| OLG Rostock | |
| Beschluss vom 03.04.2024 | |
| 7 U 2/24 | |
| Beweis des Zugangs einer einfachen E-Mail | |
| JurPC Web-Dok. 59/2024, Abs. 1 - 5 | |
|
| |
| Leitsatz (der Redaktion): |
| Für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang einer feststehendermaßen abgesandten (einfachen, insbesondere ohne Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelten) E-Mail ist keine Grundlage ersichtlich. Es entspricht der Auffassung insbesondere auch der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass für den Zugang einer einfachen E-Mail allein aufgrund des feststehenden Absendens, auch in Verbindung mit dem feststehenden Nichterhalt einer Unzustellbarkeitsnachricht auf Seiten des Absenders, kein Anscheinsbeweis streitet. |
| Gründe: | |
| Die statthafte und auch sonst zulässige Berufung weist in der Sache keine Erfolgsaussicht auf. Weder ist das Beweisaufnahmeergebnis erster Instanz abweichend vom Landgericht dahingehend zu würdigen, dass die Parteien doch den von der Klägerin behaupteten (fern-) mündlichen Vertrag geschlossen hätten, bzw. bestehen Zweifel an der Richtigkeit der Beweiswürdigung des Landgerichts, noch würde ein entsprechender Vertrag mit dem behaupteten Inhalt nach den Grundsätzen über das kaufmännische Bestätigungsschreiben als geschlossen gelten. | Abs. 1 |
| 1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen Bedenken. Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der vom Landgericht getroffenen Feststellungen i.S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bestehen, auch bei Zugrundelegung eines grundsätzlich gebotenen großzügigen Maßstabes, wonach es für die Bejahung von Zweifeln ausreicht, dass eine gewisse – nicht notwendigerweise überwiegende – Wahrscheinlichkeit für eine Unvollständigkeit bzw. Unrichtigkeit streitet (Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 529 Rn. 8; BeckOK ZPO/Wulf, 51. Edition – 01.12.2023, § 529 Rn. 8 f., m.w.N.), nicht. Die Einschätzung des Landgerichts (UA Seiten 5 f.), es könne in Anbetracht des Fehlens einer Erinnerung an das konkrete (Fern-) Gespräch jedenfalls nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die Fertigung und Versendung des vermeintlichen Vertrags- bzw. Bestätigungsschreibens durch den Zeugen … im Nachgang zu dem streitbegriffenen Telefonat schlicht auf einem Missverständnis des Gesprächsinhalts beruhen, die Beklagte also ggf. tatsächlich – jedenfalls nicht ausschließbar – nur eine Preisanfrage formuliert haben und damit belastbare Rückschlüsse auf den Gesprächsinhalt nicht gezogen werden könnten, erscheint mindestens nachvollziehbar und wird auch durch die Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht erschüttert. Letztlich hat der Zeuge … die Frage, ob er ein Missverständnis ausschließen könne, auch nicht bzw. nur ausweichend beantwortet (…). | Abs. 2 |
| 2. Auch auf die Grundsätze des kaufmännischen Bestätigungsschreibens kann die Klägerin sich nicht mit Erfolg stützten. Dieser hilfsweise Argumentationsstrang der Klägerin scheitert jedenfalls daran, dass nach Beweislastgrundsätzen nicht von dem beklagtenseits bestrittenen Zugang (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB) des vermeintlichen Bestätigungsschreibens ausgegangen werden kann. Die Beweislast für den Zugang liegt – darüber besteht im Ausgangspunkt auch zwischen den Parteien Konsens – bei der Klägerin. Dabei kommt der Klägerin die von ihr reklamierte Beweiserleichterung eines Anscheinsbeweises nicht zu Gute. Taugliche Beweisantritte liegen nicht vor. | Abs. 3 |
| a) Für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang einer feststehendermaßen abgesandten (einfachen, insbesondere ohne Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelten) E-Mail sieht der Senat keine Grundlage. Die von der Klägerin für ihren gegenteiligen Standpunkt zuletzt in der Berufungsbegründung zitierte instanzgerichtliche Entscheidung (AG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.10.2008 – 30 C 730/08, BeckRS 2009, 5792), die einen Anscheinsbeweis bejaht hat, ist vereinzelt geblieben und hat sich nicht durchgesetzt. Hierauf hat bereits die Beklagte in der Berufungserwiderung unter Fundstellenangabe zutreffend hingewiesen. Es entspricht in der (insbesondere auch obergerichtlichen) Rechtsprechung sowie im Kommentarschrifttum nahezu einhelliger Auffassung, dass für den Zugang einer (im vorbezeichneten Sinne einfachen) E-Mail allein aufgrund des Feststehenden Absendens, auch in Verbindung mit dem feststehenden Nichterhalt einer Unzustellbarkeitsnachricht auf Seiten des Absenders, kein Anscheinsbeweis streitet (etwa: OLG Hamm, Beschluss vom 10.08.2023 – I-26 W 13/23 (Juris; Tz. 5 ff.); LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.08.2018 – 2 Sa 403/18 (Juris; Tz. 39); LAG Köln, Urteil vom 11.01.2022 – 4 Sa 315/21, MDR 2022, 392 (Juris; Tz. 58 f.); LG Hagen, Beschluss vom 31.03.2023 – 10 O 328/22 (Juris; Tz. 9); Erman/Arnold, BGB, 17. Aufl. 2023, § 130 Rn. 33; jurisPK-BGB/Reichold, 10. Aufl. 2023 (Stand: 15.05.2023), § 130 Rn. 65; Staudinger/Singer/Benedict, BGB, Neubearbeitung 2021, § 130 Rn. 110; BeckOK IT-Recht/Borges, 13. Edition – 01.05.2021, BGB § 130 Rn. 58; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 130 Rn. 21; BeckOGK BGB/Gomille, Stand: 01.09.2022, § 130 Rn. 135, m.w.N.). Diese Auffassung teilt auch der Senat. Der Zugang mag unter den genannten Voraussetzungen – sofern sie ihrerseits unbestritten oder erwiesen sind und damit prozessual feststehen – „die Regel“ darstellen, ist aber letztlich jedenfalls unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen (noch) nicht in einem Maße typisch, dass die Bejahung einer prima-facie-Beweiserleichterung gerechtfertigt wäre. | Abs. 4 |
| b) Soweit die Klägerin zum Beweis des E-Mail-Zugangs bei der Beklagten auf eine Vorlage bzw. Offenlegung der gesamten elektronischen Posteingänge der Beklagten im hier interessierenden Zeitraum durch die Beklagte verweist, war und ist diesem Beweisantritt nicht nachzugehen. Nicht anders als in der „analogen“ Welt, in der ein Zugangsnachweis in einem Zivilprozess unstreitig nicht dadurch geführt werden könnte, dass die Briefkästen oder gar Wohn- und Geschäftsräume des vermeintlichen Empfängers umfassend auf den in Rede stehenden Brief „durchforstet“ werden und der Prozessgegner diese Maßnahme zu dulden bzw. an ihr gar aktiv mitzuwirken hätte, kann der Beweis des Zugangs einer E-Mail nicht dadurch erbracht werden, dass der vermeintliche Adressat selbst seinen E-Mail-Account mit dem virtuellen Posteingangskorb und ggf. weiteren Ablageordnern („Gelöschte Elemente“ o.ä.) zu Beweiszwecken gleichsam zur Verfügung stellen müsste (auch nicht indirekt im Rahmen einer sachverständigen Begutachtung; LG Duisburg, Beschluss vom 28.06.2010 – 12 S 67/10, RRa 2011, 25 (Juris; Tz. 10)). Ob für die Beklagte hinsichtlich des in Rede stehenden (E-Mail-) Schreibens eine steuer- oder handelsrechtliche Aufbewahrungspflicht bestanden hätte, spielt insoweit keine Rolle. Unabhängig hiervon bieten für eine entsprechende Beweisführung weder die §§ 371 ff. ZPO noch die §§ 142 ff. ZPO eine Grundlage. Die Klägerin selbst hat auch keine rechtliche Grundlage für ihren Beweisantritt benannt (…). | Abs. 5 |
|
| |
| (online seit: 16.04.2024) | |
| Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs. | |