JurPC Web-Dok. 9/2021 - DOI 10.7328/jurpcb20213619

Peter Itzel [*]

Gast-Editorial:
Da ist noch Luft nach oben …

Einige Anmerkungen zur Einführung der e-Akte

JurPC Web-Dok. 9/2021, Abs. 1 - 7


Mit diesem Satz beschrieb ein IT-Trainer in einem e-Akten-Einführungskurs vor etwa einem Jahr noch wohlwollend den Zustand des nun auch von zahlreichen Richterinnen und Richtern zu benutzenden etwas aufpolierten Geschäftsstellen- und Aktenverwaltungssystems. Dabei soll schon eingangs darauf hingewiesen werden, dass die Einschätzungen des Verfassers aus der Froschperspektive eines einfachen Nutzers am OLG Koblenz herrühren und sicherlich nicht repräsentativ sein können.Abs. 1
Auffallend ist zunächst, dass wohl ohne jegliche Organisationsveränderungen und –verbesserungen die bisherigen Abläufe programmmäßig abgebildet werden – vom „Aktenbock“ bis hin zum „elektronischen Wachtmeister“, der zu bestimmten Zeiten die Zu- und Abträge (elektronisch) erledigt. Hier hätte eine fundierte Organisationsuntersuchung vor Programmfestlegungen sicherlich zu Ablaufverbesserungen führen und einen Rationalisierungsgewinn erzielen können. Auch führt die Struktur / Architektur des Zusammenbauens dreier unterschiedlicher Programme (e-Akte mit „Aktenbock“, forumStar, Textsystem) ohne durchgängige Harmonisierung der Funktionen und Oberflächen nicht zu einer besonderen Anwenderfreundlichkeit. Vielleicht ist dies aber der „agilen“ Programmrealisierung (früher genannt: Programmierung auf Zuruf oder auch abschätzende „quick and dirty“) zu verdanken, die für wohl nicht nur für den Anwender völlig offenlässt, wohin das Endprodukt, die angestrebte IT-Lösung letztlich hingelangen soll. Offen ist damit auch für den Nutzer (Froschperspektive!), ob aus der Einbindung auch der Richter in eine recht starre Geschäftsstellenlösung mit einem suboptimalen Textsystem – mit ein paar goodies, add-ons für IT-affine Richter – eine richter-orientierte Dialog-Lösung mit auch individuell skalierbarem Aufgabeninhalt erwachsen soll. Bei diesem doch höchst komplexen und kritischen IT-System mit zahlreichen involvierten Justizstellen wäre wohl doch die Rückkehr zu einem mehr ingenieurhaften methodischen Vorgehen mit ausgeprägter Planungs- und Entwurfsphase – zumindest für die Fortentwicklungen und Fehlerbeseitigungen - vorzusehen.Abs. 2
Bedauerlich ist, dass die IT-Unterstützung zentraler Tätigkeitsfelder nicht gelungen ist. Bei der Abwicklung von „Massenverfügungen“ (z.B. Terminbestimmungen, Fristverlängerungen (in VW-Sachen), Verkündungsprotokollen) hat sich der Arbeits- und Zeitaufwand signifikant vergrößert. Die Vorgänge bei Kollegialentscheidungen (Kammer-, Senats-Urteile, Beschlüsse; auch Protokolle) sind mit der IT-Lösung allenfalls mit gravierenden Einschränkungen und Mehraufwendungen abbildbar. Wir (OLG-Senat) weichen inzwischen nach einem Jahr „Praxistest“ wieder auf unterschriebene Titel in Papierform aus.Abs. 3
Überhaupt Papier: Auch unter Zugrundlegung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse (s. nur Stavanger-Erklärung auf Basis von 54 wissenschaftlichen Studien) müssen wohl Klagen, Berufungsbegründungen und deren Entgegnungen von dem Richter in nicht einfachsten Konstellationen ausgedruckt zu Kenntnis genommen werden. Hier stellt sich dann die weitere Frage, was eigentlich an Teststandorten überprüft wurde (Papiermehrverbrauch?). Es ist auch nicht bekannt, ob und wie der Einfluss nun reiner Bildschirmarbeit (6 – 8 Stunden) sich auf Zufriedenheit, Gesundheitsstatus, Krankenstände gerade unter Berücksichtigung eines modernen Gesundheitsmanagements auswirkt.Abs. 4
Und nicht zuletzt soll auf bestehende Fehlfunktionen, die mangelhafte Verfügbarkeit, nahezu tägliche Fehlermeldungen und eingeschränkte Nutzbarkeiten der Systeme hingewiesen werden, was neben Akzeptanzproblemen sicherlich auch zu einer Mehrbelastung des gesamten Justizpersonals führt. Auch fehlt es nach wie vor an verbindlichen und einheitlichen Arbeitsanweisungen (wie früher für Papierakten die AktenO), was dann auch dazu führt, dass zeitkritische Eingänge (z.B. neue Anträge vor der Sitzung) zunächst gescannt und erst Tage später – zu spät - den Entscheidern zur Kenntnis gebracht werden.Abs. 5
Mit relevanten Stimmen sollte die (in Rheinland-Pfalz wohl aus politischen Gründen) massive Ausweitung des Einsatzes der bestehenden Test-, Erprobungs-IT-Lösung überdacht und (ab-) gebremst werden. Dies gilt auch in Hinblick auf die Beantwortung der Frage, ob und inwieweit die „scan-Lösung“ gerade bei und für Amtsgerichte – bei doch zahlreichen nicht-elektronischen Eingängen - auf Dauer überhaupt geleistet werden kann. Auch insoweit müsste das (machbare) Ziel zunächst einmal geplant und geprüft werden.Abs. 6
Zum Abschluss noch ein Lob: In Pandemie- und home-office-Zeiten ist der Vorteil vernetzter IT-Lösungen von unschätzbarem Wert! Auch ist der persönliche Einsatz und die Hilfsbereitschaft des IT-Personals bei dieser suboptimalen Lösung bewunderns- und lobenswert.Abs. 7

Fußnoten:

[*] Dr. Peter Itzel ist Vorsitzender Richter am OLG Koblenz. Er war langjähriger IT-Referent im Justizministerium Rheinland-Pfalz und beim OLG Koblenz.

[online seit: 26.01.2021]
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