JurPC Web-Dok. 31/2022 - DOI 10.7328/jurpcb202237331

Verwaltungsgericht des Saarlandes

Beschluss vom 27.01.2022

3 L 92/22

Zu den Voraussetzungen der Durchführung einer Gemeinderatssitzung als Videokonferenz

JurPC Web-Dok. 31/2022, Abs. 1 - 18


Leitsatz:

Zu den Voraussetzungen der Durchführung einer Gemeinderatssitzung als Videokonferenz.

Gründe:

Der am 26.04.2022 bei Gericht eingegangene Antrag des Antragstellers, der aus dem Nachtbriefkasten des Gerichts am 27.01.2022 entnommen wurde,Abs. 1
„1. Dem Oberbürgermeister der Kreisstadt S... wird im Rahmen der einstweiligen Anordnung auferlegt die Stadtratssitzung am 27.01.2022 in Präsenzsitzung durchzuführen.“Abs. 2
hat keinen Erfolg.Abs. 3
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um u.a. wesentliche Nachteile abzuwenden. Der Antragsteller hat dabei sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts. Dabei ist es grundsätzlich unzulässig, dem Antragsteller bereits im Verfahren des Eilrechtsschutzes vollständig dasjenige zu gewähren, was er erst im Hauptsacheverfahren begehrt (sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Das Gericht kann dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsache nur dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache sprechen würde. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da die von § 51 a Abs. 1, 2, 3 KSVG genannten Voraussetzungen erfüllt sind, so dass die Stadtratssitzung am 27.01.2022 um 17.00 Uhr als Videokonferenz durchgeführt werden kann.Abs. 4
Nach § 51a Abs. 1 KSVG können Gemeinderatssitzungen als Videokonferenzen durchgeführt werden, wenn 1. aufgrund einer außerordentlichen Notlage, insbesondere einer epidemischen Lage, einer Naturkatastrophe oder eines besonders schweren Unglücksfalls die Durchführung einer Gemeinderatssitzung nach § 38 KSVG ganz erheblich erschwert ist und 2. zwei Drittel der gesetzlichen Zahl der Mitglieder des Gemeinderats dem zustimmen. Nach Absatz 2 Satz 1 kann der Beschluss des Gemeinderats zur Durchführung von Videokonferenzen nach Absatz 1 Nummer 2 abweichend von § 38 KSVG auch im schriftlichen oder elektronischen Verfahren erfolgen. Der Gemeinderat kann nach Absatz 2 Satz 2 einen entsprechenden Grundsatzbeschluss für die gesamte Dauer seiner Amtszeit fassen. Nach § 51 a Absatz 3 KSVG sind die technischen Voraussetzungen nach den Absätzen 1 und 2 bei jedem Ratsmitglied zu gewährleisten.Abs. 5
Erste Voraussetzung für die hier in Rede stehende Durchführung einer Videokonferenz ist damit das Vorliegen einer einer außerordentlichen Notlage; ihre Feststellung gehört zum Aufgabenbereich der Bürgermeisterin und des Bürgermeisters, die als Vorsitzende der Sitzungen auch die übrigen Modalitäten festlegen und das Hausrecht ausüben (vgl. Lehné/Weirich, Saarländisches Kommunalrecht, Stand Oktober 2020, § 51a Anm. 1.1.). Ausweislich des vom Antragsteller vorgelegten Beschlusses „nach § 51 a Abs. 2 Satz 1 KSVG“ des Antragsgegners zu 2. (vgl. Bl. 8 der Gerichtsakte) liegt eine entsprechende Feststellung des Antragsgegners zu 1). vor.Abs. 6
Diese Feststellung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Nach den in § 51 a Abs. 1 Satz 1 KSVG genannten Regelbeispielen liegt eine außerordentliche Notlage insbesondere bei einer epidemischen Lage vor. Eine solche ist derzeit immer noch gegeben, wie sich aus der aktuell geltenden Verordnung zur Änderung infektionsrechtlicher Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie vom 25. Januar 2022 ergibt. Dabei sind auch die tagesaktuellen Zahlen für das Saarland einzubeziehen, die 2025 neue Erkrankungsfälle und eine landesweite Inzidenz von 982,5 belegen, wobei die Inzidenz im Landkreis Saarlouis bei 1100 liegt (vgl. den täglichen Lagebericht des Krisenstabes zur COVID-19, beruhend auf den Daten des RKI). Das – wie der Antragsteller vorträgt – sich die Lage grundlegend geändert habe, weil mittlerweile für jeden, der sich impfen lassen wolle, auch ein Impfstoff bereitstehe, ändert an der durch die Zahlen belegten derzeit noch bestehenden Notlage nichts.Abs. 7
Ausgehend von der tagesaktuellen Infektionslage vermag der Vortrag des Antragstellers zu den bestehenden organisatorischen Maßnahmen zur Geringhaltung des Infektionsrisikos (Hygienekonzept und Abstandskonzept) nichts daran zu ändern, dass die Durchführung der Stadtratssitzung nach § 38 KSVG ganz erheblich erschwert im Sinne des § 51 a Absatz 1 Satz 1 KSVG ist. Vielmehr wird dadurch gerade belegt, dass eine Präsenzsitzung nur unter erschwerten Bedingungen, u.U. mit erheblichen Risiken für die Ratsmitglieder, durchzuführen ist. Diese Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „ganz erheblich beschwert“ wird durch die Gesetzesmaterialien belegt. Dort wird zunächst erklärt, dass eine erhebliche Erschwerung durch rechtliche, tatsächliche oder organisatorische Probleme wie die Notwendigkeit, im Rahmen von gebotenen Hygienemaßnahmen Abstandsregelungen zu gewährleisten, möglich ist (LT-Drucks. 16/1348 S. 5). Ferner wird ausgeführt, dass Sitzungen erschwert werden können, wenn viele Stadtratsmitglieder an einer Sitzungsteilnahme gehindert sind, weil sie selbst bereits erkrankt sind, mit Erkrankten Kontakt hatten oder sich auf Empfehlungen der Gesundheitsbehörden freiwillig in Quarantäne begeben, weil sie einer besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe angehören.Abs. 8
Ausweilich der Aktenlage haben der Durchführung der Videokonferenz auch zwei Drittel der gesetzlichen Mitglieder des Stadtrates, nämlich 30, zugestimmt, so dass die Voraussetzungen des § 51 a Abs. 1 Satz 2 KSVG vorliegen.Abs. 9
Die technischen Voraussetzungen nach § 51 a Abs. 3 KSVG liegen vor. Der Antragsgegner hat hierzu in seinem Schriftsatz vom 27.01.2022 mit seinen Ausführungen:Abs. 10
„Soweit der Antragsteller behauptet dass, „die Datenrate der Sim-Karten der Stadtverordneten begrenzt (sei), so dass der Kläger als Stadtverordneter bereits nach einer Stunde mangels Datenvolumen aus der Sitzung kalt ausgeschlossen wurde und wird“, so fehlt dem jede Grundlage. Der Antragsteller hat bisher an jeder online durchgeführten Stadtratssitzung jeweils viele Stunden mitgewirkt, was sich unschwer aus den Protokollen und den zahlreichen Redebeiträgen ergibt. Ein gezielter Ausschluss des Antragstellers findet nicht statt. Eine Nachfrage beim Anbieter hat ergeben, dass das Ipad des Antragstellers Ipad Pro 12,9 64 GB Grey ein monatliches Datenvolumen von 6 GB aufweist. Derzeit seien hiervon erst 1,5 GB verbraucht worden. Sollte der Datentarif erschöpft sein, so bekommt der Nutzer eine Nachricht auf sein Gerät geschickt, mit der er Datentarife nachbuchen kann. Würde er dies tun, so würde der Betrag der monatlichen Rechnung für die Stadt aufgeschlagen, er persönlich würde keine Kosten tragen. Ferner können im Falle der Erschöpfung des Datenvolumens mit reduzierter Geschwindigkeit Daten geladen werden. Zudem kann das Ipad auch problemlos im heimischen w-LAN betrieben werden.“Abs. 11
aus der Sicht der Kammer das - auch mit Blick auf die Angaben des Antragstellers im Schriftsatz vom 27.01.2022 (dieser Schriftsatz ist um 14.01 Uhr bei Gericht eingegangen und damit nach der mit Verfügung vom 27.01.2022 gesetzten Frist, die um 13.30 Uhr endete) - Erforderliche dargelegt. Es ist im Übrigen die Pflicht jedes einzelnen Ratsmitgliedes, auch bei Videokonferenzen die allgemeine Pflicht der Vertraulichkeit der beratenen Gegenstände zu wahren; für die Durchführung von Videokonferenzen bedeutet dies insbesondere die Verpflichtung, an der Konferenz allein und in einem vertraulichen Rahmen teilzunehmen, der ein unbefugtes Mithören oder –sehen Dritter ausschließt (vgl. nur Lehné/Weirich, Saarländisches Kommunalrecht, Stand Oktober 2020, § 51a Anm. 3 a. E.).Abs. 12
Da die Regelung des § 51 a KSVG dazu dient, die Handlungsfähigkeit des Stadtrates zu gewährleisten, damit dieser gerade in Notlagen seine Aufgaben wahrnehmen kann, ist der vom Antragsteller herangezogene Vergleich mit den Bürgern, die ihr Recht nach § 51 a Abs. 6 Satz 1 KSVG („Bei Durchführung einer Sitzung als Videokonferenz erfolgt die Information der Öffentlichkeit durch zeitgleiche Übertragung in Bild und Ton in einem öffentlich zugänglichen Raum,….“) wahrnehmen, nicht geeignet eine „Ungleichbehandlung“ und einen „Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetztes“ zu begründen.Abs. 13
Der Vortag des Antragstellers im Schriftsatz vom 26.01.2022Abs. 14
„die Durchführung der Stadtratssitzung in Form der Videokonferenz dient alleine dazu, einen „schmutzigen Deal" von CDU und SPD möglichst ohne Öffentlichkeitsbeteiligung brutal durchzuwinken.Abs. 15
In der Stadtratssitzung sollen in einer Nacht- und Nebelaktion Straßen und Plätze nach zwei äußerst zwielichtigen CDU- und SPD-Politikern umbenannt werden, die ungeniert Gesetze gebrochen, und zumindest sich -wie amtlich festgestellt-der Vorteilnahme schuldig gemacht haben, so dass der böse Anschein besteht, das § 51 a KSVG alleine zu diesem Zweck amtlich missbraucht wird“Abs. 16
bedarf auf der Grundlage der obigen Ausführungen keiner weiteren Vertiefung.Abs. 17
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.Abs. 18

(online seit: 01.03.2022)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Verwaltungsgericht des Saarlandes, Zu den Voraussetzungen der Durchführung einer Gemeinderatssitzung als Videokonferenz - JurPC-Web-Dok. 0031/2022