JurPC Web-Dok. 11/2022 - DOI 10.7328/jurpcb202237111

ArbG Stuttgart

Beschluss vom 15.12.2021

4 BV 139/21

Übermittlung über beA eines Syndikusrechtsanwalts

JurPC Web-Dok. 11/2022, Abs. 1 - 29


Leitsätze:

1. Die Übermittlung eines elektronischen Dokuments durch einen gemäß §§ 46 Abs. 2, 5 Nr. 2, 46a BRAO zugelassenen Verbandsjuristen (Syndikusrechtsanwalt) über das für ihn eingerichtete besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist gemäß § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG (bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ZPO) auch dann wirksam, wenn zur Prozessvertretung nur der Verband und nicht speziell dieser Verbandsjurist bevollmächtigt wurde.

2. § 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG dient mit seinen Formanforderungen an Signatur und Einreichung – genauso wie die identische Vorschrift in § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO – ausschließlich der Sicherstellung der Authentizität und Integrität des eingereichten elektronischen Dokuments. Fragen der Prozessvertretung sind hierfür ohne Relevanz.

3. Bis zur technischen Einsatzbereitschaft und organisatorischen Umsetzung des elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs (eBO) bleibt das beA des Syndikusrechtsanwalts eines Verbands eine sinnvolle, rechtssichere und unproblematisch nutzbare Alternative zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr.

Gründe:

I.Abs. 1
Die Beteiligte zu 1 betreibt deutschlandweit eine Vielzahl von Filialen, in denen sie Kochutensilien vertreibt. An ihrem Hauptsitz in G. ist ein Betriebsrat (im Folgenden: Beteiligter zu 2) gebildet, der für alle Filialen zuständig ist. Die Beteiligte zu 1 ist Mitglied im …verband W.Abs. 2
Mit Antragsschrift vom 08.07.2021 beantragte die Beteiligte zu 1 – vertreten durch den …verband W. – die Ersetzung der zuvor verweigerten Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur zeitlich bis 14.12.2021 befristeten Versetzung eines Filialmitarbeiters.Abs. 3
Mit Schriftsatz vom 15.12.2021 nahm die Beteiligte zu 1 den Antrag zurück. Der Schriftsatz vom 15.12.2021 wurde aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (im Folgenden: beA) von Frau Syndikusrechtsanwältin K. versandt. Der nicht qualifiziert signierte Schriftsatz ist maschinenschriftlich wie folgt unterzeichnet:Abs. 4
„…verband W.Abs. 5
RAin N. K. (Syndikusrechtsanwältin)“.Abs. 6
II.Abs. 7
Das Verfahren war gemäß § 81 Abs. 2 Satz 2 ArbGG durch Beschluss des Vorsitzenden einzustellen, nachdem die Beteiligte zu 2 mit Schriftsatz vom 15.12.2021 den Antrag auf Zustimmungsersetzung (§ 99 Abs. 4 BetrVG) gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zurückgenommen hat. Die Voraussetzungen für die wirksame Übermittlung eines elektronischen Dokuments gemäß § 46c ArbGG liegen vor.Abs. 8
1. § 46c ArbGG findet jedenfalls seit der Neufassung von § 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG zum 12.10.2021 auch im Beschlussverfahren Anwendung. Die Gesetzesnovelle diente u.a. der Klarstellung, dass die Vorschriften zum elektronischen Rechtsverkehr im Arbeitsgerichtsgesetz auch im Beschlussverfahren Anwendung finden (BT-Drucks. 19/28399 Seite 46).Abs. 9
2. Der Schriftsatz vom 15.12.2021 wahrt die Voraussetzungen für die wirksame Übermittlung eines elektronischen Dokuments gemäß § 46c ArbGG iVm. § 80 Abs. 2 Satz 1 ArbGG.Abs. 10
a) Gemäß § 46c Abs. 1 ArbGG können vorbereitende Schriftsätze und schriftlich einzureichende Anträge nach Maßgabe von § 46c Abs. 2 bis Abs. 6 ArbGG als elektronisches Dokument beim Arbeitsgericht eingereicht werden. Sie müssen gemäß § 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (im Folgenden: qeS) der verantwortenden Person versehen sein (Var. 1) oder von der verantwortenden Person - einfach - signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (Var. 2). Die sicheren Übermittlungswege bestimmt § 46c Abs. 4 ArbGG. Gemäß § 46c Abs. 4 Nummer 2 ArbGG handelt es sich bei dem Übermittlungsweg zwischen dem beA nach § 31a BRAO und der elektronischen Poststelle des Gerichts um einen sicheren Übermittlungsweg (zum Ganzen BAG 30. Juli 2020 – 2 AZR 43/20 – Rn. 11).Abs. 11
Ein elektronisches Dokument, das aus einem beA versandt wird und nicht mit einer qeS versehen ist, wahrt nur dann die Formvoraussetzungen des § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt (BAG 5. Juni 2020 – 10 AZN 53/20; 14. September 2020 – 5 AZB 23/20; H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 130a ZPO, Stand: 10.12.2021, Rn. 84.1 ff mwN). Die einfache Signatur meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Dies kann beispielsweise der maschinenschriftliche Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift sein (BAG 14. September 2020 – 5 AZB 23/20 – Rn. 15).Abs. 12
b) Diese Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Übermittlung gemäß § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG sind im Hinblick auf den Schriftsatz vom 15.12.2021 erfüllt.Abs. 13
aa) Frau Syndikusrechtsanwältin K. hat ausweislich des Prüfprotokolls „inspection_sheet“ (dazu H. Müller a.a.O. Rn. 85) den Schriftsatz vom 15.12.2021 aus ihrem beA persönlich an das Gericht gesandt. Ein vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis (VHN) und damit eine Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg liegen vor (zum VHN siehe BAG 5. Juni 2020 – 10 AZN 53/20 – Rn. 27 ff).Abs. 14
bb) Der Name von Frau Syndikusrechtsanwältin K. ist am Ende des Schriftsatzes vom 15.12.2021 in maschinenschriftlicher Form wiedergegeben. Eine einfache Signatur liegt mithin ebenso vor wie die notwendige Identität zwischen der das Dokument signierenden Person und der Versenderin (beA-Postfachinhaberin).Abs. 15
cc) Frau Syndikusrechtsanwältin K. war auch die „verantwortende Person“ iSv. § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG. Dem steht nicht entgegen, dass Prozessvertreter der Beteiligten zu 1 gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ArbGG der …verband W. war.Abs. 16
(1) In der Literatur wurde unlängst die Ansicht angedeutet, bei Prozessvertretung durch einen Verband gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ArbGG sei dessen ERV-Pflichtenprogramm maßgebend. Daraus folge nicht nur, dass für einen gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG handelnden Syndikusrechtsanwalt ab 01.01.2022 die aktive Nutzungspflicht aus § 46g ArbGG nicht gelte. Darüber hinaus könne „verantwortende Person“ und Signierender zwangsläufig nur der Verband sein, der aber nicht Inhaber des beA-Postfachs sei, weshalb – mangels Identität zwischen der das Dokument signierenden Person und dem Versender – der Eingang nach § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG unwirksam sein müsse (Schrade/Elking NZA 2021, 1675, 1678). Der Syndikusrechtsanwalt, der als Verband handele, habe – abseits der qeS – bei Prozessbevollmächtigung des Verbands nicht die Option, sein beA zu nutzen, um wirksam über einen sicheren Übermittlungsweg einzureichen (keine aktive Nutzungsmöglichkeit). Gleichwohl erfolgte Eingaben über das beA ohne qeS seien unwirksam (Schrade/Elking a.a.O.).Abs. 17
(2) Das erkennende Gericht hält die vorgenannte Ansicht – soweit eine aktive Nutzungsmöglichkeit des beA für einen Syndikusrechtsanwalt bei Bevollmächtigung des Verbands bezweifelt wird – aus mehreren Gründen für nicht überzeugend (im Ergebnis wie hier Pulz NZA 2018, 14, 17 f):Abs. 18
(a) Die vorgenannte Auffassung beachtet den Normzweck von § 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG, nämlich die Sicherstellung von Authentizität und Integrität eines elektronischen Dokuments, nicht hinreichend und vermischt diesen Zweck unzulässig mit Fragen der Prozessvertretung.Abs. 19
§ 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG dient – genauso wie die identische Vorschrift in § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO – ausschließlich der Sicherstellung der Authentizität und Integrität des eingereichten elektronischen Dokuments. Beide Normen sehen zwei Varianten vor, die Authentizität des Dokuments, d.h. die Verknüpfung des Erklärungsinhalts („elektronisches Dokument“) mit der Identität des Absenders („verantwortende Person“), nachzuweisen. Hierdurch wird auf elektronischem Wege die Funktion der handschriftlichen Unterschrift ersetzt, vgl. § 130 Nr. 6 HS. 1 ZPO (H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 130a ZPO, Stand: 10.12.2021, Rn. 52).Abs. 20
Genauso wenig wie bei der Unterschrift gemäß § 130 Nr. 6 HS. 1 ZPO sind bei § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO bzw. § 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG Fragen der Prozessvollmacht (§§ 80 ff ZPO) oder Prozessvertretung (§ 11 ArbGG) von Relevanz. Authentizität und Integrität eines Dokuments sind unabhängig davon zu prüfen, in wessen Namen und mit wessen Befugnis die in dem Dokument enthaltenen Erklärungen abgegeben werden. Selbst ein vollmachtloser Vertreter (§ 89 ZPO) kann ein Papierdokument unterschreiben oder ein elektronisches Dokument qualifiziert signieren bzw. einfach signieren und auf einem sicheren Übermittlungsweg einreichen. In allen Fällen wird – auf die jeweilige Art – Verantwortung für den Inhalt des Dokuments übernommen.Abs. 21
(b) Die oben genannte Ansicht müsste den Fall der Bevollmächtigung einer Rechtsanwaltsgesellschaft (§ 59l BRAO) konsequenterweise ebenso behandeln wie den Fall der Bevollmächtigung eines Verbands. Der einzelne Rechtsanwalt könnte dann über sein beA als sicheren Übermittlungsweg mit einfacher Signatur nicht wirksam Schriftsätze einreichen. Auch Zustellungen an den einzelnen Rechtsanwalt wären derzeit unzulässig, weil bis zum Inkrafttreten von § 31b BRAO am 01.08.2022 gar kein „ERV-Pflichtenprogramm“ der Rechtsanwaltsgesellschaft existiert. Insoweit hat der BGH indes bereits entschieden, dass auch bei Bevollmächtigung einer Rechtsanwaltsgesellschaft die Zustellung in das beA einzelner Rechtsanwälte zulässig ist (BGH 6. Mai 2019 – AnwZ (Brfg) 69/18 – 12; ebenso Müller NZA 2019, 825, 827).Abs. 22
(c) Der Ausgangspunkt der oben genannten Ansicht, der Syndikusrechtsanwalt handele als Verband erscheint mit § 11 Abs. 2 Satz 3 ArbGG kaum vereinbar. Gemäß der Vorschrift handeln Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, – mithin auch Verbände – durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragte Vertreter. § 11 Abs. 2 Satz 3 ArbGG ist insoweit wortidentisch mit § 79 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Beide Vorschriften enthalten lediglich eine Klarstellung zur Postulationsfähigkeit von Bevollmächtigten, die keine natürlichen Personen sind: Im Prozess handlungsbefugt sind außer ihren Organen (nur) die innerhalb des Unternehmens oder Verbands „mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter“; diese Beauftragung zur Vertretung geschieht durch Prokura, Einzelvollmacht oder durch Satzung (Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 79 ZPO, Rn. 10). Auch wenn der „mit der Prozessvertretung beauftragte Vertreter“ damit für den eigentlichen Prozessbevollmächtigten tätig wird, so gibt er dennoch eigene Erklärungen ab. Deshalb überzeugt es nicht, dass er für diese Erklärungen „seinen“ sicheren Übermittlungsweg nicht nutzen können soll.Abs. 23
(d) Es erscheint nicht widerspruchsfrei, warum nach der oben genannten Ansicht bei Prozessvertretung durch einen Verband der handelnde Syndikusrechtsanwalt im Falle einer qeS zwar „verantwortende Person“ im Sinne von § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 1 ArbGG nicht jedoch „verantwortende Person“ im Sinne § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG sein kann. Die beiden Varianten der Norm stehen vielmehr gleichwertig neben einander (H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 130a ZPO, Stand: 10.12.2021, Rn. 53.1). Normsystematische Gründe sprechen gegen die unterschiedliche Auslegung desselben Begriffs („verantwortende Person“) innerhalb desselben Satzes einer Vorschrift.Abs. 24
(e) Die oben erwähnte Ansicht beachtet § 46 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BRAO nicht hinreichend. Danach erbringen Syndikusrechtsanwälte im Verband „Rechtsdienstleistungen (ihres) Arbeitgebers gegenüber seinen Mitgliedern“. Für diese Tätigkeiten sind sie als Syndikusrechtsanwälte zugelassen und hierfür haben sie ein (separates, siehe § 46c Abs. 5 Satz 2 BRAO) beA. Es erscheint schwer verständlich, wofür die Einrichtung dieses sicheren Übermittlungswegs durch den Gesetzgeber erfolgt sein soll, wenn Syndikusrechtsanwälte für die einzige Tätigkeit, die sie nach außen erbringen dürfen, gar nicht „verantwortende Person“ im Sinne von § 46c Abs. 3 Satz 1 Var. 2 ArbGG sein können.Abs. 25
(f) Schließlich ist nicht erkennbar, warum aus der Maßgeblichkeit des „ERV-Pflichtenprogramms“ des Verbands der Ausschluss von Nutzungsmöglichkeiten für den einzelnen Syndikusrechtsanwalt folgen sollte. Es mag (gute) Gründe geben, eine Nutzungspflicht zu verneinen (für eine Nutzungspflicht Heimann/Steidle NZA 2021, 521 ff). Hieraus jedoch den Ausschluss von Nutzungsmöglichkeiten zu schlussfolgern, erscheint überschießend und aus den genannten Gründen rechtlich nicht überzeugend.Abs. 26
Das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) stellt zweifellos den „Königsweg“ (Schrade/Elking a.a.O) für eine Teilnahme der Verbände am elektronischen Rechtsverkehr dar. Bis zur technischen Einsatzbereitschaft und organisatorischen Umsetzung bleibt das beA des Syndikusrechtsanwalts eines Verbands jedoch eine sinnvolle, rechtssichere und unproblematisch nutzbare Alternative (Pulz a.a.O.: „Notlösung“).Abs. 27
III.Abs. 28
Diese Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, § 2 Abs. 2 GKG. Gegen den Einstellungsbeschluss nach § 80 Abs. 2 Satz 2 ArbGG als instanzbeendende Entscheidung ist die Beschwerde nach § 87 ArbGG statthaft (vgl. ErfK/Koch, 22. Aufl. 2022, ArbGG § 81 Rn. 6).Abs. 29

(online seit: 25.01.2022)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Stuttgart, ArbG, Übermittlung über beA eines Syndikusrechtsanwalts - JurPC-Web-Dok. 0011/2022