JurPC Web-Dok. 107/2023 - DOI 10.7328/jurpcb2023388107

VG Berlin

Urteil vom 07.06.2023

2 K 148/21

Informationszugang zu einem Quellcode

JurPC Web-Dok. 107/2023, Abs. 1 - 21


Leitsatz (der Redaktion):

Akten im Sinne des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes sind allein der materiellen Verwaltungstätigkeit zuzuordnende Vorgänge mit Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit, wie sie in den Verwaltungsvorgängen dokumentiert sind. Einen solchen Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit weist der Quellcode zu einer Software nicht auf.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Informationszugang zu einem Quellcode.Abs. 1
Die Beklagte, eine Universität, verwendet bei der Vergabe von Plätzen für Lehrveranstaltungen die Software „GABI“. Das Vergabeverfahren ist wie folgt ausgestaltet: Nach Eingang der Anmeldungen der Studierenden erhalten die Lehrenden zunächst die Möglichkeit, „händisch“ Plätze für Härtefälle zu vergeben. Die eingegangenen Daten werden auf ihre Richtigkeit geprüft. Anschließend konfiguriert der Computer- und Medienservice der Beklagten GABI neu, d.h. es werden die in dem jeweiligen Vergabedurchlauf vorhandenen Daten angepasst, z.B. Fristen, weitere Vergabeschritte oder Anpassungen zum Versand der Zulassungen. Mit den neu konfigurierten Anweisungen führt GABI die Berechnung der Vergabe durch und gibt im Ergebnis die Vergabestatistik(en) aus.Abs. 2
Der Quellcode ist der GABI zugrunde liegende Befehlstext. Er wurde von Mitarbeitern der Beklagten entwickelt. Er besteht aus ca. 6.000 Quellcodezeichen und ca. 1.000 Zeilen für die Konfiguration, die im Versionsverwaltungssystem der Beklagten gespeichert sind. In ausgedruckter Form ist der Quellcode für den Menschen lesbar. Die am Quellcode vorgenommenen Änderungen werden ebenfalls im Versionsverwaltungssystem aufgelistet. Der Quellcode ist bei der Beklagten nicht als eigener Verwaltungsvorgang registriert und verfügt über kein Aktenzeichen.Abs. 3
Am 31. Oktober 2020 beantragte der Kläger die Übersendung des Quellcodes zu GABI.Abs. 4
Mit Bescheid vom 28. Januar 2021 lehnte die Beklagte den Antrag ab.Abs. 5
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2021 zurück. Bei dem Quellcode handele es sich nicht um eine Akte. Zudem sei der Zugang zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu versagen. Sie habe mit den ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen das Programm entwickelt und stehe in einem Wettbewerbsverhältnis zu anderen Anbietern von Vergabeprogrammen. Eine Lizenzierung an andere Hochschulen sei zwar noch nicht erfolgt. Die vermögenswirksame Position einer zukünftigen Lizenzierung sei aber zu bewahren. Die Offenlegung des Quellcodes könne eventuelle Schwachstellen offenbaren und somit das System angreifbar machen.Abs. 6
Der Kläger hat am 20. Mai 2021 Klage erhoben. Er trägt vor, bei dem Quellcode handele es sich um eine Akte. Er enthalte als elektronisch festgehaltene Gedankenverkörperung die Anweisungen, aus denen sich ergebe, wie die Plätze in Lehrveranstaltungen vergeben würden. Er diene amtlichen Zwecken, weil er die Vergabe von Plätzen für Lehrveranstaltungen strukturiere und damit zentraler Bestandteil der Studienorganisation sei. Ein Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit sei nicht erforderlich, liege hier aber hinsichtlich der Vorgänge der Platzvergabe für Lehrveranstaltungen sowie der (Weiter-)Entwicklung und Nutzung des Quellcodes vor. Der Quellcode sei mit analogen, internen Anweisungen vergleichbar, da auch hier grundsätzlich Entscheidungen zu Parametern der Platzvergabe getroffen würden. Der Informationszugang sei nicht zum Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen zu versagen. Die Beklagte befinde sich in den Bereichen Wissenschaft und Forschung in einem Wettbewerb, sei aber nicht im privaten Wirtschaftsverkehr erwerbswirtschaftlich tätig. Zudem sei ein Nachteil ihrer Wettbewerbsposition nicht dargelegt. Es bestehe ein überwiegendes Informationsinteresse. Zum Schutz des Urheberrechts sei der Informationszugang nicht zu versagen. Die Mitarbeiter hätten etwaige Nutzungsrechte an die Beklagte übertragen. Die Offenbarung von Schwachstellen sei nicht zu befürchten, weil er mit der Schwärzung der Zugangsdaten zum Backend der Beklagten einverstanden sei.Abs. 7
Der Kläger beantragt,Abs. 8
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2021 zu verpflichten, ihm Zugang zum Quellcode zu GABI in der Produktivversion in der Fassung vom 31. Oktober 2020 durch Übersendung, hilfsweise Einsichtnahme vor Ort, zu gewähren.Abs. 9
Die Beklagte beantragt,Abs. 10
die Klage abzuweisen.Abs. 11
Ergänzend trägt sie vor, der Quellcode sei keine Akte, sondern ein „Tool“ bzw. ein „Arbeitsmittel“, das in bestimmten Verwaltungsverfahren zum Einsatz komme. Der Offenlegung stehe der urheberrechtliche Schutz als Computerprogramm entgegen. Zwar hätten die Mitarbeiter ihre urheberrechtlichen Nutzungsrechte an die Beklagte übertragen. Ein Referatsleiter habe jedoch außerhalb seiner vertraglichen Verpflichtungen aus eigenem Antrieb unterstützend zur Seite gestanden. Eine Übertragung von dessen Nutzungsrechten sei nicht erfolgt. Die Bekanntgabe des Quellcodes gebe diesen für gezielte Angriffe auf mögliche Schwachstellen frei. Eine Schwärzung der sicherheitsrelevanten Daten sei mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden.Abs. 12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang verwiesen.Abs. 13

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 6 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - ist der Berichterstatter als Einzelrichter zuständig, nachdem die Kammer ihm den Rechtsstreit durch Beschluss vom 13. Februar 2023 zur Entscheidung übertragen hat.Abs. 14
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 28. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten; der Kläger hat keinen Anspruch auf Zugang zum Quellcode zu GABI (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).Abs. 15
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 3 Abs. 1 S. 1 des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes - IFG Bln. Danach hat jeder Mensch nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 genannten öffentlichen Stellen nach seiner Wahl ein Recht auf Einsicht in oder Auskunft über den Inhalt der von der öffentlichen Stelle geführten Akten.Abs. 16
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht gegeben. Der Quellcode zu GABI ist keine „Akte“ in diesem Sinne (vgl. VG Darmstadt, Urteil vom 8. Mai 2019 – 3 K 1708/17.DA – juris Rn. 40; VG Wiesbaden, Urteil vom 17. Januar 2022 – 6 K 784/21.WI – juris Rn. 50 ff. zum IFG Bund und zum HDSIG). Zutreffend geht der Kläger zwar davon aus, dass Quellcodes grundsätzlich Akten sein können. Dies folgt aus § 3 Abs. 2 IFG Bln, wonach der Aktenbegriff u.a. elektronisch festgehaltene Gedankenverkörperungen erfasst, soweit sie amtlichen Zwecken dienen. Diese Vorschrift erschöpft sich indes in einer Darlegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Einsichts- und Auskunftsrechts, ohne dessen Gegenstand im Einzelnen zu bezeichnen (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 – OVG 7 B 9/05 – juris Rn. 13). Akten in diesem Sinne sind allein der materiellen Verwaltungstätigkeit zuzuordnende Vorgänge mit Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit, wie sie in den Verwaltungsvorgängen dokumentiert sind (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2007 – OVG 12 B 11/07 – juris Rn. 20). Einen solchen Bezug zu einer konkreten Verwaltungsangelegenheit weist der Quellcode zu GABI nicht auf.Abs. 17
Nach den Darlegungen der Beklagten verwendet sie GABI bei verschiedenen Verfahren über die Vergabe von Plätzen in Lehrveranstaltungen gemäß den Anforderungen aus §§ 89–91 der Fachübergreifenden Satzung zur Regelung von Zulassung, Studium und Prüfung der Humboldt-Universität zu Berlin - ZSP-HU. Die Aufzeichnung des Quellcodes erfolgt mithin nicht in einer konkreten Verwaltungsangelegenheit, sondern als „Arbeitsmittel“ zu sonstigen amtlichen Zwecken (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2006 – OVG 7 B 9/05 – juris Rn. 15; s. auch BVerwG, Urteil vom 23. Juni 2022 – 10 C 3/21 – juris Rn. 45 ff. zu Recherchemitteln). Der fehlende Bezug zu einem konkreten Vorgang kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Software im Rahmen der einzelnen Vergabeverfahren den Bedürfnissen und Anforderungen des jeweiligen Verfahrens entsprechend neu konfiguriert wird. Erst mit den neu konfigurierten Anweisungen führt GABI in dem betreffenden Vergabeverfahren die Berechnung zur Vergabe durch und gibt die Vergabestatistik(en) aus. Der Quellcode ist auch nicht – wie der Kläger meint – mit „analogen“ internen Anweisungen vergleichbar, die die Parameter im Vergabeverfahren festlegen. Solche dienstlichen Weisungen entfalten interne Bindungswirkung für die Dienstangehörigen. Für die Vergabe von Plätzen in Lehrveranstaltungen existieren bei der Beklagten, soweit ersichtlich, keine Dienstanweisungen in diesem Sinne. Der Quellcode implementiert lediglich die Vorgaben aus §§ 89–91 ZSP-HU technisch und entfaltet keine Bindungswirkung gegenüber Mitarbeitern der Beklagten.Abs. 18
Das Vorbringen des Klägers, der Quellcode habe einen konkreten Bezug zu der Verwaltungsangelegenheit „(Weiter-)Entwicklung des Quellcodes“, überzeugt das Gericht nicht. Denn der Quellcode bildet den Gegenstand dieses Vorgangs und nicht den – dem Informationszugang ggf. zugänglichen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1. Dezember 2021 – OVG 12 B 23/10 – juris Rn. 23) – Vorgang selbst. Die am Quellcode vorgenommenen Änderungen, die nach dem Vortrag der Beklagten in ihrem Versionsverwaltungssystem einsehbar sind und insoweit die (Weiter-)Entwicklung des Quellcodes dokumentieren, sind nicht Gegenstand des klägerischen Informationsbegehrens.Abs. 19
Danach kommt es nicht auf die Fragen an, ob der Informationszugang zum Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen oder des Urheberrechts zu versagen ist.Abs. 20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.Abs. 21

(online seit: 01.08.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Berlin, VG, Informationszugang zu einem Quellcode - JurPC-Web-Dok. 0107/2023