JurPC Web-Dok. 168/2023 - DOI 10.7328/jurpcb20233812168

Hamburgisches OVG

Beschluss vom 21.09.2023

3 Bs 88/23

Beschwerdeerhebung unter Missachtung der erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur

JurPC Web-Dok. 168/2023, Abs. 1 - 20


Leitsätze:

1. Ein nicht qualifiziert elektronisch signiertes Dokument wird nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Behördenpostfach (beBPo) im Sinne des § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Nr. 3 VwGO eingereicht, wenn dem elektronischen Dokument der gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV nötige Vertrauenswürdige Herkunftsnachweis (VHN) beigefügt war.

2. Eine wirksame ein Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ausschließende Ausgangskontrolle setzt bei Nutzung eines beBPos voraus, dass die Organisation der Geschäftsprozesse und die Einrichtung der dabei verwendeten IT-Systeme und Anwendungen so gestaltet ist, dass eine Fristversäumung infolge des Versendens von Nachrichten via beBPo ohne VHN grundsätzlich vermieden wird.

3. Das Versäumnis eines mit der Betreuung der IT-Systeme und Anwendungen beauftragten externen Dienstleisters, das erforderliche beBPo-VHN-(Signatur-)Zertifikat auf einem Server zu hinterlegen, stellt ein Organisationsverschulden der Behörde dar, wenn sie nicht in geeigneter Art und Weise dafür Sorge getragen hat, dass dieser in hinreichend detaillierter Form beauftragt und angeleitet, angewiesen sowie überwacht wird, die entsprechenden Vorkehrungen und Sicherungsmaßnahmen zu realisieren und ggf. so auszugestalten, dass auch ihr und ihren Sachbearbeitern das Erkennen eines unbeabsichtigten Versendens von Nachrichten via beBPo ohne VHN ermöglicht wird.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 5. Juli 2023, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Untersagungsanordnung des Antragsgegners – in der von ihr betriebenen Internetsuchmaschine bei der Suche des Namens der Beigeladenen keine Suchergebnisse anzuzeigen, falls der Name der Beigeladenen im Snippet des Suchergebnisses angezeigt wird und der im Snippet angezeigte Text, die URL der Quelle oder die Quellen, auf die das Suchergebnis verweist, sexuelle Inhalte, Nacktheit, (Sex-)Dating-Inhalte oder Werbung hierfür enthalten, bei Anklicken eines Bereichs auf der Webseite der Quelle des Suchergebnisses eine Weiterleitung auf Webseiten mit solchen Inhalten erfolgt oder die Quelle des Suchergebnisses Seiten der Domains ....com, ....com und ....com sind – stattgegeben wurde, wird als unzulässig verworfen, da sie entgegen § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht – jedenfalls nicht formwirksam – innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses bei Gericht eingegangen ist.Abs. 1
Gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO ist die – gegen Eilbeschlüsse des Verwaltungsgerichts statthafte (§ 146 Abs. 1 VwGO) – Beschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen und gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a, 123 VwGO) – wie hier – gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO zudem innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Der mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung (§ 58 VwGO) versehene Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5. Juli 2023 ist dem Antragsgegner ausweislich seines Empfangsbekenntnisses am 6. Juli 2023 bekanntgegeben worden. Die Zwei-Wochen-Frist zur Einlegung der Beschwerde endete demnach gemäß § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 20. Juli 2023.Abs. 2
Innerhalb dieser Frist ist indes weder bei dem Verwaltungsgericht noch bei dem Beschwerdegericht wirksam Beschwerde eingelegt worden. Die Beschwerde wurde zwar bereits am 19. Juli 2023 und damit innerhalb der Beschwerdefrist beim Verwaltungsgericht eingereicht. Die als elektronisches Dokument eingegangene Beschwerde hat die Beschwerdefrist aber nicht gewahrt, weil sie nicht formwirksam gemäß § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO übermittelt wurde. Wird ein Schriftsatz nach § 55a Abs. 1 VwGO als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht, muss er nach § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von ihr (mindestens einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 55a Abs. 4 VwGO) eingereicht werden. Keine dieser Alternativen ist ausweislich des Transfervermerks, Prüfprotokolls und Prüfvermerks vom 19. Juli 2023 zur Einreichung der Beschwerdeeinlegungsschrift vom 19. Juli 2023 als elektronisches Dokument über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) im vorliegenden Fall erfüllt.Abs. 3
Die Beschwerdeeinlegungsschrift vom 19. Juli 2023 war nicht im Sinne des § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 VwGO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person (vgl. Art. 3 Nr. 12 der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 (elDAS-VO)) versehen, sondern von der verantwortenden Person (der Prozessvertreterin des Antragsgegners) nur einfach elektronisch (maschinenschriftlich) signiert. Entgegen dem Vortrag des Antragsgegners vom 31. August 2023 wurde die Beschwerdeeinlegungsschrift vom 19. Juli 2023 auch nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO eingereicht.Abs. 4
Gemäß § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO ist der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts (beBPo) und der elektronischen Poststelle des Gerichts ein sicherer Übermittlungsweg, wobei das Nähere die Verordnung gemäß § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO regelt. Das ist in den §§ 6 ff. der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) geschehen. § 6 Abs. 1 ERVV legt dabei die Anforderungen an ein beBPo fest, ohne die kein sicherer Übermittlungsweg vorliegt (vgl. die gesetzliche Normüberschrift sowie BR-Drs. 645/17, S. 17 f. (zu § 6)). Insbesondere bestimmt § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV, dass bei einem beBPo feststellbar sein muss, dass das elektronische Dokument vom Postfachinhaber (von der jeweiligen Behörde oder juristischen Person des öffentlichen Rechts) versandt wurde. Denn beim einfachen EGVP ist zwar eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der elektronischen Kommunikation durch Verwendung des Protokollstandards OSCI (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 ERVV) gewährleistet, nicht jedoch eine Identifizierung des versendenden Postfachinhabers (vgl. BR-Drs. 645/17, S. 14 (zu § 4)). Deshalb muss gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV die Identität des Inhabers eines beBPo für das Gericht beim Empfang einer Nachricht über das EGVP feststellbar sein, was die Übermittlung eines Herkunftsnachweises erfordert (vgl. BR-Drs. 645/17, S. 18 Mitte). Dazu wird bei einem beBPo der über das EGVP versandten Nachricht ein sog. Vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis (VHN) beigefügt. Der VHN weist dem Empfänger nach, dass der versendende Postfachinhaber nach seiner Authentifizierung und Identifizierung in einem bestimmten sicheren Verzeichnisdienst geführt wird (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ERVV) und dass zum Zeitpunkt der Erstellung der Nachricht eine der zugangsberechtigten Personen (vgl. § 8 ERVV) sicher an seinem Postfach (dem beBPo) angemeldet war. Ist das der Fall, gibt die Software des EGVP dem Empfänger (dem Gericht) über den Transfervermerk und das Prüfprotokoll (seit September 2019 auch über den deren Daten zusammenfassenden Prüfvermerk) die Information „Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen Behördenpostfach“ (vgl. OVG Bautzen, Beschl. v. 16.12.2019, 4 A 1158/19.A, juris Rn. 5 – mit Verweis auf die Informationen zum besonderen Behördenpostfach unter https://egvp.justiz.de/behoerdenpostfach, abgerufen am 9.9.2023, v.a. die dort verlinkte Information zum Herkunftsnachweis; sowie Müller, eJustice-Praxishandbuch, 4. Aufl. 2019, S. 110, 306/307 und 355 ff.; dem folgend OVG Lüneburg, Beschl. v. 6.5.2020, 2 LA 722/19, EzAR-NF 98 Nr. 134, juris Rn. 6 ff.; OVG Magdeburg, Beschl. v. 31.5.2022, 1 M 56/22, juris Rn. 3; vgl. ferner BVerwG, Beschl. v. 12.10.2021, 8 C 4/21, DVBl 2022, 51, juris Rn. 11; BGH, Beschl. v. 6.4.2023, I ZB 103/22, juris Rn. 15).Abs. 5
Diese Information weist weder der Transfervermerk oder das Prüfprotokoll noch der deren Daten zusammenfassende Prüfvermerk vom 19. Juli 2023 zur Einreichung der Beschwerdeeinlegungsschrift vom 19. Juli 2023 aus. Stattdessen ergibt sich aus diesen Prüfdokumenten nur die Angabe „ACHTUNG! Der Absender der Nachricht ist kein identifizierter EGVP-Teilnehmer.“ Als Ergebnis der fachlichen Prüfung enthält das Prüfprotokoll zudem den Eintrag „ungültig“. Der Nachricht, mit der die Beschwerdeeinlegungsschrift übersandt wurde, war somit der gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV nötige Herkunftsnachweis nicht beigefügt, so dass die Beschwerdeeinlegungsschrift nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO eingereicht wurde. Entsprechend enthält die im Prüfprotokoll erwähnte Datei „vhn.xml“ (Inhaltsdaten des VHN) den Programmcode „<Sicherer_Uebermittlungsweg>nein</Sicherer_Uebermittlungsweg>“; die erforderliche externe Signatur der vorgenannten Datei „vhn.xml“ („vhn.xml.p7s“) wurde nicht übermittelt.Abs. 6
Soweit der Antragsgegner zur Begründung seiner Auffassung, die Beschwerdeeinlegungsschrift sei auf einem sicheren Übermittlungsweg versendet worden, im Rahmen seines Schriftsatzes vom 31. August 2023 darauf verweist, dass er auf den Versand hin als Rückmeldung über das genutzte Programm „Governikus“ einen Laufzettel mit dem Hinweis „Signaturprüfung OK“ erhalten habe und auch aus den „Sendeprotokollen“ kein Hinweis ersichtlich gewesen sei, dass bei der Übertragung ein Problem auf seiner Seite aufgetreten sein könnte, vermag dies kein anderes Ergebnis zu begründen. Abgesehen davon, dass aus der im vorgelegten „VPS Laufzettel für Absender:innen vom 19. Juli 2023, 14:53:19“ enthaltenen Angabe „Signaturprüfung OK“ nicht ohne Weiteres hervorgeht, welche Signatur inwieweit geprüft wurde, ändert das Ausbleiben einer Fehlermeldung im Rahmen der von dem Antragsgegner eingesetzten Software nichts daran, dass der Nachricht, mit der die Beschwerdeeinlegungsschrift übersandt wurde, der gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV nötige Herkunftsnachweis nicht beigefügt war. Ob das eingegangene Dokument aus einem sicheren Übermittlungsweg versandt worden ist, lässt sich anhand des Prüfvermerks, des Transfervermerks oder des Prüfprotokolls erkennen; sie visualisieren den VHN (vgl. Müller, in: Ory/Weth, jurisPK-ERV, Band 3, 2. Aufl., Stand 14.8.2023, § 55a VwGO, Rn. 215). Der Antragsgegner trägt im Übrigen selbst vor, dass nach seinem bisherigen Erkenntnisstand „der VHN“ (gemeint ist offenbar das beBPo-vHN-(Signatur-)Zertifikat) bei einem Anschluss eines Outlook-Postfachs an den „Governikus-Messenger“ auf einem D...-Server hätte hinterlegt werden müssen und dass dies aus nicht geklärten Gründen nicht geschehen sei.Abs. 7
Dass die Beschwerdeeinlegungsschrift auf einem sicheren Übermittlungsweg versandt wurde, ergibt sich letztlich auch nicht aus dem mit dem Schriftsatz vom 31. August 2023 vorgelegten Screenshot von den Einstellungen im „Governicus-Client“ zur Transportsignatur und dem in insoweit ausgewählten Signaturschlüssel des Ausstellers „beBPo VHN CA 2017“, der danach noch bis zum 9. September 2027 gültig ist. Unabhängig davon, dass der Nachricht, mit der die Beschwerdeeinlegungsschrift übersandt wurde, der erforderliche VHN – wie ausgeführt – offenbar aus den vom Antragsgegner genannten Gründen tatsächlich nicht beigefügt war, lässt sich nicht ersehen, dass die abgebildete (mit einem Haken versehene) Einstellung „Ja, beim Versenden soll eine Transportsignatur angebracht werden. Diese Transportsignatur best(ätigt?) die Herkunft der Nachricht (Herkunftsnachweis)“ auch schon beim Versand der Beschwerdeeinlegungsschrift vorgenommen war. Der Antragsgegner gibt zur Vorlage des Screenshots lediglich an, dass er die Einstellungen seines elektronischen Behördenpostfachs auf den richterlichen Hinweis vom 21. August 2023 hin überprüft habe, ob „der VHN“ möglicherweise fehle oder abgelaufen sei. Entsprechend ist über der vorgenannten Einstellung ein anderes Aktenzeichen abgebildet.Abs. 8
Dem Antragsgegner ist nicht gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Danach ist Wiedereinsetzung demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten.Abs. 9
Der Antragsgegner war nicht ohne Verschulden gehindert, die gesetzliche Antragsfrist einzuhalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO vor, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (vgl. etwa BVerwG, Beschl. v. 12.10.2021, 8 C 4/21, DVBl 2022, 51, juris Rn. 14 m.w.N.).Abs. 10
Der Antragsgegner hat die danach notwendige Sorgfalt außer Acht gelassen. Ihn trifft ein Organisationsverschulden, weil er keine auch bei Behörden in Fristsachen zu den Sorgfaltspflichten gehörende wirksame Ausgangskontrolle organisiert hat. Eine wirksame ein Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ausschließende Ausgangskontrolle setzt bei Nutzung eines besonderen elektronischen Behördenpostfachs (beBPo) für die Einreichung fristwahrender Schriftsätze bei Gericht u.a. voraus, dass vor allem dann, wenn das betreffende elektronische Dokument – wie hier – nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden soll bzw. versehen ist, die Organisation der Geschäftsprozesse und die Einrichtung der dabei verwendeten IT-Systeme und Anwendungen so gestaltet ist, dass eine Fristversäumung infolge des Versendens von Nachrichten via beBPo ohne VHN – auch in außergewöhnlichen, aber voraussehbaren – Fällen vermieden wird. Das bedeutet, dass nicht nur geeignete Vorkehrungen zur Feststellung und Überbrückung von Störungen erforderlich sind, sondern auch Sicherungsmaßnahmen, um eine ordnungsgemäße und nachhaltig funktionierende Einrichtung und dahingehende Überwachung der betreffenden IT-Systeme und Anwendungen zu gewährleisten. Bei der Nutzung eines besonderen elektronischen Behördenpostfachs muss die Behörde auch dafür Sorge tragen, dass ihre Sendekomponenten ordnungsgemäß implementiert und eingerichtet sind. Sie muss vor dem Hintergrund des § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV insbesondere sicherstellen, dass das bestimmte beBPo-vHN-(Signatur-)Zertifikat funktionsfähig eingebunden ist und – ggf. auch automatisiert – im Prozess der Nachrichtenversendung durch ihre – zugangsberechtigten und sicher angemeldeten – Sachbearbeiter korrekt adressiert und an die jeweilige Nachricht angebracht wird (vgl. hierzu OVG Weimar, Beschl. v. 28.1.2020, 3 ZKO 796/19, LKV 2020, 284, juris Rn. 11 ff.; vgl. auch: OVG Bautzen, Beschl. v. 16.12.2019, 4 A 1158/19.A, juris Rn. 12; OVG Bremen, Urt. v. 12.2.2020, 1 LB 276/19, juris Rn. 35; VGH Kassel, Beschl. v. 26.2.2020, 8 A 2672/19.Z.A, MMR 2020, 431, juris Rn. 12; OVG Münster, Beschl. v. 9.3.2020, 11 A 4443/19.A, Asylmagazin 2020, 168 (Ls), juris Rn. 10; OVG Lüneburg, Beschl. v. 6.5.2020, 2 LA 722/19, EzAR-NF 98 Nr. 134, juris Rn. 20 ff.).Abs. 11
Diesen Obliegenheiten ist der Antragsgegner nicht nachgekommen. Er hat die Organisation der Geschäftsprozesse und die Einrichtung der dabei verwendeten IT-Systeme und Anwendungen nicht so gestaltet, dass eine Fristversäumung infolge des Versendens von Nachrichten via beBPo ohne VHN vermieden wird. Dies ergibt sich aus seinem Vortrag, dass nach seinem bisherigen Erkenntnisstand „der VHN“ (gemeint ist offenbar das beBPo-vHN-(Signatur-)Zertifikat) bei einem Anschluss eines Outlook-Postfachs an den „Governikus-Messenger“ auf einem D...-Server hätte hinterlegt werden müssen und dass dies aus nicht geklärten Gründen nicht geschehen sei. Soweit der Antragsgegner hierzu weiter vorträgt, dass er auf die Zuverlässigkeit und Erfahrung der D... AöR vertraut habe, führt dies nicht dazu, dass ihm das darin liegende Organisationsverschulden nicht zurechenbar wäre. Die Verantwortlichkeiten des Antragsgegners sind nicht deshalb eingeschränkt, weil die Verwaltung seines beBPos in zulässiger Weise behördenübergreifend automatisiert und an zentraler Stelle erfolgt und die Betreuung der zugrundeliegenden IT-Systeme und Anwendungen im Wesentlichen externen Dienstleistern übertragen ist (vgl. § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO i.V.m. § 8 Abs. 5 ERVV). Denn der Antragsgegner muss in diesen Fällen die übergreifenden Organisationsstrukturen so gestalten, dass sie seinen diesbezüglichen Belangen Geltung verschaffen können. Insbesondere bei der Übertragung von entsprechenden Betreuungsaufgaben an externe Dienstleister muss er in geeigneter Art und Weise dafür Sorge tragen, dass diese in hinreichend detaillierter Form beauftragt und angeleitet, angewiesen sowie überwacht werden, die entsprechenden Vorkehrungen und Sicherungsmaßnahmen zu realisieren und ggf. so auszugestalten, dass auch den betreffenden Behörden und Sachbearbeitern eine effektive Kontrolle maßgeblicher Parameter ermöglicht wird (vgl. OVG Weimar, Beschl. v. 28.1.2020, 3 ZKO 796/19, LKV 2020, 284, juris Rn. 19; OVG Münster, Beschl. v. 9.3.2020, 11 A 4443/19.A, Asylmagazin 2020, 168 (Ls), juris Rn. 18).Abs. 12
Dem Vorbringen des Antragsgegners lässt sich indessen nicht entnehmen, dass er diesen Erfordernissen in Bezug auf die D... AöR hinreichend nachgekommen ist. Hieraus ergibt sich gerade nicht, dass die D... AöR die Vorkehrungen und Sicherungsmaßnahmen realisiert hat, ein unbeabsichtigtes Versenden von Nachrichten via beBPo ohne VHN zu erkennen. Jedenfalls wären diese offenbar nicht so ausgestaltet, dass auch dem Antragsgegner und dessen Sachbearbeitern eine effektive Kontrolle ermöglicht wird, dass der Versand der Nachricht auf einem sicheren Übermittlungsweg tatsächlich erfolgt ist. Für den Fall, dass im Rahmen der von dem Antragsgegner vorgelegten „VPS Laufzettel für Absender:innen vom 19. Juli 2023, 14:53:19“, erwähnten „Signaturprüfung“ auch die Prüfung der beim Versand angebrachten Transportsignatur umfasst war – was der Antragsgegner bereits nicht darlegt – stellt dies keine wirksame Vorkehrung und Sicherungsmaßnahme im vorgenannten Sinne dar. Anderenfalls hätte diese Prüfung nicht zu dem Ergebnis „OK“ führen dürfen. Bei dem vom Antragsgegner vorgelegten „Sendeprotokoll“ handelt es sich lediglich um die vom Empfänger automatisiert erteilte Bestätigung gemäß § 55 Abs. 5 Satz 2 VwGO über den Zeitpunkt des Eingangs auf der von ihm für den Empfang von elektronischen Dokumenten bestimmten Einrichtung; es belegt nicht, dass die Versendung der betreffenden Nachricht im Übrigen ordnungsgemäß und auch formgerecht erfolgt ist (vgl. OVG Weimar, Beschl. v. 28.1.2020, 3 ZKO 796/19, LKV 2020, 284, juris Rn. 17). Mit seinem Verweis auf die korrekte Einrichtung seines beBPos legt der Antragsgegner ebenso wenig eine wirksame Vorkehrung und Sicherungsmaßnahme im vorgenannten Sinne dar. Zur Einrichtung eines beBPos gehört auch die Einbindung des beBPo-vHN-(Signatur-)Zertifikats (vgl. https://egvp.justiz.de/behoerdenpostfach, abgerufen am 9.9.2023, dort das verlinkte „Dokument“ und „Handout“), welches nach dem Vortrag des Antragsgegners gerade nicht auf dem D...-Server hinterlegt – und damit nicht funktionsfähig eingebunden – war.Abs. 13
Da der Antragsgegner die Organisation der Geschäftsprozesse und die Einrichtung der dabei verwendeten IT-Systeme und Anwendungen nicht so gestaltet hat, dass eine Fristversäumung infolge des Versendens von Nachrichten via beBPo ohne VHN vermieden wird, liegt auch kein unvorhersehbar aufgetretener technischer Defekt seiner Sendeeinrichtung (sog. Spontanversagen, vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 25.5.2010, 7 B 18.10, juris – bei der Nutzung von Telefaxgeräten) vor. Hiergegen spricht im Übrigen auch, dass es sich bei dem in Rede stehenden Versand ohne VHN nicht um ein singuläres Ereignis handelt. Auch die Beschwerdebegründung vom 2. August 2023 wurde (noch) ohne VHN und damit nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO eingereicht.Abs. 14
Soweit der Antragsgegner sich darauf beruft, dass er keine Fehlermeldung erhalten habe, die ihn veranlasst hätte, die Konfiguration des „Governikus-Programms“ zu überprüfen, zeigt dies letztlich nur, dass keine wirksamen Sicherungsmaßnahmen im vorgenannten Sinne umgesetzt wurden. Die bloße Unkenntnis über den Versand ohne den nötigen Herkunftsnachweis gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV kann den Antragsgegner aufgrund des ihm zurechenbaren Organisationsverschuldens im Übrigen nicht entlasten (vgl. OVG Bautzen, Beschl. v. 16.12.2019, 4 A 1158/19.A, juris Rn. 12; OVG Bremen, Urt. v. 12.2.2020, 1 LB 276/19, juris Rn. 35; VGH Kassel, Beschl. v. 26.2.2020, 8 A 2672/19.Z.A, MMR 2020, 431, juris Rn. 12; im Ergebnis auch OVG Weimar, Beschl. v. 28.1.2020, 3 ZKO 796/19, LKV 2020, 284, juris Rn. 17 f.; a.A. OVG Schleswig, Beschl. v. 18.12.2019, 1 LA 72/19, juris Rn. 5 zur allerdings nicht tiefergehend begründeten Annahme des Funktionswegfalls des beBPo aus technischen Gründen). Ob der Antragsgegner dabei (hinreichend substantiiert) vorgetragen hat, dass er aufgrund der im „VPS Laufzettel für Absender:innen vom 19. Juli 2023, 14:53:19“ enthaltenen Angabe „Signaturprüfung OK“ zurechenbar darauf vertraut hat, dass der Nachricht, mit der die Beschwerdeeinlegungsschrift übersandt wurde, der gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 ERVV nötige Herkunftsnachweis beigefügt war, kann vorliegend offen bleiben. Ein solches Vertrauen berührt das ihn treffende Organisationsverschulden jedenfalls nicht. Insofern ist auch der Vortrag des Antragstellers unerheblich, dass er erst durch den gerichtlichen Hinweis vom 21. August 2023 erfahren habe, dass der Versand „möglicherweise nicht korrekt funktioniert“ habe, obwohl er diesen Kommunikationsweg vor verschiedenen Gerichten in ganz Deutschland regelmäßig nutze.Abs. 15
Die Ursächlichkeit des Verschuldens für das Fristversäumnis ist auch nicht dadurch entfallen, dass das Beschwerdegericht erst mit Verfügung vom 21. August 2023 darauf hingewiesen hat, dass die elektronische Nachricht, mit der die – nicht qualifiziert elektronisch signierte – Beschwerdeeinlegungsschrift vom 19. Juli 2023 an das Verwaltungsgericht übermittelt wurde, ausweislich des Transfervermerks, Prüfprotokolls und Prüfvermerks nicht mit einem vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis versehen gewesen sei und dass deshalb nicht davon ausgegangen werden könne, dass das elektronische Dokument im Sinne des § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht worden sei.Abs. 16
Zwar gebietet die prozessuale Fürsorgepflicht, bei der Eingangsbearbeitung im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs des Gerichts auf offenkundige Übermittlungsmängel hinzuweisen, wenn dies dazu beitragen kann, ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden (BVerwG, Beschl. v. 12.10.2021, 8 C 4/21, DVBl 2022, 51, juris Rn. 18 m.w.N). Hier konnte ein solcher Hinweis jedoch nicht mehr rechtzeitig erteilt werden. Denn eine Prüfung der Zulässigkeit des eingereichten Rechtsmittels durch das Beschwerdegericht konnte, da das elektronische Dokument (erst) am Nachmittag des 19. Juli 2023 beim Verwaltungsgericht, also am vorletzten Tag der Beschwerdefrist, eingereicht und im ordentlichen Geschäftsgang an das beschließende Beschwerdegericht weitergeleitet worden ist, wo es am 25. Juli 2023 einging, erst zu einem Zeitpunkt erfolgen, als die Beschwerdefrist bereits abgelaufen war. Mit Blick darauf, dass der Antragsgegner die Antragsfrist bis zum vorletzten Tag ausgenutzt hatte, konnte er auch nicht erwarten, dass der Zulassungsantrag im ordentlichen Geschäftsgang so zeitig an das Beschwerdegericht weitergeleitet werden würde, dass dies die Zulässigkeit der Beschwerde noch vor Fristablauf hätte prüfen und die Formunwirksamkeit hätte feststellen können (so auch OVG Münster, Beschl. v. 9.3.2020, 11 A 4443/19.A, Asylmagazin 2020, 168 (Ls), juris Rn. 23 bei Ausnutzung der Frist bis zum letzten Tag; OVG Bautzen, Beschl. v. 16.12.2019, 4 A 1158/19.A, juris Rn. 19 bei Ausnutzung der Frist bis zu dem auf einen Montag fallenden Fristablauf vorangehenden Freitag).Abs. 17
Es ist auch unschädlich, dass das – in der Sache unzuständige und daher auch zur Prüfung der Formwirksamkeit des Nachrichteneingangs nicht berufene – erstinstanzliche Eingangsgericht keine eigenen, auf Verhinderung einer Fristversäumung gerichteten Maßnahmen gegenüber dem Antragsgegner ergriffen hat. Das Verwaltungsgericht war – über die Zuleitung des formunwirksam eingegangenen Rechtsmittels an das Rechtsmittelgericht im normalen Geschäftsgang hinaus – nicht verpflichtet, solche Maßnahmen gegenüber dem Antragsgegner zu ergreifen oder außerordentlich für eine beschleunigte Zuleitung an das Beschwerdegericht zu sorgen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.3.2023, 6 Bf 16/23.Z, AuAS 2023, 139, juris Rn. 7; OVG Münster, Beschl. v. 9.3.2020, 11 A 4443/19.A, Asylmagazin 2020, 168 (Ls), juris Rn. 24; OVG Bautzen, Beschl. v. 16.12.2019, 4 A 1158/19.A, juris Rn. 20; VGH Kassel, Beschl. v. 26.2.2020, 8 A 2672/19.Z.A, MMR 2020, 431, juris Rn. 17).Abs. 18
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie im Beschwerdeverfahren keinen eigenen Antrag gestellt hat und somit kein Kostenrisiko eingegangen ist.Abs. 19
Die Festsetzung des Streitwertes bestimmt sich nach §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG. In Anlehnung an Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs wird der Streitwert der Hauptsache im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zur Hälfte angesetzt.Abs. 20

(online seit: 05.12.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Hamburgisches OVG, Beschwerdeerhebung unter Missachtung der erforderlichen qualifizierten elektronischen Signatur - JurPC-Web-Dok. 0168/2023