JurPC Web-Dok. 38/2024 - DOI 10.7328/jurpcb202439339

VG Weimar

Urteil vom 13.09.2023

4 K 145/23 We

Unverzügliche Glaubhaftmachung eines technischen Defekts (§ 55d Sätze 3 und 4 VwGO)

JurPC Web-Dok. 38/2024, Abs. 1 - 27


Leitsätze (der Redaktion):

1.Gibt ein Prozessbevollmächtigter lediglich an, die Versendung über beA sei nicht erfolgt, weil „aus technischen Gründen die Versendung auf elektronischem Wege vorübergehend nicht funktioniert“ habe, bleibt unklar, wie der konkrete Versendungsvorgang ablief und wodurch sich der technische Defekt zeigte, beispielsweise durch eine Fehlermeldung. Oberflächliche und vage Angaben genügen nicht den Anforderungen an eine erschöpfende Schilderung der Umstände eines technischen Defekts. Zudem wurden vorliegend auch keine Bemühungen zur Abhilfe bei technischen Störungen vorgetragen, wozu professionelle Einreicher verpflichtet sind.

2.Gibt ein Prozessbevollmächtigter eine Erklärung über die vorübergehende technische Unmöglichkeit erst am Tag nach der Ersatzeinreichung dem Gericht gegenüber ab, obwohl ihm dies früher möglich gewesen wäre, so ist diese Erklärung nicht unverzüglich im Sinne von § 55d Satz 4 VwGO.

Tatbestand

Der am ...2000 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger, kurdischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben am 19.09.2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 09.11.2022 einen Asylantrag.Abs. 1
Mit Bescheid vom 16.01.2023 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er in die Republik Türkei abgeschoben. Die Abschiebung könne auch in einen anderen Staat erfolgen, in den der Kläger einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Klage, bis zur Bekanntgabe der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).Abs. 2
Dieser Bescheid wurde dem Kläger ausweislich der in den von der Beklagten übersandten Verwaltungsvorgängen befindlichen Postzustellungsurkunde am 24.01.2023 zugestellt.Abs. 3
Mit der am 26.01.2023 per Fax und am 30.01.2023 per Brief beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klage seines Bevollmächtigten wendet sich der Kläger gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 16.01.2023.Abs. 4
Mit richterlicher Verfügung vom 03.02.2023 hat das Gericht den Klägerbevollmächtigten auf seine Pflicht gemäß § 55d Satz 1 VwGO hingewiesen, die Klage auf elektronischem Wege einzureichen. Daraufhin hat der Klägerbevollmächtigte am 09.02.2023 die Klage erneut beim Verwaltungsgericht über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) eingereicht. Mit richterlicher Verfügung vom 23.02.2023 hat das Gericht auf die nunmehr möglicherweise verfristet erhobene und damit unzulässige Klage hingewiesen.Abs. 5
Der Kläger trägt mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 10.03.2023 vor, dass die Versendung der Klageschrift auf elektronischem Wege am 26.01.2023 aus technischen Gründen vorübergehend nicht funktioniert habe. Rückblickend könne er jedoch nicht mehr beurteilen, ob die Internetverbindung oder andere technische Gründe den Fehler verursacht hätten. In der gerichtlichen Eingangsbestätigung sei er auf die nicht ordnungsgemäße Klageerhebung nicht hingewiesen worden. Nachdem er den richterlichen Hinweis erhalten habe, habe er die Klage noch am gleichen Tage und damit fristgerecht über das beA an das Gericht gesandt.Abs. 6
Der Kläger beantragt,Abs. 7
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamts vom 16.01.2023 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und ihm die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen,Abs. 8
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zu gewähren,Abs. 9
weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG vorliegen.Abs. 10
Die Beklagte beantragt,Abs. 11
die Klage abzuweisen.Abs. 12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- sowie die beigezogene Akte des Bundesamtes, die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zur Lage in der Türkei sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2023 verwiesen.Abs. 13

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens der Beteiligten verhandeln und entscheiden, da mit der Ladung ein entsprechender Hinweis erteilt worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.Abs. 14
Die Klage ist unzulässig, weil sie nicht formwirksam innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 74 Abs. 1 AsylG erhoben worden ist.Abs. 15
Nach § 55d Satz 1 VwGO, in der seit 01.01.2022 geltenden Fassung, sind vorbereitende Schriftsätze sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.a. von einem Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument an das Gericht zu übermitteln. Die Norm begründet damit eine aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs im verwaltungsgerichtlichen Verfahren für sog. „professionelle Einreicher“. In den Anwendungsbereich der Vorschrift fällt nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 253 Abs. 4 ZPO auch die Klageschrift selbst (Binder in: NK-VwGO, § 55d, Rn. 5, 5. Auflage; Hoppe in: Eyermann, § 55d VwGO, Rn. 2, 16. Auflage).Abs. 16
Die einzig gesetzlich vorgesehene Ausnahme davon findet sich in § 55d Satz 3 und 4 VwGO, wonach die Übermittlung auf herkömmlichem Weg zulässig bleibt, sofern die elektronische Übermittlung vorübergehend unmöglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist jedoch bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Ist diesen Voraussetzungen nicht genügt, ist die auf herkömmlichem Übermittlungsweg eingereichte Klage als unzulässig abzuweisen (vgl. BT–Drs 17/12634, S. 27). Diese Folge ist sachgerecht und erforderlich, um den elektronischen Rechtsverkehr flächendeckend etablieren zu können (VG Stuttgart, Urteil vom 14. Juli 2022 – A 4 K 432/22 –, juris). Eine den Vorgaben des § 55d S. 1 VwGO entsprechende, formwirksame Klageerhebung innerhalb der Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylG ist nicht erfolgt.Abs. 17
Die formwirksame Klageerhebung durch Einreichung eines elektronischen Dokuments über das beA erfolgte erst, nachdem die Klagefrist gem. § 74 Abs. 1 AsylG abgelaufen war. Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 16.01.2023 wurde dem Kläger ausweislich der in der Verwaltungsakte befindlichen Postzustellungsurkunde am 24.01.2023 zugestellt. Die zweiwöchige Klagefrist gem. § 74 Abs. 1 AsylG endete folglich am 07.02.2023. Die ordnungsgemäße Klageerhebung durch Einreichung als elektronisches Dokument erfolgte jedoch erst am 09.02.2023 und somit nach Ablauf der Klagefrist.Abs. 18
Eine Ersatzeinreichung nach den allgemeinen Vorschriften war gem. § 55d S. 3 VwGO nicht zulässig. Zwar erreichte das Gericht die Klageschrift erstmals am 26.01.2023 per Fax und erneut am 30.01.2023 per Post – und damit innerhalb der zuvor dargestellten Klagefrist. Die für die Zulässigkeit dieser Art der Einreichung notwendige vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung hat der Klägerbevollmächtigte jedoch entgegen § 55d S. 4 VwGO weder bei der Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach glaubhaft gemacht.Abs. 19
Eine Glaubhaftmachung i.S.v. § 173 VwGO i. V. m. § 294 ZPO erfordert eine aus sich heraus verständliche, vollumfängliche Schilderung der tatsächlichen Abläufe und Umstände, aus denen sich die vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übersendung ergibt, wobei eine laienmäßige Darstellung des Defekts genügt (Hoppe/Ulrich, NVwZ 2023, 465 (468)).Abs. 20
In den beiden Ersatzeinreichungen vom 26.01.2023 und 30.01.2023 hat der Klägerbevollmächtigte keinerlei technische Probleme erwähnt. Er hat dem Gericht erstmals am 10.03.2023 mitgeteilt, dass „aus technischen Gründen die Versendung auf elektronischem Wege vorübergehend nicht funktioniert“ habe. Unter anwaltlicher Versicherung gab er an, rückblickend nicht beurteilen zu können, ob die Internetverbindung oder andere technische Gründe die Versendung verhindert hätten. Danach verbleibt unklar, wie der konkrete Versendungsvorgang ablief und wodurch sich der technische Defekt zeigte, beispielsweise einer Fehlermeldung. Diese oberflächlichen und vagen Angaben genügen nicht den Anforderungen an eine erschöpfende Schilderung der Umstände. Zudem sind professionelle Einreicher nicht nur dazu verpflichtet, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs vorzuhalten, sondern haben bei technischen Störungen auch unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (Albedyll in: Bader/Funke–Kaiser, VwGO, § 55d, Rn. 5). Auch derartige Bemühungen wurden nicht vorgetragen, obwohl von der erstmaligen Ersatzeinreichung am 26.01.2023 per Fax bis zum Ablauf der Klagefrist am 07.02.2023 noch beinahe zwei Wochen zur Behebung des behaupteten technischen Problems verblieben.Abs. 21
Darüber hinaus soll die Glaubhaftmachung nach der Gesetzesbegründung grundsätzlich zusammen mit der Ersatzeinreichung erfolgen (BT-Drs. 17/12634, S. 28). Nur in Fällen, in denen bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die technische Unmöglichkeit darzulegen und glaubhaft zu machen, kann sie unverzüglich nach der Ersatzeinreichung erfolgen.Abs. 22
Eine „unverzügliche“ Glaubhaftmachung gem. § 55d S. 4 VwGO erfordert nach den Umständen des Einzelfalles ein Tätigwerden ohne schuldhaftes Zögern, ein sofortiges Handeln kann hingegen nicht erwartet werden (Hoppe in: Eyermann, § 55d VwGO, Rn. 7, 16. Auflage). Eine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit ist jedoch nicht zu gewähren, die Glaubhaftmachung ist abzugeben, sobald eine umfassende Schilderung der Umstände möglich ist (BGH, NJW 2022, 3647 (3649)). Gibt ein Prozessbevollmächtigter eine Erklärung über die vorübergehende technische Unmöglichkeit erst am Tag nach der Ersatzeinreichung dem Gericht gegenüber ab, obwohl ihm dies früher möglich gewesen wäre, so ist diese Erklärung nicht unverzüglich im Sinne von § 55d Satz 4 VwGO (OVG Bautzen, Beschl. vom 13.03.2023 – 2 B 317/22 –, juris Rn. 2 m.w.N.).Abs. 23
Auch diesen Anforderungen ist vorliegend nicht Genüge getan. Im Schriftsatz vom 10.03.2023 beruft sich der Klägerbevollmächtigte darauf, dass eine elektronische Versendung der Klage nicht möglich gewesen sei, weshalb er die Ersatzeinreichung vorgenommen habe. Diese Begründung ist weder zusammen mit der Ersatzeinreichung noch unverzüglich danach erfolgt, vielmehr vergingen zwischenzeitlich mehr als fünf Wochen. Es sind keine Umstände vorgetragen noch sind solche im Ansatz ersichtlich, nach denen diese Ausführungen noch als unverzügliche Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung anzusehen wären.Abs. 24
Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass das Gericht erstmals mit Verfügung vom 03.02.2023 auf die Anforderungen des § 55d VwGO hingewiesen hat. So ergeben sich die dargestellten Anforderungen unmittelbar aus den zitierten gesetzlichen Regelungen. Soweit der Klägerbevollmächtigte auf die Eingangsbestätigung des Gerichts verweist, die einen Hinweis auf § 55d VwGO noch nicht enthielt, bestätigt das Gericht damit lediglich den Eingang der Klage, nicht jedoch auch deren Zulässigkeit.Abs. 25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.Abs. 26
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.Abs. 27

(online seit: 12.03.2024)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Weimar, VG, Unverzügliche Glaubhaftmachung eines technischen Defekts (§ 55d Sätze 3 und 4 VwGO) - JurPC-Web-Dok. 0038/2024