JurPC Web-Dok. 172/2023 - DOI 10.7328/jurpcb20233812172

VG Weimar

Beschluss vom 18.10.2023

1 E 1389/23 We

Anspruch auf Herausgabe der Personalakte

JurPC Web-Dok. 172/2023, Abs. 1 - 48


Leitsatz:

Kein Anspruch eines Beamten auf Untersagung der Herausgabe von bestimmten Bestandteilen der Personalakte an den Untersuchungsausschuss, wenn die Personalakte zumindest pseudonymisiert wurde.

Gründe:

I.Abs. 1
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtschutzes die Untersagung der Herausgabe seiner Personalakte an den Untersuchungsausschuss 7/4 „Postenaffäre“ der Thüringer Landesregierung.Abs. 2
Der Thüringer Landtag hat in seiner Sitzung vom 28. April 2023 die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Thematik „Mögliches Fehlverhalten der Landesregierung bei der Besetzung öffentlicher Ämter bei Staatssekretärinnen und Staatssekretären sowie Stellen von persönlichen Mitarbeitern (kurz: „Untersuchungsausschuss Postenaffäre“) beschlossen. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen. Dieser Untersuchungsausschuss hat in seiner 1. Sitzung am 7. Juli 2023 den Beweisantrag „Vorlage UA 7/4-1“ beschlossen, der u. a. die Vorlage sämtlicher bei der Landesregierung befindlicher Unterlagen, die im Zusammenhang mit der Besetzung der von Stellen von persönlichen Mitarbeitern in den Leitungsbereichen der Ministerien durch die seit dem 30. Oktober 2009 im Amt befindlichen Landesregierungen stehen vorsieht.Abs. 3
Mit Schreiben vom 25. August 2023 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass seine Personalakte zu den abgeforderten Unterlagen gehöre. Dabei sei vorgesehen, in der Personalakte seine persönlichen Daten und die Kontaktdaten Dritter zu anonymisieren. Das Schreiben enthielt ferner Ausführungen zur Rechtsmittelfrist.Abs. 4
Gegen dieses Schreiben legte der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 29. August 2023 Widerspruch ein.Abs. 5
Am 6. September 2023 hat der Antragsteller um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht.Abs. 6
Sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung werde durch die Herausgabe der Personalakte verletzt. Ein Einverständnis mit der Offenlegung seiner Daten sei nicht erteilt worden. Seine Rechte seien durch § 50 Beamtenstatusgesetz – BeamtStG – geschützt, welcher normiere, dass die Personalakte vertraulich zu behandeln sei. Ein Rückgriff auf § 14 Landesgesetz über die Einsetzung und das Verfahren von Untersuchungsausschüssen (Untersuchungsausschussgesetz – Thür UAG -) sei „unvertretbar“ und „falsch“. Eine Rechtsgrundlage für die Vorlage der Personalakten sei im Bescheid vom 25. August 2023 auch nicht benannt worden. Eine materielle Prüfung der Voraussetzungen habe nicht stattgefunden. Der Antragsgegner habe insbesondere eine Prüfung, ob der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung des Antragstellers betroffen sein könnte, nicht durchgeführt. Darüber hinaus falle er auch nicht unter die Voraussetzungen des Untersuchungsausschusses, da er nicht in den Leitungsbereich des Ministeriums eingestellt worden sei.Abs. 7
Da bei Übersendung der Personalakte an den Untersuchungsausschuss der Eingriff in die Grundrechte des Antragstellers nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, sei die geforderte Anordnung geboten.Abs. 8
Der Antragsteller beantragt,Abs. 9
dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzugeben, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR zu unterlassen, die Personalakten des Antragstellers ganz oder teilweise im Original oder geschwärzt an den Untersuchungsausschuss 7/4 „Postenaffäre“ der Thüringer Landesregierung im Thüringer Landtag zu übersenden.Abs. 10
Der Antragsgegner beantragt,Abs. 11
den Antrag abzulehnen.Abs. 12
Rechtsgrundlage für die Übersendung der Verwaltungsakte sei § 14 Thür UAG. Durch Vorlage von Personalakten sei das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen, welches jedoch mit dem Kontroll- und Aufklärungsauftrag des Untersuchungsausschusses abzuwägen sei. Der Eingriff in Grundrechte sei dann möglich, wenn der Untersuchungsausschuss die erforderlichen Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen treffe und der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht betroffen sei. Dies führe zur Praxis, dass eine Interessenabwägung – ausgenommen von extremen Fällen – stets dazu führe, dass der Untersuchungsausschuss die Informationen erhalte. Darüber hinaus habe sich der Antragsgegner dazu entschlossen, die Personalakte des Antragstellers in pseudonymisierter Form zur Verfügung zu stellen.Abs. 13
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten Bezug genommen.Abs. 14
II.Abs. 15
Der Antrag ist abzulehnen, da er zwar zulässig, aber unbegründet ist.Abs. 16
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft. Hiernach kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.Abs. 17
In Abgrenzung zu § 80 Abs. 5 VwGO, der die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs anordnet bzw. wiederherstellt, ist vorliegend nach dem Antragsbegehren die Unterlassung der Übersendung der Personalakte des Antragstellers an den Untersuchungsausschuss Gegenstand des Verfahrens. Dieses Ziel kann der Antragsteller lediglich mit einem vorbeugenden Unterlassungsanspruch gegen hoheitliches Handeln geltend machen; mithin in der Hauptsache Leistungsklage erheben.Abs. 18
Der Antragsteller ist auch analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, weil zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Übersendung in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, welches in vorliegenden Fall als lex specialis in § 50 Satz 4 BeamtStG – Vertraulichkeit der Personalakte – enthalten ist, eingegriffen wird.Abs. 19
Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist.Abs. 20
Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Unterlassung der Herausgabe der Personalakten an den Untersuchungsausschuss bildet der vorbeugende Unterlassungsanspruch, welcher zumindest gewohnheitsrechtlich anerkannt ist (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 6 C 7/13 –, juris, – zu den Voraussetzungen eines solchen Anspruchs; BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2017 – 6 A 6/16 –, BVerwGE 161, 76-87 m.w.N.).Abs. 21
Zwar liegt die hierfür erforderliche Beeinträchtigung des Antragstellers in seinem subjektiv-öffentliches Recht vor, allerdings ist der Antragsteller verpflichtet, diesen Eingriff zu dulden.Abs. 22
Die Beeinträchtigung des subjektiv-öffentlichen Rechts ergibt sich, wie der Antragsteller in zutreffender Weise vorträgt, aus einer Verletzung seines informationellen Selbstbestimmungsrechts, in Form der spezialgesetzlichen Ausgestaltung des § 50 Satz 4 und 5 BeamtStG. Danach ist die Personalakte vertraulich zu behandeln. Personalaktendaten dürfen ohne Einwilligung der Beamtin oder des Beamten nur für Zwecke der Personalverwaltung oder Personalwirtschaft verarbeitet werden. Die geplante Vorlage der Personalakte des Antragstellers an den Untersuchungsausschuss greift in dieses Recht ein.Abs. 23
Der Antragsteller ist allerdings vorliegend zur Duldung der Herausgabe seiner Personalakte durch den Antragsgegner an den Untersuchungsausschuss verpflichtet. Die Herausgabe der Personalakte stellt sich als rechtmäßig dar.Abs. 24
Eine Duldungspflicht auf Herausgabe der Personalakte ohne die Einwilligung des Antragstellers ergibt sich bereits aus § 50 Satz 5 BeamtStG. Danach kann für Ausnahmefälle ohne Einwilligung landesrechtlich eine von Satz 4 abweichende Verarbeitung vorgesehen werden.Abs. 25
Eine solche Regelung sind § 14 Thür UAG in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Thür UAG als Rechtsgrundlage für die Herausgabe der Personalakte an den Untersuchungsausschuss (vgl. v. Roetteken in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, § 50 BeamtStG, Stand Sept. 2023; Rn. 309, juris, zu den sachlich grundsätzlich zulässigen Ausnahmen). Nach § 13 Abs. 1 Thür UAG erhebt der Untersuchungsausschuss die durch den Untersuchungsauftrag gebotenen Beweise aufgrund von Beweisbeschlüssen. Nach § 14 Abs. 1 Thür UAG sind die Landesregierung und die Behörden des Landes sowie die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen, u.a. verpflichtet, die von dem Untersuchungsausschuss angeforderten Akten vorzulegen und Auskünfte zu geben.Abs. 26
Entgegen der Ansicht des Antragstellers umfasst der Beweisbeschluss auch die Personalakte des Antragstellers. Dem Beweisbeschluss vom 7. Juli 2023 ist zu entnehmen, dass einem Antrag des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses auf Aktenvorlage entsprochen wurde. Diesem ist zu entnehmen, dass die Landesregierung um Vorlage sämtlicher bei der Landesregierung und ihren nachgeordneten Behörden entstandener bzw. befindlicher Unterlagen, einschließlich solcher in elektronischer Form, ersucht wird, die im Zusammenhang mit der Ernennung bzw. Einstellung von Staatssekretärinnen und Staatssekretären sowie mit der Besetzung von Stellen von persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (Büroleitern, Grundsatzreferenten, persönlichen Referenten sowie Leitern für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) in den Leitungsbereichen der Ministerien und der Staatskanzlei durch die seit dem 30. Oktober 2009 im Amt befindlichen Landesregierungen stehen. Der Beschluss betrifft mithin nicht nur – wie der Antragsteller meint – die Einstellung, sondern auch die anderweitige Besetzung von Stellen.Abs. 27
Darunter fällt auch der Antragsteller, der mit Schreiben vom 4. November 2009 zum Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt versetzt und dem mit Schreiben vom 5. November 2009 mitgeteilt wurde, dass er auf seine Versetzung hin mit Dienstantritt als Sachbearbeiter in der Funktion „Persönlicher Mitarbeiter des Ministers“ eingesetzt werde.Abs. 28
Inwieweit zeitlich gesehen nach der Besetzung des Antragstellers auf dem Dienstposten als persönlicher Mitarbeiter, die Personalakte des Antragstellers Aufschluss über die möglicherweise rechtswidrige Besetzung geben kann (z.B. etwaige Fortbildungen nach November 2009 oder Beurteilungen nach 2010), kann das Gericht nicht abschätzen. Insofern erscheint es der Kammer zumindest – wenn auch entfernt – möglich, dass auch Aufgabenbeschreibungen in nachfolgenden dienstlichen Beurteilungen oder der Stellenbesetzung nachfolgende Fortbildungen Hinweise auf mögliche Entscheidungen zum davor gelagerten Stellenbesetzungsverfahren geben könnten. Sofern dies absolut ausgeschlossen sein sollte, hätte es dem Antragsteller aber jedenfalls oblegen, im Rahmen eines einstweiligen Rechtschutzverfahren nach § 123 VwGO glaubhaft zu machen, weshalb die Vorlage konkret benannter Teile der Teilakten A (Grundbestandteile), B (Ernennungs-, Verwendungs- und Laufbahnvorgänge) und C (Beurteilungen) nach seiner Besetzung als persönlicher Mitarbeiter im Jahr 2009 nicht mehr vom Untersuchungsbeschluss gedeckt sein könnte. Eine solche Glaubhaftmachung liegt hingegen nicht vor.Abs. 29
Der Antragsgegner ist auch nicht nach § 14 Abs. 3 Nr. 3 Thür UAG von der Vorlagepflicht befreit. Danach besteht die Verpflichtung auf Aktenvorlage nach Absatz 1 der Vorschrift nicht, wenn durch deren Erfüllung in Grundrechte eingegriffen würde.Abs. 30
Zwar liegt durch die Herausgabe – wie bereits festgestellt – ein Eingriff ist das Grundrecht auf statusrechtlich umfassende informationelle Selbstbestimmung vor, jedoch enthält die Sätze 2 und 3 des Absatzes 3 eine Gegenausnahme in der Gestalt, dass eine Berufung auf den Grundrechtseingriff ausgeschlossen ist, soweit für den Untersuchungsausschuss die erforderlichen Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen getroffen sind und der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht betroffen sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet ist. Diese gesetzliche Ausgestaltung entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Juli 1984 – 2 BvE 11/83 –, BStBl II 1984, 634, BVerfGE 67, 100-146, Rn. 140; BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1987 – 2 BvR 1178/86 –, BVerfGE 77, 1-64, Rn. 111)Abs. 31
Der Vorbehalt der Betroffenheit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung trägt dem Grundrecht des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz – GG – Rechnung.Abs. 32
Die vorzulegende Personalakte umfasst nicht den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung. Sie enthält zwar vorliegend personenbezogene Daten, die allerdings nicht in die tiefste private Lebensgestaltung einwirken. Bei den Daten aus der Personalakte handelt es sich nicht um solche Informationen über die Person des Antragstellers, die etwa in Briefen, E-Mails oder gar Tagebücher enthalten sind und damit einen geschützten personellen Bereich betreffen. Die Angaben, die in der Personalakte des Antragstellers enthalten sind, sind Angaben, die er selbst gegenüber dem Dienstherrn oder die der Dienstherr ihm gegenüber gemacht hat und damit den persönlichen Bereich bereits verlassen haben.Abs. 33
Dies gilt im vorliegenden Fall vor allem deshalb, weil lediglich ein Teil der Personalakte von der Übersendung betroffen ist, namentlich die Teilakten A (Grundbestandteile), B (Ernennungs-, Verwendungs- und Laufbahnvorgänge) und C (Beurteilungen). Die anderen Teilakten D (Rechnungsvorgänge, Fürsorgeangelegenheiten) und V (Vorakte), die deutlich mehr die Privatsphäre des Beamten treffen, sind von der Übersendung bereits nicht umfasst.Abs. 34
Es sind auch ausreichende Vorkehrungen für den Geheimschutz im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 Thür UAG getroffen worden.Abs. 35
Nach § 26 Abs. 1 Thür UAG sind die Mitglieder und ständige Ersatzmitglieder des Untersuchungsausschusses sowie von den Fraktionen nach § 10 Abs. 6 benannte Mitarbeiter auch nach dessen Auflösung verpflichtet, über die ihnen im Rahmen des Untersuchungsverfahrens bekannt gewordenen Tatsachen Verschwiegenheit zu bewahren. Nach § 26 Abs. 4 Thür UAG sind Personen, die nicht aufgrund einer Amts- oder Dienstpflicht zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, und denen durch Gewährung von Akteneinsicht oder durch Aktenauskünfte oder in sonstiger Weise geheimhaltungsbedürftige Tatsachen bekannt werden, zur Geheimhaltung zu verpflichten. Nach Art. 64 Abs. 3 ThürVerf und § 10 Abs. 4 Thür UAG kann die Öffentlichkeit von der Beweiserhebung ausgeschlossen werden, soweit öffentliche oder private Geheimhaltungsgründe dies gebieten. Gemäß § 26 Abs. 2 Thür UAG dürfen fremde Geheimnisse, namentlich zum persönlichen Lebensbereich gehörende Geheimnisse, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, nur mit Ermächtigung der dazu befugten Personen offenbart werden, es sei denn, die Offenbarung ist gesetzlich geboten.Abs. 36
In der Gesamtschau hält das Gericht die bestehenden Vorschriften für hinreichend geeignet, die berechtigten Interessen des Antragstellers zu wahren.Abs. 37
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist auch beachtet worden. Dabei ist es unschädlich, dass eine solche Prüfung nicht aus den Gründen des Schreibens an den Antragsteller vom 6. September 2023 hervorgeht. Der Begriff des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 14 Abs. 3 Thür UAG stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der der vollen gerichtlichen Überprüfung obliegt. Er ist nicht – wie der Antragsteller bisweilen in seinen Schriftsätzen andeutet – im Rahmen einer Ermessensprüfung zu prüfen, sondern ist Tatbestandsvoraussetzung für § 14 Abs. 3 Thür UAG, sodass ein Ermessensausfall diesbezüglich nicht vorliegen kann.Abs. 38
In die Abwägung der Interessen ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Antragstellers im Verhältnis zum Untersuchungsrecht des Parlaments einzustellen. In diesem Verhältnis überwiegt das Grundrecht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung im Verhältnis zum Untersuchungsrecht des Parlaments nicht.Abs. 39
Das Untersuchungsrecht des Landtages hat Verfassungsrang. Es gehört zu den ältesten und wichtigsten Rechten des Parlaments. Es verschafft die Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung, die das Parlament zur Vorbereitung seiner Entscheidungen und vor allem zur Wahrung seiner Kontrollfunktion gegenüber der ihm verantwortlichen Regierung benötigt (BVerfG, B. v. 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07 -, Rn. 105, 112, juris).Abs. 40
Das parlamentarische Regierungssystem wird grundlegend durch die Kontrollfunktion des Parlaments geprägt. Der Grundsatz der Gewaltenteilung, der zu den tragenden Organisationsprinzipien des Grundgesetzes gehört und dessen Bedeutung in der politischen Machtverteilung, dem Ineinandergreifen der drei Gewalten und der daraus resultierenden Mäßigung der Staatsgewalt liegt, gebietet gerade im Hinblick auf die starke Stellung der Regierung - zumal wegen mangelnder Eingriffsmöglichkeiten des Parlaments in dem der Exekutive zukommenden Bereich unmittelbarer Handlungsinitiative und Gesetzesanwendung - eine Auslegung des Grundgesetzes dahingehend, dass parlamentarische Kontrolle wirksam sein kann. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, gerade auch den Untersuchungsausschuss mit denjenigen Befugnissen ausgestattet anzusehen, derer er bedarf, um die ihm aufgegebene Klärung von Zweifeln an der Gesetzlichkeit oder Lauterkeit von Regierungs- oder Verwaltungsmaßnahmen wirksam vornehmen zu können. Zu diesen Befugnissen gehört – im Rahmen des durch Parlamentsbeschluss festgelegten Untersuchungsauftrags – als ein Bestandteil des Rechts, die erforderlichen Beweise zu erheben, das Recht auf Einsichtnahme in die Akten der Regierung (BVerfG, U. v. 17. Juli 1984 - 2 BvE 11/83, 2 BvE 15/83 -, Rn. 102, juris). Das Recht auf Aktenvorlage gehört zum Kern des Untersuchungsrechts (BVerfG, B. v. 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07 -, Rn. 112, juris).Abs. 41
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung trägt hingegen Gefährdungen und Verletzungen der Persönlichkeit Rechnung, die sich besonders unter den Bedingungen moderner Datenverarbeitung ergeben. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Die Gewährleistung greift insbesondere, wenn die Entfaltung der Persönlichkeit dadurch gefährdet wird, dass personenbezogene Informationen von staatlichen Behörden in einer Art und Weise genutzt und verknüpft werden, die Betroffene weder überschauen noch beherrschen können (BVerfG, Beschluss vom 10. November 2020 – 1 BvR 3214/15 –, BVerfGE 156, 11-63, juris, Rn. 71).Abs. 42
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darf, soweit es von der Beweiserhebung des Untersuchungsausschusses berührt wird, nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingeschränkt werden. Die Einschränkung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist. Das Beweiserhebungsrecht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses und der grundrechtliche Datenschutz stehen sich auf der Ebene des Verfassungsrechts gegenüber und müssen im konkreten Fall einander so zugeordnet werden, dass beide soweit wie möglich ihre Wirkungen entfalten.Abs. 43
Die dabei gebotene Abwägung kann auch die Prüfung einschließen, ob nach den Umständen – wie bereits oben erörtert – eine öffentliche Beweisaufnahme gerechtfertigt ist oder ob die Grundrechte einen Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 10 Abs. 4 Thür UAG) erfordern. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings auch die Bedeutung des Öffentlichkeitsprinzips in der Demokratie, dem - wie § 10 Abs. 3 Thür UAG belegt, indem er die Beweiserhebung grundsätzlich in öffentlicher Sitzung vorsieht - gerade auch für das parlamentarische Untersuchungsverfahren ein besonderer Stellenwert zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2009 - 2 BvE 3/07, BVerfGE 124, 78 = juris, Rn. 134 m. w. N.).Abs. 44
Dabei ist auch zu berücksichtigten, dass ein Grundrechtseingriff in die informationelle Selbstbestimmung nur gegeben sein kann, wenn persönliche oder personenbezogene Daten erfasst werden. Unter personenbezogenen Daten sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zu verstehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. November 2010 - 1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1 = juris, Rn. 156 m. w. N.). Dieser Personenbezug besteht fort, solange die Bezugsperson "bestimmbar", "identifizierbar" oder "individualisierbar" bleibt. Daher ist für die Frage des Grundrechtseingriffs allein die Grenze zwischen Bestimmbarkeit und Nichtbestimmbarkeit der Bezugsperson entscheidend (vgl. BVerfG, Urteile vom 24. November 2010 - 1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1 = juris, Rn. 163, und vom 7. November 2017 - 2 BvE 2/11, BVerfGE 147, 50 = juris, Rn. 236). Erfolgen Schutzmaßnahmen, die für eine Nichtbestimmbarkeit der Betroffenen hinreichend Sorge tragen, stehen Individualgrundrechte der Weitergabe der Akten damit grundsätzlich nicht entgegen. Eine solche Unkenntlichmachung ist denkbar im Wege einer vollständigen Schwärzung/Anonymisierung der Personenbezüge (Name, Anschrift, Angehörige etc.) oder im Wege ihrer Pseudonymisierung. Letztere schafft ein gleichwirksames Schutzniveau für die betroffenen Daten, erleichtert aber - da Querbezüge und Kontext in schlüssiger Form erhalten bleiben - die Lesbarkeit und Auswertbarkeit der Texte (Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. April 2021 – 177/20 –, juris, Rn. 198).Abs. 45
Eine solche Pseudonymisierung der Personalakte des Antragstellers ist vorliegend nach dem vom Antragsgegner vorgelegten Schriftsatz vom 29. September 2023 vor der Versendung an den Untersuchungsausschuss vorgesehen, sodass die Übersendung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht mehr beeinträchtigten kann, weil der Antragsteller gerade nicht mehr bestimmbar, identifizierbar oder individualisierbar ist. Im Zuge dessen stellt sich die Maßnahme als verhältnismäßig dar.Abs. 46
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.Abs. 47
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – . In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beträgt der Streitwert in der Regel die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwertes, welcher vorliegend nach § 52 Abs. 2 GKG mit 5.000 Euro zu bemessen wäre; nur in Verfahren, die die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnehmen, kann der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben werden. Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Verfahren nimmt die Hauptsache vorweg, da eine tatsächlich durchgeführte Aktenübersendung nicht rückgängig gemacht werden kann, weil dann bereits Informationen daraus gewonnen werden konnten.Abs. 48

(online seit: 12.12.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Weimar, VG, Anspruch auf Herausgabe der Personalakte - JurPC-Web-Dok. 0172/2023