JurPC Web-Dok. 51/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338451

LG Berlin

Urteil vom 23.03.2023

67 S 9/23

Hinweispflichten des Unternehmers bei Abschluss mehrerer Online-Verträge

JurPC Web-Dok. 51/2023, Abs. 1 - 21


Leitsätze:

1. Schließt der Unternehmer auf elektronischem Wege gleichzeitig mehrere Verträge mit dem Verbraucher ab, kommen die Verträge gemäß § 312j Abs. 4 BGB jeweils nur zustande, wenn der Unternehmer seinen Hinweispflichten nach § 312j Abs. 3 BGB für jedes Vertragsverhältnis gesondert gerecht geworden ist. Das erfordert gemäß § 312j Abs. 3 Satz 2 BGB die Einrichtung mehrerer Schaltflächen, sofern der gesamte Bestellvorgang über eine Schaltfläche erfolgt (hier: Fehlender Vertragsschluss zwischen dem Betreiber eines Flugreise-Portals und einem Verbraucher über eine neben der Flugbuchung eingegangene „Prime- Mitgliedschaft“).

2. Auch lediglich bedingte Zahlungsverpflichtungen des Verbrauchers unterfallen dem Anwendungsbereich der §§ 312j Abs. 2 und 3 BGB (Festhaltung Kammer, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union v. 2. Juni 2022 - 67 S 259/21, BeckRS 2022, 12182, Tz. 56 ff.).

Gründe:

I.Abs. 1
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten, die das online-Portal X betreibt, 74,99 EUR für die Rückabwicklung einer von dieser im Zusammenhang einer auf elektronischem Wege erfolgten Flugreise gebuchten „Prime-Mitgliedschaft“ sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten geltend.Abs. 2
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Es ist zu der Auffassung gelangt, die Beklagte habe gegen § 312j Abs. 3 BGB verstoßen, weshalb ein Vertrag gemäß § 312j Abs. 4 BGB nicht zu Stande gekommen sei und ein Kondiktionsanspruch der Klägerin bestünde. Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten seien wegen eines Verstoßes gegen „verbraucherschützende Transparenzanforderungen“ zu erstatten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (Bl. II/18-24 d.A.).Abs. 3
Die Beklagte begehrt mit ihrer am 9. Januar 2023 gegen das am 8. Dezember 2022 zugestellte Urteil erhobenen und am 8. Februar 2023 begründeten Berufung die Abweisung der Klage. Sie rügt, das Amtsgericht habe verkannt, dass sie ihren Hinweispflichten gerecht geworden sei. Jedenfalls seien im Falle der Unwirksamkeit des Vertragsschlusses die wechselseitig empfangenen Leistungen zu saldieren.Abs. 4
Die Beklagte beantragt,Abs. 5
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.Abs. 6
Die Klägerin beantragt,Abs. 7
die Berufung zurückzuweisen.Abs. 8
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.Abs. 9
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.Abs. 10
II.Abs. 11
Die Berufung ist unbegründet.Abs. 12
Die Beklagte ist der Klägerin gemäß §§ 812 Abs. 1, 312j Abs. 4 BGB zur Rückzahlung des auf die „Prime-Mitgliedschaft“ geleisteten Betrages von 74,99 EUR verpflichtet, da die Klägerin insoweit ohne Rechtsgrund geleistet hat. Dagegen vermag die Berufung nichts zu erinnern.Abs. 13
Ein Vertrag über die „Prime-Mitgliedschaft“ ist gemäß § 312j Abs. 4 BGB nicht zustande gekommen, da die Beklagte ihre Pflichten aus § 312j Abs. 3 BGB nicht erfüllt hat. Danach ist in den Fällen, in denen eine Bestellung im elektronischen Rechtsverkehr über eine Schaltfläche erfolgt, die Hinweispflicht des Unternehmers aus Satz 1 nur erfüllt, wenn diese Schaltfläche gut lesbar mit nichts anderem als den Wörtern „zahlungspflichtig bestellen“ oder mit einer entsprechenden eindeutigen Formulierung beschriftet ist. Diesen Anforderungen hat die Beklagte nicht genügt.Abs. 14
Die von der Beklagten verwandten Schaltflächen sind lediglich mit den Aufschriften „Weiter“ und „weiter mit Prime kostenlos“ beschriftet. Zwar verwendet die Beklagte zur Beendigung des die Flugbuchung betreffenden Buchungsvorgangs auch die Schaltfläche „jetzt kaufen“. Ob diese den Anforderungen des § 312j Abs. 3 BGB für die Flugbuchung selbst gerecht wird, kann dahinstehen (vgl. dazu EuGH, Urt. v. 7. April 2022 – C-249/21 (Fuhrmann-2-GmbH/B), NJW 2022, 1439, beckonline Tz. 28). Denn in den Fällen, in denen der Unternehmer wie hier auf elektronischem Wege gleichzeitig mehrere Verträge mit dem Verbraucher abschließt, muss er seinen Hinweispflichten nach § 312j Abs. 3 BGB für jedes Vertragsverhältnis gesondert gerecht werden. Diesen Anforderungen hätte die Beklagte nur genügt, wenn sie für den Abschluss der „Prime-Mitgliedschaft“ eine gesonderte zweite und den Anforderungen des § 312j Abs. 3 Satz 2 BGB entsprechende Schaltfläche vorgesehen hätte. An einer solchen aber fehlte es für das von der Beklagten neben der Flugbuchung begründete weitere Vertragsverhältnis über eine mit 74,99 EUR jährlich zu vergütende „Prime-Mitgliedschaft“. Soweit der Fließtext des Buchungsvorgangs weitere Angaben enthält, reichen diese für die Einhaltung der aus § 312j Abs. 3 BGB erwachsenden Pflichten des Unternehmers bereits grundsätzlich nicht aus (vgl. EuGH, a.a.O.).Abs. 15
Der Vertrag über die „Prime-Mitgliedschaft“ ist auch ein solcher, der die Klägerin zu einer Zahlung i.S.d. § 312j Abs. 2 Satz 1 BGB „verpflichtet“ hat, selbst wenn er innerhalb eines kurzfristigen Probezeitraums kostenfrei hätte gekündigt werden können. Denn auch lediglich bedingte Zahlungsverpflichtungen des Verbrauchers unterfallen dem Anwendungsbereich der §§ 312j Abs. 2 und 3 BGB (vgl. Kammer, Vorlagebeschluss an den Gerichtshof der Europäischen Union v. 2. Juni 2022 - 67 S 259/21, BeckRS 2022, 12182, Tz. 56-63 m.w.N.; Fries, RDi 2022, 533; a.A. BGH, Urt. v. 19. Januar 2022 - VIII ZR 123/21, ZIP 2022, 378, juris Tz. 55; Urt. v. 30. März 2022 - VIII ZR 358/20, NJOZ 2022, 741, beckonline Tz. 58 m.w.N.).Abs. 16
Soweit die Beklagte die Einzelheiten des hier streitgegenständlichen Buchungsvorgangs bestritten hat, ist ihr das gemäß § 138 Abs. 2 und. 3 ZPO unbehelflich. Denn sie hat weder die äußere Form des elektronisch erfolgten Vertragsschlusses noch die von der Klägerin behauptete Zahlung in Abrede gestellt. Ebensowenig hat sie einen Geschehensverlauf behauptet, bei dem sie ihrer Verpflichtung zur Schaffung einer gesonderten und den Anforderungen des § 312j Abs. 3 BGB entsprechenden Schaltfläche für den gesonderten Vertrag über die „Prime-Mitgliedschaft“ gerecht geworden wäre.Abs. 17
Die Hilfsaufrechnungen der Beklagten gehen ins Leere. Bereicherungsrechtliche Gegenansprüche im Zusammenhang mit einer durch den Abschluss der „Prime-Mitgliedschaft“ verbundenen Flugpreisermäßigung stehen der Beklagten nicht zu. Denn der Sinn und Zweck von § 312j Abs. 3 BGB schließt saldierbare oder aufrechenbare Bereicherungsansprüche des Unternehmers grundsätzlich aus (vgl. Wendehorst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9 Aufl. 2022, § 312j Rz. 37 m.w.N.). Dem Unternehmer ist ein Rückgriff auf das Bereicherungsrecht allenfalls dann eröffnet, wenn die Berufung des Verbrauchers auf den Ausschluss jeder Vergütungspflicht ausnahmsweise mit Treu und Glauben unvereinbar wäre (vgl. Wendehorst, a.a.O.). Um einen solchen Fall handelt es sich hier jedoch bereits wegen der Geringfügigkeit der von der Beklagten behaupteten Ersparnis nicht.Abs. 18
Schließlich steht der Klägerin auch der vom Amtsgericht zuerkannte Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zu. Es kann insoweit dahinstehen, ob sich die Beklagte zum Zeitpunkt der vorgerichtlichen Inanspruchnahme rechtsanwaltlicher Hilfe schon in Verzug befunden hat. Sie haftet der Klägerin wegen der Verletzung der ihr obliegenden Informationspflichten jedenfalls aus den §§ 311 Abs. 2 i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB (vgl. Maume, in: BeckOK BGB, Stand: 1. Februar 2023, § 312j Rz. 38; Wendehorst, a.a.O., § 312j Rz. 38). Die vom Amtsgericht zuerkannte Anspruchshöhe ist aus den Gründen des angefochtenen Urteils ebenfalls zutreffend bemessen.Abs. 19
Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 280, 286, 288 BGB.Abs. 20
Die Kammer hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, um eine höchstrichterliche Klärung der Reichweite des § 312j Abs. 3 BGB bei mehreren gleichzeitig im elektronischen Rechtsverkehr zwischen Unternehmer und Verbraucher geschlossenen Verträgen zu ermöglichen. Im Übrigen ist die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, da die Kammer von der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH zur Reichweite des § 312j Abs. 2 BGB bei lediglich bedingten Zahlungsverpflichtungen des Verbrauchers abweicht. Die Kammer sieht sich zu einer neuerlichen - und bereits in mietrechtlichen Zusammenhängen erfolgten - Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht veranlasst (vgl. Kammer, Vorlagebeschl. v. 2. Juni 2022, a.a.O.). Das Recht der Parteien auf ihren gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist durch die Zulassung der Revision und die auch von dort mögliche Befassung des Gerichtshofs nach Art. 267 Abs. 3 AEUV gewahrt.Abs. 21

(online seit: 18.04.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Berlin, LG, Hinweispflichten des Unternehmers bei Abschluss mehrerer Online-Verträge - JurPC-Web-Dok. 0051/2023