JurPC Web-Dok. 160/2023 - DOI 10.7328/jurpcb20233811160

AG St. Ingbert

Urteil vom 12.10.2023

23 OWi 63 Js 1524/23 (2647/23)

Speicherung von Rohmessdaten

JurPC Web-Dok. 160/2023, Abs. 1 - 92


Leitsätze:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 20.06.2023 (2 BvR 1167/20) Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahrens – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92 -) – mit ausführlicher Begründung in der Sache dargelegt und auf dieser Grundlage eine Verfassungsbeschwerde, mit welcher die Nichtspeicherung von sog. Rohmessdaten als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren moniert wurde, wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen.

Hierbei hat Bundesverfassungsgericht offenbar inzidenter die Definition der PTB zugrunde gelegt, wonach Rohmessdaten die Einzelmesswerte sind, aus denen sich der amtliche Messwert ergibt. Sie gehen im amtlichen Messwert auf und sind danach nicht mehr vorhanden. Der amtliche Messwert kann schlechterdings nicht mit den Einzelwerten überprüft werden, die in den amtlichen Messwert eingegangen sind; sie würden den amtlichen Messwert zwangsläufig bestätigen. Ein Messfehler würde sich regelmäßig gleichermaßen auf die Rohmessdaten wie auf das Ergebnis auswirken (vergl. auch Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, 22.07.2022, VGH B 30/21). Deswegen müssen sie nicht gespeichert werden.

Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht – auch unter Verweis auf seine Entscheidung vom 12.10.2020 (2 BvR 1616/18) -, klargestellt, dass es keinen ersichtlichen – verfassungsrechtlichen - Grund gibt, eine Geschwindigkeitsmessung nur dann für verwertbar zu halten, wenn das Messgerät sog. Rohmessdaten speichere. Vielmehr hat die Verwaltungsbehörde unter dem Aspekt der „Waffengleichheit“ als Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren nur das herauszugeben, worüber sie selbst verfügt, soweit dies von der Verteidigung verlangt wird; keinesfalls muss sie Daten vorhalten oder bereitstellen, die nicht (mehr) vorhanden sind.

Folglich ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes (Urteil vom 5. Juli 2019 - Lv 7/17), in welcher die Prämisse aufgestellt wird, eine Geschwindigkeitsmessung müsse nachträglich überprüfbar sein, was nur an Hand von Rohmessdaten, die in der Entscheidung nicht definiert sind, möglich sei, wenn solche nicht gespeichert werden, ein Verwertungsverbot vorläge, als sachlich und rechtlich überholt anzusehen.

Eine andere Sicht der Dinge hätte die fatale Folge, dass es im Saarland, und zwar nur im Saarland (nahezu alle Obergerichte in Deutschland halten Messergebnisse ohne Speicherung von Rohmessdaten uneingeschränkt für verwertbar), für unabsehbare Zeit keine verwertbaren Geschwindigkeitsmessungen mehr gäbe, damit die Sicherheit im Straßenverkehr auf Saarlands Straßen, folglich das Grundrecht der Bürger auf körperliche Unversehrtheit signifikant beeinträchtigt wäre. In diesem Sinn hat das Bundesverfassungsgericht eine Grundrechteabwägung vorgenommen.

Gründe:

In der Hauptverhandlung, in der d. Betroffene von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbundenen war, wurden folgende Feststellungen getroffen:Abs. 1
Gegen die Betroffene liegen nach Auskunft aus dem Fahreignungsregister (Bl. 59 d.A.) keine Voreintragungen vor.Abs. 2
Die Betroffene befuhr – nach insofern geständiger Einlassung – am Nachmittag des 25.01.2023 mit dem Pkw (amtliches Kennzeichen: ...) die Differter Straße in Überherrn Fahrtrichtung Differten.Abs. 3
In Höhe Einmündung Gluckstraße befand sich laut vorgelegten Messprotokolls (Bl. 1 d.A.) eine semi-stationäre Geschwindigkeitsmessanlage der Firma Vitronic, Typ PoliScan FM 1 ausweislich vorgelegten Eichscheins (Bl. 2 f. d.A.) zur Tatzeit gültig geeicht.Abs. 4
Das Messgerät war von einem geschulten Messverantwortlichen ordnungsgemäß nach Bedienungsanleitung und PTB-Zulassung aufgestellt worden, ersichtlich aus Messprotokoll und Schulungsbescheinigung (Bl. 4 d. A.).Abs. 5
Den Lichtbildern, die in Augenschein genommen wurden und auf die gemäß den §§ 46 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird, war zu entnehmen, dass sich das Fahrzeug mit den erforderlichen Teilen in plausibler Form im Auswerterahmen befindet.Abs. 6
Bei Messungen mit dem hier zum Einsatz gekommenen Messgerät der Firma Vitronic, Typ PoliScan FM1 handelt es sich nach der obergerichtlichen Rechtsprechung um standardisierte Messverfahren (vergl. Saarländisches OLG, Beschluss vom 19.12.2022, Ss Rs 44/22, OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2019, 2 Ss OWi 67/19 zu Enforcement Trailer, Pfälzisches OLG Zweibrücken, 01.12.2021, 1 OWi 2 Ss Bs 100/21).Abs. 7
Der Verteidiger hat die Auffassung vertreten, die Messung sei wegen Nichtspeicherung der sog. Rohmessdaten nicht verwertbar.Abs. 8
Dem war nicht zu folgen, sondern folgendes entgegenzuhalten:Abs. 9
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 20.06.2023 (2 BvR 1167/20) Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahrens – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – sowie die Notwendigkeit von Verfahrensvereinfachungen in Bußgeldverfahren wegen massenhaft vorkommender Verkehrsordnungswidrigkeiten mit ausführlicher Begründung in der Sache dargelegt und auf dieser Grundlage eine Verfassungsbeschwerde, mit welcher die Nichtspeicherung von sog. Rohmessdaten als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren moniert wurde, wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen.Abs. 10
Damit hat das Bundesverfassungsgericht – auch unter Verweis auf seine Entscheidung vom 12.10.2020 (2 BvR 1616/18) -, klargestellt, dass es keinen ersichtlichen – verfassungsrechtlichen - Grund gibt, eine Geschwindigkeitsmessung nur dann für verwertbar zu halten, wenn das Messgerät sog. Rohmessdaten speichere. Hierzu ist Folgendes ausgeführt:Abs. 11
Der Beschwerdeführer schlussfolgert jedoch, der aus dem Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren resultierende Gedanke der Waffengleichheit gebiete es darüber hinaus, dass die zuständigen Behörden nur Geräte einsetzen, die sogenannte „Rohmessdaten“ erheben. Damit verlangt er ein Mehr im Vergleich zur bloßen Herausgabe von vorhandenen Informationen, weil nach seinem Vorbringen auch die Bußgeldbehörde nicht im Besitz der von ihm bezeichneten „Rohmessdaten“ ist. Der Beschwerdeführer legt insofern nicht substantiiert dar, dass aus dem verfassungsrechtlich verankerten Recht auf ein faires Verfahren − aus Gründen der „Waffengleichheit“ oder in sonstiger Hinsicht − auch eine staatliche Pflicht folgt, potentielle Beweismittel zur Wahrung von Verteidigungsrechten vorzuhalten beziehungsweise zu schaffen. Dies gilt erst recht in Anbetracht der besonderen Substantiierungsanforderungen im Falle von Handlungspflichten der öffentlichen Gewalt (vgl. etwa BVerfGE 56, 54 <80 f.>; 77, 170 <214 f.>; 158, 170 <190 ff. Rn. 48 ff.>; 160, 79 <104 f. Rn. 69 ff.>; BVerfGK 14, 192 <199 ff.>; 20, 320 <324 f.> zur Darlegung von Schutzpflichtverletzungen) und der vom Beschwerdeführer geforderten Ausweitung der Verteidigungsrechte im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf ein faires Verfahren. Auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung wird nahezu einhellig abgelehnt, dass aus dem Recht auf gleichmäßigen Zugang zu vorhandenen Beweismitteln auch ein Recht auf Vorhaltung beziehungsweise Schaffung potentieller Beweismittel folge und wird das standardisierte Messverfahren nach den allgemeinen Grundsätzen auch bei nicht vorhandenen Rohmessdaten zur Anwendung gebracht (vgl. etwa KG, Beschluss vom 2. Oktober 2019 - 3 Ws (B) 296/19, 3 Ws (B) 296/19 - 162 Ss 122/19 -, juris, Rn. 3 ff. m.w.N. und Beschluss vom 5. April 2020 - 3 Ws (B) 64/20, 3 Ws (B) 64/20 - 122 Ss 21/20 -, juris, Rn. 14 ff. m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 9. Dezember 2019 - 202 ObOWi 1955/19 -, juris, Rn. 5 ff. m.w.N.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 3 Rb 33 Ss 763/19 -, juris, Rn. 18 ff. m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. März 2020 - IV-2 RBs 30/20 -, juris, Rn. 4 ff. und Rn. 17 m.w.N.; OLG Koblenz, Beschluss vom 17. November 2020 - 1 OWi 6 SsRs 271/20 -, juris, Rn. 22 ff. m.w.N.; hierzu nunmehr auch VerfGH RP, Beschluss vom 22. Juli 2022 - VGH B 30/21 -, Rn. 33 m.w.N.; abweichend hiervon kann nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes das Recht auf effektive Verteidigung es gebieten, „Rohmessdaten“ als Grundlage eines standardisiert ermittelten Messergebnisses zu speichern unter der Voraussetzung, dass − und hiervon geht der Verfassungsgerichtshof im zu entscheidenden Fall aus − zuverlässige Verteidigungsmittel fehlen und eine Speicherung technisch möglich sowie zur Verifizierung des Messvorgangs geeignet ist, vgl. VerfGH Saarland, Urteil vom 5. Juli 2019 - Lv 7/17 -, juris, Rn. 96 ff.).Abs. 12
Der Beschwerdeführer versäumt es insoweit auch, sich mit den Maßstäben und Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 12. November 2020 (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -) hinreichend auseinanderzusetzen. Er rekurriert im Rahmen seiner Stellungnahme im November 2021 lediglich auf sein ursprüngliches Beschwerdevorbringen und bekräftigt, dass sein Einsichtsrecht in entstandene Rohmessdaten leerliefe, wenn diese Beweismittel − so seine Behauptung − vor Abschluss des Verfahrens vernichtet würden. Demgegenüber hätte er an die Ausführungen im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 anknüpfen und darlegen müssen, dass die dort genannten verfassungsrechtlichen Maßstäbe von Verfassungs wegen fortzuentwickeln seien. Denn er stützt sein Vorbringen auf ein von ihm für verfassungsrechtlich geboten gehaltenes Recht auf Vorhaltung beziehungsweise Schaffung von Beweismitteln und damit auf eine Veränderung der Anforderungen an ein standardisiertes Messverfahren. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu standardisierten Messverfahren bei Geschwindigkeitsmessungen konstatiert jedoch lediglich ein Recht auf erweiterten Zugang zu vorhandenen Informationen und dies auch nicht unbegrenzt, sondern abhängig von dem jeweiligen Einzelfall (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 12. November 2020 - 2 BvR 1616/18 -, Rn. 55 ff.).Abs. 13
Hierbei hat Bundesverfassungsgericht inzidenter die Definition der PTB zugrunde gelegt, wonach Rohmessdaten die Einzelmesswerte sind, aus denen sich der amtliche Messwert ergibt. Sie gehen im amtlichen Messwert auf und sind danach nicht mehr vorhanden. Es kann sie keiner herausgeben, weil sie in der Sekunde ihrer Entstehung schon wieder gelöscht werden. Der amtliche Messwert kann schlechterdings nicht mit den Einzelwerten überprüft werden, die in den amtlichen Messwert eingegangen sind; sie würden den amtlichen Messwert zwangsläufig bestätigen. Deswegen müssen sie nicht gespeichert werdenAbs. 14
Folglich ist die Entscheidung des VerfGH des Saarlandes (Urteil vom 5. Juli 2019 - Lv 7/17), in welcher die Prämisse aufgestellt wird, eine Geschwindigkeitsmessung müsse nachträglich überprüfbar sein, was nur an Hand von Rohmessdaten, welche in der Entscheidung nicht definiert werden, möglich sei, als sachlich und rechtlich überholt anzusehen.Abs. 15
Dass die These des Verfassungsgerichtshofs nicht stimmig ist, ist auch einer Entscheidung der VerfGH Rheinland-Pfalz vom 22.07.2022 (VGH B 30/21) zu entnehmen, der hierzu Folgendes ausgeführt hat:Abs. 16
Vor diesem Hintergrund verkürzt der Einsatz algorithmischer Systeme in Gestalt von standardisierten Messverfahren bei Geschwindigkeitsmessungen Rechtspositionen des Betroffenen dann nicht übermäßig, wenn keine Rohmessdaten durch das jeweilige Messgerät gespeichert werden. Bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren bestehen je nach den sachlichen Gegebenheiten Spielräume, die durch das einfache Gesetz oder ergänzend - wie hier in Bezug auf das standardisierte Messverfahren - durch die Gerichte auszufüllen sind. Durch die fachgerichtliche Rechtsprechung zu der Nichtspeicherung von Rohmessdaten bei standardisierten Messverfahren sind die von Art. 77 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 LV gezogenen Grenzen nicht überschritten. Entscheidend ist hierbei, dass die Nichtspeicherung dieser Daten, deren Nutzen für eine nachträgliche Überprüfung des Messergebnisses im technisch-fachwissenschaftlichen Schrifttum ohnehin umstritten ist, durch rechtsstaatliche Sicherungen ausgeglichen wird. Es bedarf dabei keiner Entscheidung, ob jeder einzelne Sicherungsmechanismus für sich genommen die Nichtspeicherung von Rohmessdaten rechtfertigt. Jedenfalls bei einer Gesamtschau der nachfolgend genannten Aspekte ist die Verwertung von Messergebnissen auch ohne das Vorhalten von Rohmessdaten verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.Abs. 17
Der Bundesgerichtshof hat in der erwähnten Entscheidung aus dem Jahr 1993 darauf hingewiesen, dass die im standardisierten Messverfahren eingeschränkte nachträgliche Erörterung möglicher Fehlerquellen in mehrfacher Hinsicht kompensiert wird: Einen solchen Ausgleich bezweckt zum einen die amtliche Zulassung von Messgeräten und -methoden (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92 -, NZV 1993, 485 (486)). Im Rahmen eines mehrstufigen Zulassungs- bzw. Konformitätsprüfungsverfahrens ist vor dem Einsatz zu klären, ob das Messgerät den Anforderungen des Mess- und Eichrechts entspricht (zu Einzelheiten Märtens/Wynands, NZV 2019, 338 ff.). Ist dies der Fall, lässt sich die Geschwindigkeitsmessung auf den von dem Messgerät ausgeworfenen und für das standardisierte Messverfahren zentralen "geeichten Messwert" stützen. Messgeräte, die diese Anforderungen nicht erfüllen, können insoweit nicht herangezogen werden. Auf diese Weise wird die Überprüfung des einzelnen Geschwindigkeitsmesswertes, der aus einem nicht wiederholbaren Messvorgang entstanden ist, gleichsam auf das Messgerät selbst und sein Zulassungsverfahren vorverlagert (vgl. auch Märtens/Wynands, NZV 2019, 338 (340); Wischmeyer/Schumacher, RDi 2020, 61 (63); Merz, SVR 2020, 444 (446); Peuker, NZV 2019, 443 (445)). Flankierend wird durch gesetzlich vorgegebene Eichfristen (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 6 Mess- und Eichgesetz - MessEG - in Verbindung mit § 34 Mess- und Eichverordnung - MessEV -) eine regelmäßige, wiederkehrende Prüfung der Funktionsfähigkeit des Messgerätes gewährleistet. Sollte es seit der letzten Eichung zu Reparatur- oder Wartungsarbeiten an dem konkreten Messgerät gekommen sein, ist dem Betroffenen zudem auf seinen Antrag hin regelmäßig Einsicht in die entsprechenden Unterlagen zu gewähren und so seinem Informations- und Verteidigungsinteresse Rechnung zu tragen (dazu jüngst VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2021 - VGH B 46/21 -, AS 48, 403 (416 f.)). Besteht nach alledem (weiterhin) bei dem Betroffenen der Verdacht, dass das Messgerät einen technischen Defekt aufweist, der die Messrichtigkeit gefährdet, steht ihm die Möglichkeit eines Antrags auf Befundprüfung gemäß § 39 Abs. 1 MessEG in Verbindung mit § 39 MessEV offen (dazu OLG Köln, Urteil vom 27. September 2019 - 1 RBs 339/19 -, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschluss vom 25. November 2019 - 3 RBs 307/19 -, juris Rn. 17; BayObLG, Beschluss vom 9. Dezember 2019 - 202 ObOWi 1955/19 -, juris Rn. 13; Wischmeyer/Schumacher, RDi 2020, 61 (62), Merz, SVR 2020, 444 (446)). Auch wenn hierdurch, wie von dem Beschwerdeführer insoweit zutreffend ausgeführt, der verfahrensgegenständliche Messvorgang und damit die Situation im Zeitpunkt der Messung nicht mehr wiederholt werden kann und der Messvorgang des konkreten Einzelfalles damit nicht nachprüfbar wird, liefert eine entsprechende Befundprüfung ein Ergebnis, das - soweit es keine Beanstandungen zutage fördert - den Schluss zulässt, dass bei dem Messgerät auch in der Vergangenheit keine Unregelmäßigkeiten aufgetreten sind (OLG Köln, Beschluss vom 27. September 2019 - 1 RBs 339/19 -, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschluss vom 25. November 2019 - 3 RBs 307/19 -, juris Rn. 17). Der Umstand, dass die für die Befundprüfung zuständige Behörde im Sinne von § 40 Abs. 1 MessEG bereits mit der Eichung der Messgeräte befasst war, lässt entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ganz offensichtlich keinen Zweifel an ihrer Neutralität aufkommen.Abs. 18
Eine Kompensation für die fehlende vollständige Überprüfbarkeit des Messergebnisses besteht zum anderen in der Reduzierung des gemessenen Wertes um einen die systemimmanenten Messfehler erfassenden Toleranzwert (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 1993 - 4 StR 627/92 -, NZV 1993, 485 (486)). Aus technischer - soweit ersichtlich einhelliger - Perspektive ist es ausgeschlossen, dass der geeichte Messwert immer exakt der wahren Geschwindigkeit entspricht. Um diese faktisch nicht zu beseitigende Unsicherheit zu neutralisieren, wird - je nachdem, ob der geeichte Messwert unterhalb oder oberhalb von 100 km/h liegt - ein Toleranzabzug in Höhe von 3 km/h bzw. - wie im Fall des Beschwerdeführers bei einer gemessenen Geschwindigkeit über 100 km/h in Höhe von 3 % vorgenommen.Abs. 19
Die Nichtspeicherung von Rohmessdaten macht die Geschwindigkeitsmessung im Übrigen weder zu der vom Betroffenen befürchteten "Blackbox", noch liefert sie ihn "auf Gedeih und Verderb" (so aber hingegen VerfGH Saarland, Urteil vom 5. Juli 2019 - Lv 7/17 -, juris Rn. 110) einem elektronischen System und seinen Algorithmen aus. So bestehen anderweitige Möglichkeiten des Betroffenen und seines Verteidigers, den Vorgang der Geschwindigkeitsmessung nachträglich einer Überprüfung zu unterziehen (vgl. dazu etwa Peuker, NZV 2019, 443 (444)). Der Verfassungsgerichtshof hat im Anschluss an den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2020 (2 BvR 1616/18) insoweit bereits klargestellt, dass dem Betroffenen auf seinen hinreichend konkreten Antrag hin vorhandene Unterlagen und Informationen mit erkennbarer Relevanz für die Verteidigung grundsätzlich zur Verfügung zu stellen sind (VerfGH RP, Beschluss vom 13. Dezember 2021 - VGH B 46/21 -, AS 48, 403 (413 f.)).Abs. 20
Zu den vorstehend erwähnten Kompensationen treten zwei weitere Aspekte hinzu, die bei der Abwägung, ob das Recht auf ein faires Verfahren durch die Nichtspeicherung von Rohmessdaten verletzt ist, zu berücksichtigen sind:Abs. 21
Zum einen ist der Nutzen der Rohmessdaten für die nachträgliche Überprüfung des von einem geeichten Geschwindigkeitsmessgerät ermittelten Messwertes aus technischer Sicht keineswegs anerkannt, sondern wird kontrovers diskutiert (verneinend Märtens/Wynands, NZV 2019, 338 (341); Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Wie verlässlich ist der nachträgliche Schätzwert ("Plausibilisierung") bei der amtlichen Geschwindigkeitsüberwachung? (Stand: 26. Oktober 2018); Wynands, PTB-Mitteilungen Heft 2/2019, 91 (95); bejahend Stückmann, SVR 2021, 241 (244), in Bezug auf analog vorliegende Rohmessdaten). Daher tritt der Verfassungsgerichtshof der in einer früheren Entscheidung geäußerten Einschätzung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes zum Nutzen von Rohmessdaten für die nachträgliche Überprüfung des Geschwindigkeitsmesswertes (VerfGH Saarland, Urteil vom 5. Juli 2019 - Lv 7/17 -, juris Rn. 115 ff.) nicht bei. Auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung finden sich vermehrt Entscheidungen, die die Eignung der Rohmessdaten zur Verifizierung des Messergebnisses jedenfalls relativieren (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. Januar 2020 - 3 Rb 33 Ss 763/19 -, juris Rn. 7 ff., Rn. 14; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29. August 2019 - 1 OWi 2 Ss Bs 68/19 -⁠, juris Rn. 6; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. November 2019 - (1 Z) 53 Ss-OWi 661/19 (381/19) -, juris Rn. 4). Unter der Prämisse, dass eine Abspeicherung von Daten zum Zwecke einer späteren Überprüfung erst ab dem Stadium ihrer Digitalisierung möglich ist und die so verstandenen Rohmessdaten das digitalisierte Ergebnis des eigentlichen, aus zahlreichen (analogen) Einzelschritten bestehenden Messvorgangs darstellen, kann mit ihnen in aller Regel nur die rechnerische Richtigkeit des Messergebnisses plausibilisiert werden. Nicht überprüfbar ist demgegenüber die Richtigkeit des Zustandekommens der Daten, da ein Messfehler sich regelmäßig gleichermaßen auf die Rohmessdaten wie auf das Ergebnis auswirken wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 6. November 2019 - 2 Rb 35 Ss 808/19 -, juris Rn. 8; Beschluss vom 8. Januar 2020 - 3 Rb 33 Ss 763/19 -, juris Rn. 14).bisherigenAbs. 22
Dieses Ergebnis entspricht der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (Entscheidungen vom 08.08.2019, 29.08.2019, 29.10.2019, 10.01.2022 und 15.09.2022, jeweils bei juris) mit Verweisen auf obergerichtliche Rechtsprechung, Stellungnahmen der PTB sowie Stimmen in der Literatur, auszugsweise nochmals dargelegt:Abs. 23
Für die Verwertbarkeit der Messung trotz nicht gespeicherter/vorhandener Rohmessdaten spricht auch, dass nach Stellungnahmen der PTB (zusammengefasst in der Fassung vom 04.11.2021, https://doi.org/10.7795/520/20211104) eine Messung an Hand von Rohmessdaten nicht aussagekräftig überprüft bzw. plausibilisiert werden kann.Abs. 24
Hierzu ein Auszug aus der Fassung vom 03.04.2019 (https://doi.org/10.7795/520.20190217:Abs. 25
In Deutschland ist die Infrastruktur des gesetzlichen Messwesens bundeseinheitlich strukturiert, insbesondere über das von Bundestag und Bundesrat beschlossene Mess- und Eichgesetz (MessEG) sowie die zugehörige Verordnung (MessEV). MessEG und MessEV regeln einheitlich für ca. 150 Messgerätearten das Verfahren der Konformitätsprüfung, die Pflichten der Hersteller, der Verwender und der metrologischen Überwachungsbehörden. Sie sind zugleich Umsetzung europäischen Rechts. Das Eichrecht hat sich aus einer jahrhundertealten Tradition stetig weiterentwickelt und ist insbesondere für solche Messgeräte gemacht, bei denen die Messung nicht wiederholbar ist. Alle Beteiligten sollen auf die Richtigkeit der Messwerte vertrauen können, damit Handel und bürgerliche Pflichtenmahnung in einfacher Weise abgewickelt werden können. Ein anschauliches Beispiel ist der Haushaltsgaszähler: Die Menge Gas, die beim Durchströmen gemessen wurde, ist verbrannt und kann nicht durch Wiederholung der Messung nachgeprüft werden. Gleiches gilt z. B. für Elektrozähler oder Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte. Zum Umgang mit derartigen Problematiken gibt es das Mess- und Eichrecht, dessen staatlich geordnete und überwachte Infrastruktur sicherstellt, dass geeichte Messwerte verlässlich sind und daher das Vertrauen in sie gerechtfertigt ist. Ziel des Mess- und Eichrechts ist also die Gewährleistung von Messrichtigkeit und Messbeständigkeit, d. h. die Einhaltung der gesetzlichen Fehlergrenzen innerhalb des Gültigkeitszeitraums der Eichung.Abs. 26
Weder das Mess- und Eichgesetz noch die Mess- und Eichverordnung fordern, dass ein geeichter Messwert unabhängig überprüfbar sein muss. Das kann nicht verwundern, denn insbesondere für Messungen, bei denen eine Wiederholung der Einzelmessung nicht sinnvoll möglich ist, ist das Eichrecht mit seinen mehrstufigen Prüfungs- und Überwachungsmechanismen des Messgerätes gemacht. Kurz gesagt: Statt auf den Einzelmesswert wird die Überprüfbarkeit auf das Messgerät selbst verlagert, zusammen mit verschiedenen anderen Schutzvorschriften z. B. in Form von Verkehrsfehlergrenzen und Eichfristen. Hält das Messgerät bei der Überprüfung nach § 39 MessEG unter Berücksichtigung der Verwendungssituation alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, dann hat das Messgerät auch bei der gegenständlichen Messung korrekt gearbeitet, da die Verwendungssituation in beiden Fällen gleich war. Durch diesen Rückschluss wird die Problematik aufgelöst, dass der gegenständliche Messvorgang nicht wiederholbar ist.Abs. 27
Weiter erhellend auch ein Beitrag von Privat-​Dozent Dr. Robert Wynands „Vom Nutzen der Schätzung, oder was bringt uns eine nachträgliche Plausibilisierung“ (PTB-​Mitteilungen 129 – 2019 -, Heft 2, Seite 91 ff):Abs. 28
Wenn ein nachträglicher Schätzwert mit nur zwei Messpunkten messtechnisch sinnlos ist, sollte man dann nicht fordern, dass alle Messdaten in die Falldatei geschrieben werden, damit Gutachter noch einmal nachrechnen können? Nein, denn das bringt in der Sache nichts. Zunächst muss man sich vergegenwärtigen, dass die Abspeicherung von Daten erst ab dem Schritt in der umfangreichen Signalverarbeitungskette möglich ist, wo die analoge Datenverarbeitung abgeschlossen und deren Ergebnis digitalisiert worden ist. Im Allgemeinen sind bis dahin jedoch schon verschiedene geräteinterne Verarbeitungsschritte und Kontrollmaßnahmen anhand der analogen Signale erfolgt, die man durch Betrachten der späteren digitalen Signale so gar nicht „plausibilisieren“ kann. Wenn überhaupt, kann es also nur um die nachträgliche Plausibilisierung der digitalen Verarbeitungsschritte gehen…Abs. 29
Dann könnte man tatsächlich alle Messdaten nutzen und sie in den bekannten Algorithmus des Messgerätes einspeisen. Die „fest verdrahtete“ Messgerätesoftware liegt jedoch im geeichten Messgerät in unveränderlicher Form vor, nämlich Bit-​zu-​Bit-​identisch mit der geprüften Softwareversion. Es steht in diesem Sinne also ab dem Digitalisierungsschritt fest, was herauskommen wird, denn die nachträgliche „Plausibilisierung“ wird den geeichten Messwert reproduzieren. Die Situation ist in gewisser Weise analog zu einem Taschenrechner, bei dem man behaupten würde, man müsse immer und immer wieder sachverständig überprüfen, ob die Eingabe von 2 + 2 wirklich noch 4 ergibt.Abs. 30
Denn genau wie bei Gaszählern, Zapfpistolen und vielen anderen der ca. 150 Messgerätearten des Mess- und Eichrechts ist eine messtechnisch sinnvolle nachträgliche Überprüfung des Messwertes nicht möglich. Daher wird mit den bewährten Mechanismen des Eichrechts, insbesondere der mehrstufigen Prüfung der Messrichtigkeit und Messbeständigkeit des Messgerätes, gewährleistet, dass alle Nutzer bzw. Betroffenen des Messergebnisses Vertrauen in den geeichten Messwert haben können.Abs. 31
Zur Frage der Realisierbarkeit, Geräte, die keine Rohmessdaten speichern, umzurüsten sowie des Nutzens der Auswertung solcher Daten durch externe Sachverständige hat sich die PTB in der Auskunft vom 21.08.2019 auf gerichtliche Anfrage hin wie folgt geäußert:Abs. 32
Das Abspeichern der Zwischenwerte bedeutet eine zusätzliche Arbeitslast für die Prozessoren, die Datenspeicher und Datenbussysteme der Geräte. Für eine derartige Konstellation sind die Messgeräte im Allgemeinen weder ausgelegt noch getestet worden. Die überwiegende Mehrzahl der Geräte müsste daher um- oder neukonstruiert werden, um die Forderung zu erfüllen. Das würde Monate bis Jahre dauern, zzgl. der sich anschließenden Konformitätsbewertungen durch die Stellen bei PTB und Eichbehörden, die pro Gerät weitere Monate bis Jahre dauern können. Es würde daher zu einer längeren Phase kommen, in der die alten Geräte nicht mehr eingesetzt werden dürften, die neuen aber noch nicht bereitstünden, wo also keine wirksame Geschwindigkeitsüberwachung stattfinden dürfte.Abs. 33
Um die Rohmessdaten der neu konstruierten Geräte dann auswerten zu können, muss sich jemand Kompetentes finden, der willens und in der Lage ist, die komplette Softwareentwicklung durch das Team beim Hersteller unabhängig zu wiederholen. Datenanalyse, interne Plausibilisierung und Annullationskriterien müssen entwickelt und getestet werden, im Labor, im Straßenverkehr und in speziellen Szenarien auf abgesperrten Verkehrsflächen. All dies natürlich an einer metrologisch rückgeführten Referenzanlage mit genügend kleiner Messunsicherheit – ein anderes geeichtes Gerät reicht als Referenz nicht aus. Das muss mindestens mit der gleichen Kompetenz und Sorgfalt wie beim Hersteller geschehen. Selbst wenn auch dieses geschafft wäre, bliebe noch ein wesentlicher Unterschied in den Qualitätssicherungsmaßnahmen übrig, weil die Prüfung des Algorithmus durch eine unabhängige kompetente Instanz fehlt. Bei dem geeichten Gerät war das die Zulassung bzw. Konformitätsbewertung durch die PTB, bei dem selbstentwickelten Privatalgorithmus fehlt dieser Schritt. Wenn man also dem geeichten Messwert nicht traut, wie kann man dann dem privaten Algorithmus trauen?Abs. 34
Die Löschung von Rohmessdaten bedeutet im Übrigen auch keinesfalls, dass eine Messung gar nicht mehr überprüfbar wäre. Hierzu hat sich die PTB in ihrer Stellungnahme vom 12.09.2016 wie folgt geäußert:Abs. 35
Weder in den zur Konformitätsbewertung heranzuziehenden allgemeinen Rechtsvorschriften, noch in den gerätespezifischen Bauanforderungen und Prüfvorschriften bestehen Forderungen nach „messtechnischen Zusatzdaten“ oder lassen sich Hinweise auf solche ableiten. Somit ist es aus Sicht der Konformitätsbewertungsstelle auch nicht erforderlich, messtechnische Zusatzdaten, die im eichrechtlichen Sinne „Hilfsgrößen“ darstellen, in den jeweiligen Falldatensätzen zu integrieren. Im Rahmen einer jährlichen Prüfung werden bei diesen Geräten sowohl die korrekte Funktionsweise als auch die Übereinstimmung mit dem bei der PTB geprüften und hinterlegten Muster, einschließlich der implementierten Gerätesoftware, von einer unabhängigen Stelle verifiziert. Zusätzlich verfügt das betreffende Messgerät gem. PTB Anforderungen über eine Vielzahl von geräteinternen Kontrollmechanismen, die im Fehlerfall zur Abschaltung bzw. Unterdrückung des Messbetriebs führen. Darüber hinaus wurde die Robustheit des Messgerätes gegenüber unkorrekter Aufstellung im Rahmen der Prüfungen zum Konformitätsbewertungsverfahren umfassend geprüft. Aus zulassungstechnischer Sicht ergibt sich somit keine Notwendigkeit der Integration von Zusatzdaten. Die in der Falldatei Ihres Gerätes auf freiwilliger Basis integrierten Zusatzdaten stehen dabei nicht im Widerspruch zu dieser Festlegung.Abs. 36
Das Fehlen von messtechnischen Zusatzdaten ist dabei nicht gleichzusetzen mit dem Fehlen einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle der einzelnen Messung. Die Möglichkeit einer „Plausibilitätskontrolle“ ist sehr wohl gegeben und auch ausdrücklich im Eichrecht so vorgesehen. Bei begründeten Zweifeln an der Konformität des in Rede stehenden Gerätes mit den zulassungstechnischen Vorgaben der PTB oder bei Vermutung eines Gerätedefekts sehen die gesetzlichen Regelungen nämlich die Möglichkeit einer Befundprüfung durch die zuständige Eichbehörde oder eine staatlich anerkannte Prüfstelle vor. Mit einer Befundprüfung kann festgestellt werden, ob ein geeichtes bzw. eichfähiges Messgerät die Verkehrsfehlergrenzen einhält und den sonstigen Anforderungen der Zulassung entspricht. Hierbei ist weiterhin vorgesehen, dass die konkrete Verwendungssituation ausdrücklich zu berücksichtigen ist. Somit kann ausgehend von der Überprüfung der korrekten Funktionsweise des Messgerätes, ggf. unter Hinzunahme von Messprotokollen bzw. Aussagen des jeweiligen Mess- und Auswertepersonals, unmittelbar eine „Plausibilitätskontrolle“ für die betreffende Einzelmessung erfolgen.Abs. 37
Nach diesen einleuchtenden Erläuterungen der PTB ist also nicht davon auszugehen, dass mit der Löschung/Nichtspeicherung von Rohmessdaten eine nachträgliche Überprüfung der Messung verhindert werden soll, wie es einige sog. Sachverständigenbüros suggerieren wollen. Vielmehr soll damit verhindert werden, dass an Hand von Hilfsgrößen, mit denen eine Messung nicht reproduziert und damit nicht überprüft werden kann, der geeichte Messwert – gesetzliche Grundlage des Messwesens - von außergerichtlich beauftragten Sachverständigen in Frage gestellt wird.Abs. 38
Es stellt sich hierbei die Frage, ob angesichts des - weltweit wohl einzigartigen – hohen Standards betreffend Verwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen die Rechte von Verkehrsteilnehmern, denen ein Geschwindigkeitsverstoß – und sei er noch so minimal – vorgeworfen wird, insbesondere das Recht auf ein faires Verfahren, tatsächlich signifikant und rechtsstaatswidrig beeinträchtigt sind, wenn Rohmessdaten einer Messung nicht (mehr) vorhanden sind oder nicht herausgegeben werden. Hierbei erscheint es im Übrigen fraglich, ob durch ein Mehr an zur Verfügung stehenden Daten ein Erkenntnisvorteil zur Beurteilung der Richtigkeit einer Messung gewonnen werden kann.Abs. 39
Diese Fragwürdigkeit ist erhellt in einem Aufsatz des Richters am OLG Frankfurt Dr. Teßmer unter dem Titel „Plausibilisierung – Eine Betrachtung aus juristischer Sicht“ in der Broschüre 60 Jahre „Blitzer“ in Deutschland – der aktuelle Stand PTB-​Mitteilungen 129 (2019), Heft 2:Abs. 40
Im Zusammenhang mit amtlichen Verkehrsmessungen wird immer wieder die fehlende Überprüfbarkeit von Verkehrsmessgeräten gerügt und mit unterschiedlichen Begründungen „das Recht auf Plausibilisierung“ des Messwertes eingefordert. Dieser Satz enthält gleich zwei unwahre Tatsachen, die mit einer überraschenden Selbstverständlichkeit als allgemeine Wahrheit verkauft werden. Amtliche Verkehrsmessgeräte sind selbstverständlich überprüfbar. Das Mess- und Eichgesetz hat dazu zahlreiche Regelungen, die von der amtlichen Zulassung (Konformitätsbewertung) durch die PTB über die Eichung bis hin zur Befundprüfung durch die Eichämter die Messrichtigkeit innerhalb der gesetzlichen Fehlergrenzen garantieren und sicherstellen. Dass diese Überprüfung nicht jeder vornehmen kann, ist selbstverständlich und bedürfte an sich keiner näheren Erläuterung. Wie die rechtlichen Strukturen sind, wer was und auf welche Weise zu überprüfen hat, hat die obergerichtliche Rechtsprechung in unzähligen Entscheidungen dargelegt. Dass bestimmte Gruppen von Gutachtern und Rechtsanwälten dies nicht zu Kenntnis nehmen wollen, hat nichts mit der bezweifelten Messrichtigkeit zu tun, sondern alleine mit den merkantilen Interessen dieser Gruppe. Wenn ein sogenannter Gutachter für 20 Seiten Gutachten ohne inhaltlichen Mehrwert für das Verfahren, das mit dem Fazit „kann ich gutachterlich die Richtigkeit des Messwertes nicht überprüfen“ endet, zwischen 1.500 Euro und 2.000 Euro in Rechnung stellt und ein Rechtsanwalt auf dieser Grundlage für die Sätze „erhebe ich Einspruch“ und „rüge ich materielles Recht“ zwischen 500 Euro und 750 Euro fordert, dann bedarf es für diese rechtliche Nichtleistung einer Begründung. Beim Oberlandesgericht Frankfurt ist in den letzten zehn Jahren kein einziges Verfahren mit dem Nachweis fehlerhafter Messung durch ein nach der Zulassung durch die PTB ordnungsgemäß verwendetes Messgerät aufgehoben worden.Abs. 41
Das Gesetz kennt auch kein Recht auf Plausibilisierung. Es ergibt sich auch weder aus dem „Recht auf Verteidigung“, noch aus dem „Grundsatz des fairen Verfahrens“, noch aus dem Grundsatz der „Waffengleichheit“. Man kann einen solchen Anspruch auch nicht aus dem Naturrecht oder den allgemeinen Verfahrensprinzipien ableiten. Warum ist das so? Plausibilisierung ist keine juristische Kategorie. Es ist nicht einmal eine juristische Hilfsgröße. Es ist nur ein rhetorisches Instrument. Plausibilisierung ist von dem gleichbedeutenden französischen Wort plausible übernommen, welches aus lateinisch plausibilis für „Beifall verdienend“, „auf Beifall berechnet“ stammt. Plausibilität wird in der Regel im Zusammenhang mit der Bewertung von Ereignissen und Aussagen verwendet. Plausibilität ist daher kein objektives Beurteilungskriterium, da es (was sich bereits etymologisch ergibt) nicht auf die objektive Richtigkeit, sondern auf die Wirkung beim Adressaten ankommt. Es geht nicht um die Richtigkeit oder gar die Wahrheit, sondern alleine um die Zustimmung beim Zuhörer. Plausibel ist daher ein Relationsbegriff, der eine gemeinsame Bezugsgröße (Verstehensumgebung) verlangt, mit dem Ziel eine „Mehrheitsfähigkeit vor einer bestimmten Verstehensumgebung“ zu erzeugen. Bei einer juristischen Bewertung geht es hingegen nicht um die Zustimmung. Gerichtliche Entscheidungen ergehen aufgrund gesetzlicher Regelungen in einer freien Beweiswürdigung von Tatsachen, die durchAbs. 42
- SachbeweiseAbs. 43
>> z. B. Urkunden, Lichtbilder § 267 Abs. 1 S. 2 StPO (Messfoto)Abs. 44
- Zeugen, sogenannte persönliche Beweismittel (§ 48 ff StPO) >> z. B. deren konkrete Wahrnehmungen, der Glaubwürdigkeit ihrer Person und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen (Messbeamte);Abs. 45
- durch sachverständige Zeugen (§ 85 StPO) >> eigene Wahrnehmungen aufgrund besonderer Sachkunde – es gelten die Vorschriften über den Zeugenbeweis;Abs. 46
- durch Sachverständige (§ 72 ff StPO) >> z. B. naturwissenschaftlich-​technische Beobachtungen, abstrakte wissenschaftliche Zusammenhänge und Wahrnehmungen im behördlichen Auftrag oder aufgrund einer gerichtlichen Bestellung in einer öffentlichen Hauptverhandlung ermittelt worden sind.Abs. 47
Dass das Gesetz das Mittel der Plausibilisierung zur Beweisführung nicht aufführt, ist daher keineswegs überraschend (soweit ersichtlich die einzige gesetzliche Ausnahme: § 2 Nr. 17 i. V. m. XVII Nr. 17 des Gesetzeskommentars (3), § 35 Abs. 1 Nr. 1; § 60 Abs. 2; § 75 Abs. 4 Messstellenbetriebsgesetz). Es ist für gerichtliche Entscheidungen nämlich völlig ungeeignet. Es ist insoweit auch nicht überraschend, dass sich in Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahren nicht selten sogenannte Gutachter zu Wort melden und dabei auf das nicht existierende „Recht auf Plausibilisierung“ verweisen. Diese sogenannten Gutachter sind in der StPO zu Recht ebenfalls als Beweismittel nicht aufgeführt. Sie sind entgegen ihrer eigenen Behauptung auch keine Sachverständige im strafrechtlichen Sinne, weil die StPO eindeutig und abschließend den strafrechtlichen Begriff des Sachverständigen beschreibt. Anders als die Aussagen der PTB und der Eichämter, die im gesetzlichen und damit behördlichen Auftrag und damit als Sachverständige tätig sind (§73 i. V. m. § 256 Abs. 1 S. 1a) StPO), ist eine vom Betroffenen in Auftrag gegebene gutachterliche Expertise nichts anderes als eine Argumentationshilfe des Betroffenen und damit nur Teil seiner Einlassung, und das auch nur dann, wenn sich der Betroffene diese „zu Eigen“ macht. Erst wenn das Gericht einen Gutachter nach § 73 StPO zu einem Sachverständigen bestellt und damit nach § 75 StPO für das Gericht verpflichtet und nach § 78 StPO unter dessen Leitungsbefugnis stellt, sind seine in der Hauptverhandlung gemachten Ausführungen Teil der Beweismittel, mit denen sich das Gericht in kritischer und eigenständiger Bewertung im Urteil auseinandersetzen muss. Bei fehlerhaften Sachverständigengutachten drohen dann über § 72 StPO die Folgen der §§ 48ff StPO.Abs. 48
Kritisch auch zu der Frage, ob eine solche Plausibilisierung einer Messung zielführend für eine effektive Verteidigung und verfassungsrechtlich zu fordern ist: Dr. Enrico Peuker (Privat-​Dozent der Humboldt- Universität in Berlin in NZV 2019, 443, Zum „Blitzer“-​Urteil des saarländischen VerfGH):Abs. 49
„Stattdessen stellt der VerfGH fest, dass der Verteidigung in Ermangelung anderer Verteidigungsmittel Zugang zu den Rohmessdaten (auch bei fehlenden Zweifeln an der Tragfähigkeit des Messergebnisses) gewährt werden müsse und dass die fehlende Speicherung von Rohmessdaten zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses führe. Diese Feststellung basiert indes auf nicht belegten Prämissen und ist im Übrigen der Anwendung des zuvor überzeichneten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs geschuldet.Abs. 50
So geht der VerfGH zunächst ohne nähere Begründung davon aus, dass keine alternativen, gleichermaßen zuverlässigen Verteidigungsmittel zur Verfügung stünden, obwohl in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung eine Vielzahl möglicher Verteidigungsansätze erörtert wird, die vom Gericht zu berücksichtigende konkrete Anhaltspunkte für Messfehler darstellen können. Hierzu zählen etwa die gleichzeitige Messung mehrerer Fahrzeuge, die fehlerhafte Zuordnung des Messergebnisses zu dem Betroffenen als Fahrzeugführer, Verstöße gegen die Bedienungsanleitung des Geräts, schlechte Sichtverhältnisse, eine hohe Verkehrsdichte, eine besondere Form des Fahrzeugs oder eine ggf. durch Zeugenbeweis zu bekräftigende Einlassung des Betroffenen, eine abweichende Geschwindigkeit sofort nach Auslösung des Lichtblitzes anhand des Tachometers abgelesen zu haben.Abs. 51
Wenn der VerfGH gleichwohl auf die Herausgabe der Rohmessdaten für eine effektive Verteidigung besteht, übersieht er zum einen, dass das Messgerät (hier: TraffiStar S350) selbst schon umfangreiche interne Sicherungsmaßnahmen durchführt, die effektiv 100 Einzelmessungen pro Fahrzeug beinhalten, so dass das Gerät nur dann einen geeichten Messwert bildet, wenn die Einzelmessungen pro Fahrzeug untereinander konsistent sind. Zum anderen überschätzt er die Bedeutung der Rohmessdaten für die Überprüfung des Messvorgangs. Die Ausführungen der Sachverständigen verdeutlichen vielmehr, dass die Rohmessdaten nur einer von mehreren erforderlichen Faktoren zur nachträglichen Rekonstruktion der Korrektheit des angegebenen Messergebnisses sind. Ohnehin erlaubt die Kenntnis der Rohmessdaten keine exakte nachträgliche Berechnung der gefahrenen Geschwindigkeit, sondern allenfalls eine Plausibilitätseinschätzung der Messung, deren Möglichkeit vom Sachverständigen der Physikalisch-​technischen Bundesanstalt (PTB) sogar wissenschaftlich bestritten wurde.Abs. 52
Wo solche Plausibilitätsannahmen indes erfordern, dass technische Sachverständige auch eine Vielzahl anderer Datensätze des Messgeräts jenseits des konkreten Messvorgangs kennen, ist daran zu erinnern, dass Strafverfolgungsbehörden und Gerichte nach geltender (Verfassungs-​)Rechtslage nicht verpflichtet sind, der Verteidigung bei der Suche nach möglichen Verteidigungsansätzen behilflich zu sein, indem sie ihr eine Vielzahl verfahrensfremder Daten zur Verfügung stellen…Abs. 53
Die Rechtsprechung zu standardisierten Messverfahren fußt schließlich auf einem differenzierten messrechtlichen Zusammenspiel zwischen vorheriger Konformitätsprüfung und nachträglicher Befundkontrolle, das gewährleisten soll, dass die Bedingungen der Anwendbarkeit und der Ablauf des Messverfahrens so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Dies stellt die PTB durch eine erhebliche Vielzahl von unterschiedliche Umgebungsparameter, Geschwindigkeiten und atypische Konstellationen berücksichtigende Messungen bei der Konformitätsprüfung und die Möglichkeit einer nachträglichen Befundkontrolle zum Ausschluss von fehlerhaften Messungen sicher. Insoweit dieses messrechtlich vorgegebene Zusammenspiel also ein erhebliches Vertrauen in die Richtigkeit der Messung rechtfertigt, ist nicht nachvollziehbar, warum das Recht auf eine effektive Verteidigung nach Auffassung des VerfGH ermöglichen soll, eine zwar nie gänzlich auszuschließende, aber gleichwohl äußerst seltene Fehlmessung auf Grundlage von bloßen Plausibilitätsannahmen „nachzuweisen“, wenn hierfür im Einzelfall überhaupt gar keine Anhaltspunkte bestehen.“Abs. 54
Selbst wenn man dennoch eine nachträgliche „Plausibilitätsüberprüfung“ einer Messung für erforderlich halten sollte, ist eine solche nach den Ausführungen in Sachverständigengutachten, die dem Gericht in zahlreichen Verfahren vorgelegt wurden, ohne Rohmessdaten möglich. Hierbei ist vorauszusetzen, dass eine exakte Überprüfung einer stattgefundenen Messung im Nachhinein naturwissenschaftlich und denklogisch ausgeschlossen ist. Insbesondere zu Messungen mit dem hier gegenständlichen Messgerät PoliScan FM 1, ausgestattet mit der Software 4.4.9, gibt es folgende Möglichkeiten:Abs. 55
Der Grafikteil enthält bei Geschwindigkeitsverstößen zusätzlich eine Hilfslinie, die einem Maßstab der Breite 0,5 m entspricht. Ihre vertikale Position visualisiert die Abtastebene im Messbereich.Abs. 56
Wenn man nun die exakten Maße vom Fahrzeug des Betroffenen in Erfahrung bringt, so sind photogrammetrische Berechnungen möglich. Hierdurch wird die Möglichkeit der Plausibilisierung durch sachverständige Personen gewährleistet. Dies gewährleistet aber nur die exakte Zuordnung der Messung zum Fahrzeug des Betroffenen. Die angezeigte Geschwindigkeit kann hierbei aber nicht nachgeprüft werden.Abs. 57
Eine Plausibilitätsprüfung der angezeigten Geschwindigkeit kann bei dem hier vorliegenden Messsystem nur über fotogrammetrische Bildanalysen vorgenommen werden, da bei der Software 4.4.9 die Vorgaben der PTB umgesetzt wurden, wonach keine Zusatzmessdaten zur Plausibilitätsprüfung oder Rohmessdaten mehr gespeichert werden dürfen.Abs. 58
Zur grafischen Überprüfung der Geschwindigkeit des abgebildeten Objektes ist es möglich, die sogenannten Smear-Streifen auszuwerten. Die Smear-Streifen sind auf dem Foto erkennbare helle Blendlinien, welche von einem sehr hellen Punkt am Fahrzeug ausgehen. Sie entstehen durch einen Nachbelichtungseffekt bei der Datenverarbeitung des CCD-Bildsensors. Der Grad der Schrägstellung ist ein Indiz für die Geschwindigkeit, mit der sich der verursachende Spot (Lichtfleck) an der Kamera vorbeibewegt. Über verschiedene physikalische und mathematische Beziehungen lässt sich somit die Geschwindigkeit des abgebildeten Fahrzeuges eingrenzen.Abs. 59
Es werden nicht bei jeder Aufnahme Smear-Effekte ausgebildet.Abs. 60
Nach aktuellem Erkenntnisstand wird mit Einführung der Software 4.4.9 die Position der ersten und letzten Messung immer auf 50,0 m und 20,0 m gesetzt. Damit ist im Gegensatz zur Software 4.4.5, bei der noch die echten Entfernungsmesswerte gespeichert wurden, keine Prüfung mehr zur Messdatenerhebung im zugelassenen Messbereich möglich.Abs. 61
Es kann eine Plausibilitätsprüfung zur Messdatenzugehörigkeit und zum Reflexionspunkt per fotogrammetrischer Bildvermessung vorgenommen werden.Abs. 62
Bei dieser Prüfung wird der Entfernungsmesswert laut Zusatzdaten mit der realen Abbildungsposition des Betroffenenfahrzeuges zum Zeitpunkt der Fotoerstellung verglichen.Abs. 63
Für die Bewertung kann die Entfernung zum Zeitpunkt der Fotoauslösung zum Messsystem anhand der genormten Maße des EU-Kennzeichens fotogrammetrisch vermessen. Ausweislich der Zusatzdaten kann der vom Messsystem verwendete Schwenkwinkel von …° ermittelt werden.Abs. 64
Eine Methode der Plausibilitätsprüfung der angezeigten Geschwindigkeit liegt in der fotogrammetrischen Längsabstandsberechnung des Fahrzeuges zum Zeitpunkt der Fotoauslösung.Abs. 65
Nach derzeitigem Kenntnisstand soll die Fotoposition aus der gemessenen Geschwindigkeit berechnet werden. D. h. das Messgerät bestimmt eine Entfernungsposition, an der das gemessene Fahrzeug aufgrund der zuvor berechneten Geschwindigkeit erwartet wird. Bestehen keine Zweifel an der korrekten Fahrzeugerfassung, kann also durch einen Abgleich der Ist-Fotoposition mit der berechneten Fotoposition eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen werden, ob die berechnete Geschwindigkeit auch der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit entspricht. Dabei gilt, dass das Fahrzeug in Wirklichkeit tendenziell schneller gefahren ist, wenn diese Fotoposition überfahren wurde, also der Längsabstand kleiner ist, als es die Fotoposition hergibt. Hingegen kann von einer geringeren Geschwindigkeit ausgegangen werden, wenn das Fahrzeug die Fotoposition noch nicht erreicht hat, also ein größerer Längsabstand vorliegt.Abs. 66
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts bedarf es im Übrigen angesichts beträchtlicher Verkehrsdichte und damit einhergehender Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit einer Abwägung der Grundrechte, des Rechts der Fahrzeugführer auf ein faires Verfahren einerseits, dem Recht der Bürger auf körperliche Unversehrtheit andererseits.Abs. 67
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung eine Abwägung vorgenommen und das Grundrecht der Bürger auf körperliche Unversehrtheit, vom Verfassungsgerichtshof des Saarlandes nicht in Betracht gezogen, „in die Waagschale geworfen“:Abs. 68
Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau auf das Verfahrensrecht sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Rechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 <250>; 80, 367 <375>; 122, 248 <272>; 133, 168 <200 f. Rn. 59>). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Rechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den Anspruch auf ein faires Verfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Betroffenen dabei eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksamen Rechtspflege erfahren (vgl. BVerfGE 122, 248 <273>; 133, 168 <201 Rn. 59>). Das Beschleunigungsgebot ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren ebenfalls zu berücksichtigen, denn unnötige Verfahrensverzögerungen stellen auch die mit der Ahndung verfolgten Zwecke infrage (vgl. im Zusammenhang mit der Kriminalstrafe BVerfGE 122, 248 <273 m.w.N.>; 133, 168 <201 Rn. 59 m.w.N.>). Zweck von Maßnahmen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ist die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit – angesichts des zunehmenden Verkehrsaufkommens und der erheblichen Zahl von Verkehrsübertretungen – der Schutz von Rechtsgütern mit hohem Gewicht, wobei das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs auch in Zusammenhang mit dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben steht (vgl. BVerfGK 17, 469 <474 f. m.w.N.>).Abs. 69
Ausgehend von einer solchen Messung im standardisierten Messverfahren bedurfte es keiner weiteren Beweisaufnahme zur Überprüfung der Messung. Konkrete Messfehler oder Unregelmäßigkeiten waren nicht ersichtlich, wurden auch seitens d. Betroffenen nicht vorgebracht. Der Vortrag beschränkte sich auf entscheidungsunerhebliche abstrakte Einwände gegen die Messung bzw. theoretische Ausführungen zum Akteneinsichtsrecht.Abs. 70
Der Beweisantrag auf Einholung einer schriftlichen Stellungnahme der PTB konnte daher wie geschehen als zur Wahrheitserforschung nicht erforderlich i.S.d. § 77 Abs. 2 Nr.1 OWiG abgelehnt werden, wobei die Nichtspeicherung von Rohmessdaten auf Veranlassung der PTB als allgemeinkundig vorausgesetzt wird, die übrigen Beweisbehauptungen den offiziellen Stellungnahmen der PTB hierzu widersprechen.Abs. 71
Wird wie vorliegend von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen, bedarf es der Hinzuziehung eines Beschilderungsplanes bzw. der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht (OLG Zweibrücken, Beschl. v.26.07.2022– Az. 1 OWi 2 SsBs 84/21). Die Messörtlichkeit einschließlich der Beschilderung ist durch das Messprotokoll in der Akte ausreichend dokumentiert, so dass es der Überlassung der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht bedarf (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2020 – Az. 1 OWi 6 SsRs 271/20). Verkehrszeichen stellen Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen dar, vgl. § 35 VwVfG (BVerwG, Urt. v. 11.12.1996 – Az. 11 C 15/95, NJW 1997, 1021, 1022). Sie sind nach §§ 43 III, 44 VwVfG nur unwirksam, wenn sie nichtig sind, ansonsten ist ein Verwaltungsakt zu befolgen, auch wenn er fehlerhaft ist (OLG Koblenz, Beschl. v. 17.11.2020 – Az. 1 OWi 6 SsRs 271/20). Ein Verwaltungsakt ist nach § 44 I VwVfG nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist, darüber hinaus nur unter den Voraussetzungen des § 44 II VwVfG (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.11.1990 – Az. 5 Ss (OWi) 384/9, NVZ 1994, 204).Abs. 72
Beschränkende Verkehrszeichen werden im Regelfall von Hoheitsträgern nach Prüfung entsprechender Notwendigkeit zum Zweck der Sicherheit des Straßenverkehrs aufgestellt; dies in Frage zu stellen bzw. in jedem Fall überprüfen zu müssen, erscheint im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts absurd, zumal nur eine Nichtigkeit der Allgemeinverfügung bedeutsam wäre. Dass die ordnungsgemäße Beschilderung vor und nach der Messung überprüft wurde, hat d. Messverantwortliche im Messprotokoll bescheinigt.Abs. 73
Es ist nicht ersichtlich und seitens des Betroffenen nicht – substantiiert - vorgetragen, inwieweit Beschilderungsplan und verkehrsrechtliche Anordnung eine Relevanz für die Messung, das Messergebnis, die Verwertbarkeit des Messergebnisses oder die Vorwerfbarkeit des Geschwindigkeitsverstoßes haben soll.Abs. 74
Ein Anspruch auf Herausgabe des Tokens nebst Passwort bestand unter dem Aspekt eines fairen Verfahrens/Überprüfbarkeit der Messung nicht auf Grund folgender Erwägungen:Abs. 75
Von dem Messgerät werden jedes Messfoto und die dazugehörigen Messdaten digital verschlüsselt in einer sog. tuff-Datei abgelegt; diese verschlüsselte Mess- und Fotodatei kann unter Verwendung eines entsprechenden Tokens und Passworts mit Hilfe eines Entschlüsselungsprogramms (tuff-viewer) geöffnet werden. Wird die verschlüsselte tuff-Datei mit dem entsprechenden Entschlüsselungsprogramm des Geräteherstellers geöffnet, so kann festgestellt werden, dass die tuff-Datei der Messung des Fahrzeugs des Betroffenen ordnungsgemäß verschlüsselt, signiert und mit einem Wasserzeichen versehen ist und somit die Integrität und Authentizität der Mess- und Fotodatei visualisiert und verifiziert werden.Abs. 76
Wenn man die Tuff-Datei entschlüsselt, erhält man technisch gesehen nur wieder die signierte Falldatei und diese besteht aus den Bilddaten und den dazugehörigen Messdaten.Abs. 77
Der Tuff-Viewer zeigt (nach von ihm vorgenommener Entschlüsselung) die Bilddaten als Bild an und bietet – unter dem Menüpunkt TUFF-Datei Konvertierung – die Funktionalität, die Bilddaten in verschiedene Formate (z.B. JPEG) zu exportieren. Man kann also nur das Format der exportierten Bilddatei selbst auswählen.Abs. 78
Weiterhin bietet der Tuff-Viewer – ebenfalls unter dem Menüpunkt TUFF-Datei Konvertierung - die Funktionalität, aus der Falldatei eine „Datendatei“ zu erstellen. Auch dort sind wieder verschiedene Formate möglich. Durch Auswahl des Formates „XML-V15“ wird die überall lediglich als „die XML-Datei“ bekannte Datendatei erstellt.Abs. 79
Die XML-Datei (des Formats XML-V15) enthält u.a. bestimmte vom Bediener beim Einrichten des Messgerätes eingegebene Daten (wie z.B. die Bezeichnung der Messstelle, die für LKW bzw. PKW gültigen Geschwindigkeitsgrenzen) und verschiedene auf die konkrete Messung bezogene Daten (wie z.B. die gemessene Geschwindigkeit und Positionsdaten der ersten und letzten Erfassung des gemessenen Fahrzeuges durch das Messgerät, Datum und Uhrzeit der Messung und den Zeitpunkt der Bildaufnahme), d.h. letztlich einen Mix aus Messdaten und ergänzenden Daten.Abs. 80
Die xml-Datei ist eine reine Textdatei. Sie kann also mit jedem beliebigen Standard-Textprogramm gelesen werden, in Windows z.B. im Texteditor.Abs. 81
Dieses kompliziert zu erlangende Ergebnis kann jedoch einfacher erreicht werden, indem man den entsprechenden Bildschirmausdruck des geöffneten Messfotos per Screenshot vom Bildschirm abfotografiert. Dann ist in der unteren Ecke des Ausdrucks zu erkennen, dass/ob das Messfoto ordnungsgemäß verschlüsselt, signiert und mit einem ordnungsgemäßen Wasserzeichen versehen ist, mithin Authentizität und Integrität des Messfotos belegt sind. Ferner sind noch weitere Daten zur konkreten Messung textmäßig eingeblendet, also nahezu all das, was man mit Token, Passwort, tuff-Datei und tuff-viewer öffnen kann.Abs. 82
Und diesen Bildschirmausdruck erhalten Verteidiger oder Sachverständige auf entsprechende Anforderung ohne Weiteres.Abs. 83
Herausgegeben wird im Übrigen auf Verlangen auch die tuff-Datei, allerdings ohne Entschlüsselungsmedien, wobei bei der sich anschließenden „sachverständigen“ Auswertung der Messung Vorsicht geboten ist. Die Auswertung der tuff-Datei erfolgt nämlich mit von Sachverständigenbüros selbst „gebastelten“ Entschlüsselungsprogrammen, die nicht zugelassen, nicht lizensiert und damit nicht überprüfbar sind, mit denen zusätzliche nicht mit dem tuff-viewer ersichtliche und auch nicht in der xml Datei dargestellte Daten, wie Höhe Messgerät, Abstand zur Fahrbahn usw. aufgeführt werden.Abs. 84
Entsprechende Ergebnisse können einer gerichtlichen Entscheidung schlechterdings nicht zugrunde gelegt werden.Abs. 85
Zu bedenken ist schließlich unter dem Aspekt der „Waffengleichheit“ zwischen Betroffenem und Verwaltungsbehörde im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Behörde über den Token gar nicht verfügt, dieser vielmehr bei der Eichdirektion als Sammeltoken (für verschiedene Geräte und Messungen) hinterlegt ist. Die Behörde kann/könnte somit eine Messung gar nicht überprüfen, hat somit keinen Wissensvorsprung gegenüber dem Betroffenen. Die Auswertung der Messung ist im Übrigen nicht Aufgabe der Behörde; hierfür gibt es geschultes Auswertepersonal bei Polizei und Kommunen, die die Geräte betreiben.Abs. 86
Im Bereich der Messstelle galt die örtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Dies war dem in der Hauptverhandlung vorgelegten Messprotokoll zu entnehmen.Abs. 87
Die Messung ergab, dass die Betroffene die Messstelle um 14.54 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h (nach vorgeschriebenem Toleranzabzug von 3 km/h) passierte. Dies war den vorgelegten Dateneinblendungen in den Lichtbildern, auf die gemäß §§ 46 OWiG, 267 Abs.1 Satz 3 StPO Bezug genommen wird, zu entnehmen. Mithin überschritt die Betroffene die – innerorts - zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 30 km/h. Hierbei ging das Gericht von fahrlässiger Begehensweise aus.Abs. 88
Der Betroffenen war eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach den §§ 3 Abs. 3, 49 Abs.1 Nr.3 StVO, § 24 StVG vorzuwerfen.Abs. 89
Der Verstoß war mit einer Geldbuße i.H.v. 180,- Euro zu ahnden.Abs. 90
Es gab keine Anhaltspunkte, um von der Regelsanktion nach BußgeldkatalogVO abzuweichen.Abs. 91
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 OWiG, 465 StPO.Abs. 92

(online seit: 21.11.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: St. Ingbert, AG, Speicherung von Rohmessdaten - JurPC-Web-Dok. 0160/2023