JurPC Web-Dok. 11/2024 - DOI 10.7328/jurpcb202439111

VG Magdeburg

Beschluss vom 14.08.2023

15 B 35/23 MD

Disziplinarrechtliche Behandlung einer Vielzahl von unberechtigten Datenabfragen und -weitergaben

JurPC Web-Dok. 11/2024, Abs. 1 - 37


Leitsatz:

Eine Vielzahl von unberechtigten Datenabfragen und -weitergaben durch einen Polizeibeamten stellt eine erheblich dienstliche Pflichtverletzung dar, die mit der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme geahndet werden kann, insbesondere wenn weitere Dienstpflichtverletzungen hinzukommen. (Weiterentwicklung der Kammerrechtsprechung).

Gründe:

Der zulässige Antrag nach § 61 DG LSA, mit dem sich der Antragsteller als Polizeivollzugsbeamter gegen seine vorläufige Dienstenthebung durch Verfügung vom 06.07.2023 wendet, ist unbegründet. Die vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Verfügung nicht aufzuheben ist. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen nach § 61 Abs. 2 DG LSA keine ernstlichen Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.Abs. 1
1.) Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA).Abs. 2
Bei den Anordnungen nach § 38 DG LSA handelt es sich nicht um Disziplinarmaßnahmen im Sinne des disziplinarrechtlichen Maßnahmenkataloges, sondern um beamtenrechtliche Maßnahmen des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer/Baunack, BDG, 7. Auflage 2021, § 38 Rdnr. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.Abs. 3
Die Anordnungen müssen pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. zum Ganzen nur: VG Magdeburg zuletzt: Beschl. v. 25.07.2022 – 15 B 13/22 MD -; Beschl. v. 29.07.2020 - 15 B 7/20 -; Beschl. v. 11.02.2015 - 8 B 19/14 -, alle juris m. w. N.).Abs. 4
2.) Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Disziplinargerichts (vgl. nur zuletzt: Beschl. v. 17.11.2022 - 15 B 30/22 -, juris) ist dies der Fall, wenn sich die Entscheidungen nach § 38 DG LSA dem Grunde nach als rechtswidrig erweisen, weil die tatbestandlich geforderte Prognoseentscheidung hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der späteren voraussichtlichen Entfernung aus dem Dienst nicht - oder nicht sorgfältig - vorgenommen wird oder sich diese nicht bestätigt.Abs. 5
Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnungen nach § 38 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig sind (vgl. nur: Bay. VGH, B. v. 11.04.2012 - 16b DC 11.985 -; NdsOVG, B. v. 13.5.2005 - 3 ZD 1/05 -; alle juris). Es reicht aus, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.11.2019, 2 VR 3.19; OVG LSA, Beschl. v. 05.10.2020, 10 M 4/20; alle juris).Abs. 6
Die Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, B. v. 16.07.2009 - 2 AV 4.09 -; BayVGH, B. v. 20.04.2011 - 16b DS 10.1120 -; Sächs. OVG, B. v. 19.08.2010 - D 6 B115/10 mit Verweis auf B. v. 08.07.2010 - D6A116/10 n -; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rdnr. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rdnr. 51).Abs. 7
Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, B. v. 29.09.1997 - 2 WDB 3.97 -; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 22.09.2009 - 83 DB 1.09 -; OVG des Saarlandes, B. v. 17.06.2009 - 6 B 289/09 -; alle juris).Abs. 8
Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, B. v. 22.07.2002 - 2 WDB 1.02 -; OVG Berlin-Brandenburg; B. v. 18.08.2005 - 80 SN 1.05; Bay VGH, B. v. 11.04.2012 - 16b DCV 11.985 -; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs im Sinne eines konkreten Anklagesatzes als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. nur: Beschl. v. 25.07.2022 – 15 B 13/22 MD -, juris; vgl. auch: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006 - 1 D 1.06 -, v. 25.01.2007 - 2 A 3.05 -; Beschlüsse v. 13.03.2006 - 1 D 3.06 -, v. 18.11.2008 - 2 B 63.08 und v. 21.04.2010 - 2 B 101.09 -; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, B. v. 12.06.2012 - 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, B. v. 18.05.2011 - 6 B 211/11 -; juris).Abs. 9
Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).Abs. 10
Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggrün-den des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, U. v. 20.10.2005 - 2 C 12.04; U. v. 03.05.2007 - 2 C 9.06 -; B. v. 10.09.2010 - 2 B 97/09 -; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010 - DL 16 S 579/10 -; alle juris).Abs. 11
Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, B. v. 25.07.2022 – 15 B 13/22 MD -, juris; U. v. 04.11.2009 - 8 A 19/08 -, juris m. w. N.).Abs. 12
Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, B. v. 08.12.2004 - 2 BvR 52/02 -; BVerwG, U. v. 14.02.2007 - 1 D 12.05 mit Verweis auf U. v. 20.10.2005 - 2 C 12.04 -; NdsOVG, U. v. 20.11.2009 - 6 LD 1/09 -; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010 - DL 16 S 579/10 -; VG Saarland, U. v. 17.09.2010 - 7 K 238/09 -; alle juris).Abs. 13
3.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der disziplinarrechtlichen Verfügungen, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand der von der Antragsgegnerin angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist gegenwärtig mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller ein schwerwiegendes einheitlich zu bestimmendes inner- wie außerdienstliches Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund der Schwere die Prognose rechtfertigt, dass in Folge der bereits erhobenen Disziplinarklage (15 A 34/23 MD) auf die Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird.Abs. 14
Gerade im Zusammenspiel mit der zuvor erhobenen Disziplinarklage sind die vorgehaltenen Pflichtenverstöße hinreichend bestimmt und für den Beamten wie auch das Disziplinargericht nachprüfbar (vgl. nur. VG Magdeburg, Beschluss v. 29.07.2020, 15 B 7/20; juris). Denn in der Disziplinarklage sind die vorgehaltenen Abfragen substantiiert aufgelistet.Abs. 15
Es ist derzeit überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller die ihm vorgehaltenen 7 Pflichtverletzungen begangen hat; nämlich:Abs. 16
1. nicht dienstlich veranlasste Datenabfragen und –weitergaben;Abs. 17
2. versuchte Anstiftung zur Falschaussage;Abs. 18
3. Informationszettel/Nachbarschaft;Abs. 19
4. verspätete Dienstantritte;Abs. 20
5. Umgehung des Nutzugsverbotes polizeilicher Datensysteme;Abs. 21
6. Verhalten nach dienstl. Verkehrsunfall, Versuchte Unfallflucht.Abs. 22
7. Unfallflucht.Abs. 23
Mit der Anklage geht das Disziplinargericht davon aus, dass der Antragsteller gegen seine Dienstleistungspflicht (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG), Folgepflicht (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG), Pflicht zur Amtsverschwiegenheit (§ 37 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) und letztendlich gegen seine beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) verstoßen hat.Abs. 24
Die in der Verfügung genannten und in der Disziplinarklage substantiiert aufgeführten Datenabfragen waren nicht dienstlich veranlasst. Zudem belegen die von der Antragsgegnerin geführten Nachweise, dass der Antragsteller einzelne Abfragen und Information an Dritte weitergegeben hat. Dazu wird und darf auf die in der Disziplinarklage genannten Unterlagen verwiesen werden.Abs. 25
Grundsätzlich begeht ein Polizeibeamter ein schwerwiegendes Dienstvergehen, wenn er seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit durch Weitergabe von Daten aus dem polizeilichen Informationssystem oder auch aus sonstigen „Haftordnern“ verletzt. Derartige Pflichtverletzungen können durchaus zur Entfernung aus dem Dienst führen (vgl. VG Magdeburg, Beschluss vom 29.07.2020 – 15 B 7/20; OVG Saarland, U. v. 22.02.2006, 7 R 1/05; VG München, U. v. 08.12.2006, M 19 D063363; VG Meiningen, U. v. 16.03.2009, 6 D 60014/06 ME; VG Berlin, B. v. 20.02.2009, 80 Dn 68.08; Bayr. VGH, U. v. 24.11.2004, 16a D 03.2668; Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss v. 04.06.2020; VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 10.03.2008, DL 16 S 5/07; VG Münster, Urteil v. 12.11.2019, 13 K 1810/19.OEufach0000000007, Urteil v. 09.03.2010, 8 A 25/09; VG Magdeburg, Urteil v. 17.10.2013, 8 A 6/13; VG Trier, Urteil v. 22.09.2015, 3 K 66/15.TR; VG Saarland, Urteil v. 10.02.2017, 7 K 1965/15; OVG Saarland, Urteil v. 22.02.2018, 6 A 375/17; VG Berlin, Urteil v. 27.03.2012, 80 K 8.11 OL; alle juris).Abs. 26
Zwar gehört die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit zu den Hauptpflichten eines Beamten; sie dient sowohl dem öffentlichen Interesse, insbesondere dem Schutz der dienstlichen Belange der Behörde als auch dem Schutz des von Amtshandlungen betroffenen Bürgers. In ihrer Verletzung liegt in der Regel ein schwerwiegender Treuebruch, der durchaus geeignet ist, die Vertrauenswürdigkeit eines Beamten in Frage zu stellen. Wegen der großen Spannbreite der Verhaltensweisen hinsichtlich einer derartigen Pflichtverletzung lassen sich allerdings feste Regeln für eine Disziplinarmaßnahme nicht aufstellen. Je nach Bedeutung der vertraulich zu behandelnden amtlichen Vorgänge und dem Grad des Verschuldens kann ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht unterschiedliches Gewicht haben. Die Rechtsprechung geht deshalb davon aus, dass die Höchstmaßnahme regelmäßig nur dann ausgesprochen werden kann, wenn weitere erhebliche Pflichtverstöße, insbesondere Straftaten im Amt (vor allem Bestechlichkeit) oder sonstige erschwerende Umstände hinzutreten (VG Magdeburg, Beschluss vom 29.07.2020 – 15 B 7/20 MD; VG Magdeburg, Urteil v. 09.03.2010, 8 A 25/09; Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss v. 04.06.2020, 17 B 1/20; OVG Bautzen, Urteil vom 15.09.2010 - D 6 A 467/09; VG Berlin, Urteil vom 27.03.2012 - 80 K 8.11 OL; alle juris).Abs. 27
So liegt der Fall hier. Denn auch die anderen dem Beamten vorgeworfenen Pflichtverletzungen teilt das Disziplinargericht.Abs. 28
Der Antragsteller hat sich entsprechend dem seit 20.08.2020 rechtskräftigem Urteil des AG Köthen (507 Js 3964/19) am 27.11.2018 der versuchten Anstiftung zur Falschaussage nach § 159 StGB schuldig gemacht. Das Urteil enthält die tatsächliche bindende Feststellung (§§ 34 Abs. 1; 54 Abs. 1 DG LSA) zum Sachverhalt, der Antragsteller „schrieb (…) dann hast Du einfach nix gesehen (…) und wollte damit im Interesse seines Bekannten (…) die Zeugin (…) dazu bewegen, in dem Verfahren bewusst wahrheitswidrig auszusagen (…).“ Ohne Zweifel stellt die Begehung dieser Straftat einen Verstoß gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht eines Polizeivollzugsbeamten dar.Abs. 29
Der Hinweis auf seine Stellung als Polizeibeamter auf den Zetteln an die Nachbarschaft bezüglich einer Gartenparty stellt eine bewusste Einschüchterung der Nachbarschaft dar und wird der Achtung und dem Vertrauen des Polizeiberufs nicht gerecht (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG).Abs. 30
Die aufgeführten verspäteten Dienstantritte stellen eine Verletzung seiner Dienstleistungspflicht dar (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG).Abs. 31
Durch die genannten Zeugenaussagen ist belegt, dass der Antragsteller wiederholt versuchte, sein Nutzungsverbot der polizeilichen Informationssysteme durch die Einschaltung anderer Bediensteter zu umgehen, was einen Verstoß gegen seine beamtenrechtliche Folgepflicht (§ 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG) und letztendlich wieder der allgemeinen Wohlverhaltenspflicht (§ 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) bedeutet.Abs. 32
Ebenso folgt das Disziplinargericht der Antragsgegnerin in der Bewertung des Geschehens um den dienstlichen Verkehrsunfall am 10.07.2021 aufgrund der Zeugenaussage der Kollegin.Abs. 33
Schließlich kann auch der Sachverhalt des unerlaubten Verlassens vom Unfallort am 22.03.2021 aufgrund des Strafbefehls des AG Köthen v. 17.03.2022 (507 Js 17086/21) der disziplinarrechtlichen Würdigung zugrunde gelegt werden. Dabei hindert die letztendliche Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO nach Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 500,00 Euro nicht die disziplinarrechtliche Verwertung. Denn § 14 Abs. 1 Satz 1 DG LSA besagt nur, dass die Disziplinarmaßnahmen eines Verweises, einer Geldbuße oder Kürzung des Ruhegehaltes nicht ausgesprochen werden dürfen bzw. bei der Kürzung der Dienstbezüge ein disziplinarrechtlicher Überhang bestehen muss (§ 14 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 DG LSA bleibt der Ausspruch der übrigen Disziplinarmaßnahmen, also hier die Höchstmaßnahme, unberührt.Abs. 34
4.) Bei der Anstellung der notwendigen Gesamtprognose nach § 14 DG LSA insbesondere der Bewertung des Persönlichkeitsbildes des Antragstellers folgt das Disziplinargericht der ausführlichen und nachvollziehbaren Bewertung durch die Antragsgegnerin. Seine wie selbstverständlich angesehenen wiederholten Datenabfragen und –weitergaben auch in das kriminelle Milieu, seine strafrechtliche Verurteilung zur versuchten Anstiftung zur Falschaussage, die Geschehnisse um sein Verhalten nach Verkehrsunfällen und seine Begründungen zu den festgestellten verspäteten Dienstantritten zeigen, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Beamten einerseits und dem Dienstherrn und der Öffentlichkeit andererseits nicht mehr möglich erscheint. Dies wird durch sein außerdienstliches Verhalten bezüglich der Herausstellung seines Polizeiberufs in der Nachbarschaft und damit einer bewussten Einschüchterung der Öffentlichkeit unterstrichen.Abs. 35
Durchgreifende Milderungs- oder Entlastungsgründe, die das Verhalten des Antragstellers in einem milderen Lichte erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Der Zeitraum der disziplinarrechtlichen Ermittlungen vermag ihn nicht zu entlasten. Denn die Ermittlungen sind mehrfach wegen neuer Erkenntnisse zulässig ausgedehnt worden. Ein Disziplinarmaßnahmeverhängungs- oder -ausspruchsverbot (vgl. §§ 14, 15 DG LSA) liegt nicht vor (vgl. dazu nur: VG Magdeburg, Urteil v. 22.06.2022, 15 A 11/20; juris Rz. 320 ff). Der Besuch von Lehrgängen ist selbstverständlich und kann ihn nicht entlasten. Auf eine Beeinträchtigung des Dienstbetriebes oder der Ermittlungen nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA kommt es nicht an. Denn die Verfügung ist allein auf die Prognoseentscheidung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützt worden.Abs. 36
5.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.Abs. 37

(online seit: 24.01.2024)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Magdeburg, VG, Disziplinarrechtliche Behandlung einer Vielzahl von unberechtigten Datenabfragen und -weitergaben - JurPC-Web-Dok. 0011/2024