JurPC Web-Dok. 173/2021 - DOI 10.7328/jurpcb20213612173

VG Wiesbaden

Beschluss vom 24.11.2021

6 L 1358/21.WI

Überwachung eines Journalisten nach dem G10-Gesetz

JurPC Web-Dok. 173/2021, Abs. 1 - 55


Leitsätze:

1. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes setzt grundsätzlich eine behördliche Vorbefassung voraus.

2. Das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag auf Untersagung der Überwachung fehlt, wenn der Antragsteller bisher und momentan nicht überwacht wird.

3. Es bestehen Zweifel daran, ob ein Antragsteller, der als „Dritter“ im Sinne von § 4 Abs. 3 HVSG überwacht wird, als mittelbar Betroffener in seinen Rechten verletzt sein könnte.

4. Soweit sich der Antragsteller gegen künftige Überwachungsmaßnahmen wendet, wäre in der Hauptsache eine vorbeugende Unterlassungsklage statthaft. Hierfür muss ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse gegeben sein, das auch für die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist.

5. Das qualifizierte Rechtsschutzinteresse fehlt im Fall einer befürchteten nachrichtendienstlichen Überwachung regelmäßig, wenn die Überwachung durch eine Einrichtung - wie die G10-Kommission - effektiv kontrolliert wird.

6. Soweit verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelungen des G 10 vorgebracht werden, so kommt es hier im vorliegenden Fall nicht darauf an, da dies materiell-rechtliche Fragestellungen betrifft, über die jedenfalls mangels Zulässigkeit des Antrags auf Eilrechtsschutz nicht weiter zu entscheiden ist.

Gründe:

I.Abs. 1
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Untersagung der Telekommunikationsüberwachung und Telekommunikationsaufzeichnung nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz – G 10) bezüglich seiner Person.Abs. 2
Der Antragsteller ist als Journalist tätig und befasst sich schwerpunktmäßig mit investigativen Recherchen zu politischem und weltanschaulichem Extremismus, Sicherheitsbehörden, Nachrichtendiensten und Innenpolitik.Abs. 3
Am 01.11.2021 hat der Antragssteller den vorliegenden Eilantrag gestellt. Einen Antrag bei dem Antragsgegner hinsichtlich der begehrten Unterlassung hat er nicht gestellt.Abs. 4
Er trägt vor, es sei für ihn unabdinglich, dass er mit Quellen aus dem rechtsextremen, linksextremen, islamistischen und militanten Spektrum in Kontakt steht. Hierfür nutze er Ende-zu-Ende verschlüsselte Messengerdienste wie Signal oder Telegram. Die Kontaktpersonen stünden in einigen Fällen in Verdacht, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Durch Hintergrundgespräche mit den Nachrichtendiensten sowie durch die Lektüre von internen Dokumenten der Sicherheitsbehörden oder die spätere Erwähnung bestimmter Organisationen oder Personen in den Verfassungsschutz-berichten des Antragsgegners habe der Antragsteller Kenntnis davon erhalten, dass unter seinen Informanten regelmäßig Personen seien, die während des Kontakts mit ihm parallel im Fokus des Landesamts für Verfassungsschutz Hessen (im Folgenden LfV Hessen) stünden. Bezüglich der weiteren Einzelheiten der Tätigkeiten des Antragstellers wird auf die eidesstattliche Versicherung des Antragstellers vom 03.11.2021 verwiesen.Abs. 5
Der Antragsteller werde mittelbar als sog. „Nebenbeteiligter" überwacht. Informationen, die auf diese Weise erhoben würden, könnten nicht nur Aufschluss über die Kommunikation des Antragstellers mit der überwachten Zielperson geben, sondern auch über die Art und Weise, wie der Antragsteller selbst Informanten führt, sowie Einblick über gesondert geschützte und zu schützende journalistische Vorgänge wie mögliche Publikationsabsichten oder redaktionelle Planungen geben. Von diesen heimlichen, eingriffsintensiven Maßnahmen des § 11 Abs. 1a G 10 erhalte der Antragsteller nach der Konzeption des § 12 G 10 keine Mitteilung. Er könne sich also im Nachgang der Überwachung durch das LfV Hessen nicht auf gerichtlichem Wege wehren, sodass der Antragsteller in seinem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes aus Art.19 Abs. 4 GG verletzt sei.Abs. 6
Auch habe der Antragsteller als Journalist über § 3b Abs. 2 G 10 keinen absoluten, sondern nur einen relativen Schutz, was seine journalistische Arbeit gefährde. Hierdurch würden Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und Art. 12 GG verletzt werden.Abs. 7
§ 11 Abs. 1a G 10 sei zudem verfassungswidrig.Abs. 8
Er sei bereits formell verfassungswidrig, da er gegen Art. 30, 70 GG verstoße.Abs. 9
Die Überwachung und Aufzeichnung laufender Kommunikation („Quellen-TKÜ“) stelle auch einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 GG dar. Die Überwachung und Aufzeichnung gespeicherter Inhalte („beschränkte Online-Durchsuchung") greife in die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme (sog. „IT-Grundrecht") als Ausfluss des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG ein und verletze dieses. Aus dem IT-Grundrecht folge eine objektive Schutzpflicht des Staates, sich in zumutbarer Weise schützend vor die IT-Sicherheit der Bürger der Bundesrepublik zu stellen. Diese Schutzpflicht werde jedoch verletzt.Abs. 10
Ferner sei es verfassungswidrig, dass § 13 G 10 den Rechtsweg gegen die Beschränkungsmaßnahmen des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1a Satz 2 G 10 vor der Mitteilung an den Betroffenen nicht zulasse. Im Gegensatz zu Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG sei ein solcher Rechtswegausschluss für Eingriffe in das IT-Grundrecht gerade nicht vorgesehen. Hierdurch werde Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.Abs. 11
Zudem sei auch schon die niedrige Eingriffsschwelle, die § 3 G 10 für die Maßnahmen des § 11 Abs. 1a G 10 festlege, verfassungswidrig. Auch werde das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG verletzt. § 21 G 10 nenne nicht das IT-Grundrecht.Abs. 12
Das erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis liege vor und ergebe sich hier aus der Heimlichkeit der Überwachung. Der Antragsteller würde den Eingriff in sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung überhaupt nicht merken, sodass ein nachträglicher Rechtsschutz schon gar nicht in Betracht komme und es sich um unzumutbare, irreparable Nachteile handele. Zudem bestünde die Möglichkeit, dass der Antragsteller bereits überwacht werde. Ohne Erlass einer Regelungsanordnung sei die Arbeit als investigativer Journalist nicht möglich. Er müsse befürchten, in Zukunft von einer Überwachungsmaßnahme betroffen zu sein.Abs. 13
Der Antragsteller reicht diesbezüglich eine weitere eidesstattliche Versicherung vom 28.10.2021 zu Akte. Darin erklärt er, er habe zu Tom Rohrböck/„Rechtes Phantom“ sowie zum Mordfall Walter Lübcke/Umfeld Stephan Ernst recherchiert. Wegen des weiteren Inhalts wird auf die eidesstattliche Versicherung vom 28.10.2021 verwiesen.Abs. 14
Außergerichtlichen Kontakt zum Antragsgegner habe es nicht gegeben, da es ihm aussichtslos erschienen sei, die Zusage zu erhalten, bis zu einer gerichtlichen Klärung vom Einsatz des „Staatstrojaners" Abstand zu nehmen.Abs. 15
Es sei beabsichtigt, noch in diesem Jahr eine Hauptsacheklage zu erheben.Abs. 16
Die Zulässigkeit ergebe sich im Übrigen jedenfalls daraus, dass sich der Antragsgegner in seinen Stellungnahmen vom 09.11. und 16.11.2021 rühme, zu einer Überwachung von Messenger-Kommunikation des Antragsgegners grundsätzlich befugt zu sein. In einem vergleichbaren Fall habe das Bundesverwaltungsgericht aus derartigen Aussagen entsprechende Schlüsse für die Zulässigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage gezogen (BVerwG, Urteil vom 13.12.2017 – 6 A 7.16, Rn 14). Der Antragsgegner gehe auch davon aus, dass er dazu berechtigt sei, § 11 Abs. 1 a G 10 anzuwenden, selbst wenn es ein verfassungswidriges Gesetz wäre, da er ausführe, keine Verwerfungskompetenz verfassungswidriger Normen formeller Gesetze zu haben. In diesem Rahmen sei der Antragsgegner nicht auf die vom Antragsteller vorgebrachten verfassungsrechtlichen Einwände eingegangen. Stattdessen schildere er nur seine Behördenpraxis.Abs. 17
Der Antragsteller beantragt,Abs. 18
dem Antragsgegner es einstweilen zu untersagen, Telekommunikation, die der Antragsteller mit Dritten über Messenger-Dienste oder auf andere Weise führt, unter Anwendung des § 11 Abs. 1a Satz 1 bis 3 Artikel 10-Gesetz zu überwachen oder aufzuzeichnen oder eine solche Überwachung oder Aufzeichnung anzuordnen.Abs. 19
Der Antragsgegner beantragt,Abs. 20
den Antrag zurückzuweisen.Abs. 21
Der Antragsgegner trägt vor, dass der Antrag bereits unzulässig sei. Es fehle am qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis. Die VwGO sehe grundsätzlich keine Rechtsbehelfe vor, mit denen der Entscheidungsspielraum der Verwaltung durch richterliche Anordnungen vorbeugend eingeengt werden könne. Das Rechtsschutzsystem der VwGO sei grundsätzlich auf den nachträglichen Rechtsschutz bezogen. Eine Ausnahme sei nur dann anzunehmen, wenn ohne die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes die Gefahr bestünde, dass vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen würden oder wenn ein nicht mehr wiedergutzumachender Schaden entstünde. Es drohe bereits keine Rechtsverletzung. Es seien keine Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, bei denen Daten des Antragstellers als Drittem gespeichert worden wären, vom LfV Hessen durchgeführt worden. Es sei daher ohnehin nur eine drohende Erstbegehungsgefahr denkbar. Für eine solche gäbe es jedoch keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte.Abs. 22
Auch sei nicht ersichtlich, weswegen ein nachträglicher Rechtsschutz nicht zumutbar wäre. Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 G 10 prüfe die erhebende Stelle unverzüglich, ob die erhobenen personenbezogenen Daten im Rahmen der Aufgaben erforderlich seien. Die Kommunikation des Antragstellers würde ohnehin sofort gelöscht werden, wenn diese nachrichtendienstlich irrelevant sei.Abs. 23
Zudem sei § 3 Abs. 2 G 10 zu beachten. Der Gesetzgeber habe die vom Antragsteller angesprochene Problematik gesehen und sie einer gesetzlichen Lösung zugeführt.Abs. 24
Zur Entlastung der Gerichte sei auf die Möglichkeit der Beschwerde bei der G 10-Kommission hinzuweisen. Diese Kommission habe auch Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts anzustellen, sofern auch nur ein vager Verdacht geäußert werde. Eine Kontaktaufnahme des Antragstellers mit der G 10-Kommission oder aber mit dem LfV Hessen, welches die Beschwerde hätte weiterleiten können, sei bislang nicht erfolgt. Bei einer solchen Anfrage hätte dem Antragsteller bereits mitgeteilt werden können, dass keine Erhebung seiner Daten stattgefunden habe. Für die Klärung dieser Frage habe das Gericht nicht bemüht werden müssen.Abs. 25
Auch eine Erhebung nach § 4 Abs. 3 HVSG habe nicht stattgefunden.Abs. 26
Darüber hinaus sei der Antrag auch unbegründet. Der Antragsteller habe weder ein Anordnungsanspruch, noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.Abs. 27
Es liege bereits teilweise kein Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen vor. Art. 19 Abs. 4 GG werde nicht verletzt, denn die Durchführung der Maßnahme nach § 11 Abs. 1a G 10 beeinträchtige nicht das Grundrecht des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz. Soweit er Rechtsverletzungen geltend mache, die nicht aus der Durchführung der Maßnahme nach § 11 Abs. 1a G 10 herrühren würden, sei das LfV Hessen nicht der richtige Antragsgegner.Abs. 28
Auch liege kein Eingriff in Art. 12 GG vor. Eine berufsregelnde Tendenz sei mit dem G 10 im Allgemeinen und mit § 11 Abs. 1a G 10 im Besonderen gerade nicht bezweckt.Abs. 29
Ein Eingriff stehe zudem nicht bevor. Ein hypothetisch gedachter Eingriff wäre zudem nicht rechtswidrig. Soweit sich der Antragsteller auf die Verfassungswidrigkeit der Ermächtigungsgrundlage beziehe, sei dies für den Antragsgegner ohne Belang, da für ihn nur relevant sei, ob die Norm anwendbar sei. Die Verwerfungskompetenz verfassungswidriger Normen formeller Gesetze obliege dem Bundesverfassungsgericht. Der Antragsgegner sei als Behörde an bestehendes Recht und Gesetz gebunden.Abs. 30
Auch die materiellen Voraussetzungen des G 10 würden im Rahmen der Durchführung von Überwachungsmaßnahmen nach § 11 G 10 eingehalten werden. Es müssten bereits die hohen Voraussetzungen, die überhaupt zum Schalten einer G 10-Maßnahme führten, erfüllt sein. Es würde streng auf die Einhaltung der Normen geachtet werden. Zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern, die im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung in Kontakt mit Hauptbetroffenen einer G 10-Maßnahme stünden, werde zunächst geprüft, ob das Gespräch von inhaltlicher Relevanz sei. Wenn diese gegeben sei, werde geprüft, ob tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Berufsgeheimnisträger mit dem Betroffenen im Sinne einer extremistischen Tätigkeit zusammenarbeite oder diesen unterstütze. Handele es sich um ein Gespräch im Sinne einer reinen Berufsausübung, werde eine weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen, bei der die Relevanz der Inhalte gegen die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen des Berufsgeheimnisträger abgewogen würden. Es erfolge eine zweimalige Prüfung der Relevanz und Erforderlichkeit sowie der Einhaltung der §§ 3a und 3b G 10.Abs. 31
Soweit der Schutz der Berufsgeheimnisträger in Überwachungsmaßnahmen nach der StPO weitergehend sei, sei dies folgerichtig, da bei der Bewertung zu berücksichtigen sei, dass die StPO im Rahmen der nachträglichen Strafverfolgung Anwendung finde, das G 10 jedoch auf die Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zugeschnitten sei.Abs. 32
Es mangele auch am Anordnungsgrund, da nicht ersichtlich sei, weshalb der Antragsteller nicht auf nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden könne.Abs. 33
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, welche sämtlich zum Gegenstand der Beratung und Entscheidung gemacht worden sind.Abs. 34
II.Abs. 35
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist bereits unzulässig.Abs. 36
Zwar ist ein Antrag nach § 123 VwGO statthaft, § 123 Abs. 5, § 80 Abs. 5 VwGO. Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt hier aber nicht in Betracht, da in der Hauptsache die allgemeine Leistungsklage in Form einer öffentlich-rechtlichen Unterlassungsklage statthafte Klageart ist.Abs. 37
Unabhängig von der Frage, ob das LfV Hessen oder das Hessische Ministerium des Innern und für Sport - welches für den Überwachungsantrag bei der G 10-Kommissiuon zuständig und verantwortlich ist - der richtige Antragsgegner ist, fehlt es jedenfalls bereits aus mehreren Gründen am Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag.Abs. 38
Zum einen ist das Rechtsschutzbedürfnis grundsätzlich dann zu verneinen, wenn der den Antrag stellende Bürger sich nicht zuvor an die zuständige Verwaltungsbehörde gewandt hat (BeckOK VwGO/Kuhla, 59. Ed. 01.07.2021, VwGO § 123 Rn. 37a). Denn die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes setzt grundsätzlich eine behördliche Vorbefassung voraus. Dieses Erfordernis folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG (BVerwG, Beschluss vom 26.10.2017 – 6 VR 1/17 –, Rn. 9, juris). Es soll der Behörde ermöglicht werden, vor einem gerichtlichen Verfahren selbst zu überprüfen, ob dem Antrag des Antragstellers stattzugeben ist. So kann im Endeffekt eine unnötige Befassung der Gerichte, wenn die Behörde dem Begehren des Antragstellers nachkommt, vermieden werden.Abs. 39
Soweit sich der Antragsteller darauf beruft, dass eine solche behördliche Vorbefassung aussichtslos erschienen sei, so folgt hieraus nichts Anderes. Dem Antragsteller hätte bereits in diesem Rahmen mitgeteilt werden können, dass er zumindest momentan nicht überwacht wird. Er hätte sodann in einem weiteren Schritt prüfen können, ob ein Vorgehen im Wege des Eilrechtsschutzes erforderlich ist oder ob er lediglich ein Klageverfahren anstrengt.Abs. 40
Zudem fehlt dem Antragsteller das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, da der Kläger nach der Auskunft des Antragsgegners - welche nicht zu erschüttern ist - bisher und momentan nicht überwacht wird. Hier ist bereits festzuhalten, dass der Kläger ohnehin nur als „Dritter“ im Sinne von § 4 Abs. 3 HVSG überwacht würde. Diesbezüglich hat das Gericht Zweifel, ob der Kläger als nur mittelbar Betroffener in seinen Rechten verletzt sein könnte. Dies bedarf jedoch keiner Entscheidung, da jedenfalls der Antragsgegner sogar erklärte, dass Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen mit einer Speicherung von Daten des Antragstellers als Drittem von ihm nicht durchgeführt wurden und – so wie die Kammer den Schriftsatz des Antragsgegners vom 09.11.2021 versteht – auch gegenwärtig nicht durchgeführt werden.Abs. 41
Soweit sich der Antragsteller jedoch auch gegen künftige Überwachungsmaßnahmen wendet, wäre in der Hauptsache eine vorbeugende Unterlassungsklage statthaft.Abs. 42
Das hierfür erforderliche qualifizierte Rechtsschutzinteresse, das für die Inanspruchnahme vorbeugenden vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, liegt hier aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls allerdings nicht vor.Abs. 43
Der Rechtsschutz nach der VwGO ist grundsätzlich als nachgängiger Rechtsschutz konzipiert. Auch dies folgt aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der der Gerichtsbarkeit nur die Kontrolle der Verwaltungstätigkeit aufträgt, ihr aber grundsätzlich nicht gestattet, bereits im Vorhinein gebietend oder verbietend in den Bereich der Verwaltung einzugreifen. Die VwGO stellt darum ein System nachgängigen - ggf. einstweiligen - Rechtsschutzes bereit und geht davon aus, dass dieses zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG, grundsätzlich ausreicht. Vorbeugender Rechtsschutz ist daher nur zulässig, wenn ein besonderes schützenswertes Interesse gerade an der Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes besteht, wenn mit anderen Worten der Verweis auf den nachgängigen Rechtsschutz - einschließlich des einstweiligen Rechtsschutzes - mit für den Antragsteller unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (BVerwG, Urteil vom 22.10.2014 – 6 C 7/13 –, Rn. 17, juris unter Verweis auf die stRspr; vgl. Urteile vom 12. Januar 1967 - BVerwG 3 C 58.65 - BVerwGE 26, 23 = Buchholz 427.3 § 338 LAG Nr. 13, vom 8. September 1972 - BVerwG 4 C 17.71 - BVerwGE 40, 323 <326 f.>, vom 29. Juli 1977 - BVerwG 4 C 51.75 - BVerwGE 54, 211 <214 f.>, vom 7. Mai 1987 - BVerwG 3 C 53.85 - BVerwGE 77, 207 <212> = Buchholz 418.711 LMBG Nr. 16 S. 34 und vom 25. September 2008 - BVerwG 3 C 35.07 - BVerwGE 132, 64 Rn. 26).Abs. 44
Diese unzumutbaren Nachteile sind dann gegeben, wenn beim Zuwarten auf die behördliche Maßnahme die Gefahr besteht, dass irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen können (Schoch/Schneider/Schoch, 41. EL Juli 2021, VwGO § 123 Rn. 46).Abs. 45
Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht ersichtlich.Abs. 46
Der Antragsteller trägt zwar vor, dass das qualifizierte Rechtsschutzinteresse aufgrund der Heimlichkeit der Überwachung gegeben sei. Das Bundesverwaltungsgericht habe im Falle der heimlichen Kennzeichenerfassung durch Infrarotblitze das Vorliegen eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses angenommen (BVerwG, Urteil vom 22.10.2014 – 6 C 7/13 –, Rn. 18, juris). Allerdings unterscheidet sich dieser Fall zum vorliegenden darin, dass in der dortigen Konstellation der Betroffene im Nachhinein nicht über die Kennzeichenerfassung informiert wird. Im Falle des G 10 sieht jedoch § 12 G 10 ausdrücklich vor, dass Betroffene nach der Einstellung der Maßnahmen über diese benachrichtigt werden. Es ist dem Betroffenen möglich, nach der Mitteilung gerichtlichen Rechtsschutz im Wege der Feststellungsklage wahrzunehmen. In diesem Zuge können sodann die Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden (vgl. hierzu VG Berlin, Urteil vom 07.09.2016 – 1 K 13.15 –, Rn. 18, juris; VG Köln, Urteil vom 12.06.2012 – 22 K 1487/10 –, Rn. 1, juris).Abs. 47
Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller nach Einstellung einer möglichen Überwachung nicht hierüber informiert würde, liegen keine vor.Abs. 48
Zwar steht bei einer Benachrichtigung im Nachhinein im Raum, dass die Kommunikation bereits erhoben wurde. Dies führt in einem Eilverfahren wie dem vorliegenden jedoch nicht zu der Annahme des qualifizierten Rechtsschutzbedürfnisses, da bereits vor der Mitteilung eine Kontrolle durch die G 10-Kommission erfolgt.Abs. 49
Die Mitteilungspflicht nach § 12 G 10 unterliegt dem Gesetzesvorbehalt des Art. 10 Abs. 2 GG. Angesichts der Unbemerkbarkeit der Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis, der Undurchsichtigkeit des anschließenden Datenverarbeitungsvorgangs für die Betroffenen, der Möglichkeit, die Mitteilung zu beschränken und der dadurch entstehenden Rechtsschutzlücken gebietet Art. 10 GG zudem eine Kontrolle durch unabhängige und an keine Weisung gebundene staatliche Organe und Hilfsorgane (BVerfG, Urteil vom 14.07.1999 - 1 BvR 2226/94, 2420/95 u. 2437/95 unter Verweis auf BVerfGE 30, 1 (23f., 30f.) = NJW 1971, 275; BVerfGE 65, 1 (46) = NJW 1984, 419; BVerfGE 67, 157 (185) = NJW 1985, 121).Abs. 50
Diese G 10-Kommission entscheidet nach § 15 Abs. 5 G 10 i.V.m. § 1 Abs. 2 G 10 von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen. Ihre Kontrollbefugnis erstreckt sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach dem G 10 erlangten personenbezogenen Daten durch Nachrichtendienste des Bundes einschließlich der Entscheidung über die Mitteilung an Betroffene. Auf der Landesebene bestimmt § 2 des G 10-Ausführungsgesetzes Hessen (HAGArt10G), dass hier ebenfalls eine G 10-Kommission über jede angeordnete Beschränkungsmaßnahme informiert wird, die sodann den Sachverhalt erforscht und gemäß § 4 HAGArt10G unverzüglich von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden, ob die in Vollzug gesetzten Beschränkungsmaßnahmen zulässig und nötig sind, entscheidet. Durch diese Kontrolltätigkeiten wird die Rechtmäßigkeit heimlicher staatlicher Überwachungsmaßnahmen prozedural abgesichert (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 – 6 A 9/14 unter Verweis auf BVerfG, NVwZ 2016, 1701 = ZD 2017, 31 Rn. 54, 57), sodass der Antragsteller auf nachgängigen Rechtsschutz verwiesen werden kann.Abs. 51
Soweit der Antragsteller verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelungen des G 10 vorbringt, so kommt es hier im vorliegenden Fall nicht darauf an, da dies materiell-rechtliche Fragestellungen betrifft, über die jedenfalls mangels Zulässigkeit des Antrags auf Eilrechtsschutz nicht weiter zu entscheiden ist.Abs. 52
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.Abs. 53
Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG, wobei der Auffangstreitwert wegen der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache nicht zu halbieren war, vgl. Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18.07.2013.Abs. 54
Rechtsmittelbelehrung…Abs. 55

(online seit: 14.12.2021)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Wiesbaden, VG, Überwachung eines Journalisten nach dem G10-Gesetz - JurPC-Web-Dok. 0173/2021