JurPC Web-Dok. 56/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338456

VG Neustadt (Weinstraße)

Urteil vom 27.02.2023

3 K 1023/22.NW

Widerspruchserhebung per E-Mail

JurPC Web-Dok. 56/2023, Abs. 1 - 55


Leitsätze:

1. Ein mit einfacher E-Mail erhobener Widerspruch genügt nicht dem Schriftformerfordernis.

2. Die Berufung einer Behörde im Klageverfahren auf einen nicht wirksam eingelegten Widerspruch ist keine unzulässige Rechtsausübung.

3. Eine Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist wegen unverschuldeter Fristversäumnis scheidet grundsätzlich aus, wenn der Widerspruchsführer über Form und Frist des Widerspruchs korrekt belehrt wurde.

4. Die Widerspruchseinlegung per einfacher E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur bedingt einen Übermittlungsfehler, der vom Anwendungsbereich des § 3a Abs 3 S 1 VwVfG nicht umfasst ist.

5. Ein Prüfungs- und Hinweispflicht der Widerspruchsbehörde nach § 25 VwVfG im Falle der formunwirksamen Widerspruchseinlegung außerhalb des Anwendungsbereichs des § 3a Abs 3 S 1 VwVfG ist im Allgemeinen nicht anzuerkennen.

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die Anforderung von Kosten für die Herstellung eines zusätzlichen Wasser- und eines zusätzlichen Abwassergrundstücksanschlusses durch die Beklagte.Abs. 1
Sie sind Eigentümer des Anwesens „….“ im Verbandsgemeindegebiet der Beklagten.Abs. 2
Am 9.8.2019 beantragten sie bei der Beklagten die Errichtung eines zusätzlichen Wasser- und eines zusätzlichen Abwassergrundstücksanschlusses zur Erschließung eines weiteren, neuen Gebäudes auf dem Grundstück.Abs. 3
Mit Bescheiden vom 9.2.2021 verlangte die Beklagte von den Klägern den Ersatz der dafür angefallenen Aufwendungen in Höhe von 3.343,69 € (Wasser) respektive 4.768,53 € (Abwasser).Abs. 4
Hiergegen legten die Kläger am 15.3.2021 Widerspruch ein.Abs. 5
Dem Widerspruch wurde unter Aufhebung der Bescheide vom 9.2.2021 mit Bescheid vom 25.3.2021 abgeholfen.Abs. 6
Mit Bescheiden vom 25.3.2021 und 26.3.2021 wurden die Aufwendungsersatzansprüche sodann auf 1.803,84 € (Wasser) respektive 6.469,71 € (Abwasser) festgesetzt.Abs. 7
Hiergegen legten die Kläger am 19.4.2021 Widerspruch ein.Abs. 8
Dem Widerspruch wurde unter Aufhebung der Bescheide vom 25.3.2021 und 26.3.2021 mit Bescheid vom 5.7.2021 abgeholfen.Abs. 9
Mit hier streitgegenständlichen Bescheiden ebenfalls vom 5.7.2021 verlangte die Beklagte auf der Grundlage einer entsprechenden Neuberechnung sodann den Ersatz der Aufwendungen für die Errichtung eines zusätzlichen Wassergrundstücksanschlusses in Höhe von 947,11 € und für die Errichtung eines zusätzlichen Abwassergrundstücksanschlusses in Höhe von 4.869,32 €. Die Bescheide enthielten folgende Rechtsbehelfsbelehrung:Abs. 10
„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch bei der Verbandsgemeindeverwaltung Herxheim, Obere Hauptstraße 2, 76863 schriftlich oder nach Maßgabe des § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes in elektronischer Form oder zur Niederschrift erhoben werden.“Abs. 11
Mit einfacher E-Mail vom 16.7.2021 legten die Kläger gegen beide Bescheide Widerspruch ein. Die E-Mail war an die Werkleiterin der Verbandsgemeindewerke und die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde gerichtet. An die E-Mail war ein Dokument im Format „.pdf“ angehängt, das den Widerspruch einschließlich Begründung enthielt und von dem Kläger zu 2.) unterschrieben war. Zur Begründung führten die Kläger aus, dass die von der Beklagten abgerechneten Mengen und Massen unzutreffend berechnet worden seien. Der von der Beklagten beauftragte Drittunternehmer habe der Beklagten auf der einen Seite in erheblichem Umfang Bauleistungen in Rechnung gestellt, die nicht erbracht worden seien und ihr auf der anderen Seite Arbeiten, die erbracht worden seien, wie die Erdarbeiten auf dem Grundstück der Kläger, nicht berechnet.Abs. 12
Die Beklagte druckte die E-Mail zu einem unbekannten Zeitpunkt aus und heftete sie in die Verwaltungsakte ein.Abs. 13
Mit Schreiben vom 6.9.2021 half die Beklagte dem Widerspruch nicht ab: Der Widerspruch sei unzulässig, da die E-Mail nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen gewesen und darüber hinaus nicht bei der hierfür eingerichteten E-Mail-Adresse „herxheim@poststelle.rlp.de“ eingegangen sei.Abs. 14
Am 21.9.2021 legten die Kläger mit von dem Kläger zu 1.) eigenhändig unterzeichnetem Schreiben erneut Widerspruch ein und beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Beklagte habe die Kläger nicht unverzüglich auf die nicht formgerechte Einlegung des Widerspruchs hingewiesen und damit ihre gesetzliche Mitteilungspflicht verletzt.Abs. 15
Mit Schreiben vom 8.12.2021 lehnte die Beklagte Antrag auf Wiedereinsetzung ab. Den Klägern sei die Einhaltung der Frist nicht unzumutbar gewesen. Insbesondere sei über die Form eines möglichen Widerspruchs in der Rechtsbehelfsbelehrung korrekt belehrt worden. Eine Pflicht der Behörde, die Kläger auf Formfehler hinzuweisen, soweit die Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen sei, bestehe nicht. Ein besonderes schutzwürdiges Vertrauen der Kläger ergebe sich auch nicht aus den konkreten Umständen des Einzelfalles, insbesondere sei kein Mitverschulden der Beklagten anzunehmen. Die Beklagte habe den Widerspruch weder anstandslos entgegengenommen, noch eine entsprechende Eingangsbestätigung an die Kläger übermittelt. Die Kommunikation im gesamten Verfahren sei in Schriftform auf dem Postweg erfolgt. Die Regelung des § 3a Abs. 3 VwVfG sei nur auf solche Fälle anwendbar, in denen ein im Übrigen formgerecht übermitteltes elektronisches Dokument zur Bearbeitung aufgrund der Nichteinhaltung von geltenden technischen Rahmenbedingungen nicht geeignet sei. Dies treffe auf den vorliegenden Fall nicht zu, da die E-Mail sehr wohl lesbar gewesen sei, jedoch nicht über die erforderliche elektronische Signatur verfügt habe.Abs. 16
Mit Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Landkreises Südliche Weinstraße vom 22.11.2022 wurden die Widersprüche zurückgewiesen. Die Bescheide seien am 9.7.2021 bekannt gegeben worden. Damit habe die Widerspruchsfrist am 9.8.2021 geendet. Bis zu diesem Datum sei kein formgerechter Widerspruch eingelegt worden. Wiedereinsetzung sei den Klägern nicht zu gewähren. Insbesondere könnten sich die Kläger nicht mit Erfolg auf eine Hinweispflicht der Beklagten berufen.Abs. 17
Die Kläger erhoben am 13.12.2022 die vorliegende Klage.Abs. 18
Sie tragen unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens ergänzend vor: Dass die Beklagte die E-Mail vom 16.7.2021 nicht innerhalb von 2-3 Tagen gelesen und deren Inhalt geprüft habe, sei nicht glaubhaft. Der Anwendungsbereich des § 3a Abs. 3 VwVfG sei zwar auf nicht lesbare Dokumente beschränkt. Aufgrund rechtsstaatlicher Grundsätze, der Fürsorge und Fairness sei es jedoch geboten, im Rahmen eines ordnungsgemäßen Geschäftsganges auf Formmängel und dadurch drohende Fristversäumnisse hinzuweisen. Werde ein solcher, im normalen Geschäftsgang zumutbarer Hinweis nicht gegeben, könne dies zu einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen. Die in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, des Bundessozialgerichts, des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zur Neuregelung des § 55a Abs. 6 VwGO sowie zu inhaltsgleichen Regelungen in den Prozessordnungen der sonstigen Fachgerichtsbarkeiten und der ordentlichen Gerichtsbarkeit entwickelten Grundsätzen seien auf das Verwaltungsverfahren übertragbar. Insbesondere sei nicht einzusehen, weshalb eine Hinweispflicht gegenüber anwaltlich vertretenen Klägern bestehe, nicht jedoch gegenüber rechtlichen Laien im Verwaltungsverfahren. Eine Mitteilungspflicht der Beklagten ergebe sich auch aus der Gesetzesbegründung zum Justizkommunikationsgesetz und zum Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, wonach ein Dokument, das den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge, als nicht zugegangen gelte und das Gericht auf Formfehler hinzuweisen habe. Mit der Änderung des § 55a VwGO habe der Gesetzgeber die Rechte und Ansprüche der Bürger nicht einschränken wollen. Dadurch, dass die Beklagte den Widerspruch zur Seite gelegt und nichts getan habe, bis die Widerspruchsfrist abgelaufen gewesen sei, habe sie gegen den Grundsatz des fairen rechtsstaatlichen Verwaltungshandelns verstoßen. Auch aus einem Vergleich mit den gegenüber anderen Bauherren geforderten Beträgen ergebe sich, dass der von der Beklagten geltend gemachte Aufwendungsersatz überhöht sei. Dies gelte auch für die in Ansatz gebrachten Einheitspreise. Soweit die Beklagte berechtigte Einwendungen zur Höhe des Aufwendungsersatzes aus formellen Gründen ablehne, grenze dies an versuchten Betrug.Abs. 19
Die Kläger beantragen sinngemäß,Abs. 20
die Bescheide der Beklagten vom 5.7.2021 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 22.11.2022 aufzuheben, soweit dort ein Betrag von mehr als 4.474,66 € festgesetzt wurde.Abs. 21
Die Beklagte beantragt,Abs. 22
die Klage abzuweisen.Abs. 23
Sie trägt vor: Soweit ein nicht signierter Widerspruch wie im vorliegenden Fall an einer nicht zugangstauglichen Stelle innerhalb der Behörde eingehe, bestehe auch keine Pflicht zur Weiterleitung an die zuständige Stelle. Denn im Unterschied zu einem beim unzuständigen Gericht eingelegten Rechtsmittel sei der nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehene Widerspruch ein rechtliches Nullum und gelte damit als überhaupt nicht zugegangen. Aufgrund von Urlaubs- und Krankheitszeiten sowie Arbeitsspitzen seien Bearbeitungszeiten von einigen Wochen im Geschäftsablauf der Beklagten normal. Bei nicht formgerechter Einlegung eines Widerspruchs per unsignierter Mail an Mitarbeitermailadressen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Adressat innerhalb eventuell ablaufender Fristen eine Bearbeitung vornehme. Die Berechnung der Mengen und Massen sei korrekt, insbesondere sei von der ausführenden Firma ein entsprechendes Aufmaß erstellt worden. Die von der Baufirma in Rechnung gestellten Leistungen seien von Mitarbeitern der Beklagten geprüft und freigegeben worden. Soweit zu einem früheren Zeitpunkt Fehler in der Abrechnung enthalten gewesen seien, sei den diesbezüglich erhobenen Widersprüchen der Kläger durch entsprechende Abhilfeentscheidungen bereits insgesamt Rechnung getragen worden.Abs. 24
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und kombinierten Verwaltungs- und Widerspruchsakte verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.Abs. 25

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist bereits unzulässig, da die Kläger das gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – erforderliche Vorverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt haben.Abs. 26
(A) Die Kläger haben die Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO, binnen derer nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts Widerspruch zu erheben ist, nicht gewahrt.Abs. 27
Der Widerspruch ist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO innerhalb der Widerspruchsfrist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Wird diese Frist versäumt, wird der Verwaltungsakt bestandskräftig. Die Wahrung der Widerspruchsfrist ist Zulässigkeitsvoraussetzung für den Widerspruch und auch für die Klage. Wird der Widerspruch wegen Fristversäumung als unzulässig zurückgewiesen, ist die hierauf erhobene Klage ebenfalls unzulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 28. Auflage 2022, vor § 68 Rn. 7 und § 70 Rn. 6 m.w.N.).Abs. 28
1.) Der gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 10.7.2020 am 16.7.2020 mit einfacher E-Mail erhobene Widerspruch vermochte die Frist bereits deshalb nicht zu wahren, weil die Nachricht unstreitig nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 3a Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – versehen war und damit keinerlei Rechtswirkungen entfaltete (vgl. VGH München, Beschluss vom 3.6.2022 – 3 ZB 21.2849; OVG RP, Beschluss vom 21.4.2006 – 10 A 11741/05.OVG). Dies gilt auch für die Übermittelung eines Widerspruchsschreibens als PDF Datei, die einer einfachen E-Mail angehängt wird (vgl. VG NW, Urteil vom 11.2.2021 – 4 K 758/21.NW). Durch die Übersendung einer einfachen E-Mail kann nicht mit der von § 70 Abs. 1 VwGO verlangten Sicherheit festgestellt werden, ob die betreffende E-Mail vollständig und richtig ist, und ob sie tatsächlich von dem in ihr angegebenen Urheber stammt. Die Formulierung „in elektronischer Form nach § 3a Abs. 2 VwVfG“ in § 70 Abs. 1 VwGO macht hinreichend deutlich, dass der Gesetzgeber selbst nicht davon ausgegangen ist, dass eine einfache E-Mail dem Schriftformerfordernis genügt. Deshalb kann dahinstehen, ob die E-Mail der Kläger vom 16.7.2021 wegen der in dem PDF Dokument angegebenen Adressdaten, des Aktenzeichens, der Bezeichnung der Bescheide und der inhaltlichen Bezugnahme eindeutig zugeordnet werden kann. Vielmehr ist maßgeblich, dass sie mit keiner qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist (vgl. VGH München, Beschluss vom 3.6.2022, a.a.O.). Dass die Beklagte die E-Mail vom 16.7.2021 nebst Anhang ausgedruckt hat und diese somit in Papierform vorliegt, vermag an dem vorstehenden Ergebnis nichts zu ändern (vgl. VGH München, Beschluss vom 3.6.2022, a.a.O.; VG Neustadt, Urteil vom 11.2.2021, a.a.O.; VGH Kassel, Beschluss vom 3.11.2005 – 1 TG 1668/05; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.7.2004 – 11 LA 176/04).Abs. 29
Die Berufung der Beklagten auf den nicht wirksam eingelegten Widerspruch stellt keine „unzulässige Rechtsausübung“ dar. Die Einhaltung des Formerfordernisses des § 70 Abs. 1 VwGO steht nicht zur Disposition der Beteiligten (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 14.6.2022 – 1 M 43/22 OVG; VGH München, Beschluss vom 23.9.2021 – 4 ZB 21.1847), sondern ist eine von Amts wegen durch das Gericht zur prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2.7.2020 – 2 WRB 1.20 und Urteil vom 20.6.1988 – 6 C 24.87).Abs. 30
2.) Der am 21.9.2021 formwirksam erhobene Widerspruch war hingegen offensichtlich verfristet. Aufgrund der einfachen Bekanntgabe der Bescheide vom 5.7.2021 findet im vorliegenden Fall § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG – i.V.m. § 41 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – Anwendung. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG). Danach wurde der Bescheid am 8.7.2021 bekanntgegeben und war die nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Zivilprozessordnung – ZPO – i.V.m. §§ 187 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.1.1972 – V C 54.70; Kopp/Schenke, a.a.O., § 70 Rn. 8) oder § 79, 31 VwVfG i.V.m. §§ 187 ff. BGB (vgl. Kallerhoff/Stamm, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2022, § 31 Rn. 60) zu berechnende einmonatige Widerspruchsfrist im Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung eindeutig abgelaufen.Abs. 31
3.) Im vorliegenden Fall lief auch nicht die Jahresfrist des §§ 70 Abs. 2 i.V.m. 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO, denn die den Bescheiden vom 5.7.2021 angefügten Rechtsbehelfsbelehrungen wurden rechtlich zutreffend formuliert.Abs. 32
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine Belehrung über die Form des einzulegenden Rechtsbehelfs bei einer Rechtsbehelfsbelehrung nach § 58 VwGO nicht erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.8.2018 – 1 C 6.18). Die Belehrung erweist sich jedoch dann als fehlerhaft, wenn den in § 58 Abs. 1 VwGO geforderten Angaben ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der generell geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.3.2002 – 4 C 2.01). Ein irreführender oder unrichtiger Zusatz ist in der hier streitgegenständlichen Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthalten. Der Passus „schriftlich oder nach Maßgabe des § 3a Abs. 2 VwVfG oder zur Niederschrift“ entspricht dem Gesetzeswortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO und ist damit nicht zu beanstanden (vgl. OVG RP, Beschluss vom 11.5.2021 – 6 B 10515/21.OVG; VG Neustadt, Urteil vom 22.9.2011 – 4 K 540/11.NW; zur elektronischen Klageerhebung OVG RP, Beschluss vom 12.6.2019 – 8 A 11392/18.OVG). Eines Hinweises auf die E-Mail-Adresse der Verwaltungsbehörde, unter der der Widerspruch in elektronischer Form erhoben werden kann, bedarf es nicht. Denn insofern darf – ebenso wie bei der Klageerhebung – erwartet werden, dass ein Widerspruchsführer mit den technischen Möglichkeiten und Kenntnissen für eine Widerspruchserhebung in elektronischer Form in der Lage ist, die E-Mail-Adresse der Verwaltungsbehörde über deren Internetseite zu ermitteln (vgl. OVG RP, Beschlüsse vom 11.5.2021, a.a.O. und vom 12.6.2019, a.a.O.).Abs. 33
(B) Die Kläger hatten auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO, da sie nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Widerspruchsfrist gehindert waren. Verschuldet im Sinne dieser Vorschriften ist eine Fristversäumnis, wenn die Einhaltung der Frist nach den gesamten Umständen zumutbar war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.7.1955 – II C 281.54). Diese Zumutbarkeit kann jedoch grundsätzlich angenommen werden, wenn die Kläger – wie hier – korrekt belehrt worden sind (vgl. VGH München, Beschluss vom 3.6.2022, a.a.O., VG Dresden, Urteil vom 16.9.2015 – 3 K 1566/12; VG Neustadt, Urteil vom 9.7.2009 – 4 K 409/09.NW). Danach geht der Irrtum des Widerspruchsführers über die Wirksamkeit der Widerspruchseinlegung grundsätzlich zu seinen Lasten (Geis in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 70 Rn. 19).Abs. 34
Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass ein Hinweis auf die unzureichende Form des Widerspruchs durch die Beklagten innerhalb der Widerspruchsfrist unterblieben ist. Hieraus können die Kläger jedoch nichts herleiten, weil im konkreten Fall eine Hinweispflicht der Beklagten nicht bestand. Eine Prüfungs- und Hinweispflicht ergibt sich weder aus § 3a Abs. 3 Satz 1 VwVfG (1.), noch aus dem Rechtsgedanken einer allgemeinen Fürsorgepflicht der Behörde (2.).Abs. 35
1.) Nach § 3a Abs. 3 Satz 1 VwVfG teilt die Behörde dem Absender eines elektronischen Dokumentes, das für sie zur Bearbeitung nicht geeignet ist, dies unter Angabe der für sie geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mit. Denn im Rahmen des Verwaltungsrechtsverhältnisses, das Bürger und Verwaltung durch ihre (elektronische) Kommunikation schaffen, kann erwartet werden, den jeweils anderen darüber zu unterrichten, dass die von ihm gewählte Form der elektronischen Kommunikation nicht möglich ist, weil die übermittelten Zeichen nicht lesbar sind (BT-Drs. 14/9000, S. 31f.). Der Begriff der Bearbeitung ist zwar weit zu verstehen (BT-Drs. 14/9000, S. 32). Der Fall der formunwirksamen Widerspruchseinlegung mit einfacher E-Mail ohne erforderliche qualifizierte elektronische Signatur ist hiervon jedoch nicht erfasst, da es sich insoweit nicht um eine falsche Formatwahl, sondern um einen Fehler handelt, der dem Übermittlungsweg zuzurechnen ist (vgl. Müller, in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Auflage, § 3a VwVfG, Rn. 137, Stand: 24.01.2023). Denn eine einfache E-Mail kann durchaus zur Bearbeitung geeignet sein, sie genügt hingegen nicht den Anforderungen an eine sichere Übermittlung elektronischer Dokumente (vgl. VGH München, Beschluss vom 3.6.2022, a.a.O., m.w.N.). Dieses Ergebnis entspricht auch der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zum Begriff der Bearbeitbarkeit in § 55a Abs. 6 VwGO in seiner aktuell gültigen Fassung. Der Wortlaut des § 55a Abs. 6 VwGO ist bewusst enger gefasst, als dies noch im Rahmen der Vorgängerregelung des § 55a Abs. 2 Satz 3 VwGO a.F. der Fall war. Gemäß § 55a Abs. 2 Satz 3 VwGO a.F. war das Gericht dazu verpflichtet, eingehende Dokumente unverzüglich darauf zu prüfen, ob sie den Vorgaben der damals geltenden Verordnung zum elektronischen Rechtsverkehr entsprachen und den jeweiligen Absender unverzüglich darüber zu informieren, falls das empfangene elektronische Dokument nicht den Vorgaben entsprach. Eine Verletzung dieser Hinweispflicht konnte demgemäß einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründen (BT-Drs. 15/4067, S. 37). In der Rechtsprechung erfuhr die Regelung eine weite Auslegung in dem Sinne, dass eine gerichtliche Hinweispflicht auch im Falle der fehlenden qualifizierten elektronischen Signatur bejaht wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.4.2012 – 8 C 18.11; OVG RP, Urteil vom 8.3.2007 – 7 A 11548/06.OVG). Bei der Neuregelung des § 55a Abs. 6 VwGO wurde auf eine entsprechende verpflichtende Vorgabe im Falle der formunwirksamen Eingabe wegen fehlender elektronischer Signatur hingegen bewusst verzichtet (BT-Drs. 17/12634, S. 27, 37). Danach ist § 55a Abs. 6 VwGO bei fehlender elektronischer Signatur grundsätzlich nicht anwendbar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. September 2018 – 2 WDB 3.18 ; zu § 130a Abs. 6 ZPO: BGH, Beschluss vom 15.5.2019 – XII ZB 573/18 und BAG, Beschluss vom 15.8.2018 – 2 AZN 269/18; zu § 65a Abs. 6 SGG: BSG, Beschlüsse vom 09.05.2018 – B 12 KR 26/18 und vom 20.03.2019 – B 1 KR 7/18).Abs. 36
(2.) Ein Mitverschulden der Beklagten ergibt sich im konkreten Fall auch nicht aus einer Verletzung der allgemeinen Fürsorgepflicht.Abs. 37
Zwar ist anerkannt, dass Behörden ebenso wie Gerichte gegenüber den Verfahrensbeteiligten gewisse Fürsorgepflichten haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus der auf dem Gebot eines fairen Verfahrens beruhenden nachwirkenden Fürsorgepflicht des erstinstanzlichen Gerichts für die Prozessparteien, dass es fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, ohne schuldhaftes Zögern an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterleiten muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.6.1995 – 1 BvR 166/93). Auch darf der Zugang zu den Gerichten durch Anforderungen des formellen Rechts, wie etwa Formatvorgaben, nicht in unverhältnismäßiger Weise erschwert werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.10.2004 – 1 BvR 984/04). Das Gericht muss dem Bürger und dessen Bevollmächtigtem indes nicht die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien abnehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.7.2003 – 4 B 83.02). Es muss einem Beteiligten, der seinen Schriftsatz versehentlich bei ihm eingereicht hat, nicht durch Telefonat oder Telefax auf diesen Irrtum hinweisen (BVerfG, Beschluss vom 3.1.2001 – 1 BvR 2147/00). Dies entspricht der Gesetzesbegründung zu § 55a Abs. 6 VwGO. Danach ist die dort normierte „Rechtswohltat“ eng auszulegen und erfasst nur den Irrtum über die technischen Rahmenbedingungen, nicht jedoch einen Verstoß gegen die (formellen) Mindestanforderungen in § 55a Abs. 3 VwGO, in dem das Erfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur niedergelegt ist. Eine Hinweispflicht in diesen Fällen bestehe damit grundsätzlich nicht (BT-Drs. 17/12634, S. 27, 37).Abs. 38
Überträgt man diese Rechtsprechung auf die nicht formgerechte Einlegung eines Widerspruchs bei der Verwaltungsbehörde, so besteht eine Hinweispflicht der Behörde im Allgemeinen nicht. Die Behörde ist insbesondere nicht gemäß § 25 VwVfG dazu verpflichtet, den Widerspruch bereits bei seinem Eingang vor Ablauf der Widerspruchsfrist anlasslos darauf zu überprüfen, ob er den gesetzlichen Anforderungen genügt (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.2016 – 8 C 11.15; Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, a.a.O., § 25 Rn. 12). Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Bürger über die Form der Widerspruchseinlegung zutreffend belehrt wurde. Denn der insoweit nicht belehrungsbedürftige Bürger bleibt für sein Handeln verantwortlich, insbesondere schränkt die Betreuungspflicht nicht die Mitwirkungslast in einem Sinne ein, dass sie Ersatz für eigenes nachlässiges Verhalten wäre (vgl. VGH München, Beschluss vom 3.6.2022, a.a.O., Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, a.a.O., § 25 Rn. 10, 12). Im Einzelfall kann sich aus Fürsorgegesichtspunkten innerhalb der Widerspruchsfrist eine Hinweispflicht dann ergeben, wenn der Bürger trotz der Rechtsbehelfsbelehrung darauf vertrauen durfte, dass er den Widerspruch auch elektronisch einlegen könne. Ein solches Vertrauen kommt unter Umständen in Betracht, wenn der Sachbearbeiter der Behörde vor Ergehen des Verwaltungsakts bereits mit dem Bürger auf elektronischem Wege kommuniziert hat. Weist die Behörde in einem solchen Fall den Widerspruchsführer ohne schuldhaftes Zögern nicht auf die Beseitigung des Formmangels hin, so ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 1 – 4 VwGO wegen Mitverschuldens der Behörde nicht von vornherein ausgeschlossen (vgl. VG NW, Urteil vom 9.7.2009, a.a.O). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt ferner in den Fällen in Betracht, in denen die Behörde den nicht signierten Widerspruch anstandslos als Widerspruch entgegengenommen hat und dem Widerspruchsführer umgehend eine Eingangsbestätigung hat zukommen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.2.1976 – IV C 74.74 zur anstandslosen Annahme eines telefonischen Widerspruchs) soweit der Eingangsbestätigung eine rechtliche Prüfung vorausgegangen ist (vgl. VG NW, Beschluss vom 7.2.2023 – 4 L 55/23.NW).Abs. 39
Hieran gemessen liegt ein Mitverschulden der Beklagten nicht vor. Weder fand zwischen dem Kläger und der Fachabteilung der Beklagten vor Widerspruchseinlegung eine elektronisch geführte Korrespondenz statt, noch übermittelte die Beklagte dem Kläger nach Eingang des elektronischen Widerspruchs innerhalb der Widerspruchsfrist eine Eingangsbestätigung. Eine nähere rechtliche Prüfung des Widerspruchs durch die Beklagte fand – soweit nachvollziehbar – erst mit Schreiben vom 6.9.2021, in dem die Kläger auf die formunwirksame Einlegung hingewiesen wurden und damit nach Ablauf der Widerspruchsfrist statt.Abs. 40
3.) Mit ihren Hinweisen auf die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte zu § 55a Abs. 6 VwGO respektive gleichlautenden Regelungen in den jeweiligen (Fach-)Gerichtsordnungen vermögen die Kläger dieses Ergebnis nicht erfolgreich in Zweifel zu ziehen.Abs. 41
a) Dies gilt zunächst für die von den Klägern zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7.9.2018 – 2 WDB 3.18. Der Fall ist auf die hiesige Konstellation bereits deshalb nicht übertragbar, weil eine Hinweispflicht des Gerichts nicht in Streit stand. Dem dortigen Antrag auf Wiedereinsetzung wurde vielmehr mit der Begründung stattgegeben, dass der Klägerin die fehlerhafte, weil formunwirksame Übermittlung eines Berufungsschriftsatzes durch ihren Rechtsanwalt aufgrund der Besonderheiten des wehrdisziplinargerichtlichen Verfahrens nicht zurechenbar sei.Abs. 42
b) Der Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15.5.2019 – XII ZB 573/18 – gibt für die Argumentation der Kläger gleichfalls nichts her, da die Frage einer gerichtlichen Hinweispflicht mangels Entscheidungserheblichkeit in der vorzitierten Entscheidung offengelassen wurde.Abs. 43
c) Nichts anderes gilt für das von den Klägern zitierte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.8.2018 – 2 AZN 269/18. Auch dort musste über eine gerichtliche Hinweispflicht für den Fall der nicht formwirksamen Übermittlung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht entschieden werden, da die Beschwerde bereits nicht den aus dem Arbeitsgerichtsgesetz folgenden Begründungsanforderungen genügte. Darüber hinaus wies das Bundesarbeitsgericht darauf hin, dass aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes folge. Eine solche Verpflichtung enthebe die Verfahrensbeteiligten und deren Bevollmächtigte ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Formalien und überspanne die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens.Abs. 44
d) Mit ihrem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Beschluss vom 9.5.2018 – B 12 KR 26/18 B) können die Kläger mangels Übertragbarkeit auf den hiesigen Fall gleichfalls nicht durchdringen. Dort legten die Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein und übermittelten dabei ein elektronisches Dokument an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach. Die verwendete qualifizierte elektronische Signatur bezog sich indes nicht (nur) auf das elektronisch übermittelte Dokument selbst, sondern auf den (gesamten) Nachrichtencontainer (sog. Container-Signatur). Auf Hinweis des Gerichts, dass die Beschwerdeschrift nicht zulässig signiert worden sei, legte der Kläger mit ordnungsgemäß signiertem elektronischem Dokument erneut Beschwerde ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diese wurde unter Hinweis darauf gewährt, dass die Fristversäumnis (zumindest auch) auf Umständen beruhe, die im Verantwortungsbereich des Gerichts lägen. Insbesondere habe das Gericht seine prozessuale Fürsorgepflicht dadurch verletzt, dass ein gebotener Hinweis auf die fehlerhafte Signatur unterblieben sei. Eine prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts bestehe immer dann, wenn es darum gehe, eine Partei oder ihren Prozessbevollmächtigten nach Möglichkeit vor den fristbezogenen Folgen eines bereits begangenen Fehlers zu bewahren. Ein Prozessbeteiligter könne daher erwarten, dass ein unzulässig eingelegtes Rechtsmittel in angemessener Zeit bemerkt werde und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen würden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden.Abs. 45
Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Fall indes in wesentlichen Punkten.Abs. 46
Denn zum einen ist hier nicht über eine gerichtliche, sondern über eine behördliche Hinweispflicht im Widerspruchsverfahren zu befinden. Diese wurde von dem Bundesverwaltungsgericht außerhalb des Anwendungsbereichs des § 3a Abs. 3 VwVfG, der vorliegend nicht eröffnet ist, ausdrücklich verneint (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.2016, a.a.O.). Dass das vorzitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – einen Gleichlauf der Hinweispflichten im gerichtlichen und im Verwaltungsverfahren unterstellt – vor Inkrafttreten der Regelung des § 55a Abs. 6 VwGO erging, spielt insoweit keine Rolle, da die Regelung des § 55a Abs. 6 VwGO nur auf Format- und nicht auf Formfehler anwendbar ist und auch die Gesetzesbegründung zu § 55a Abs. 6 VwGO in Bezug auf eine gerichtliche Hinweis- und Fürsorgepflicht außerhalb des Anwendungsbereichs der Regelung nichts hergibt (BR-Drs. 818/12, S. 35), was das Bundessozialgericht in der Begründung der Entscheidung vom 9.5.2018, a.a.O., nach Auffassung der Kammer verkennt.Abs. 47
Darüber hinaus hatte das Bundessozialgerichts nicht über den Fall einer gänzlich fehlenden, qualifizierten elektronischen Signatur zu befinden, sondern über Inhalt und Reichweite einer sogenannten Containersignatur. Bei dieser handelt es sich um eine qualifizierte elektronische Signatur, die der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente dient. Die Verwendung einer solchen (qualifizierten) Containersignatur war in der Vergangenheit zulässig, wurde jedoch mit dem am 1.1.2018 in Kraft getretenen § 4 Abs. 2 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) für unzulässig erklärt, da verhindert werden soll, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom Nachrichtencontainer die Container-Signatur nicht mehr überprüft werden kann (BR-Drs. 645/17, S. 15).Abs. 48
Selbst wenn im Falle einer umfassenden Änderung der Gesetzeslage zum elektronischen Rechtsverkehr unter Umständen erhöhte Anforderungen an die gerichtliche Fürsorge- und Hinweispflicht zu stellen sind, da die Verfahrensbeteiligten in einem solchen Fall möglicherweise besonders schützenswert erscheinen, so ist dies mit der vorliegenden Fallgestaltung nicht im Ansatz vergleichbar. Insbesondere war die Regelung des § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG, in dem die Anforderungen an die Übermittlung eines elektronischen Dokuments im Verwaltungsverfahren formuliert sind, im Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung bereits seit mehreren Jahren in Kraft. Darüber hinaus wurden die Kläger über die Formanforderungen eines Widerspruchs in der den Bescheiden beigefügten Rechtsbehelfsbelehrungen zutreffend belehrt, womit etwaige Zweifel, wie sie im Fall der Verwendung einer Container-Signatur unmittelbar nach Inkrafttreten der ERRV möglicherweise auftreten konnten, ausgeschlossen waren. Weiter betraf der von dem Bundessozialgericht zu entscheidende Fall eine Rechtsmittelschrift, die anderen Formanforderungen als ein Widerspruch im Verwaltungsverfahren unterliegt.Abs. 49
Schließlich weist die Kammer darauf hin, dass zwischen Verwaltungs- und Sozialgerichtsrechtsprechung insbesondere im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs durchaus beträchtliche Unterschiede bei der Auslegung und Anwendung gesetzlicher Formanforderungen bestehen. Dies ist nicht zuletzt Ausfluss der unterschiedlichen Anforderungen, die das Sozialrecht und das allgemeine Verwaltungs(prozess)recht in Bezug auf Rechtsbehelfsbelehrungen formulieren. So sieht § 58 Abs. 1 VwGO im Gegensatz zu § 36 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch – SGB X – wie bereits ausgeführt – gerade keine Belehrung über die einzuhaltende Form vor. Die Anforderungen sind dementsprechend ohne Weiteres genauso wenig zu vergleichen wie die Rechtsprechung der Gerichtsbarkeiten (vgl. OVG RP, Beschluss vom 11.5.2021, a.a.O.).Abs. 50
(3.) Darüber, ob auf Seiten der Beklagten eine Pflicht zur Weiterleitung des formunwirksamen Widerspruchs an die für die elektronische Kommunikation eingerichtete E-Mail-Adresse bestand, muss nach alledem nicht entschieden werden.Abs. 51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.Abs. 52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt den §§ 167 VwGO, 708 ff. Zivilprozessordnung.Abs. 53
BeschlussAbs. 54
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.341,77 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).Abs. 55

(online seit: 25.04.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Neustadt (Weinstraße), VG, Widerspruchserhebung per E-Mail - JurPC-Web-Dok. 0056/2023