JurPC Web-Dok. 162/2023 - DOI 10.7328/jurpcb20233811162

LG Saarbrücken

Beschluss vom 26.09.2023

3 KLs 27/23

Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung

JurPC Web-Dok. 162/2023, Abs. 1 - 8


Leitsätze:

1. Die mit der Regelung des § 58a StPO verfolgten Gesetzeszwecke einer Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung, namentlich die Vermeidung belastender Mehrfachvernehmungen von schutzwürdigen Zeugen sowie die Beweissicherung, können im Stadium des Zwischenverfahrens regelmäßig nicht mehr erreicht werden.

2. Bei der Regelung des § 58a StPO geht es nicht darum, eine Vernehmung vernehmungsersetzend in die Hauptverhandlung einzuführen (§ 255a Abs. 2 StPO), ohne dass einer der mit ihr verfolgten Gesetzeszwecke erreicht wird, da die Vorschrift keine Notwendigkeit einer Zeugeneinvernahme begründet, sondern diese Notwendigkeit vielmehr voraussetzt und die Durchführung der richterlichen Videovernehmung regelt.

3. Mit Anklageerhebung geht die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters und dessen Befugnisse auf das nun mit der Sache befasste Gericht über (§ 162 Abs. 3 Satz 1 StPO), das als sachnächste Stelle ohne Bindung an Anträge der Staatsanwaltschaft im Rahmen seiner pflichtgemäßen Ermessensbetätigung darüber zu befinden hat, ob die Beweiserhebung für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens erheblich ist, mithin die Frage des hinreichenden Tatverdachts beeinflussen kann. Die bloße Verstärkung eines ohnehin schon bestehenden Tatverdachts rechtfertigt hingegen keine weiteren Untersuchungshandlungen.

Gründe:

Der Beschluss des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Saarbrücken vom 26.07.2023 ist – ungeachtet der Frage, ob es eines Beschlusses überhaupt bedurfte – aufzuheben, da im jetzigen Stadium des Zwischenverfahrens die Gesetzeszwecke des § 58a StPO nicht mehr erreicht werden können.Abs. 1
1. Die Vorschrift des § 58a StPO ermöglicht es einerseits, Bild-Ton-Aufzeichnungen einer einmaligen und frühzeitigen (richterlichen) Vernehmung in späteren Verfahrensstadien zu verwenden, um hierdurch besonders schutzwürdigen Zeugen belastende Mehrfachvernehmungen, insbesondere in der Hauptverhandlung, zu ersparen (vgl. BeckOK StPO/Huber, 48. Ed. 1.7.2023, § 58a Rn. 1 u. 11; KK-StPO/Bader, 9. Aufl. 2023, § 58a Rn. 1 mwN). Andererseits ermöglicht die Bild-Ton-Aufzeichnung der richterlichen Vernehmung die Beweissicherung, insbesondere auch bei bedeutsamen Erstaussagen von kindlichen Opferzeugen (vgl. BeckOK StPO/Huber, aaO Rn. 3; MüKoStPO/Maier, 2. Aufl. 2023, § 58a Rn. 6).Abs. 2
2. Ausgehend hiervon sind die Gesetzeszwecke zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr zu erreichen.Abs. 3
a) Das Ziel der Vermeidung von Mehrfachvernehmungen durch eine frühzeitige Vernehmung im Ermittlungsverfahren kann nicht mehr erzielt werden. Die Zeugin wurde bislang ausschließlich polizeilich vernommen. Eine (erste) richterliche Vernehmung der Zeugin ist vor diesem Hintergrund ohnehin durchzuführen. Anders als die Staatsanwaltschaft meint, kann diese Vernehmung nicht mehr durch den Ermittlungsrichter durchgeführt werden. Durch die Anklageerhebung (§ 170 Abs. 1 StPO) hat die Staatsanwaltschaft nicht nur das Ermittlungsverfahren beendet, indem sie hinreichenden Tatverdacht bejaht und die Ermittlungen abgeschlossen hat (§ 169a StPO), sondern zugleich dem zuständigen Ermittlungsrichter jede Möglichkeit genommen, über den zuvor gestellten Antrag auf ermittlungsrichterliche Vernehmung und deren Aufzeichnung zu befinden. Nach Erhebung der Anklage ist das Gericht zuständig, das mit der Sache befasst ist (§ 162 Abs. 3 S. 1 StPO). Die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters endet mit der Anklageerhebung; seine Befugnisse gehen auf das mit der Sache befasste Gericht über (vgl. KK-StPO/Weingarten, 9. Aufl. 2023, § 162 Rn. 14 mwN; Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2018, § 162 Rn. 49). Das Gesetz bündelt die Entscheidungskompetenz bei der sachnächsten Stelle, die nach der Anklage die Aufklärungsarbeit ohne Bindung an Anträge der Staatsanwaltschaft gemäß den eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen betreibt (vgl. MüKoStPO/Kölbel, 1. Aufl. 2016, § 162 Rn. 16). Maßgeblich für die pflichtgemäße Ermessensbetätigung des Gerichts ist dabei, ob die Beweiserhebung für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens erheblich ist, weshalb das vorgebrachte Beweisthema geeignet sein muss, die Frage des hinreichenden Tatverdachts zu beeinflussen (vgl. MüKoStPO/Wenske, 1. Aufl. 2016, § 202 Rn. 20). Verfehlt wäre es daher, Untersuchungshandlungen allein zur Verstärkung eines ohnehin schon bestehenden hinreichenden Tatverdachts vorzunehmen (vgl. KK-StPO/Schneider, 9. Aufl. 2023, § 202 Rn. 4).Abs. 4
Durch die Anklageerhebung wurde schließlich auch die sinnvolle Möglichkeit genommen, die richterliche Vernehmung in Bild und Ton am Ende des Ermittlungsverfahrens durchzuführen und einen umfassend aufgeklärten Sachverhalt zur Verfügung zu haben, um letztlich auch einen notwendigen hinreichenden Tatverdacht aus ausgeschöpfter Beweislage prüfen zu können. Sofern die Staatsanwaltschaft hingegen im Vermerk vom 31.08.2023 ausgeführt hat, aufgrund der bestehenden Beweislage sei Ziel der richterlichen Videovernehmung vielmehr, die Aufnahme der Vernehmung vernehmungsersetzend in die Hauptverhandlung einzuführen (§ 255a Abs. 2 StPO), handelt es sich hierbei ersichtlich um keinen der oben genannten Gesetzeszwecke. Es geht bei der Regelung des § 58a StPO nicht darum, eine Vernehmung ersetzend in die Hauptverhandlung einzuführen, ohne dass die eigentlichen damit verfolgten Gesetzeszwecke erreicht werden. Die Vorschrift des § 58a StPO begründet keine Notwendigkeit der Zeugeneinvernahme, sondern setzt diese Notwendigkeit voraus und regelt die Durchführung der richterlichen Videovernehmung.Abs. 5
Hinzu tritt, dass die Vorschrift des § 58a StPO im Schwerpunkt auf das – hier abgeschlossene – Ermittlungsverfahren ausgerichtet ist (vgl. KK-StPO/Bader, 9. Aufl. 2023, § 58a Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2023, § 58a Rn. 2). Gleichwohl ist § 58a StPO auch auf den beauftragten Richter oder im Rahmen einer kommissarischen Vernehmung anwendbar (vgl. MüKoStPO/Maier, 2. Aufl. 2023, § 58a Rn. 20 mwN), was hier jedoch nicht einschlägig ist. Ebenso kann auch eine richterliche Vernehmung nach Anklageerhebung grundsätzlich in Betracht kommen, etwa wenn sich erst nach Erhebung der Anklage herausstellt, dass der Zeuge in der Hauptverhandlung nicht vernommen werden kann und die richterliche Vernehmung in Bild und Ton zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist (§ 58a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO). Solche Umstände liegen ungeachtet der Beweislage (dazu sogleich) nicht vor.Abs. 6
Stattdessen ist im Stadium des Zwischenverfahrens bei gegebener Kammerzuständigkeit (§ 162 Abs. 3 S. 1 StPO) kein Sinn darin zu sehen, dass die Kammer außerhalb einer etwaigen Hauptverhandlung, für die bereits mit den Verfahrensbeteiligten vorsorglich für den Fall einer Eröffnungsentscheidung Termine ab dem 27.10.2023 vereinbart worden sind, eine audiovisuelle Vernehmung der Zeugin mit sämtlichen Verfahrensbeteiligten durchführt, um kurze Zeit später in nahezu gleicher Besetzung in die Hauptverhandlung einzutreten. In einer audiovisuellen Vernehmung der Zeugin ist zum derzeitigen Zeitpunkt kein opferschonender Mehrwert (vgl. dazu BT-Drucksache 19/14747, S. 25) mehr zu erblicken, da eine (erstmalige) richterliche Vernehmung der Zeugin durch die Kammer in jedem Fall erfolgen müsste. Stattdessen hat die Kammer vorsorglich zeitnahe Hauptverhandlungstermine abgestimmt, um dem Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen gerecht zu werden. In einer Hauptverhandlung könnte dem Schutz der Zeugin über § 247a StPO hinreichend Rechnung getragen werden.Abs. 7
2. Schließlich bietet auch der Zweck der Beweissicherung keine audiovisuelle Vernehmung der Zeugin im Zwischenverfahren. Nach derzeitiger Aktenlage besteht gegen den Angeschuldigten dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 1 StPO. Dieser beruht nicht nur auf der polizeilichen Vernehmung der Zeugin, sondern ganz wesentlich auf der bestehenden objektiven Beweislage aufgrund des rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 07.06.2023. Im Hinblick darauf tritt auch der Zweck der Beweissicherung vorliegend in den Hintergrund.Abs. 8

(online seit: 29.11.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Saarbrücken, LG, Bild-Ton-Aufzeichnung einer Vernehmung - JurPC-Web-Dok. 0162/2023