JurPC Web-Dok. 60/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338560

AG Frankfurt a.M.

Endurteil vom 14.03.2023

31 C 2043/22 (78)

Kein Anspruch aus Art. 15 DSGVO auf Herausgabe der Kopie einer Prüfungsarbeit

JurPC Web-Dok. 60/2023, Abs. 1 - 22


Leitsatz (der Redaktion):

Prüfungsfragen für einen Sprachtest können Geschäftsgeheimnisse i.S.v. § 2 Nr. 1 GeschGehG und urheberrechtlich geschützte Sprachwerke i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG darstellen. Ist dies im Einzelfall zu bejahen, steht dem Anspruch auf Herausgabe der Kopie der Prüfungsarbeit ein Geheimhaltungsinteresse nach Art. 15 Abs. 4 DSGVO entgegen.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Herausgabe einer Kopie einer Prüfungsarbeit in Anspruch.Abs. 1
Die Klägerin absolvierte einen Sprachtest der Beklagten und fiel dabei durch. Die Beklagte bietet der Klägerin die Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen in ihren Geschäftsräumen an.Abs. 2
Die Klägerin ist der Auffassung, Anspruch auf Zurverfügungstellung einer Kopie ihrer Prüfungsarbeit aus Art. 15 Abs. 3 DSGVO zu haben.Abs. 3
Die Klägerin beantragt,Abs. 4
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin kostenfreie Kopien ihrer Prüfungsarbeit vom 24.09.2021, Deutsch B2, herauszugeben.Abs. 5
Die Beklagte beantragt,Abs. 6
die Klage abzuweisen.Abs. 7
Sie ist der Auffassung, dass die Prüfungsarbeit schon überwiegend keine persönlichen Daten im Sinne von Art. 4 DSGVO enthalte. Jedenfalls habe sie ein entgegenstehendes Geheimhaltungsinteresse nach Art. 15 Abs. 4 DSGVO. Die Beklagte behauptet, dass die Erstellung der von ihr angebotenen Sprachtests, die auch in Einbürgerungsverfahren Verwendung finden, wirtschaftliche Investitionen in erheblicher Höhe erforderten und zur Gewährleistung der Integrität und Verlässlichkeit der Ergebnisse der Geheimhaltung bedürften.Abs. 8
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.Abs. 9

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.Abs. 10
Die Klägerin kann die begehrte Kopie ihrer Prüfungsarbeit nicht aus Art. 15 Abs. 3 S. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 (im Folgenden: DSGVO) von der Beklagten verlangen.Abs. 11
Zwar stellen entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten die Antworten der Klägerin auf die Prüfungsfragen und die Anmerkungen der Prüfer sämtlich personenbezogene Daten im Sinne von Art. 4 Nr. 1 DSGVO dar (vgl. EuGH, Urteil vom 20.12.2017, Az. C-434/16; BVerwG, Urteil vom 30.11.2022, Az. 6 C 10.21). Dies gilt jedoch nicht für die Prüfungsfragen als solche.Abs. 12
Im Ansatz zutreffend ist auch die Rechtsauffassung der Klägerin, dass der Anspruch auf Zurverfügungstellung einer unentgeltlichen Kopie von verarbeiteten personenbezogenen Daten nach Art. 15 Abs. 3 DSGVO grundsätzlich auch Prüfungsleistungen und die dazugehörigen Prüfergutachten umfasst (vgl. BVerwG, a.a.O.). Dass die Klägerin mit der Kopie im Wesentlichen eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Prüfungsbewertung begehrt, steht dem nicht entgegen und lässt das Begehren nicht als rechtsmissbräuchlich erscheinen. Denn nach Erwägungsgrund Nr. 63 zur DSGVO dient der Auskunftsanspruch auch der Ermöglichung einer Rechtsmäßigkeitskontrolle der Datenverarbeitung. Da es sich bei den die Antworten auf die Prüfungsfragen um personenbezogene Daten handelt, stellt sich bereits die Prüfungsbewertung als Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten dar (die wiederum ihrerseits weitere personenbezogene Daten generiert).Abs. 13
Vorliegend – und was im zitierten, vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall nicht streitgegenständlich war – beruft sich die Beklagte jedoch mit Recht auf ein dem Anspruch im Ergebnis entgegenstehendes Geheimhaltungsinteresse nach Art. 15 Abs. 4 DSGVO.Abs. 14
Nach jener Vorschrift darf das Recht auf Erhalt einer Kopie die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen. Wie sich aus dem bereits vorstehend zitierten Erwägungsgrund Nr. 63 zur DSGVO ergibt, zählen zum Kreis der anderen Personen im Sinne dieser Vorschrift auch der für die Datenverarbeitung verantwortliche und zu den von der Vorschrift geschützten Rechten auch dessen Geschäftsgeheimnisse und Urheberrechte. Anders als in dem Fall, welcher der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrundelag, wo die öffentliche Hand auf Beklagtenseite stand, ist die hiesige Beklagte insoweit auch Trägerin der Grundrechte auf unternehmerische Freiheit und geistiges Eigentum nach Art. 16, 17 Abs. 2 EUGrdRCh, die gemäß Art. 52 Abs. 1 EUGrdRCh mit dem Grundrecht der Klägerin auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten nach Art. 8 Abs. 1 und 2 EUGrdRCh in praktische Konkordanz zu bringen sind. Dem ist im Rahmen der Abwägung des Auskunftsanspruchs der Klägerin und den von der Beklagten geltend gemachten entgegenstehenden Interessen Rechnung zu tragen. Dabei ist auch zu beachten, dass in Erwägungsgrund Nr. 63 zur DSGVO weiter ausgeführt ist, dass die Rechte anderer Personen nicht dazu führen dürfen, dass der betroffenen Person jegliche Auskunft verweigert wird.Abs. 15
Vorliegend ist das Gericht von den beklagtenseitig streitig vorgetragenen und von der Klägerin zulässigerweise gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestrittenen Geheimhaltungsinteressen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aufgrund der mit der Klageerwiderung vorgelegten Unterlagen überzeugt (§ 286 ZPO). Insbesondere aus dem mit Anl. B4 vorgelegten Handbuch zur Entwicklung und Durchführung von Sprachtests ergibt sich ein wissenschaftlich fundiertes und aufwändiges Verfahren unter Beteiligung einer Vielzahl von Personen, womit auch ein erheblicher wirtschaftlicher Aufwand notwendig einhergeht. Die Prüfungsfragen stellen danach auch in rechtlicher Hinsicht Geschäftsgeheimnisse i.S.v. § 2 Nr. 1 GeschGehG und urheberrechtlich geschützte Sprachwerke i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG dar.Abs. 16
Auch die Bedeutung der von der Beklagten angebotenen Sprachtests im Rahmen von Einbürgerungsverfahren, die dabei vergleichsweise hohe Durchfallquote, und in mehr als bloßen Einzelfällen aufgefallene mangelnde Lernmotivation von Prüflingen bei naturgemäß starkem Interesse dieser am Erhalt eines Sprachzertifikats werden durch das beklagtenseitig vorgelegte Informationsblatt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sowie durch die beklagtenseitig vorgelegten Presseartikel zur Überzeugung des Gerichts belegt. Ob auch das Interesse der Allgemeinheit an einer ordnungsgemäßen Durchführung von Einbürgerungsverfahren auf hinsichtlich der erforderlichen Sprachkenntnisse zutreffend festgestellter Tatsachengrundlage mit dem Auskunftsanspruch der Klägerin abzuwägen ist, kann vorliegend dahinstehen. Es ist jedenfalls auch vor diesem Hintergrund eine Beeinträchtigung der unternehmerischen Freiheit der Beklagten zu besorgen, wenn deren Prüfungsaufgaben aufgrund mangelnder Geheimhaltung nicht mehr als hinreichend für die Feststellung von Sprachkenntnissen in Einbürgerungsverfahren angesehen würden und der Beklagten in der Folge ein Nachfragerückgang drohte.Abs. 17
Da unstreitig blieb, dass – wie von der Beklagten mit Schriftsatz vom 31.10.2022 vorgetragen – aufgrund des geringen Sprachniveaus der streitgegenständlichen Prüfung anhand der Prüfungsantworten auf die Prüfungsfragen rückgeschlossen werden kann, sind diese geschützten Rechte der Beklagten an einer Geheimhaltung der Prüfungsfragen im Rahmen der Abwägung mit dem Auskunftsanspruch der Klägerin zu berücksichtigen. Zu berücksichtigen ist auch die weitere unstreitige Tatsache, dass die Beklagte der Klägerin die Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen in ihren Geschäftsräumen anbietet.Abs. 18
In der Gesamtschau setzen sich danach die Geheimhaltungsinteressen der Beklagten durch, da nach dem hier zu entscheidenden Sach- und Streitstand die Zurverfügungstellung einer Kopie der Prüfungsarbeit notwendig mit einer Verletzung der Geheimhaltungsinteressen hinsichtlich der Prüfungsfragen einhergeht, ohne dass diese auf mildere Art und Weise, wie etwa einer Schwärzung Letzterer, verhindert werden kann. Da die Beklagte unstreitig die Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen in ihren Geschäftsräumen anbietet, wird der Auskunftsanspruch der Klägerin nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO durch die Nichtzurverfügungstellung einer Kopie auch nicht in Gänze vereitelt.Abs. 19
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.Abs. 20
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 und 2 i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.Abs. 21
Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt gemäß §§ 63 Abs. 2, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO.Abs. 22

(online seit: 02.05.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Frankfurt a.M., AG, Kein Anspruch aus Art. 15 DSGVO auf Herausgabe der Kopie einer Prüfungsarbeit - JurPC-Web-Dok. 0060/2023