JurPC Web-Dok. 39/2024 - DOI 10.7328/jurpcb202439340

VG Neustadt (Weinstraße)

Urteil vom 13.12.2023

3 K 156/23.NW

Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung einer Klage auch für den Rat einer Gemeinde

JurPC Web-Dok. 39/2024, Abs. 1 - 34


Leitsätze:

1. Die Organe der juristischen Person Gemeinde unterliegen denselben Pflichten, wie die juristische Person selbst.

2. Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Übermittlung trifft auch den Ortsgemeinderat als Kläger.

3. Es besteht die Obliegenheit der Organe der Ortsgemeinde, die Verbandsgemeindeverwaltung, deren professionelle Expertise und gegebenenfalls auch deren Verwaltungsausstattung einzubeziehen, um ihre Angelegenheiten zu regeln und beispielsweise den formellen Anforderungen an eine Klageerhebung zu genügen.

4. Der Verbandsgemeindeverwaltung ist es verwehrt, gegen die Beschlüsse der Ortsgemeinde zu handeln, auch wenn diese sich gegen eine Maßnahme des Bürgermeisters der Verbandsgemeinde richten, der zugleich Leiter der Verbandsgemeindeverwaltung ist.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Aussetzung von Ratsbeschlüssen des Klägers.Abs. 1
Der Kläger ist der Gemeinderat der Ortsgemeinde Dirmstein, die in der Verbandsgemeinde Leiningerland liegt, welche wiederum im Landkreis Bad Dürkheim liegt.Abs. 2
Die Ortsgemeinde Dirmstein hat für die Straßenbeleuchtung einen Vertrag mit der Energiegenossenschaft Dirmstein geschlossen. Nach diesem Vertrag betreibt diese Energiegenossenschaft – im Folgenden: EGD – die Straßenbeleuchtung. Soweit es sich aus dem Schreiben von Bl. 47, 48 Behördenakte – BA – ergibt, läuft dieser Vertrag noch bis ins Jahr 2024.Abs. 3
In den Jahren 2018 und 2019 hat der Kläger beschlossen, in bestimmten Straßen des Gemeindegebietes die Straßenbeleuchtung auf neue LED-⁠Technik umzurüsten. Wie sich aus der Niederschrift über die Sitzung des Ortsgemeinderates vom 22. August 2018 und vom 3. April 2019 (Bl. 103 ff. Gerichtsakte – GA –) ergibt, sollten für die Umrüstung keine Ausbaubeiträge fällig werden. Ebenso sollte eine Umrüstung im Jahr 2020, wiederum ohne Erhebung von Ausbaubeiträgen, stattfinden. Eine Änderung der Beschlüsse über die Nichterhebung von Ausbaubeiträgen lehnte der Ortsgemeinderat mit Beschluss vom 7. Dezember 2022 ab.Abs. 4
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2022 hat der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Leiningerland – unter Bezugnahme auf eine Sitzungsvorlage vom 7. Dezember 2022 ⁠– die Beschlüsse des Klägers vom 22. August 2018, TOP 2, vom 3. April 2019 und vom 7. Dezember 2022 ausgesetzt, da sie rechtswidrig seien und gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verstießen, insbesondere gegen den Einnahmebeschaffungsgrundsatz. Zur Begründung führte er aus:Abs. 5
Die Ortsgemeinde Dirmstein rüste seit Jahren auf energiesparende LED-⁠Beleuchtungstechnik um. Für die Straßenbeleuchtung in der H… und der B… seien 2018 (abzüglich eines Gemeindeanteils von 35 %) 18.747,71 € ausgezahlt worden. 2020 seien für die G… Straße, O… Straße, M… und ….-Straße (wiederum abzüglich eines Gemeindeanteils von 35 %) 15.887,20 € aufgewendet worden. Hinzu kämen Aufwendungen für den Ausbau der …. im Jahr 2021 in Höhe von 1.639,20 €. Die gewichtete Gesamtverteilungsfläche belaufe sich auf 927.995 qm. Zudem beabsichtige die Gemeinde weitere Straßen umzurüsten. Die Gemeinde sei nach § 10a Abs. 1 Kommunalabgabengesetz – KAG – verpflichtet, für den Ausbau von Verkehrsanlagen Ausbaubeiträge zu erheben. Die oben genannten Beschlüsse des Ortsgemeinderates verstießen gegen das KAG und die Beitragssatzung. Eine Abgabenerhebungspflicht ergebe sich auch aus § 94 Abs. 2 Gemeindeordnung – GemO –. Ausnahmen von dieser Abgabenerhebungspflicht seien dort abschließend geregelt. Die Erhebung von Ausbaubeiträgen falle nicht unter diese Ausnahmen. Ausbaubeiträge seien für alle Maßnahmen an Verkehrsanlagen, die der Erneuerung, der Erweiterung, dem Umbau oder Verbesserung dienten, zu erheben. Auch die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED-Technik sei eine beitragsfähige und damit beitragspflichtige Maßnahme. In der Ortsgemeinde Dirmstein stehe die Straßenbeleuchtung im Eigentum der EGD. Die Einrichtung sei bisher ohne direkte Gegenleistung der Grundstückseigentümer errichtet und instandgehalten, ergänzt und verbessert worden. Die Anlieger hätten keine Erschließungs- und/oder Ausbaubeiträge leisten müssen. Es handle sich daher unabhängig vom Alter um eine beitragsfähige Erneuerungsmaßnahme. Die Ortsgemeinde Dirmstein habe seit Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt verabschiedet. Aus der Verpflichtung zum Haushaltsausgleich, § 93 Abs. 4 GemO, folge, dass die Ortsgemeinde gesetzlich verpflichtet sei, alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Haushaltsausgleich schnellstmöglich zu erreichen. Die Gemeinde müsse daher alle Einnahmequellen ausschöpfen.Abs. 6
In der Sitzung vom 11. Januar 2023 zur Vorlagennummer 2022/2659 hat der Ortsgemeinderat sich dagegen entschieden, die Beschlüsse, welche der Bürgermeister der Verbandsgemeinde beanstandet hatte, aufzuheben. In der Folge wurde das Verfahren an die Kreisverwaltung Bad Dürkheim als Kommunalaufsichtsbehörde weitergeleitet.Abs. 7
Mit Bescheid vom 27. Januar 2023 hat der Beklagte die Entscheidung des Bürgermeisters der Verbandsgemeinde Leiningerland vom 22. Dezember 2022 bestätigt. Die Ortsgemeinde Dirmstein habe in zahlreichen Straßen die Beleuchtung auf energiesparende LED-Beleuchtungstechnik umgerüstet. Aufgrund von § 10a Abs. 1 KAG sei die Ortsgemeinde verpflichtet, für den Ausbau von Verkehrsanlagen Ausbaubeiträge zu erheben. Dazu gehöre auch die Straßenbeleuchtung. Dies sehe die Ausbaubeitragssatzung vor, welche am 9. November 2022 rückwirkend zum 1. ⁠Januar 2018 beschlossen worden sei. Die Beschlüsse des Ortsgemeinderates verstießen gegen das KAG und die Abgabensatzung. Die Abgabenerhebungspflicht ergebe sich aus § 94 Abs. 2 GemO. Der Austausch der kompletten Lampenköpfe und Vorschaltgeräte stelle einen beitragsfähigen Aufwand in Gestalt der Erneuerung einer Teileinrichtung der Straße dar. Man habe in Dirmstein nicht nur die Leuchtenköpfe einschließlich der Vorschaltgeräte, sondern darüber hinaus auch die Verkabelung im Leuchtenmast ausgetauscht. Die Straßenbeleuchtung sei bisher ohne direkte Gegenleistung der Grundstückseigentümer errichtet und instandgehalten, ergänzt und verbessert worden. Da sich die Anlieger in der Vergangenheit nicht an den Kosten der demontierten Teilanlagen hätten beteiligen müssen bzw. dafür keine Erschließungs- und/oder Ausbaubeiträge erhoben worden seien, handle es sich nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz – unabhängig vom Alter der demontierten Anlage – um eine beitragsfähige Erneuerungsmaßnahme. Zudem habe die Ortsgemeinde Dirmstein seit Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt und habe daher die Verpflichtung zum Haushaltsausgleich. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides umfasste u. a. folgende Passage: „Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Zustellung Klage beim Verwaltungsgericht in Neustadt an der Weinstraße, Robert-⁠Stolz-Straße 20, 67433 Neustadt, schriftlich, nach Maßgabe des § 55a VwGO durch Einreichung eines elektronischen Dokuments oder zu Protokoll der Urkundsbeamtin oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden. Der in § 55d VwGO genannte Personenkreis muss Klagen grundsätzlich elektronisch einreichen.“Abs. 8
Dieser Bescheid wurde gegen Empfangsbekenntnis am 27. Januar 2023 der Verbandsgemeindeverwaltung Leiningerland zugestellt. Der Bürgermeister der Ortsgemeinde Dirmstein hat in der Klageschrift bestätigt, dass auch dem Gemeinderat dieser Bescheid am 27. Januar 2023 zugegangen ist.Abs. 9
In der Sitzung vom 22. Februar 2023 verblieb der Kläger bei seinen früheren Beschlüssen und beschloss eine Anwaltskanzlei mit der Klageerhebung zu beauftragen.Abs. 10
Mit Schreiben vom 23. Februar 2023, bei Gericht eingegangen am 24. Februar 2023, hat der Bürgermeister der Ortsgemeinde Dirmstein im Namen des Ortsgemeinderates Klage gegen die Bestätigung der Aussetzung von Beschlüssen nach § 42 GemO erhoben. Dabei handelte es sich um ein einfaches Schreiben mit dem Wappen der Gemeinde und überschrieben mit „Der Bürgermeister der Ortsgemeinde Dirmstein/Pfalz“ und war unterzeichnet durch den Bürgermeister der Ortsgemeinde Dirmstein.Abs. 11
Der Bevollmächtigte des Klägers bestellte sich mit Schriftsatz vom 9. März 2023 und begründete die Klage mit Schriftsatz vom 23. März 2023. Richtige Klägerin sei die Ortsgemeinde. Zwar habe die Ortsgemeinde Dirmstein eine Ausbaubeitragssatzung, es bestehe jedoch im konkreten Fall keine Abgabenerhebungspflicht. Die Erneuerung könne erst nach Ablauf der üblichen Nutzungsdauer erfolgen. Die für die Straßen geltenden Grundsätze seien auf die Straßenbeleuchtung anzuwenden. Die Umrüstung sei keine beitragsfähige Instandsetzung. Zudem seien nur Teile, nämlich die Lampenköpfe mit Vorschaltgerät und die Verkabelung ausgetauscht worden. Ein Austausch der Masten und der übrigen Teile sei nicht erfolgt. Die Masten als Träger der Einrichtung seien jedoch von entscheidender Bedeutung. Eine Erheblichkeit beim Wechsel der Lampen sei nicht zu erkennen. Die Nutzungsdauer sei noch nicht abgelaufen. Die Umrüstung sei innerhalb der normalen Lebensdauer erfolgt. Dass die Anlieger in der Vergangenheit nicht zu den Kosten für die Herstellung herangezogen worden seien, sei insofern unerheblich. Die LED-Technik führe bereits nach sechs bis acht Jahren zur Amortisation wegen besserer Effizienz. Werde lediglich umgerüstet, sei kein straßenbaurechtlicher Grund für die Beitragserhebung zu erkennen. Eine beitragspflichtige Verbesserung sei nicht eingetreten. Die Einnahmebeschaffung könne auch nur erfolgen, wenn dies aufgrund satzungsrechtlicher Grundlage möglich sei, vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG. Auch bei einem defizitären Haushalt bestehe die Verpflichtung zur Erhebung von Beiträgen nur dann, wenn dies möglich sei. Da weder eine Verbesserung noch eine Erneuerung vorliege, könne eine Beitragserhebung nicht erfolgen. Eine bessere Ausleuchtung sei irrelevant. Ansonsten wäre jede Ausbaumaßnahme eine Verbesserung und kein Anwendungsbereich für die Erneuerung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 ABS eröffnet. Unerheblich sei darüber hinaus, dass die Lampen für die bisherige Anlage nicht mehr erhältlich seien. Die eingesparten Stromkosten könnten genutzt werden, um die Umrüstung zu refinanzieren.Abs. 12
Der Kläger beantragt,Abs. 13
den Bescheid des Beklagten vom 27. Januar 2023 aufzuheben.Abs. 14
Der Beklagte beantragt,Abs. 15
die Klage abzuweisen.Abs. 16
Er trägt vor, dass die Beschlüsse des Gemeinderates gegen den Einnahmebeschaffungsgrundsatz des § 94 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GemO verstießen. Nach § 1 Abs. 1 KAG sei auch der wiederkehrende Beitrag für den Ausbau von Verkehrsanlagen zu erheben. Die Satzung sei rückwirkend zum 1. Januar 2018 in Kraft getreten. § 94 Abs. 2 Satz 1 GemO verpflichte die Gemeinden zur Einnahmebeschaffung. Die Abgaben, die auf satzungsrechtlicher Grundlage erhoben werden könnten, seien zu erheben. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der Haushalt einen Fehlbetrag aufweise, was bei dem Kläger der Fall sei. Die Umstellung auf LED-Technik sei eine Verbesserung der Verkehrsanlage nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 ABS. Die Erneuerung der Anlage sei erfolgt, da die gesamten Lampenköpfe ausgewechselt, ein neues Vorschaltgerät eingebaut und die Verkabelung getauscht worden seien. Man könne nicht von einer geringfügigen Maßnahme ausgehen. Es liege eine ausbaubeitragsfähige Erneuerung vor. Zudem könnten die Lampen, die zuvor verwendet worden seien, nicht mehr verwendet werden. Diese seien nicht mehr erhältlich. Es habe sich dabei um Quecksilberdampflampen gehandelt, die aufgrund der europarechtlichen Vorgaben – der EUP-Richtlinie 2005/32/EG und ihrer Anpassung durch die ERP-Richtlinie 2009/125/EG sowie durch die WEEE-Richtlinie 2012/19/EU und der RoHS-2011/65/EU – und deren Umsetzung in das deutsche Recht nicht mehr erhältlich seien. Daher sei die technische Lebensdauer abgelaufen. Unerheblich sei, dass die Gemeinde nicht Eigentümerin der Lampen sei. Für die Qualifizierung der Erneuerungsmaßnahme seien die eigentumsrechtlichen Fragen unerheblich. Ausschlaggebend sei nur, dass die Gemeinde für die Erneuerung zahlen müsse.Abs. 17
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen verwiesen. Ferner wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.Abs. 18

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unzulässig, da sie nicht wirksam erhoben wurde.Abs. 19
Die Klage des Gemeinderates der Ortsgemeinde Dirmstein hätte elektronisch erhoben werden müssen, §§ 55a, 55d Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –. Die Klageerhebung vom 24. Februar 2023, durch einen Brief, ist damit unwirksam (BT-Drs. 17/12634, S. 27; OVG RP, Beschluss vom 8. August 2022 – 8 A 10330/22 –, juris, Rn. 5 m. w. N.; zur Parallelvorschrift des § 130d ZPO etwa OLG Frankfurt, Beschluss vom 27. Juli 2022 – 26 W 4/22 –, juris, Rn. 11).Abs. 20
Nach § 55a Abs. 1 VwGO können vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten sowie schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden. Dabei sind gemäß § 55d Satz 1 VwGO vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln.Abs. 21
Diese aktive Nutzungspflicht der elektronischen Übermittlung trifft auch den Ortsgemeinderat als Kläger.Abs. 22
Vorliegend wehrt sich der Ortsgemeinderat gegen eine Aussetzung seiner Beschlüsse durch den Bürgermeister der Verbandsgemeinde und einer Bestätigung dieser Aussetzung durch die Kommunalaufsichtsbehörde.Abs. 23
Dabei agiert der Gemeinderat aus eigenen Rechten (vgl. dazu OVG RP, Urteil vom 12. September 1995, 6 A 11146/95.OVG – esovg; § 42 Abs. 2 Satz 2 Gemeindeordnung – GemO –). Dennoch ist er Organ der Gemeinde (§ 28 Abs. 1 Satz ⁠1 GemO), welches zusammen mit dem Bürgermeister die Gemeinde verwaltet (§ ⁠Abs. 1 Satz 2 GemO). Die Ortsgemeinde selbst ist eine Gebietskörperschaft (§ ⁠1 Abs. 2 Satz 1 GemO) und als solche eine juristische Person des öffentlichen Rechts (vgl. dazu Dietlein, in PdK RhPf B-1, § 1 GemO Nr. 5.1, Stand: September 2013). Da die juristische Person durch ihre Organe handelt, unterliegen diese den selben Pflichten, wie die juristische Person selbst.Abs. 24
Soweit der Kläger auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 13. September 2023 – 3 K 2809/23 –, juris, Rn. 3, verweist, wonach nur „professionelle Einreicher“, d. h. nur die Behörde oder juristische Person des öffentlichen Rechts als solche, nicht aber Organe oder Organteile, zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet sind, vermag die damit erkennbar angenommene Ausnahme für ehrenamtliche Organe der Gemeinde von der aktiven Nutzungspflicht der elektronischen Kommunikation mit dem Gericht nicht zu überzeugen.Abs. 25
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass in Rheinland-Pfalz weit überwiegend Ehrenamtliche die kommunalen Gremien und die Bürgermeister stellen und daher zunächst angenommen werden könnte, dass es sich nicht um „professionelle Einreicher“ handle. Allerdings negiert diese Annahme, dass sich die Ortsgemeinden und ihre Organe – mithin die dahinterstehenden natürlichen Personen – jederzeit der Verbandsgemeindeverwaltung bedienen können, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Dabei ist die Verbandsgemeindeverwaltung an die Beschlüsse der Organe der Ortsgemeinden gebunden und führt die Verwaltungsgeschäfte im Auftrag der Ortsgemeinden (§ ⁠Abs. 1 Satz 1 GemO). Auch wenn sich der Gemeindeordnung keine Pflicht entnehmen lässt, dass die Ortsgemeinde zwingend die Dienste der Verbandsgemeindeverwaltung in Anspruch nehmen muss, so lässt sich zumindest daraus eine Obliegenheit ableiten, dass die Organe der Ortsgemeinde die Verbandsgemeindeverwaltung, deren professionelle Expertise und gegebenenfalls auch deren Verwaltungsausstattung einbeziehen, um ihre Angelegenheiten zu regeln und beispielsweise den formellen Anforderungen an eine Klageerhebung zu genügen. Dies lässt sich auch aus der in § 33 GemO eröffneten Möglichkeit des Gemeinderates, sich jederzeit durch den Bürgermeister informieren zu lassen, ableiten. Unterlassen die Organe dies jedoch, können sie sich nicht darauf zurückziehen, dass sie als Ehrenamtliche bzw. als Organ der Gemeinde, keine „professionellen Einreicher“ seien.Abs. 26
Darüber hinaus enthält die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 27. Januar 2023 einen Hinweis auf § 55d VwGO und die daraus resultierende Nutzungspflicht der elektronischen Kommunikation durch den dort genannten Personenkreis, wodurch der Kläger über die Notwendigkeit der elektronischen Einreichung unterrichtet war. Dies hätte ihn zur Inanspruchnahme der Expertise der Verbandsgemeindeverwaltung veranlassen müssen.Abs. 27
Dem Umstand, dass der Ortsgemeinderat im vorliegenden Fall ein eigenes Klagerecht besitzt und die Gemeinde nicht durch die Verbandsgemeinde vertreten wird (vgl. dazu OVG RP, Urteil vom 12. September 1995, 6 A 11146/95.OVG – esovg und § 42 Abs. 2 Satz 2 GemO) steht dem nicht entgegen. Der Gemeinderat kann sich, auch wenn der Bürgermeister der Verbandsgemeinde die Beanstandung vorgenommen hat, trotzdem der Verbandsgemeindeverwaltung bedienen. Es ist nicht dargelegt oder sonst ersichtlich, dass dies dem Gemeinderat – unter Beachtung des zuvor Gesagtem – unzumutbar wäre. Insbesondere ist es der Verbandsgemeindeverwaltung verwehrt, gegen die Beschlüsse der Ortsgemeinde zu handeln, auch wenn diese sich gegen eine Maßnahme des Bürgermeisters der Verbandsgemeinde richten, der zugleich Leiter der Verbandsgemeindeverwaltung (§ 64 Abs. 3 Satz 1 GemO) ist.Abs. 28
Darüber hinaus würde eine Unterscheidung in „professionelle Anwender“ und „nichtprofessionelle Anwender“ (wohl) dazu führen, dass Gemeinden, die einen hauptamtlichen Bürgermeister oder Beigeordneten haben, der den Vorsitz im Gemeinderat führt (§ 36 Abs. 1 Satz 1 GemO) an die Vorschriften der §§ 55a ff. VwGO gebunden wären, die anderen Gemeinden jedoch nicht. Eine solche Differenzierung lässt sich jedoch weder der Verwaltungsgerichtsordnung noch der Gemeindeordnung entnehmen. Sie wäre auch mit Blick auf die weitgehende Anwendbarkeit der Regelungen der Gemeindeordnung sowohl auf die Verbands- als auch auf die Ortsgemeinden systemwidrig.Abs. 29
Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO zu gewähren.Abs. 30
Der Bevollmächtigte des Klägers wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 10. November 2023 (Bl. 145, 146 Gerichtsakte – GA –) auf die nicht ordnungsgemäße Klageerhebung hingewiesen. Dieses Schreiben wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses (Bl. 146a GA) noch am selben Tag zugestellt. Innerhalb der Frist von zwei Wochen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) wurde jedoch kein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. In dem Schreiben vom 23. November 2023 ist ein solcher Antrag nicht enthalten. Wiedereinsetzungsgründe sind dessen ungeachtet weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.Abs. 31
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO –.Abs. 32
BeschlussAbs. 33
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15.000,00 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).Abs. 34

(online seit: 12.03.2024)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Neustadt (Weinstraße), VG, Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung einer Klage auch für den Rat einer Gemeinde - JurPC-Web-Dok. 0039/2024