JurPC Web-Dok. 86/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338686

OVG Berlin-Brandenburg

Beschluss vom 13.06.2023

6 S 16/23

Presserechtlicher Auskunftsanspruch

JurPC Web-Dok. 86/2023, Abs. 1 - 17


Leitsatz:

Der verfassungsunmittelbare presserechtliche Auskunftsanspruch beschränkt sich auf Informationen, die bei der auskunftspflichtigen Stelle tatsächlich vorhanden sind. Selbst wenn eine Behörde einzelne vom Auskunftsersuchen des Antragsstellers umfasste Unterlagen unter Verstoß gegen Grundsätze der ordnungsgemäßen Aktenführung nicht zu einem Aktenvorgang genommen haben sollte, würde dies nichts daran ändern, dass diese zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) vorhanden wären.

Gründe:

Der Antragsteller ist Journalist. Er begehrt, der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung aufzugeben, ihm Auskunft zu folgenden Fragen zu geben:Abs. 1
1. Wann sind in Ihrem Haus die Informationen, die der damalige Bundesminister Scholz und/oder seine damalige Büroleiterin (Leiterin UA LA 1) O... zum Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft in der letzten Wahlperiode versandt haben, insbesondere die im Hamburger Untersuchungsausschuss aktenkundige E-Mail von Frau X... an den Untersuchungsausschuss vom 14. April 2021 (Betreff: „Fwd. Kalenderabfrage PUA HH“), vernichtet worden?Abs. 2
2. Wann wurden gegebenenfalls die vollständigen Mailfächer von Herrn Scholz und Frau X... gelöscht?Abs. 3
3. Wer hat diese Löschungen beauftragt, bitte pro Dokument bzw. Mailfach angeben?Abs. 4
4. Wie hat die unter 3 zu nennende Person den Auftrag zur Löschung abgegeben und/oder begründet?Abs. 5
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, der Antragsteller habe schon das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Er habe weder einen starken Aktualitätsbezug noch ein gesteigertes öffentliches Interesse für sein recherchebezogenes Auskunftsbegehren dargetan. Bei dem Thema des Auskunftsersuchens handele es sich nicht um einen zentralen, sondern lediglich um einen Randaspekt der sog. „Cum-Ex-Steuergeldaffäre“, welche ihrerseits bereits seit mehreren Jahren Gegenstand der Berichterstattung sei. Es sei daher nicht ersichtlich, dass gerade an Informationen zu einer Vernichtung bzw. Löschung der hier inmitten stehenden E-Mails bzw. E-Mail-Konten nicht nur ein allgemeines, sondern auch ein besonderes öffentliches Interesse mit starkem Gegenwartsbezug bestehe.Abs. 6
Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Ob unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Würdigung des Verwaltungsgerichts gefolgt werden kann, es liege weder ein starker Aktualitätsbezug der beabsichtigten Berichterstattung noch ein gesteigertes öffentliches Interesse vor, kann dahinstehen. Denn das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung jedenfalls im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. Hierzu haben die Beteiligten sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch im Beschwerdeverfahren Stellung genommen, so dass es eines Hinweises auf die (mögliche) Entscheidungserheblichkeit vor der Entscheidung des Senats nicht bedurfte.Abs. 7
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO sind dabei die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) sowie die Gründe, die die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Dem Wesen und dem Zweck des Verfahrens entsprechend können mit der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen getroffen werden, die dem Antragsteller nicht schon im vollen Umfang das gewähren, was Klageziel eines Hauptsacheverfahrens ist. Begehrt der Antragsteller – wie hier – die Vorwegnahme der Hauptsache, setzt die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes unter anderem voraus, dass ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.Abs. 8
Anspruchsgrundlage für die begehrten Auskünfte ist wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz der Länder und Untätigkeit des zuständigen Bundesgesetzgebers unmittelbar Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Danach können Vertreter der Presse auf hinreichend bestimmte Fragen behördliche Auskünfte verlangen, soweit die entsprechenden Informationen bei der Behörde vorhanden sind und schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2021 – 10 C 3/20 – juris Rn. 25). Bei einer Behörde tatsächlich vorhanden sind diejenigen Informationen, die zum Zeitpunkt des begehrten Informationszugangs tatsächlich vorliegen. Das Auskunftsrecht führt demgegenüber zu keiner Informationsbeschaffungspflicht der Behörde. Müssten Informationen erst durch Untersuchungen generiert werden, sind sie als Gegenstand des Auskunftsanspruchs nicht vorhanden (vgl. Urteil des Senats vom 8. Juni 2022 – OVG 6 B 1/21 – juris Rn. 47; Beschluss des Senats vom 14. Januar 2022 – OVG 6 S 40/21 – juris Rn. 13).Abs. 9
Hiervon ausgehend sind die vom Antragsteller erfragten Informationen bei dem Bundesministerium der Finanzen weder in schriftlicher oder elektronischer Form, noch als präsentes dienstliches Wissen tatsächlich vorhanden.Abs. 10
Bei dem streitgegenständlichen Auskunftsersuchen handelt es sich um mehrere Fragen zu einem Tatsachenkomplex, die mit den Worten „wann“, „wer“ und „wie“ eingeleitet werden und damit unterstellen, dass bestimmte Vorgänge – das Vernichten von Informationen, die durch bestimmte Personen vom Bundesministerium der Finanzen zum Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft versandt worden sein sollen – stattgefunden haben. In den Mittelpunkt seines Auskunftsersuchens („insbesondere“, Frage 1) rückt der Antragsteller eine angebliche E-Mail vom 14. April 2021, die von der damaligen Büroleiterin des Ministers an den Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss gesandt worden sein soll. Anders als der Antragsteller in seiner ergänzenden Antragsbegründung vom 7. Dezember 2022 behauptet, hat er jedoch nicht schlüssig dargelegt, dass die damalige Büroleiterin am 14. April 2021 überhaupt eine E-Mail an den Cum-Ex-Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft versandt hat. Soweit der Antragsteller in seiner ergänzenden Antragsbegründung auf Seite 14/15 des von ihm als Anlage 6 zur Antragsbegründung vom 21. November 2022 vorgelegten Artikel des Magazins „Der Spiegel“ vom 17. August 2022 verweist, führt dies nicht weiter. Dem Artikel lässt sich nicht entnehmen, dass es eine E-Mail vom 14. April 2021 von der damaligen Büroleiterin des Finanzministers an den Hamburger Untersuchungsausschuss gegeben haben soll. Im Spiegel-Artikel ist lediglich davon die Rede, dass die damalige Büroleiterin am 14. April 2021 eine E-Mail, die ursprünglich an den damaligen beamteten Staatssekretär gerichtet war, von ihrem privaten Mailaccount an ihre Dienstadresse weitergeleitet habe.Abs. 11
Dies vorausgeschickt, hält der Senat die Angaben der Antragsgegnerin, dass die mit dem geschilderten Auskunftsersuchen verlangten Informationen bei dem Bundesministerium der Finanzen nicht in Form von Akten oder Vorgängen vorhanden seien, für schlüssig und überzeugend. Die Antragsgegnerin hat auf die Anfrage des Antragstellers mit Schreiben vom 18. November 2022 geantwortet und auf die allgemeine Praxis in der Bundesregierung verwiesen, nur solche Informationen zu verakten, die für die inhaltliche Bearbeitung eines Verwaltungsvorgangs relevant seien. Weiter wurde mitgeteilt, dass Aufzeichnungen über nicht veraktete Informationen nicht geführt würden. Im gerichtlichen Verfahren hat die Antragsgegnerin näher erläutert, dass vor dem Hintergrund dieser Praxis zu der vom Antragsteller behaupteten Vernichtung von Informationen bzw. E-Mails, die der damalige Bundesfinanzminister bzw. seine damalige Büroleiterin zum Cum-Ex-Untersuchungsausschuss in Hamburg in der letzten Wahlperiode versandt haben sollen, keine Informationen in Akten oder Vorgängen – sei es in schriftlicher oder in elektronischer Form – vorhanden seien. Die Richtigkeit dieser Angaben zieht der Antragsteller nicht in Zweifel. Soweit er darauf verweist, dass man die streitgegenständlichen Fragen auch dann beantworten könne, wenn die Antragsgegnerin die Unterlagen in rechtswidriger Weise nicht veraktet und/oder sogar vernichtet habe, verkennt er den Umfang des verfassungsunmittelbaren presserechtlichen Auskunftsanspruchs. Dieser beschränkt sich auf Informationen, die bei der auskunftspflichtigen Stelle tatsächlich vorhanden sind. Selbst wenn die Antragsgegnerin einzelne vom Auskunftsersuchen des Antragstellers umfasste Unterlagen unter Verstoß gegen Grundsätze der ordnungsgemäßen Aktenführung nicht zu einem Aktenvorgang genommen haben oder vernichtet haben sollte, würde dies nichts daran ändern, dass diese zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) vorhanden wären (vgl. zur Rechtslage nach dem IFG: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. März 2012 – OVG 12 B 27.11 – juris Rn. 41). Eine ordnungsgemäße Aktenführung kann nicht mittels des presserechtlichen Auskunftsanspruchs durchgesetzt werden (vgl. zum IFG: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. März 2012, a.a.O.).Abs. 12
Mangels Pflicht zur Informationsbeschaffung und Sachverhaltsermittlung ist die Antragsgegnerin im Rahmen eines presserechtlichen Auskunftsersuchens auch nicht gehalten, im Wege datentechnischer Untersuchungen nach E-Mails zu suchen, die möglicherweise im April 2021 von Bediensteten des Bundesministeriums der Finanzen an den Hamburger Untersuchungsausschuss versandt und später gelöscht worden sind (vgl. Beschluss des Senats vom 24. Februar 2022 – OVG 6 S 55/21 – juris Rn. 31 f.).Abs. 13
Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die mit dem streitgegenständlichen Auskunftsersuchen erfragten Informationen bei dem Bundesministerium der Finanzen als sog. präsentes dienstliches Wissen vorliegen. Zwar bedarf es zur Erfüllung des verfassungsunmittelbaren presserechtlichen Auskunftsanspruchs in Bezug auf vorhandene, aber nicht aufgezeichnete Informationen unter bestimmten Voraussetzungen der Abfrage des präsenten dienstlichen Wissens bei Personen, die für die auskunftspflichtige Stelle arbeiten. Dabei schuldet die Behörde, gegen die sich das Auskunftsersuchen richtet, allerdings keine Befragung ausgeschiedener Behördenleiterinnen oder -leiter bzw. ausgeschiedener Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (vgl. Urteil des Senats vom 8. Juni 2022 – OVG 6 B 1/21 – juris Rn. 49 und 51). Eine Befragung des ehemaligen Bundesfinanzministers und/oder der ehemaligen Büroleiterin, die nicht mehr beim Bundesministerium der Finanzen tätig sind, kommt daher nicht in Betracht.Abs. 14
Aus Art. 10 EMRK ergeben sich hier wie regelmäßig auch sonst keine weitergehenden Rechte (vgl. m.w.N. BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 2021 – 10 C 3/20 – juris Rn. 28 und vom 30. Januar 2020 – 10 C 18.19 – juris Rn. 37). Der Antragsteller weist in der Antragsbegründung selbst darauf hin, dass ein aus Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 EMRK folgendes Recht auf Informationszugang voraussetzt, dass die Informationen verfügbar („ready and available“) sind.Abs. 15
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.Abs. 16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).Abs. 17

(online seit: 28.06.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: OVG Berlin-Brandenburg, Presserechtlicher Auskunftsanspruch - JurPC-Web-Dok. 0086/2023