § 11 Abs. 1 Nr. 1 HWG. Denn hierin ist bestimmt, dass eine Werbung in der beschriebenen Weise nur innerhalb der Fachkreise zulässig ist. Hierin immanent ist die Verpflichtung des Werbenden sicherzustellen, dass seine Werbung auch lediglich die Fachkreise erreicht. Ließe man einen Zugriff auch von Personen zu, die nicht den Fachkreisen angehören, liefe der Schutzzweck des HWG letztendlich leer. Durch den Umstand, dass das HWG zwischen einem fachkundigen und einem fachunkundigem Publikum differenziert, sind die Rechte des Werbenden an einer im Übrigen auch grundrechtlich geschützten Selbstdarstellung auch im Internet ausreichend gewahrt.Abs. 38
Hieran ändert die Erwägung des OLG, dass es sich bei den von der Klägerin beanstandeten Inhalten nicht um per se verbotene Inhalte oder personenbezogene Daten handele und eine kontrollierte Passwortvergabe deshalb nicht erforderlich gewesen sei, nichts. Wie bereits dargelegt, konnten die Beklagten durchaus mit den entsprechenden Inhalten im Internet werben. Eines Vergleiches mit dem Jugendschutzgesetz oder dem Bankgeheimnis hätte es insoweit nicht bedurft. Jedoch erfordert hier allein der Schutzzweck aus § 11 Abs. 1 Nr. 1 HWG schon den sicheren Ausschluss von Personen, die nicht den Fachkreisen im Sinne von § 2 HWG zugerechnet werden können. Dies hätte es zumindest erfordert, den Antragstellern, die bei der Abfrage der persönlichen Daten die Schlagworte "Privatperson" bzw. "Sonstiges" angegeben haben, die Zuteilung eines Passwortes unter Hinweis auf das einschlägige Werbeverbot zu versagen. Diese Zugangsverweigerung hätte sich sicherlich auch automatisieren lassen, so dass der Aufwand sich in sehr überschaubaren Grenzen gehalten hätte.Abs. 39

IV. Fazit:

Nach der hier vertretenen Auffassung wäre das Urteil des OLG München als Fehlurteil zu bezeichnen. Denn es basiert m.E. auf einem unzutreffenden Ergebnis der Abwägung zwischen dem grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Selbstdarstellungsrecht des Werbenden und dem Schutzziel des § 11 Abs. 1 Nr. 1 HWG. So wäre den Beklagten in dem vorliegenden Rechtsstreit die Einstellung der in Rede stehenden Inhalte - in Übereinstimmung mit der Entscheidung des OLG - nicht grundsätzlich zu verwehren gewesen. Jedoch hätte gefordert werden müssen, dass technisch sichergestellt wird, dass die betreffenden Inhalte ausschließlich von Angehörigen der Fachkreise im Sinne von § 2 HWG eingesehen werden können und sei es nur durch die angesprochene automatische Überprüfung des bei der Abfrage des Berufs vom Antragsteller angegebenen Schlagwortes. Nur auf diese Weise entsteht keine Lücke in dem mit der Werbebeschränkung aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG in den Nicht-Fachkreisen bezweckten Schutz vor Gesundheitsgefahren. Die von den Beklagten ergriffene Maßnahme der unkontrollierten Passwortvergabe ist nicht geeignet, dieses Erfordernis zu erfüllen.Die Forderung der kontrollierten Passwortvergabe wäre im Ergebnis daher durchaus im Rahmen dessen, was vom Werbenden unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abverlangt werden konnte. Ein unzulässiger Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht zur Selbstdarstellung oder der Berufsausübung wird hierdurch nicht vorliegen.
JurPC Web-Dok.
138/2005, Abs. 40

Fußnoten:

(1) BGH, GRUR 1992, 873
(2) BGH, GRUR 1995, 223
(3) So z.B. BGH a.a.O., m.w.N.
(4) BGH, GRUR 1992, 873
(5) Mand, WRP 2003, 192, 195
(6) LG Berlin MMR, 2001, 249, 251
(7) Mand, WRP 2003, 192, 201 f.
(8) Mand, WRP 2003, 192 m.w.N.
(9) BGH, GRUR 1995, 223
(10) BGH, GRUR 1992, 873
(11) BGH, a.a.O.
(12) BGH, GRUR 1995, 223
(13) Mankowski, GRUR-INT 1999, 909
(14) Mankowski, a.a.O.
(15) Mankowski, a.a.O.
(16) OLG München, Urteil v. 13.01.2005 - 6 U 2773/04, II 2.2., Seite 8 = JurPC Web-Dok. 61/2005 .
(17) BVerfG, Beschluss vom 30.04.2004 - 1 BvR 2334/03.
(18) BGH, Urteil vom 9.10.2003 - I ZR 167/01 = WRP 2004, 221
(19) BVerfG, Beschluss vom 30.04.2004 - 1 BvR 2334/03, II. 2. a) bb) m.w.N.
(20) Vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.08.2000 - 1 BvR 254/99
*  Michael Weller ist zur Zeit Rechtsreferendar im Bezirk des Saarländischen Oberlandesgerichts und wurde in der Wahlstation auf seinen Wunsch dem Institut für Rechtsinformatik zugewiesen. In erster Linie betreut er dort gemeinsam mit Frau Daniela Freiheit das remus-Projekt (http://remus.jura.uni-saarland.de). Daneben ist er seit 2001 Mitglied der Redaktion des Juristischen Internetprojekts (www.jura.uni-sb.de) und seit einigen Wochen auch des LAWgical (http://lawgical.jura.uni-saarland.de). Seit Mai 2003 betreibt er das freie juristische Internetprojekt ec-basics.de (www.ec-basics.de ) zu rechtlichen Fragen des Vertragsschlusses via Internet.
[online seit: 11.11.2005]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Weller, Michael, Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 13.01.2005, Az.: 6 U 2773/04 (= JurPC Web-Dok. 61/2005) - JurPC-Web-Dok. 0138/2005