JurPC Web-Dok. 144/2023 - DOI 10.7328/jurpcb20233810144

VG Berlin

Urteil vom 25.08.2023

5 K 98.20 V

Online-Registrierung als Antragstellung

JurPC Web-Dok. 144/2023, Abs. 1 - 47


Leitsatz:

Die Onlineregistrierung für die Beantragung eines Familienzusammenführungsvisums im Terminvergabesystem der Auslandsvertretung kann im Einzelfalls als Antragstellung auszulegen sein.

Tatbestand:

Der 1962 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger und begehrt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu seinem am 6….1999 geborenen Sohn syrischer Staatsangehörigkeit, dem Beigeladenen zu 2.Abs. 1
Am 21. Dezember 2015 stellte der Beigeladene zu 2 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Am 6... 2017 vollendete der Beigeladene zu 2 sein 18. Lebensjahr. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 7. Dezember 2018, dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Beigeladenen zu 2 zugegangen am 12. Dezember 2018, wurde dem Beigeladenen zu 2 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.Abs. 2
Am 15. Dezember 2018 generierte der Beigeladene zu 2 über die Webseite des Auswärtigen Amtes eine „Fristwahrende Anzeige, § 29 Abs. 2 Satz 1 AufenthG“. Die Angaben des Klägers gab er dort nicht an. Sowohl in der Rubrik „Schutzberechtigter Flüchtling in Deutschland“ als auch der Rubrik „Kind 1“ wurden die Daten des Beigeladenen zu 2 eingetragen.Abs. 3
Am 27. Dezember 2018 registrierte sich der Kläger in dem Online-Terminvergabesystem der Botschaft Amman (Botschaft). Ausweislich des noch vorhandenen Datensatzes der Internationalen Organisation für Migration (IOM) trug der Kläger dabei jedenfalls die folgenden Daten in eine Eingabemaske ein: seinen Namen und Vornamen, seine E-Mail-Adresse, seine Staatsangehörigkeit, die Passnummer, seine Telefonnummer, seinen Namen inklusive Vater- und Großvaternamen sowie das Geschäftszeichen des Bundesamtes betreffend die Asylakte des Beigeladenen zu 2.Abs. 4
Am gleichen Tag erhielt der Kläger unter dem Betreff „Registrierung für die Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung zum anerkannten Flüchtling in Amman“ eine E-Mail der Visastelle der Botschaft. Darin heißt es unter anderem auf Deutsch und Arabisch (Hervorhebungen im Original):Abs. 5
„Ihre Registrierung für die Beantragung eines Familienzusammenführungsvisums in Amman wurde erfolgreich bei uns gespeichert.Abs. 6
Ihre Referenznummer lautet: 10140294 (…)Abs. 7
Um eine zügige Bearbeitung auch in Ihrem Interesse zu gewährleisten, bitten wir um Vorlage vollständiger Unterlagen, inklusive lesbarer Kopien, zum Vorsprachetermin. (…)Abs. 8
Ab sofort werden alle Personen, die sich für einen Termin zum Nachzug zum anerkannten Flüchtling an der Botschaft Amman registriert haben, gebeten so schnell wie möglich mit dem IOM Kontakt aufzunehmen.Abs. 9
Ziel des vom Auswärtigen Amt initiierten Familienunterstützungsprogramms ist es, Antragstellern bei Fragen zum Visumsverfahren zu helfen und sicherzustellen, dass sämtliche notwendigen Dokumente beim Visum-Termin vorgelegt werden können. IOM hat zu diesem Zweck ein Zentrum in Amman eröffnet. Dort werden sowohl die Dokumente auf Vollständigkeit geprüft als auch die Anträge angenommen und anschließend an die Botschaft zur Bearbeitung und Entscheidung weitergeleitet.“Abs. 10
Wegen der weiteren Einzelheiten des Inhalts der E-Mail wird auf den mit Klägerschriftsatz vom 9. Dezember 2021 eingereichten Ausdruck Bezug genommen.Abs. 11
Mit E-Mail vom 22. Januar 2019 informierte die IOM die Botschaft darüber, dass sich der Kläger am 27. Dezember 2018 registriert und sie, die IOM, am 16. Januar 2019 einen Fall angelegt habe.Abs. 12
Am 6. November 2019 nahm der Kläger seinen Termin zur Vorsprache bei der IOM wahr. Bei dieser Gelegenheit wurden offenbar weitere Daten des Klägers in das Antragsformular der Beklagten „Familiennachzug zum anerkannten Flüchtling in Deutschland, § 29 Abs. 2 Satz 2 AufenthG“ eingepflegt und der Kläger übergab erforderte Unterlagen.Abs. 13
Mit Bescheid vom 3. Februar 2020 lehnte die Botschaft den Antrag auf Familienzusammenführung zu dem Beigeladenen zu 2 ab. Bedingt durch die Volljährigkeit der Referenzperson sei die Prüfung gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG erfolgt, dessen Voraussetzungen nicht vorlägen.Abs. 14
Hiergegen wendet sich die am 8. März 2020 erhobene Klage. Der Kläger ist der Auffassung, dass sich sein Antrag nach § 36 Abs. 1 AufenthG richten müsse. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gelte ein Flüchtling für Zwecke der Familienzusammenführung auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres noch als minderjährig, wenn er zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjährig war und der Antrag zum Familiennachzug binnen drei Monaten ab Rechtskraft des Zuerkennungsbescheides (zumindest fristwahrend) gestellt wurde. Beide Voraussetzungen lägen vor. Jedenfalls die fristwahrende Anzeige zusammen mit den Angaben in der Terminbestätigung seien als Antrag zu werten.Abs. 15
Der Kläger beantragt,Abs. 16
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Februar 2020 zu verpflichten, seinem Antrag auf Erteilung eines Visums zur Einreise in die Bundesrepublik zum Zwecke der Familiennachzugs zu seinem im Bundesgebiet lebenden Sohn zu entsprechen und ihm das Visum zur Einreise zu erteilen.Abs. 17
Die Beklagte beantragt,Abs. 18
die Klage abzuweisen.Abs. 19
Der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 AufenthG sei nicht eröffnet. Die Terminvereinbarung sei nach ihrem erkennbaren Erklärungsinhalt keine Antragstellung. Ohnehin gehe aus den insoweit von dem Kläger gemachten Angaben weder hervor, dass ein Familiennachzug in Form des Elternnachzugs begehrt werde, noch enthalte die Registrierung – mit Ausnahme des Geschäftszeichens der den Beigeladenen zu 2 betreffenden Asylakte des Bundesamts – Informationen der Referenzperson. Auch durch das Merkblatt „Nationale Visa – Für langfristigen Aufenthalt (über 90 Tage)“ werde bestätigt, dass die Terminbuchung nicht als Antrag zu verstehen sei.Abs. 20
Mit Beschluss vom 5. Januar 2022 hat die Kammer den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.Abs. 21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und der Beigeladenen zu 2 sowie die Streitakte Bezug genommen.Abs. 22

Entscheidungsgründe:

Über die Klage entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter, nachdem ihm die Kammer die Sache zur Entscheidung übertragen hat (§ 6 Abs. 1 VwGO). Er konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen zu 1 verhandeln und entscheiden (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).Abs. 23
Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthafte und auch sonst zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten; er hat einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).Abs. 24
Nach § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 3 AufenthG bedarf der Kläger für den begehrten Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland vor der Einreise der Erteilung eines nationalen Visums. Diese richtet sich vorliegend nach den §§ 27, 36 Abs. 1 AufenthG. Danach ist den Eltern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach unter anderem § 25 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 AufenthG besitzt, abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 29 Abs. 1 Nr. 2 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet aufhält. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.Abs. 25
Der Kläger ist der Vater des Beigeladenen zu 2, der als anerkannter Flüchtling eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 AufenthG besitzt. Es hält sich kein personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet auf.Abs. 26
Der Beigeladene zu 2 ist auch Minderjähriger im Sinne des § 36 Abs. 1 AufenthG.Abs. 27
Zwar ist er bereits seit dem 6... 2017 volljährig und war mithin zum grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (zur Nichtanwendung der so genannten Doppelprüfung beim Elternnachzug vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 10 C 9/12 –, juris Rn. 17 ff.) bereits 23 Jahre alt. Doch nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes folgt aus Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (Familienzusammenführungsrichtlinie), dass ein Drittstaatsangehöriger, der zum Zeitpunkt seiner Einreise in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik und der Stellung eines Asylantrags unter 18 Jahre alt war, aber während des Asylverfahrens volljährig wird und dem später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, für die Zwecke der Familienzusammenführung als Minderjähriger anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 12. April 2018 – C-550/16 –, juris Rn. 64). Da es aber mit dem Ziel von Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Familienzusammenführungsrichtlinie sicherlich unvereinbar wäre, dass sich ein Flüchtling ohne jede zeitliche Begrenzung auf die fingierte Minderjährigkeit berufen könnte, um die Familienzusammenführung zu erwirken, obliegt es ihm, seinen Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb einer Frist von drei Monaten ab dem Tag zu stellen, an dem der Minderjährige als Flüchtling anerkannt worden ist (EuGH, Urteil vom 12. April 2018, a.a.O. Rn. 61); maßgebend für den Beginn des Fristenlaufs ist die Kenntniserlangung des Betroffenen von der Flüchtlingsanerkennung.Abs. 28
Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 21. Dezember 2015 war der Beigeladene zu 2 noch minderjährig und er wurde auch während des Asylverfahrens volljährig. Schließlich wurde der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb einer Frist von drei Monaten ab dem Tag gestellt, an dem der (ehemals) Minderjährige von seiner Flüchtlingsanerkennung Kenntnis erlangt hat. Der Anerkennungsbescheid vom 7. Dezember 2018 ist dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten des Beigeladenen zu 2 am 12. Dezember 2018 zugegangen, so dass seit diesem Tag von einer Kenntnis des Beigeladenen zu 2 auszugehen ist. Die von dem Europäischen Gerichtshof gefundene Dreimonatsfrist endete mithin mit Ablauf des 12. März 2019.Abs. 29
Vorliegend kommt es auf die streitige Frage, inwieweit eine so genannte fristwahrende Anzeige der Referenzperson gegenüber der Ausländerbehörde im Sinne von § 29 Abs. 2 Satz 3 AufenthG die Dreimonatsfrist wahren kann (vgl. VG Berlin, Urteil vom 13. März 2023 – 36 K 176/21 V –, EA S. 11 ff. m. w. Nachw.), nicht entscheidend an. Zum einen enthält die von dem Beigeladenen zu 2 am 15. Dezember 2018 generierte „Fristwahrende Anzeige, § 29 Abs. 2 Satz 1 AufenthG“ keine den Kläger betreffenden Angaben, so dass sie bereits aus diesem Grund keinen hinreichend bestimmten Antrag darstellt.Abs. 30
Zum anderen wahrt jedenfalls die Registrierung des Klägers in dem Online-Terminvergabesystem der Botschaft am 27. Dezember 2018 die Dreimonatsfrist. Bereits die Registrierung stellt einen Antrag auf Erteilung eines Visums im Sinne von § 81 Abs. 1 AufenthG dar. Diesem Ergebnis steht kein Formerfordernis entgegen (1.), die Registrierung durch den Kläger enthält die für den Mindestgehalt eines Visumsantrags erforderlichen Informationen (2.) und sie ist nach der entsprechend §§ 133, 157 BGB anzustellenden Betrachtungsweise aus Sicht der Beklagten sowie der Verkehrssitte und Treu und Glauben als Antrag auszulegen (3.).Abs. 31
1. Die Erteilung eines Visums setzt einen Antrag voraus (§ 81 Abs. 1 AufenthG). Ein solcher Antrag unterliegt keinem besonderen Formerfordernis und kann mithin wirksam und fristwahrend schriftlich, in Textform, mündlich, fernmündlich und auch konkludent gestellt werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. August 2020 – 12 B 18.19 –, juris Rn. 22, 24; Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2023, AufenthG § 81 Rn. 8; Kluth in BeckOK AuslR, 38. Edition, 1. Januar2023, AufenthG § 81 Rn. 5 f.).Abs. 32
2. Die Registrierung enthält die für den Mindestgehalt eines Visumsantrags erforderlichen Informationen.Abs. 33
Um überhaupt als Antrag erkennbar zu sein, muss eine Willenserklärung einen gewissen Mindestgehalt aufweisen. Erkennbar sein müssen die Identität des Antragstellers, die Behörde, die das Verfahren eröffnen soll, sowie das angestrebte Ziel. Für den Visumsantrag bedeutet dies, dass sich den Angaben entnehmen lassen muss, dass das Begehren auf die Erteilung eines Aufenthaltstitel zu einem bestimmten Aufenthalt im Bundesgebiet gerichtet ist (vgl. Kluth in BeckOK AuslR, 38. Edition, 1. Januar 2023, AufenthG § 81 Rn. 5 f.). Wird ein Visum zur Familienzusammenführung begehrt, ist zur hinreichenden Bestimmung des Verfahrensgegenstandes weiter erforderlich, dass die Person, zu der der Nachzug erfolgen soll, zumindest bestimmbar ist.Abs. 34
Diesen Anforderungen wird die Registrierung durch den Kläger gerecht. Im Zuge der Terminregistrierung bringt der Kläger zum Ausdruck, dass er ein nationales Langzeitvisum begehrt und benennt den konkreten Zweck des Visums, die Familienzusammenführung zum anerkannten Flüchtling. Er nennt hinreichende persönliche Daten (Name einschließlich Namens des Vaters und des Großvaters, Geburtsdatum, Passnummer, Telefonnummer, E-Mail-Adresse), um seine Identifikation zu ermöglichen. Auch die Behörde, die das Verfahren eröffnen soll, geht unzweifelhaft aus der Registrierung hervor. Schließlich benennt er zwar den Beigeladenen zu 2 nicht ausdrücklich durch Nennung von Namen, Geburtsdatum und Verwandtschaftsverhältnis. Er gibt aber – entsprechend der Eingabemaske – das Geschäftszeichen des den Beigeladenen zu 2 betreffenden Asylverfahrens an. Damit ist die Person, zu der der Nachzug erfolgen soll, eindeutig bestimmbar. Dass der Name und das Verwandtschaftsverhältnis aus dem Geschäftszeichen des Bundesamts nicht ohne Weiteres ersichtlich werden, ist unschädlich. Entscheidend ist vielmehr, dass zweifelsfrei und ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann, zu wem der Nachzug erfolgen soll. Ein entsprechend tenorierter Bescheid erfüllte – spiegelbildlich – das verfahrensrechtliche Bestimmtheitsgebot. Ebenfalls unschädlich ist, dass der Kläger keine Rechtsgrundlage benennt. Im Fall des volljährigen nachzugswilligen Antragstellers sind bei der Familienzusammenführung zum anerkannten Flüchtling regelmäßig §§ 29, 30 oder § 36 Abs. 1 AufenthG einschlägig. Zur weiteren Präzisierung des Antragsgegenstandes genügt die Bestimmbarkeit der Referenzperson sowie die Angabe des in Kapitel 2 Abschnitt 6 des Aufenthaltsgesetzes geregelten Aufenthalts aus familiären Gründen (vgl. auch Happ, ZAR 2021, 274, 276 m. w. Nachw.).Abs. 35
3. Die Terminregistrierung durch den Kläger ist nach der entsprechend §§ 133, 157 BGB anzustellenden Betrachtungsweise aus Sicht der Beklagten sowie der Verkehrssitte und Treu und Glauben als Antrag auszulegen.Abs. 36
Dabei hat die Auslegung im Grundsatz vom Wortlaut der Erklärung auszugehen, findet in der Ermittlung des buchstäblichen Wortsinnes aber nicht ihr Ende.Abs. 37
Ausweislich des die Registrierung des Klägers betreffenden Datensatzes der IOM sowie der Betreffzeile der Bestätigungs-E-Mail vom 27. Dezember 2018 hat der Kläger durch seine Registrierung zunächst im Wortlaut erklärt, sich „für die Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung in Amman“ registrieren zu wollen. Die Beklagte versteht diese Erklärung dahin, dass die Registrierung (allein) einer späteren Beantragung eines Visums diene und nicht selbst ein Antrag sei. Zwingend ist diese Auslegung des Wortlauts nicht. Die verwendete Präposition „für“ dient der Angabe eines Ziels, eines Zwecks oder eines Nutzens (vgl. https://www.duden.de/recht-schreibung/fuer_statt). Danach ist die von der Beklagten vorgegebene Erklärung sprachlich gleichbedeutend mit der Erklärung, man registriere sich mit dem Ziel oder zu dem Zweck der Beantragung eines Visums. Wenn das Ziel oder der Zweck der Registrierung danach darin liegt, ein Visum zu beantragen, kann sprachlich bereits die Registrierung als Antrag zu verstehen sein. Jedenfalls enthält der Wortlaut keinen Hinweis darauf, dass die bezweckte Beantragung gesondert und erst zeitlich nach der Registrierung erfolgen solle. Sprachlich eindeutige Erklärungen wären zwar denkbar – etwa: „Ich registriere mich für eine spätere Beantragung“ oder „Ich registriere mich für einen Termin, um erst im Rahmen des Termins ein Visum zu beantragen“ –, wurden von der Beklagten aber nicht vorgegeben und können dem Kläger daher auch nicht zugeschrieben werden.Abs. 38
Die Berücksichtigung der Begleitumstände führt auch nicht zu der von der Beklagten angenommenen Auslegung. Zu den durch §§ 133, 157 BGB vorgegebenen Auslegungsgrundsätzen gehört, dass eine Willenserklärung unter Berücksichtigung der Begleitumstände auszulegen ist, unter denen sie abgegeben worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2012 – 3 C 12/11 –, juris Rn. 16). Die Beklagte verweist insoweit insbesondere auf die auf ihrer Webseite hinterlegten Merkblätter „Nationale Visa für längerfristigen Aufenthalt (über 90 Tage)“ und „Merkblatt für die Beantragung eines nationalen Visums zur Familienzusammenführung zum in Deutschland lebenden Schutzberechtigten (endgültige Zuerkennung der Flüchtlings- oder Asyleigenschaft) (langfristiger Aufenthalt von über 90 Tagen)“. In dem erst genannten Merkblatt werde der Schritt der Terminbuchung explizit unter der Rubrik „Antrag vorbereiten“ aufgeführt, während die Antragstellung erst in der nächsten Rubrik „Antrag stellen“ beschrieben werde. Daraus folge, dass die Registrierung nicht als Antrag, sondern als Vorbereitungshandlung für einen Antrag zu verstehen sei. Diese Beschreibung des Merkblatts trifft zwar zu. Es ist aber bereits im Ausgangspunkt unzulässig zur Auslegung der Registrierung des Klägers für die Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung angesichts des spezielleren Merkblatts „Merkblatt für die Beantragung eines nationalen Visums zur Familienzusammenführung zum in Deutschland lebenden Schutzberechtigten“ auf die Gestaltung des ersichtlich allgemeineren Merkblatts „Nationale Visa für längerfristigen Aufenthalt“ abzuheben. Im Übrigen ist das Verhalten des Klägers gerade unter Berücksichtigung des Inhalts der Merkblätter und der sonstigen Darstellung des Visumsverfahrens durch die Beklagte, wonach die Stellung eines Antrags in einem Termin zur persönlichen Vorsprache als alternativlos dargestellt wird (vgl. hierzu auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. August 2020 – 12 B 18.19 –, juris Rn. 19), als (konkludente) Antragstellung auszulegen. Beispielsweise beschreibt das „Merkblatt für die Beantragung eines nationalen Visums zur Familienzusammenführung zum in Deutschland lebenden Schutzberechtigten (endgültige Zuerkennung der Flüchtlings- oder Asyleigenschaft) (langfristiger Aufenthalt von über 90 Tagen)“ den Prozess der Visumserteilung in verschiedenen Schritten, an deren Anfang die Registrierung im Terminvergabesystem der Botschaft steht; im Rahmen des Termins könne der förmliche Antrag auf einem Antragsformular gestellt werden. Zwar wird auf den zur Akte gereichten Merkblättern nicht explizit behauptet, dass dies der einzige Weg zur Erteilung eines Visums sei; es wird aber auch nicht darauf hingewiesen, dass ein Visumsantrag formlos gestellt werden könnte (zur fehlenden Obliegenheit der Beklagten, Ausländer über die Einzelheiten des Visumsrechts zu informieren vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. August 2020 – 12 B 18.19 –, juris Rn. 19). Ein juristisch nicht geschulter Laie wird die Merkblätter daher für die Beklagte erkennbar so verstehen, dass die Einleitung des Visumsverfahrens die Registrierung im Terminvergabesystem erfordert.Abs. 39
Bei dieser Sach- und Informationslage ist naheliegend und für die Beklagte erkennbar, dass sich der Kläger registriert, um damit das Verfahren zur Visumserteilung einzuleiten. Die Einleitung eines Visumsverfahrens erfordert aber zwingend einen Antrag (vgl. § 81 Abs. 1 AufenthG), so dass sich das Verhalten des Klägers aus Sicht der Beklagten als Antragstellung darstellt. Dafür spricht auch, dass der Kläger, wie ausgeführt, bereits mit der Registrierung persönliche Daten von sich Preis gibt, die zum einen über das hinaus gehen, was für eine bloße Terminbuchung erforderlich ist (i.e. allenfalls eine E-Mail-Adresse und gegebenenfalls der Grund für den Termin), und zum anderen die Bestimmung des Verfahrensgegenstands erlauben. Insbesondere durch die Angabe des Bundesamts-Geschäftszeichens der die Referenzperson betreffenden Asylakte gibt der Kläger (jedenfalls subjektiv) weitreichend Auskunft über persönliche Daten seines Sohnes. Denn aus der für die Beklagte erkennbaren Sicht des Klägers ergibt die Angabe des Bundesamts-Geschäftszeichens ja überhaupt nur einen Sinn, wenn die Botschaft mit dieser Angabe etwas anfangen, das heißt Akteneinsicht in die Asylakte nehmen, kann. Durch die Übermittlung aller zur Konkretisierung des Verfahrensgegenstandes erforderlichen Angaben hat der Kläger erkennbar zum Ausdruck gebracht, er wolle ein nationales Visum zur Familienzusammenführung zu seinem Sohn und dafür brauche er einen Termin.Abs. 40
Des weiteren sprechen die schutzwürdigen Interessen des Klägers für eine Auslegung dahin, er stelle bereits mit der Registrierung einen Antrag. Die Auslegung der (konkludenten) Erklärung hat entsprechend §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben und damit unter Rücksichtnahme auf die im konkreten Einzelfall aus der Sicht der Behörde bestehenden schutzwürdigen Interessen des Klägers zu erfolgen hat. Dabei ist zwar zu sehen, dass die konkrete, den Antrag des Klägers betreffende Frist bis zum 12. März 2019 aus Sicht der Beklagten nur nach Einsicht in die Asylakte des Beigeladenen zu 2 erkennbar gewesen sein dürfte. Gleichwohl ist gerade weil für die Beklagte auf Grundlage der von ihr im Rahmen des Registrierungsverfahrens abgefragten Informationen nicht erkennbar ist, ob eine Frist abzulaufen droht, in der Regel von einer Antragstellung auszugehen. Denn es entspricht grundsätzlich dem Interesse der nachzugswilligen Personen, dass ihr Visumsantrag (jedenfalls vorsorglich) als möglichst frühzeitig gestellt angesehen wird, um nicht Gefahr zu laufen, eine – zum Zeitpunkt der Visumsantragstellung nicht bekannte oder gegebenenfalls noch nicht durch die Rechtsprechung entwickelte – Frist zu versäumen. Für die grundsätzliche Annahme einer Antragstellung spricht auch, dass dies den Antragstellern keine erkennbaren Nachteile bringt. Insbesondere spricht nichts dafür, dass die Beklagte im Falle einer fristwahrenden Antragstellung ohne Wahrnehmung eines nachfolgenden Vorsprachetermins eine Antragsgebühr erheben und / oder diese vollstrecken würde.Abs. 41
Gegen die Annahme einer Antragstellung durch Registrierung im Terminvergabesystem der Botschaft spricht schließlich nicht der Wortlaut der Bestätigungs-E-Mail der Visastelle vom 27. Dezember 2018. Ein maßgebender Einfluss der E-Mail auf die Auslegung der Registrierung scheidet bereits deshalb aus, weil die E-Mail zeitlich nach der Registrierung versandt wurde. Doch auch sonst enthält sie keine eindeutigen Hinweise darauf, die Registrierung könne nicht als Antragstellung zu verstehen sein. Soweit es darin heißt, dass Anträge erst in der Zentrale der IOM angenommen würden, könnte sich diese Mitteilung auf die Entgegennahme des Antragsformulars beschränken und verhält sich nicht zwingend zu der hier erörterten Frage einer konkludenten Antragstellung zur Fristwahrung. Dem weiteren Wortlaut lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass die Registrierung allein dem Zweck gedient haben könnte, einen Termin zu buchen, um erst im Rahmen des Termins einen Antrag zu stellen. So ist in der E-Mail nicht die Rede davon, dass die Registrierung für einen Termin zur Antragstellung, sondern „für einen Termin zum Nachzug zum anerkannten Flüchtling“ erfolgt ist. Darüber hinaus könnte die Bitte, vollständige Unterlagen zum Vorsprachetermin vorzulegen, um „eine zügige Bearbeitung (…) zu gewährleisten“ so verstanden werden, dass bereits ein Visumsverfahren in Gang gesetzt wurde, das zu bearbeiten ist. Für ein derartiges Verständnis spricht weiter, dass in der E-Mail darauf hingewiesen wird, das Familienunterstützungsprogramm habe das Ziel, „Antragstellern bei Fragen zum Visumsverfahren zu helfen und sicherzustellen, dass sämtliche notwendigen Dokumente beim Visum-Termin vorgelegt werden können“. Dieser Hinweis bezieht sich ersichtlich (zumindest auch) auf den Zeitraum im Vorfeld des Vorsprachetermins. Dass dort auch insoweit die Begriffe „Antragsteller“ und „Visumsverfahren“ verwendet werden, lässt sich nur erklären, wenn ein Visumsverfahren bereits durch die Registrierung in Gang gesetzt wird.Abs. 42
Es sind auch sonst keine durchgreifenden Argumente ersichtlich, die gegen die Auslegung der Registrierung als Antragstellung sprechen. Insbesondere ist keine etwa maßgebliche Verkehrssitte zu erkennen, dass nachzugswillige Personen den Darstellungen in den Merkblättern zum Trotz fristwahrend formlose Visumsanträge an die Botschaft geschickt hätten. Auf gerichtliche Nachfrage im Beschluss vom 4. März 2022 sowie auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung am 25. August 2023 konnte die Beklagte keinen einzigen (fristwahrenden) Antrag benennen, der bei der Botschaft im Zeitraum zwischen Juli 2018 und Juni 2019 (etwa per E-Mail, Post, Telefax, Telefon) eingegangen ist, ohne dass zuvor ein persönlicher Vorsprachetermin stattgefunden hat. Vor diesem Hintergrund ist auch nicht erkennbar, dass die Beklagte redlicherweise annehmen durfte, ein Ausländer, der zur Fristwahrung kurzfristig einen Antrag stellen wolle, werde von den genannten Möglichkeiten der Antragstellung Gebrauch machen. Soweit die Beklagte meint, die Terminregistrierung stelle nicht die erforderliche Rechtshandlung dar, weil die Terminregistrierung jederzeit storniert werden könne und es an einem Antrag fehle, wenn der Ausländer nicht zum vereinbaren Termin erscheine, steht das der hier gefundenen Auslegung nicht entgegen. Zum einen kann auch ein Antrag jederzeit zurückgenommen werden. Zum anderen ist die Begründung, die Registrierung sei kein Antrag, weil ein Antrag fehle, wenn der Ausländer nicht zum Termin erscheine, tautologisch. Die Beklagte macht die Behauptung (kein Antrag) zur Begründung (kein Antrag); stellt die Buchung – wie vorliegend – einen Antrag dar, dann fehlte es auch nicht an einem Antrag, wenn der Ausländer nicht zum Termin erscheint – er würde lediglich das Verfahren nicht betreiben (vgl. auch Happ, a.a.O. S. 275).Abs. 43
Die Berufung war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen der § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4 VwGO liegen nicht vor. Zunächst weicht die Entscheidung nicht von einer Entscheidung der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte ab. Insbesondere divergiert sie nicht von den Beschlüssen des OVG Berlin-Brandenburg vom 25. August 2020 (12 B 18.19) und vom 25. Januar 2022 (3 S 87/21). Sowohl der 12. Senat (vgl. Beschluss vom 25. August 2020 – 12 B 18.19 –, juris Rn. 24) als auch der dritte Senat des Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 25. Januar 2022 – 3 S 87/21 –, juris Rn. 15 ff.) gehen davon aus, dass es von den im Einzelfall bei der Terminbuchung gemachten Angaben abhängig ist, ob die Handlung als Antrag ausgelegt werden kann. In den dort zu entscheidenden Fällen reichten bereits die im Rahmen der Registrierung von den dortigen Klägern mitgeteilten Informationen nicht für den Mindestgehalt eines Visumsantrags aus, da nicht erkennbar war, zu wem der Nachzug erfolgen solle. Insoweit liegt der hiesige Fall, wie gezeigt, entscheidend anders. Die hiesige Entscheidung divergiert auch nicht von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. August 2019 zum Aktenzeichen 1 C 23/18. Die dortige Entscheidung behandelt eine Online-Terminvereinbarung bei der Ausländerbehörde für die Beantragung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels, bei der die Behörde bei verspätetem Antrag nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG die Fortgeltungswirkung des bisherigen Aufenthaltstitels anordnen und im Rahmen einer Online-Terminvereinbarung eine solche Anordnung im Falle der späteren Stellung eines Verlängerungsantrags auch zusagen kann. Insofern fehlt es schon an einer Übertragbarkeit der Ausführungen auf den hiesigen Fall (so auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. August 2020, a.a.O. Rn. 22).Abs. 44
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Beklagten die Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben, § 154 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.Abs. 45
BESCHLUSSAbs. 46
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf 5.000,00 Euro festgesetzt.Abs. 47

(online seit: 18.10.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Berlin, VG, Online-Registrierung als Antragstellung - JurPC-Web-Dok. 0144/2023