JurPC Web-Dok. 27/2024 - DOI 10.7328/jurpcb202439228

OLG Frankfurt a.M.

Urteil vom 25.01.2024

16 U 65/22

Kenntnis rechtswidrig geposteter Inhalte verpflichtet Plattformbetreiber zur Löschung sinn- und kerngleicher Posts

JurPC Web-Dok. 27/2024, Abs. 1 - 83


Leitsätze (der Redaktion):

1. Werden einem Plattformbetreiber mit anwaltlichem Schreiben konkrete URLs mit angegriffenen Posts übersandt, hat dieser damit unmittelbar Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Wird zudem in dem anwaltlichen Schreiben definiert, was unter sinngleichen Verletzungen zu verstehen sei, löst diese Kenntnis und Information eine Prüf- und Verhaltenspflicht hinsichtlich der Existenz sinngleicher Inhalte aus, die ebenfalls zu löschen gewesen wären. Bezüglich dieser weiteren identischen oder kern- bzw. sinngleichen Posts besteht dann eine Pflicht zur Löschung.

2. Es besteht für Plattformbetreiber zwar keine allgemeine Überwachungs- und aktive Nachforschungspflicht hinsichtlich rechtswidriger Inhalte. Die konkrete Kenntnis der Rechtsverletzung verpflichtet den Plattformbetreiber jedoch, künftig derartige Störungen zu verhindern. Dies gilt nicht nur für wortgleiche Inhalte, sondern auch dann, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Äußerung sind.

Gründe:

I.Abs. 1
Die Parteien streiten über die Pflichten der Beklagten im Umgang mit von Nutzern ihres Dienstes auf der von ihr betriebenen Social-Media Plattform hochgeladenen oder geteilten identischen und ähnlichen Posts mit einem sog. Meme, auf welchem die Klägerin mit Bild und unter Nennung ihres Vor- und Zunamens und einer in Zitatzeichen gesetzten Äußerung gezeigt wird, die sie unstreitig nie getätigt hat.Abs. 2
Das vorprozessuale Anwaltsschreiben der Klägerin vom 1.4.2021 bezog sich auf den sog. Post 1 (Anlage K1/GA 13, in Farbe GA 72), welcher von der Beklagten innerhalb der ihr gesetzten Frist entfernt wurde und nicht mehr Gegenstand der Klage ist, sowie Post 2 (Anlage K2/GA 14, in Farbe GA 73). Die in der Klageschrift genannten URL beziehen sich auf Post 3 (Anlage B2/GA 98) und Post 2. Post 2 wurde von der Beklagten am 5.5.2021 entfernt, Post 3 am 10.6.2021. Ferner nimmt die Klageschrift auf Seite 9f Bezug auf Post 4 (Anlage K7/GA 24, in Farbe GA 76), dessen Löschung die Beklagte am 17.8.2021 veranlasste. Mit ihrer Replik vom 5.1.2022 hat die Klägerin ferner die Posts 5 bis 7 (GA 121f und 126) in den Rechtsstreit eingeführt, welche seit dem 18.1.2022 nicht mehr in Deutschland abrufbar sind.Abs. 3
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil (i.V.m. dem Beschluss auf Tatbestandsberichtigung) unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte strafbewehrt zur Unterlassung verpflichtet, alle zu dem nachfolgend wiedergegebenen Meme (Wort- Bild-Kombination),Abs. 4
(Von der Darstellung des nachfolgenden Bildes wird abgesehen - die Red.)Abs. 5
das unter Verwendung eines Fotos der Klägerin, des Namens „X“ und der Aussage „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen“ den Eindruck vermittelt, die Kläger habe diese Aussage getroffen,Abs. 6
zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils vorhandenen identischen und kerngleichen Inhalte auf der Plattform www.(...).com öffentlich zugänglich machen zu lassen, wie geschehen unter der URL www.(...).com... und wie aus Anlage K1 (Bl.13 d. A.) ersichtlich. Ferner hat es die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von € 10.000,- an die Klägerin verurteilt.Abs. 7
Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.Abs. 8
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit welcher sie weiterhin Abweisung der Klage verfolgt. Sie rügt die fehlerhafte Bewertung der Zulässigkeit der Klage durch das Landgericht. Dieses habe der Klägerin einen Unterlassungsanspruch zuerkannt, obwohl deren Rechtsschutzbegehren tatsächlich auf Vornahme von Handlungen, nämlich der einmaligen Entfernung zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits existierender Beitrage von der Plattform der Beklagten gerichtet sei. Ferner habe das Landgericht mit dem Urteilstenor zu 1. durch eigenmächtige Streichungen an dem Klageantrag zu Ziffer 1.III. ein Aliud zuerkannt und damit gegen die Vorgabe des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen. Des Weiteren fehle es dem Tenor an der Bestimmtheit. Unklar sei, was unter „einem Foto der Klägerin“ zu verstehen sei. Die notwendigen technischen Parameter in Bezug auf die von der Klägerin aufgezeigte Definition „identischer Inhalte“ lasse sich der Anlage K1, auf welche das Urteil auf Seite 14 abstelle, nicht entnehmen. Soweit das Landgericht den Streit, was unter Kerngleichheit zu verstehen sei, in das Vollstreckungsverfahren verlagere, lasse es vollkommen die Interessen unbeteiligter Nutzer der Plattform der Beklagten außer Blick, welche bei einer Entfernung von zu vielen Inhalten (sog. Overblocking) tangiert seien. Schließlich verkenne das Landgericht, dass der Klageantrag zu Ziffer 1.III. auf eine künftige Leistung ziele, ohne dass die Voraussetzungen des § 259 ZPO erfüllt seien.Abs. 9
Zu Unrecht habe das Landgericht der Klägerin einen (beschränkten) Unterlassungsanspruch zuerkannt. Das Landgericht habe bereits die anwendbaren Prüfungsmaßstäbe für die Rechtsanwendung grundlegend verkannt. Die Überlegungen, die den Bundesgerichtshof im Bereich der Bildberichterstattung zur Ablehnung der Anwendung der Kerntheorie veranlassten, griffen auch hier. Dem Gericht und den Parteien seien die vom Urteil erfassten Verletzungsformen nicht bekannt; das Gericht wisse nicht, in welchen Konstellationen das streitrelevante Zitat ggf. mit distanzierenden Kommentaren oder Abwandlungen verwendet werde. Die Grundrechtsrelevanz seiner Entscheidung habe das Landgericht insoweit nicht einmal erkannt.Abs. 10
Jedenfalls sei eine Anwendung der Kerntheorie am Maßstab der eCommerce-Richtlinie und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH („Glawischnig-Piesczek“) zu prüfen. Danach müsse das Gericht sinngleiche Inhalte klar und zweifelsfrei definieren und dafür automatisiert umsetzbare Kriterien vorgeben. Diesen Anforderungen werde das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es fehle an genau bezeichneten spezifizierten Einzelheiten, welche die Identifikation eines kerngleichen Inhalts und damit der Beklagten eine automatische Vorfilterung von Inhalten ermöglichten. Das Landgericht nehme die Bestimmung der sinngleichen Inhalte nicht vor, sondern verlagere diese vollständig in das Vollstreckungsverfahren. Dieser Mangel wirke sich auf die Erfüllbarkeit des Tenors zu 1. aus. Eine händische Identifikation von Inhalten durch menschliche Mitarbeiter sei angesichts der Vielzahl auf der …-Plattform täglich hochgeladener Inhalte faktisch ausgeschlossen, jedenfalls aber unzumutbar. Es bleibe vollkommen offen, was genau die Beklagte mit den bei ihr gespeicherten Daten abgleichen solle und welchen Ähnlichkeitsgrad sie noch in den Abgleich miteinbeziehen müsse, so dass ihr eine Einlassung zum entstehenden Aufwand und zu dessen Unzumutbarkeit nicht möglich sei. Ferner dürfe nach den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen ein Host-Provider zum Schutz der freien Meinungsäußerung und Informationsfreiheit gerade nicht zu einer autonomen bzw. eigenständigen rechtlichen Bewertung von Inhalten verpflichtet werden. Dem widerspreche die notwendige Einzelfallbewertung hinsichtlich nicht identischer Meme, ob die angenommene Rechtswidrigkeit durch zusätzlichen Text oder zusätzliche grafische Elemente entfalle, da von ihr eine rechtliche Prüfung der Inhalte verlangt werde, die nicht durch die Entscheidung determiniert, also autonom sei.Abs. 11
Hilfsweise verweist die Beklagte auf die Notwendigkeit einer EuGH-Vorlage.Abs. 12
Ebenso rechtsfehlerhaft sei die Zuerkennung des Geldentschädigungsanspruchs an die Klägerin.Abs. 13
Die Feststellungen des Landgerichts seien in sich widersprüchlich, weil die Beklagte entweder mittelbare Störerin oder Teilnehmerin einer Persönlichkeitsrechtsverletzung sein könne, nicht aber beides zugleich. Eine Teilnehmerhaftung der Beklagten werde von den landgerichtlichen Feststellungen auch nicht getragen. Hinsichtlich der Beihilfehandlung seien die Feststellungen (zu welcher konkreten Tathandlung, Garantenstellung) lückenhaft. Dass die Beklagte die Folgen beendeter Verletzungshandlungen nicht beseitigt habe, vermöge eine Beihilfehandlung nicht zu begründen. Hinsichtlich des doppelten Gehilfenvorsatzes fehle es an jeglichen Feststellungen. Zudem habe die Beklagte nach Inkenntnissetzung die gemeldeten wie auch identische Meme rasch entfernt. Dies schließe bereits nach § 10 TMG eine entsprechende Haftung der Beklagten aus. Durch diese Entfernung werde dem Interesse der Klägerin umfassend Rechnung getragen.Abs. 14
Ferner habe das Landgericht keine konkreten Feststellungen zu einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin getroffen. Anfeindungen der Klägerin durch Drittnutzer, für die das Falschzitat zudem allenfalls Anlass, nicht aber Grund gewesen sei, seien der Beklagten nicht zuzurechnen. Des Weiteren spreche das eigene Verhalten der Klägerin gegen das Vorliegen einer schwerwiegenden Rechtsverletzung. Insbesondere sei ihr das streitrelevante Falschzitat als solches unstreitig seit mindestens Anfang 2015 bekannt gewesen, ohne dass sie über Jahre hinweg etwas Durchgreifendes dagegen unternommen habe. Trotz Bitte der Beklagten habe sie ihr bekannte, weitere Varianten des Memes nicht mitgeteilt, sondern teilweise über Monate beobachtet und erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Prozess eingeführt. Ferner sei das Rechtsschutzbegehren der Klägerin in den Blick zu nehmen, mit welcher sie in beschränkter Form nur gegen aktuelle Verletzungen vorgehe. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht generalpräventive Gesichtspunkte bei der Frage des „Ob“ der Zuerkennung eines Geldausgleichs berücksichtigt. Ferner verkenne dieses, dass durch die ausgeurteilte Unterlassungsverpflichtung eine Kompensation eingetreten sei. Schließlich habe dieses unterlassen, die geforderte Einzelabwägung vorzunehmen.Abs. 15
Als rechtsfehlerhaft erweise sich auch die Kostenentscheidung hinsichtlich der für erledigt erklärten Klageanträge. Insoweit ermangele es dem Urteil an einer Begründung. Die Kosten hinsichtlich des Klageantrags zu 1.I. seien nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO der Klägerin aufzuerlegen, weil sie der Beklagten den Post 3 erstmals mit der Klageschrift zur Kenntnis gebracht und die Beklagte diesen unverzüglich entfernt habe. Hinsichtlich des Klageantrags zu 1.II. ergebe sich die Kostentragungspflicht der Klägerin nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO daraus, dass der Post 2 mit einem Hinweis versehen gewesen sei, dass es sich dabei um ein Falschzitat handele, mithin keine Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin vorliege.Abs. 16
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Sie hält die Beschränkung des Antrags auf die einmalige Löschung für ein wesensgleiches Minus. Die Fassung des Urteilstenors stelle weder ein Aliud noch ein Minus zum Klageantrag dar, sondern nur eine andere zweckdienliche Formulierung. Im Hinblick auf identische Beiträge sei der Bezugspunkt durch die im Tenor genannte URL bestimmt; im Hinblick auf kerngleiche Beiträge beschreibe der Tenor ebenfalls hinreichend bestimmt, welche Elemente diese aufweisen und welchen Gesamteindruck diese erwecken müssten. Durch den Tenor werde der Klageantrag lediglich gestrafft anders formuliert, aber nicht inhaltlich geändert. Es gehe auch nicht um eine Klage vor Fälligkeit, sondern um die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem der Unterlassungsanspruch erfüllt werden solle.Abs. 17
Der von der Berufung gezogene Vergleich mit der Bildberichterstattung hinke. Die Verwendung eines Bildes als solche indiziere noch nicht die Rechtswidrigkeit, während die Verwendung eines Falschzitats per se rechtswidrig sei, so dass bereits feststehe, dass entsprechende kerngleiche Verwendungen ebenfalls rechtswidrig seien.Abs. 18
Die Berufung missverstehe die EuGH-Rechtsprechung. Von der Beklagten werde nicht verlangt, initial zu ermitteln, ob die der Klägerin untergeschobene Aussage ein Falschzitat sei. Zur Bestimmung kerngleicher Beiträge bedürfe es eines Abgleichens maschinell vorgefilterter Inhalte auf das Vorhandensein bereits bekannter und geklärter Umstände, auf denen die Rechtswidrigkeit beruhe. Die charakteristischen Anforderungen seien so genau beschrieben, dass es der Beklagten auch möglich sei, mit einer Kombination des sog. Hard-Hashing-Verfahrens mit dem perzeptuellen Hash-Verfahren und optischer Zeichenerkennung (optical character recognition, OCR) vollständig automatisiert alle potentiell rechtswidrigen Beiträge für die abschließende menschliche Moderationsentscheidung zu ermitteln, um auszuschließen, dass die indizierte Rechtswidrigkeit ausnahmsweise nicht gegeben sei. Neues tatsächliches Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz zur tatsächlichen Unmöglichkeit oder wirtschaftlichen Unzumutbarkeit solcher Einzelfallbewertungen sei präkludiert. Zum Inhalt der Moderationsentscheidung sei der Bewertungsmaßstab eindeutig vorgegeben und insofern keine autonome Bewertung, sondern lediglich eine Subsumtion erforderlich.Abs. 19
Zu Recht habe das Landgericht der Klägerin auch einen Geldentschädigungsanspruch zuerkannt. Von einer kurzfristigen Unzugänglichmachung der Posts durch die Beklagte könne keine Rede sein, zumal hier ein hinreichend konkret gefasster Hinweis und damit Kenntnis der Beklagten bereits mit Zugang der Meldung der Klägerin am 28.2.2021 erfolgt sei. Folgerichtig könne sich die Beklagte auch nicht auf einen Haftungsausschluss gemäß § 10 TMG berufen. Entgegen der Ansicht der Berufung fänden sich in der angefochtenen Entscheidung auch keine widersprüchlichen Ausführungen. Die Bezeichnung der Beklagten als mittelbare Störerin schließe die Haftung als Täterin oder Teilnehmerin nicht aus. Der mittelbare Störer sei mittelbarer Verletzer, der auf Schadensersatz genauso hafte wie der unmittelbare Verletzer. Die Berufung verkenne, dass es um die zivilrechtliche Haftung der Beklagten wegen einer ihr zurechenbaren Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin und nicht um ihre strafrechtliche Verantwortlichkeit gehe. Die konkrete Haupttat durch die primär Verantwortlichen liege in dem Setzen der persönlichkeitsrechtsverletzenden Meme mit dem Falschzitat, zu welchem die Beklagte durch die nicht vorgenommene Löschung oder Sperrung Hilfe geleistet habe und dieses damit wissentlich und willentlich aufrechterhalte. Zudem käme hier eine Nebentäterschaft der Beklagten in Betracht, welche erst durch die Zurverfügungstellung ihrer Plattform den Tatbeitrag des primären Täters, das Posten des Falschzitats mit dem entsprechenden Meme, ermögliche. Auch verkenne die Berufung die fortdauernde Wirkung der Persönlichkeitsrechtsverletzung durch die permanente Abrufbarkeit der Posts seit ihrer Veröffentlichung sowie die Möglichkeit der Weiterverbreitung. Eine Beendigung der Haupttat sei erst mit der dauerhaften Entfernung gegeben. Im Übrigen liege in dem pflichtwidrigen Unterlassen der gebotenen und vorzunehmenden Handlung eine vorsätzliche Verwirklichung des § 823 Abs. 1 BGB durch die Beklagte, deren Verschulden sich aus ihrer fortdauernden Verweigerung ergebe.Abs. 20
Schließlich lege das angegriffene Urteil auch klar und deutlich dar, worin die schwerwiegende Verletzung bei Falschzitaten dieser Art zu erkennen sei, wobei gerade die permanente und hartnäckige Weigerung der Beklagten, eine entsprechende Löschung vorzunehmen, und die damit einhergehende kontinuierliche Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung der Klägerin in den Blick zu nehmen seien. Die Klägerin werde als eine Person dargestellt, die sie nicht sei. Das Falschzitat treffe mithin den Kern ihrer Persönlichkeit und damit ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht in besonders schwerem Maße. Zu Recht habe das Landgericht auch einbezogen, dass durch die primäre Rechtsverletzung weitere gegen die Klägerin gerichtete rechtsverletzende Reaktionen anderer Nutzer hervorgerufen würden, deren Verfolgung angesichts ihrer Vielfältigkeit und Vielseitigkeit nicht möglich sei. Auch habe die Beklagte durch ihre Verhaltensweise deutlich gemacht, dass ein entsprechender Antrag auf Löschung bzw. Sperrung sehr schwer durchsetzbar erscheine und sie allenfalls verzögert agiere. Schließlich führe die ausgeurteilte Unterlassungsverpflichtung nicht zu einer entsprechenden Kompensation der Klägerin, da sie hierdurch nicht von den bereits erlittenen Anfeindungen befreit werde. Auch sei die eingetretene Beeinträchtigung der Klägerin aufgrund des von ihr in der Öffentlichkeit entstandenen Bilds durch das ihr untergeschobene Falschzitat nicht mehr korrigierbar. Die Frage der hemmenden Wirkung und damit der Prävention betreffe nicht nur die Frage des „Wie“ (Höhe), sondern auch des „Ob“ eines Anspruchs auf Geldentschädigung. Entgegen der Ansicht der Berufung habe die erforderliche Gesamtabwägung durch das angegriffene Urteil in der gebotenen Art und Weise stattgefunden.Abs. 21
Das Urteil erweise sich auch zu der Kostenentscheidung hinsichtlich erledigter Klageanträge als richtig. Der erkennbar nicht zum Beitrag gehörende Vermerk von „Y“ ändere nichts an dem rechtsverletzenden Inhalt von Post 2.Abs. 22
Mit ihrer Replik bestreitet die Beklagte die Möglichkeit, mittels einer Kombination verschiedener technischer Verfahren vollständig automatisiert alle Kandidaten für die abschließende menschliche Moderationsentscheidung zu ermitteln und rügt Verspätung des diesbezüglichen Klägervorbringens. Gleiches gelte für den Vortrag der Klägerin zu nachfolgenden Rechtsverletzungen anderer Nutzer und deren Nichtverfolgbarkeit. Ferner ergänzt die Beklagte ihren Vortrag im Lichte der Regelungen des Digital Services Act (DSA).Abs. 23
Die Klägerin trägt mit ihrer Duplik zu neuen technischen Entwicklungen wie etwa ChatGBT vor, welche eine weitgehende Automatisierung der Prüfung ermöglichten, ob der „Kandidat“ den als rechtswidrig erkannten Eindruck vermittele. Die tenorierte Unterlassungsverpflichtung sei mit Erwägungsgrund 30 des DSA vereinbar. Bei dem Geldentschädigungsanspruch sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ihr in geschlossenen Gruppen und bei entsprechenden Privatsphäreeinstellungen schon gar nicht möglich sei, selbständig im streitgegenständlichen Zusammenhang stehende Rechtsverletzungen auf der Plattform der Beklagten aufzuspüren und mit konkreter URL zu melden. Im Übrigen habe die Beklagte auch nach der konkreten Aufforderung im Schriftsatz vom 1.4.2020 weiterhin optisch identische und sinngleiche Rechtsverletzungen öffentlich zugänglich gemacht, wobei dieser Zustand bis heute anhalte. Insoweit führt die Klägerin den mindestens seit dem 4.1.2022 öffentlich zugänglichen Post 8 (Anlage K 12/GA 495) sowie den mindestens seit dem 5.5.2021 öffentlich zugänglichen Post 9 (Anlage K 13/GA 496) an.Abs. 24
Diese Posts wurden von der Beklagten ausweislich der Anlagen B9 und B10 a 24.11.2023 unstreitig gesperrt.Abs. 25
II.Abs. 26
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 517, 519 ZPO).Abs. 27
In der Sache hat sie nur Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung richtet (nachfolgend B), in Bezug auf die tenorierte Unterlassungsverpflichtung ist sie dagegen unbegründet (nachfolgend A).Abs. 28
A. 1. Die von der Berufung angeführten prozessualen Bedenken verfangen nicht.Abs. 29
a. Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, dass die Fassung des Unterlassungstenors des angefochtenen Urteils zu einem Auseinanderfallen von Rechtsschutzbegehren der Klägerin und Antragsfassung führe, weil die Klägerin in ihrer Replik (Seite 14) deutlich gemacht habe, dass ihr Begehren auf Beseitigung (Entfernung/Sperrung) von bestimmten Inhalten gerichtet sei, die zum Zeitpunkt der Rechtskraft vorhanden sind, und damit auf eine künftige Leistung.Abs. 30
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat die Klägerin ihren Antrag ausdrücklich als Unterlassungsanspruch formuliert. Dieser ist für ihr Anspruchsziel auch geeignet, weil der Unterlassungsanspruch auch als umfassende Verpflichtung zur Beseitigung eines durch unwahre Tatsachenbehauptung geschaffenen Zustands fortdauernder Rufbeeinträchtigung zu verstehen ist, der sich für den Betroffenen als eine sich stetig erneuernde und fortwirkende Quelle der Ehrverletzung darstellt, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden kann (vgl. BGH Urt. v. 11.11.2014 - VI ZR 18/14 - Rn. 16; Urt. v. 28.7.2015 - VI ZR 340/14 - Rn. 15; Urt. v. 14.3.2017 - VI ZR 721/15 - Rn. 35). Unterlassung und Beseitigung fallen danach zusammen, wenn die Unterlassung einer Störung nur durch positives Tun, z.B. das Löschen eines Beitrags auf einer Social-Media-Plattform, bewirkt werden kann. Es verbleibt hier ein Unterlassungsanteil, weil die Beklagte danach die gelöschten Posts nicht wieder einstellen darf. Dass die Klägerin zur Vermeidung einer Installation von Uploadfiltern ihr Unterlassungsbegehren zeitlich begrenzt hat auf bei Rechtskraft des Urteils bereits vorhandene Memes, also keine danach eingestellten neuen Memes, stellt ein bloßes „Weniger“ dar.Abs. 31
b. Entgegen der Ansicht der Berufung fehlt es dem Tenor auch nicht an der erforderlichen Bestimmtheit.Abs. 32
Dass der Tenor auf das „nachfolgend wiedergegebene Meme“ abstellt und darunter die drei Elemente benennt, aus denen sich der untersagte Eindruck ergibt (Verletzungsform), macht zum einen deutlich, dass hiervon nur Fotos erfasst sind, die dem auf dem streitgegenständlichen Meme entsprechen, was auch nochmals die Formulierung „wie geschehen“ hervorhebt. Zum anderen erfolgt hierdurch eine hinreichende Konkretisierung, was unter „kerngleichen Inhalten“ zu verstehen ist. Ebenso wenig greifen die Bedenken der Berufung in Bezug auf „identische Inhalte“. Hiervon umfasst sind erkennbar solche, die mit dem Meme unter der im Tenor genannten URL bzw. der in Bezug genommenen Anlage K1 („Post 1“) zu 100 % identisch sind. Durch die im Tenor genannte URL ist der Bezugspunkt bestimmt und für die Beklagte auch in technischer Hinsicht zur Ermittlung von anderen Beiträgen mit gleichem Hashwert identifizierbar.Abs. 33
c. Fehl geht auch die Rüge der Berufung, das Landgericht habe unter Verstoß gegen die Vorgabe des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Aliud im Vergleich zum Klageantrag zu 1.III. zuerkannt.Abs. 34
Die vorgenommenen ersatzlosen Streichungen führen nicht zu einer inhaltlichen Änderung der im Antrag umschriebenen Verletzungsform: Der Einschub „in der typischen Art eines Zitates“ wiederholt lediglich in Worten, was auf dem Meme, in welchem die im Tenor wiedergegebene Aussage in Zitatzeichen gesetzt ist, bildlich zum Ausdruck kommt; der weitere Einschub „sofern das beschriebene Zitat nicht vom Verbreiter zugleich ernsthaft als falsch gekennzeichnet wird“ ist redundant, da er lediglich die untersagte Verletzungsform als Ausnahme umschreibt.Abs. 35
d. Schließlich vermag die Berufung auch nicht mit ihrem Einwand durchzudringen, in Bezug auf die zwischen der letzten mündlichen Verhandlung und der Rechtskraft eingestellten Memes liege eine Klage auf eine künftige Leistung vor, ohne dass die speziellen Voraussetzungen für deren Zulässigkeit nach § 259 ZPO dargetan seien.Abs. 36
Auf gesetzliche Unterlassungsansprüche findet § 259 ZPO keine Anwendung (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 44. Aufl., § 259 Rn. 4). Darüber hinaus ist § 259 ZPO nur auf noch nicht fällige Unterlassungsansprüche anwendbar (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 259 Rn. 3). Hier ist aber Fälligkeit zu bejahen, da aufgrund der durch die Erstbegehung zu vermuteten Wiederholungsgefahr die in § 259 ZPO statuierte Voraussetzung gegeben ist, nämlich die Besorgnis des „Leistungsentzugs“ seitens der Beklagten.Abs. 37
2. Zu Recht hat das Landgericht der Klägerin den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK zuerkannt.Abs. 38
a. Zutreffend hat das Landgericht den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch nach deutschem Recht beurteilt. Die richtige Anwendung des deutschen Internationalen Privatrechts ist in der Berufungsinstanz von Amts wegen zu prüfen.Abs. 39
aa. Die Verordnung Nr. 864/2007/EG vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-Verordnung) ist nicht anwendbar, da gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. g dieser Verordnung außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Persönlichkeitsrechte vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind (vgl. BGH Urt. v. 27.2.2018 - VI ZR 489/16- Rn. 21).Abs. 40
bb. Die Anwendbarkeit deutschen Rechts folgt aus Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB.Abs. 41
(1) Art. 40 EGBGB unterfällt auch der Persönlichkeitsschutz einschließlich sich daraus herleitender Unterlassungsansprüche (BGH Urt. v. 27.2.2018 aaO. - Rn. 22; Urt. v. 25.10.2011 - VI ZR 93/10 - Rn. 15). Die Vorschrift wird nicht durch § 3 Abs. 2 TMG verdrängt, da diese Bestimmung keine Kollisionsnorm enthält (BGH Urt. v. 27.2.2018 aaO. - Rn. 23; Urt. v. 8.5. 2012 - VI ZR 217/08 - Rn. 23 ff).Abs. 42
(2) Der nach Art. 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB maßgebliche Erfolgsort liegt in Deutschland. Hier ist der soziale Geltungsanspruch der Klägerin, die in Deutschland wohnt und als Politikerin tätig ist, betroffen und hier kollidiert das Interesse der Klägerin an der Unterlassung der ihr Persönlichkeitsrecht berührenden Posts mit dem Interesse der Beklagten an der Gestaltung ihrer Social-MediaPlattform sowie an der Ausübung ihres Geschäftsmodells.Abs. 43
b. Zu Recht und von der Berufung nicht beanstandet hat das Landgericht in dem Falschzitat, wie es der Klägerin durch einen Nutzer in dem Meme in Post 1 untergeschoben wird, einen rechtswidrigen Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht gesehen, da die Klägerin hierdurch in ihrem Recht am eigenen Wort verletzt wird.Abs. 44
c. Zutreffend hat das Landgericht auch eine Haftung der Beklagten als mittelbar verantwortliche Störerin wegen unterlassener Löschung aller weiteren identischen oder kern- bzw. sinngleichen Posts zu diesem Post bejaht.Abs. 45
Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil auf Seite 17 die Grundsätze einer (mittelbaren) Störerhaftung eines Hostproviders zutreffend dargestellt.Abs. 46
aa. Diese erfordert zunächst die Kenntnis von Tatsachen, aus denen der Beklagten die Rechtsverletzung unschwer erkennbar war. Eine solche ergab sich entgegen der Ansicht der Klägerin noch nicht aus ihrer persönlich erfolgten Aufforderung zur Löschung auf dem hierfür durch die Beklagte vorgesehenen Meldeweg, welche lediglich die Angabe „Defamation“ (§ 186) ohne weitere Erläuterung enthielt (Anlage K4/GA 16). Dass Hintergrund ihrer Beschwerde war, ihr werde ein Zitat untergeschoben, das sie nicht getätigt hat, war dieser Anzeige nicht zu entnehmen. Kenntnis von dem beanstandeten Falschzitat erhielt die Beklagte aber mit dem Anwaltsschreiben vom 1.4.2021 (Anlage K5/GA 17 ff). Darin wurde sie unter Nennung der konkreten URLs auf die auf ihrer Plattform abrufbaren Posts 1 und 2 hingewiesen und die Tatsache des Falschzitats durch einen Link auf einen Artikel von Y, einem externen Faktenprüfer, belegt. Im Übrigen war den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts zufolge (LGU 18) der Beklagten auch bekannt, dass es sich um ein Falschzitat handelt.Abs. 47
bb. In Bezug auf Post 1 ist die Beklagte auch unverzüglich tätig geworden und hat diesen innerhalb der ihr gesetzten Frist gesperrt. Die erst am 5.5.2021 erfolgte Löschung von Post 2 erfolgte zwar erst nach Fristablauf. Allerdings war insoweit eine Rechtsverletzung der Klägerin für die Beklagte nicht offensichtlich. Denn Post 2 wurde durch den zunächst eingeblendeten Vermerk der von der Beklagten beauftragten Faktenprüfer-Organisation Y überlagert „Fehlinformationen Die gleichen Informationen wurden bereits in einem anderen Beitrag von unabhängigen Faktenprüfern geprüft“.Abs. 48
Ein Erstverstoß der Beklagten für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch liegt jedoch darin begründet, dass sie Post 3 erst am 10.6.2021 gesperrt hatte. Zwar hatte die Klägerin erstmals mit ihrer Klageschrift auf diesen konkreten Post hingewiesen. Durch das Anwaltsschreiben vom 1.4.2021 wurde aber auch eine Prüf- bzw. Verhaltenspflicht der Beklagten in Bezug auf sinngleiche Inhalte zu dem als rechtswidrig angezeigten Posts 1 und 2 ausgelöst, so dass sie diese von sich aus zu löschen/unterlassen hatte, ohne dass es eines weiteren individualisierenden Hinweises bedurfte.Abs. 49
Insoweit lag hier ein „spezifischer Fall“ für Überwachungspflichten i.S. des 47 Erwägungsgrund der Richtlinie 200/31 („E-Commerce-Richtlinie“) vor, die untersagt, Hosting-Anbietern eine allgemeine Überwachungs- und aktive Nachforschungspflicht hinsichtlich rechtswidriger Inhalte aufzuerlegen. Ein solcher ist nicht erst dann begründet, wenn ein Gericht den Inhalt der dem Hosting-Anbieter zur Kenntnis gebrachten Information für rechtswidrig erklärt hat (der EuGH spricht im Urt. v. 3.10.2018 - C-18/18 - Glawischnig-Piesczek zur Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie „kann u.a.“), sondern auch dann, wenn die mit dem Inhalt vermittelte Aussage unstreitig als Falschzitat feststeht und damit deren Rechtswidrigkeit. Anders könnte die Inkenntnissetzung, mit der das Posten rechtswidriger Posts abgestellt und ihre Wiederholung sowie ein weiterer Schaden des Betroffenen verhindert werden soll, diese Ziele nicht erreichen.Abs. 50
cc. Die Klägerin hatte in ihrem Anwaltsschreiben gegenüber der Beklagten deutlich gemacht, dass sie über die Löschung der beiden darin konkret bezeichneten URLs hinausgehend die unverzügliche Entfernung aller derzeit vorhandenen mit Post 1 identischen sowie sinngleichen Posts auf der ganzen Plattform der Beklagten verlangt und auf Seite 7 vorletzter Absatz des Schreibens definiert, was sie unter sinngleich versteht.Abs. 51
(1) In Bezug auf Post 3 ist eine Sinngleichheit zu Post 1 bejahen. Dem Umstand, dass das Meme oben und unten mit einem schwarzen Rahmen eingefasst ist, kommt inhaltlich keinerlei Aussagekraft zu. Durch den Wortbeitrag in der Caption, welcher den Inhalt der in dem Meme in Zitatzeichen gesetzten Äußerung noch einmal aufgreift, wird der Eindruck eines Falschzitats eher bestätigt.Abs. 52
(2) Der Verweis der Berufung darauf, dass der Bundesgerichtshof die Kerntheorie bislang im Bildnisrecht ablehnt, trägt nicht, da es hier um eine Rechtsverletzung durch eine Wort-Bild-Kombination (sog. Meme) geht, auf dem die Klägerin mit einem per se rechtswidrigen Falschzitat gezeigt wird. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH Urt. v. 27.2.2018 - VI ZR 489/18 - Rn. 32 mwN) ist anerkannt, dass, soweit spezifische Verhaltenspflichten des Hostproviders bestehen, dieser verpflichtet ist, künftig derartige Störungen zu verhindern. Dies gilt nicht nur für „wortgleiche Inhalte, sondern auch dann, wenn die darin enthaltenen Mitteilungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Äußerung sind (BGH Urt. v. 27.2.2018 - VI ZR 330/17 - Rn. 44; Urt. v. 23.6.2009 - VI ZR 232/08 - Rn. 11; vgl. auch BVerfG Nichtannahmebeschl. V. 4.12.2006 - 1 BVR 1200/04 - Rn. 20).Abs. 53
Der EuGH (Urt. v. 3.10.2018 aaO.) ist im Rahmen der Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 200/31 der Empfehlung des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen (Rn. 45 ff) gefolgt, die für die Kerntheorie maßgebliche Rechtsprechung L’Oréal/eBay (vgl. EuGH MMR 2011, 596) auf das Äußerungsrecht zu übertragen, und hat gebilligt, dem Hosting-Anbieter auch eine Verpflichtung zur Entfernung oder Zugangssperrung von sinngleichen Inhalten aufzuerlegen. Anhaltspunkte, wann die Grenze für sinngleiche Inhalte erreicht wird, ergeben sich aus Rn. 41 des Urteils. Dieser lässt sich entnehmen, dass mit sinngleichen Inhalten solche gemeint sind, die wegen der verwendeten Worte oder ihrer Kombination zwar leicht unterschiedlich formuliert sind, aber im Wesentlichen die gleiche Aussage vermitteln. Der EuGH betont zudem, dass eine sinngleiche Äußerung spezifische Einzelheiten umfassen muss und nicht so geartet sein darf, dass sie den Hosting-Anbieter zwingt, eine autonome Prüfung des Inhalts vorzunehmen (Rn. 45); die Einzelheiten müssen so genau bezeichnet sein, dass er auf „automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung zurückgreifen kann“ (Rn. 46).Abs. 54
(3) Unter Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall sind als sinngleich zunächst die Konstellation anzusehen, in denen zu Post 1 Bild und Text identisch, aber abweichend gestaltet sind (z.B. in Auflösung, Größe/Zuschnitt, Verwendung von Farbfilter, Einfassung mit Rahmen/Balken) oder bei bloßer Änderung typografischer Zeichen (z.B. Tippfehler, Hinzufügung oder Weglassung von Satz- oder Leerzeichen). Solche hat die Beklagte ihrem Vorbringen zufolge auch mit kombinierten technischen Verfahren aufgefunden (vgl. KE Rn. 37). Allerdings hat der EuGH Sinngleichheit nicht auf solche Inhalte beschränkt, die Schreibfehler, einen anderen Satzbau oder eine andere Zeichensetzung enthalten.Abs. 55
Darüber hinausgehend sind daher auch solche Konstellationen als sinngleich anzusehen, die unter Verwendung des Memes gemäß Post 1 mit dem Namen der Klägerin (X), ihres Fotos und der Aussage „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen“ den Eindruck vermitteln, die Klägerin habe diese Aussage tatsächlich getätigt, auch wenn sich im Meme zusätzliche sprachliche oder grafische Elemente befinden oder dieses mit einem zusätzlichen Kommentar bzw. einer Bildüber- bzw. -unterschrift (sog. Caption) versehen ist, hierdurch aber der o.g. Eindruck bestehen bleibt, d.h. die genannte Äußerung nicht als Falschzitat in Bezug auf die Klägerin kenntlich gemacht wird. Entgegen der Ansicht der Berufung liegt hierin kein Verstoß gegen die Rechtsprechung des EuGH.Abs. 56
(3.1.) Die spezifischen Einzelheiten für sinngleiche Inhalte sind in dem Anwaltsschreiben vom 1.4.2021 benannt und wurden von dem Landgericht im Tenor der angefochtenen Entscheidung entsprechend aufgegriffen. Diese umfassen im Einklang mit dem genannten Urteil des EuGH die beanstandete Verletzung des Persönlichkeitsrechts (Unterschieben eines Falschzitats), den Namen der hiervon betroffenen Person sowie die Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt und damit das Charakteristische der konkreten Verletzungsform, nämlich den durch das Meme gemäß Post 1 in seiner konkreten Ausgestaltung mittels des dortigen Fotos und Nennung des Namens der Klägerin und der in Anführungszeichen gesetzten näher wiedergegebenen Aussage vermittelten Eindruck, die Klägerin habe sich tatsächlich so geäußert. Sinngleich sind mithin Posts, die diese Elemente aufweisen und ungeachtet etwaiger Abweichungen im Einzeln den dargestellten Eindruck unberührt lassen. Hierzu gehören mithin auch Posts, die das Meme gemäß Post 1 mit einer Caption zeigen, ohne etwas an dem Inhalt des durch das Meme vermittelten rechtswidrigen Eindrucks zu verändern, dass die Klägerin sich derart geäußert hatte.Abs. 57
(3.2.) Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass es einer Sinndeutung bedarf, wie der Aussagegehalt des Memes unter Berücksichtigung des Zusatzes zu verstehen ist, und es sich hierbei nicht um einen rein automatisierten Vorgang handelt. Damit wird von ihr aber keine europarechtswidrige autonome rechtliche Prüfung des Inhalts solcher Posts verlangt, die sich vom Ausgangsfall lösen und durch die gerichtliche Entscheidung nicht determiniert sind, wie die Berufung meint. Vielmehr wird der Beklagten nur die Beurteilung auferlegt, ob die Unterschiede aufgrund der abweichenden Gestaltung durch Zusätze oder weitere Elemente gegenüber dem Meme gemäß Post 1 nach dem Verständnis eines Durchschnittsrezipienten bewirken, dass nicht mehr der das Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzende Eindruck besteht, es handele sich um ihre Aussage, mithin erkennbar gemacht wird, dass ein Falschzitat vorliegt. Eine von der Berufung beanstandete getrennte Bewertung einheitlicher Nutzungsbeiträge vermag der Senat hierin nicht zu sehen.Abs. 58
Im Übrigen wurde eine vergleichbare autonome Beurteilung von der Beklagten auch in Bezug zu sinngleichen Inhalten verlangt, wie sie dem vom EuGH entschiedenen diffamierenden Äußerungen zugrunde lagen, mit welchen die dortige Klägerin als „miese Volksverräterin“, „korrupter Trampel“ und Mitglied einer „Faschistenpartei“ bezeichnet wurde. Soweit die Berufung betont, dass hier ein Dreipersonenverhältnis besteht, lag ein solches auch in dem EuGH-Verfahren vor.Abs. 59
(3.3.) Vor diesem Hintergrund sind die Wirkungen des angefochtenen Urteils auch klar, konkret und vorhersehbar. Der Senat verkennt nicht, dass es im Einzelfall Zweifelsfälle geben mag, in denen nicht eindeutig ist, ob Sinngleichheit in dem oben dargelegten Sinn gegeben ist (z.B. verbaler Zusatz „Das ist falsch“, „Das Zitat ist falsch“, welcher eine Bewertung erforderlich macht, ob er sich auf das Zitat als Falschzitat oder dessen Inhalt bezieht). Dies ist aber etwa auch der Fall bei der im Presserecht anerkannten Unterlassung, durch Berichterstattung einen bestimmten Eindruck zu erwecken. Auch dort muss durch den Unterlassungsschuldner und im Anschluss ggf. im Vollstreckungsverfahren geprüft werden, ob eine geänderte Textgestaltung zu einer Beseitigung des untersagten Eindrucks führt.Abs. 60
(3.4.) Ebenso wenig vermag die Berufung mit ihrer Argumentation durchzudringen, dass ihr durch automatisierte Systeme eine Beurteilung nach Kontext und Empfängerhorizont nicht möglich sei. Die Ausführungen in Rn. 46 des genannten EuGH-Urteils sind nicht so zu verstehen, dass der Hosting-Provider vollständig auf automatisierte Techniken und Mittel zur Nachforschung zurückgreifen können und ihm das Unterlassungsgebot im Ergebnis durch Technik (Wortfilter) erfüllbar sein muss; vielmehr kann eine zumutbare menschlich-händische Einzelfallbewertung von mittels kombinierter technischer Verfahren automatisch erkannten bereits hochgeladenen Inhalten, die das Meme gemäß Post 1 enthalten, verbleiben, ohne dass hierdurch eine übermäßige Verpflichtung der Beklagten begründet wird. Nach den Feststellungen des Landgerichts (LGU 19) ist zwischen den Parteien unstreitig, dass es technische Möglichkeiten gibt, nicht nur fast identische, sondern auch ähnliche Bilder zu Post 1 zu erkennen. Demgemäß war es der Beklagten ihrem eigenen Vorbringen zufolge möglich, fast identische Inhalte automatisiert zu erkennen (KE Rn. 37). Der Senat versteht dies mit dem Landgericht dahin, dass dieses Verfahren das Erkennen von Posts umschließt, in denen das streitgegenständliche Meme mit einer Caption versehen ist.Abs. 61
Insoweit ist auch gerichtsbekannt, dass mithilfe des Einsatzes sog. KI-Systeme (z.B. Chat GPT-4) Textinhalte analysiert und relevante Informationen herausgefiltert werden können und damit zumindest eine weitere automatische Vorfilterung ermöglicht wird, z.B. ob es sich in der Caption um einen affirmativen Zusatz zu dem Meme handelt oder die der Klägerin darin untergeschobene Äußerung klar und eindeutig als Falschzitat gekennzeichnet wird, so dass - zur Vermeidung eines sog. Overblocking rechtmäßiger Inhalte - allenfalls die Fälle für eine menschliche Moderationsentscheidung verbleiben, in denen die Beurteilung, ob aus dem Kontext eine Klarstellung als Falschzitat hervorgeht, zweifelhaft erscheint. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, wird der Beklagten die gleiche Bewertung abverlangt, wenn sie von der Klägerin unter Meldung einer konkreten URL auf Posts hingewiesen wird, in denen das Meme gemäß Post 1 mit einer Caption versehen ist.Abs. 62
Schließlich trägt auch nicht der Verweis der Berufung auf die Entscheidung des EuGH vom 26.9.2022 - C-401/19 - Rn. 86. Der Einsatz eines Filtersystems, bei dem die Gefahr besteht, dass es nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen und einem zulässigen Inhalt unterscheidet, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte, wird hier nicht gefordert.Abs. 63
(3.5.) Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist auch das Gleichgewicht zwischen den sich gegenüberstehenden Grundrechten aller Beteiligten - dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin, dem Recht der Beklagten auf unternehmerische Freiheit sowie der Nutzer ihrer Plattform auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit - und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen, dass der Klägerin ein rascher und damit effektiver Rechtsschutz zu gewähren ist, um eine schnelle Verbreitung des ihr Persönlichkeitsrecht verletzenden Memes wirksam unterbinden zu können, welches durch das ihr darin untergeschobene Falschzitat die Glaubwürdigkeit der Klägerin als Politikerin in der Öffentlichkeit gefährdet. Dem stünde entgegen, wenn sie zunächst der Beklagten die konkrete URL jedes weiteren sinngleichen Posts mitteilen müsste und diese auch nur an dieser Stelle entfernt würden. Die betroffene Klägerin müsste dann eine Vielzahl von Meldungen gegenüber der Beklagten und ggf. Gerichtsverfahren anstrengen, um zu erwirken, dass das Verhalten, dessen Opfer sie ist, aufhört. Hinzu tritt, dass der Klägerin Posts in geschlossenen oder privaten Gruppen nicht angezeigt werden und sie daher - anders als die Beklagte - die Verbreitung des Memes dort nicht nachverfolgen kann. Lediglich die Beklagte als Plattformbetreiber ist daher in der Lage, effektiv alle rechtsverletzenden Posts aufzufinden und zeitnah zu entfernen.Abs. 64
In diesem Zusammenhang sei auch angemerkt, dass - worauf der EuGH ausdrücklich hingewiesen hat - die nationalen Gerichte/Gesetzgeber in Bezug auf die Verfahren, die den Erlass der erforderlichen Maßnahmen ermöglichen, über ein besonders großes Ermessen verfügen (Urt. v. 3.10.2018 aaO. - Rn. 29).Abs. 65
(3.6.) Ohne Erfolg macht die Berufung schließlich geltend, dass der Generalanwalt in dem Verfahren C-18/18 die Auffassung vertreten hat, dass einem Host-Provider nicht aufgegeben werden kann, der als rechtswidrig eingestuften Äußerung sinngleiche Äußerungen zu entfernen, die von anderen Nutzern gepostet worden sind, so dass er auch nur die Informationen zu durchsuchen braucht, die von dem Nutzer gepostet wurden, der auch die rechtswidrige Information gepostet hat (vgl. Schlussanträge Rn. 72 f). Diese Ansicht wurde von dem EuGH nicht aufgegriffen. Gegenteiliges folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der EuGH in Bezug auf wortgleiche Inhalte die Passage aufgenommen hat „ganz gleich, wer den Antrag zur Speicherung dieser Information gegeben hat“ (Rn. 37), da er insoweit lediglich den Wortlaut der von ihm unter Rn. 21 formulierten 1. Vorlagefrage aufgreift.Abs. 66
(4) Eine Befassung des Senats mit den Neuregelungen des Digital Services Act (DSA), der in Art. 4 bis Art. 10 weitgehend Art. 12 bis 15 Art. der E-Commerce Richtlinie übernimmt, war nicht veranlasst, da dieser erst am 17.2.2024 in Kraft tritt.Abs. 67
c. Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht schließlich das Bestehen einer für einen Unterlassungsanspruch erforderlichen Wiederholungsgefahr bejaht. Hiergegen hat die Berufung auch nichts erinnert.Abs. 68
B. Demgegenüber wendet sich die Berufung mit Erfolg gegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Geldentschädigung.Abs. 69
1. Entgegen der Ansicht der Klägerin haftet die Beklagte nicht als Täterin.Abs. 70
a. Die Frage, ob jemand als Täter anzusehen ist oder sich als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe in einer die zivilrechtliche Haftung begründenden Weise an einer deliktischen Handlung eines Dritten beteiligt hat, beurteilt sich nach den im Strafrecht entwickelten Rechtsgrundsätzen. Täter ist danach derjenige, der die Zuwiderhandlung selbst oder in mittelbarer Täterschaft begeht (§ 25 Abs. 1 StGB). Mittäterschaft erfordert eine gemeinschaftliche Begehung, also ein bewusstes und gewolltes Zusammenwirken (vgl. § 830 Abs. 1 Satz 1 BGB) (BGH Urt. v. 22.7.2010 - I ZR 139/08 - Rn. 30 mwN).Abs. 71
b. Hiernach kommt indes eine Haftung der Beklagten als Täterin oder Mittäterin einer Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin nicht in Betracht. Da ein soziales Netzwerk keinen rechtswidrigen Zweck verfolgt, vermag das schlichte Zur-Verfügung-Stellen der Plattform, d.h. der technischen Infrastruktur und des Speicherplatzes für die von ihren Nutzern geposteten Beiträge, keine täterschaftliche Haftung der Beklagten zu begründen. Zudem hat die Beklagte mit dem Zur-Verfügung-Stellen der Plattform bereits weit im Vorfeld der Posts mit dem der Klägerin untergeschobenen Falschzitat alles ihrerseits Erforderliche für deren Betrieb unternommen. Diese Posts wurden von Nutzern der Social-Media-Plattform der Beklagten eingestellt und öffentlich zugänglich gemacht. Demgegenüber beschränkt sich die Beklagte darauf, diese fremden Informationen zu speichern, ohne zuvor deren Inhalt zur Kenntnis genommen zu haben.Abs. 72
Hinzu kommt, dass auch im weiteren Verlauf in der Person der Beklagten die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung als Mittäterin der deliktischen Handlung ihrer Nutzer (das Persönlichkeitsrecht der Klägerin verletzende Posts durch Unterschieben des Falschzitats) nicht vorliegen. Selbst eine unterbliebene Sperrung solcher Posts nach Inkenntnissetzung ließe nicht den Schluss darauf zu, dass die Beklagte die von Nutzern der von ihr betriebenen Plattform begangene Persönlichkeitsrechtsverletzung nunmehr (auch) als eigene Tat i.S. eines Mittäters gewollt hat.Abs. 73
2. Ebenso wenig vermag die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung auf eine Haftung der Beklagten als Gehilfin/Teilnehmerin zu stützen.Abs. 74
a. Eine Haftung der Beklagte wegen Beihilfe durch aktives Tun zu den von Nutzern mittels ihres Dienstes begangenen Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist nicht begründet. Derjenige, der fremde Inhalte speichert, ist nur ausnahmsweise an der Rechtsverletzung als Gehilfe beteiligt. Solches ist etwa anzunehmen, wenn er vorsätzlich auf künftige Rechtsverletzungen durch Dritte hingewirkt hat (BGH Urt. v. 15.1.2009 - I ZR 57/07 - Rn. 18). Die Gehilfenhaftung setzt neben einer objektiven Beihilfehandlung auch einen zumindest bedingten Vorsatz in Bezug auf die jeweilige Haupttat einschließlich des Bewusstseins ihrer Rechtswidrigkeit voraus (BGH Urt. v. 19.4.2007 - I ZR 35/04 - Rn. 31; Urt. v. 22.7.2010 aaO. - Rn. 30).Abs. 75
Für den erforderlichen Gehilfenvorsatz reicht es mithin nicht aus, wenn die Beklagte lediglich mit gelegentlichen Rechtsverletzungen durch die Nutzer ihres Dienstes gerechnet haben sollte. Erforderlich wäre vielmehr eine Kenntnis der Beklagten von konkret drohenden Haupttaten (BGH Urt. v. 12.7.2012 - I ZR 18/11 - Rn. 17). Für den Zeitpunkt des Einstellens der Posts mit dem rechtsverletzenden Inhalt lässt sich ein derartiger doppelter Gehilfenvorsatz aber nicht feststellen. Dafür, dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der konkret drohenden Haupttat hatte, besteht vorliegend keinerlei Anhaltspunkt.Abs. 76
b. In Betracht kommt indes eine Beihilfe der Beklagten durch Unterlassen, wie sie hier das Landgericht angenommen hat, weil die Beklagte das Andauern von Posts mit dem streitgegenständlichen Falschzitat trotz Inkenntnissetzung von deren rechtsverletzenden Inhalts geduldet hat bzw. gegen diese nicht innerhalb der ihr mit Anwaltsschreiben vom 1.4.2021 gesetzten Frist eingeschritten ist.Abs. 77
aa. Eine Beihilfe durch Unterlassen setzt zusätzlich zu der objektiven Unterstützung der Rechtsverletzung, dem Vorsatz in Bezug auf die Haupttat und dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraus, dass den Gehilfen eine Rechtspflicht trifft, den Erfolg abzuwenden. Die erforderliche Handlung zur Verhinderung des Erfolgs muss von dem Verpflichteten rechtlich gefordert werden können; sie muss ihm möglich und zumutbar sein (BGH Urt. v. 22.7.2010 aaO. - Rn. 34). Der BGH hat zum Markenrecht eine Gehilfenhaftung bei „nachhaltiger“ Verletzung von Prüfungspflichten erwogen, allerdings bislang offengelassen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche anzunehmen ist (Urt. v. 22.7.2010 aaO. - Rn. 33).Abs. 78
bb. Im vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich eine Garantenpflicht der Beklagte daraus, dass sie ab Kenntnis von der Rechtsverletzung eine gesetzliche Pflicht zur unverzüglichen Löschung/Unterlassung (§ 10 Satz 1 Nr. 2 TMG) und damit zur Erfolgsverhinderung traf. Wie vorstehend unter A. Ziffer 2 lit. c. ausgeführt, war die Beklagte seit Inkenntnissetzung und Aufforderung mit Anwaltsschreiben vom 1.4.2021 verpflichtet, nicht nur identische Inhalte zu dem ihr bekannt gemachten Post 1, sondern auch sinngleiche Inhalte zu entfernen, also Posts, die trotz Hinzufügung einer Caption an dem durch das Meme hervorgerufenen rechtsverletzenden Eindruck nichts änderten.Abs. 79
Ob eine hartnäckige Weigerung, der Verpflichtung aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 10 TMG nachzukommen, grundsätzlich einen Anspruch auf eine Geldentschädigung zu begründen vermag, kann hier offenbleiben. Denn ein solches Verhalten der Beklagten vermag der Senat hier nicht festzustellen. Dass auch noch nach Ablauf der in dem Anwaltsschreiben gesetzten Frist zu Post 1 identische Posts auf der Plattform abrufbar waren bzw. wie lange und wie viele, wurde von der Klägerin nicht dargetan. Bei den sieben weiteren von der Klägerin identifizierten Rechtsverletzungen handelte es sich um sinngleiche Posts. Insoweit stellt sich die zunächst unterbliebene und erst nach konkretem Hinweis veranlasste Sperrung seitens der Beklagten allerdings mit Blick darauf, dass die Rechtslage insoweit nicht eindeutig und die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung nicht völlig unvertretbar ist, nicht als eine schwerwiegende Rechtsverletzung dar, wie sie eine Geldentschädigung erfordert. Denn die Frage, wie weit die Prüfungs- und Verhaltenspflichten eines Hostproviders bei sinngleichen Inhalten gehen, ist bisher weitgehend ungeklärt.Abs. 80
C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO. In Bezug auf den zurückgenommenen Klageantrag zu 1.II. (Post 2) beanstandet die Berufung zwar zu Recht, dass die Beklagte insoweit mangels offensichtlicher Persönlichkeitsrechtsverletzung keine Haftung traf. Dies wirkt sich jedoch nicht auf die Höhe des Streitwerts des Unterlassungsanspruchs und damit die Kostenverteilung aus.Abs. 81
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.Abs. 82
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob und unter welchen Voraussetzungen den Hostprovider eine Prüf- und Verhaltenspflicht in Bezug auf sinngleiche Inhalte trifft.Abs. 83

(online seit: 20.02.2024)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Frankfurt a.M., OLG, Kenntnis rechtswidrig geposteter Inhalte verpflichtet Plattformbetreiber zur Löschung sinn- und kerngleicher Posts - JurPC-Web-Dok. 0027/2024