JurPC Web-Dok. 99/2019 - DOI 10.7328/jurpcb2019348100

OLG Celle

Beschluss vom 12.04.2019

13 W 7/19

Übertragbarkeit der sog. „Faktorrechtsprechung“ auf Computerspiele

JurPC Web-Dok. 99/2019, Abs. 1 - 26


Leitsätze:

1. Die sog. „Faktorrechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs zu Rechtsverletzungen durch Filesharing von Musikstücken (BGH, Urteil vom 11. Juni 2015, I ZR 19/14) ist auf Computerspiele übertragbar.

2. Es genügt für die Erfüllung des Ausnahmetatbestandes des § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG nicht, dass der private Nutzer ein urheberrechtlich geschütztes Werk über das Internet zugänglich mache. Vielmehr bedarf es einer besonderen Häufigkeit oder eines qualifizierten Verstoßes, welcher die Berechnung des Erstattungsanspruchs nach einem höheren Gegenstandswert rechtfertigt. Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus Art. 14 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2004/48/EG).

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht innerhalb der einmonatigen Notfrist (§ 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO) eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache nur teilweise Erfolg.Abs. 1
Die gegen den Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts vom 26. Februar 2019 (Bl. 91 ff. d.A.) vorgebrachten Einwendungen des Beklagten in seiner ergänzenden Beschwerdebegründung vom 28. März 2019 (Bl. 106 ff. d.A.) greifen nur im Hinblick auf einen Teil der gegen ihn geltend gemachten Zahlungsansprüche durch.Abs. 2
1. Entgegen der Auffassung des Beklagten durfte das Landgericht für die Erfolgsprognose gemäß § 114 ZPO auf den Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der erlassenen Entscheidung abstellen, weil Entscheidungsreife hinsichtlich des Prozesskostenhilfegesuchs erst dann eintritt, wenn die antragstellende Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich zu dem Gesuch zu äußern (vgl. Geimer in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 119 Rn. 44 m.w.N.). Die Stellungnahme der Klägerin auf den Prozesskostenhilfeantrag aus der Klageerwiderung ist hier erst mit der Replik erfolgt; im Übrigen hat der Beklagte auch zunächst keine vollständige Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt.Abs. 3
2. Das Verteidigungsvorbringen des Beklagten hat hinsichtlich eines Teils des von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzanspruchs sowie des Aufwendungsersatzanspruchs für vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten und der jeweils auf beide Positionen entfallenden Zinsansprüche Aussicht auf Erfolg, so dass der angefochtene Beschluss insoweit abzuändern und dem Beklagten teilweise Prozesskostenhilfe zu bewilligen war.Abs. 4
Im Einzelnen gilt hinsichtlich der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche Folgendes:Abs. 5
a) Der Klägerin steht der mit dem Antrag zu 1 geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten aus § 97 Abs. 1 Satz 1 UrhG zu.Abs. 6
Der Beklagte bestreitet nicht, urheberrechtlich geschützte Rechte der Klägerin verletzt zu haben. Die Wiederholungsgefahr ergibt sich – wie vom Landgericht zutreffend angenommen – aus dem Umstand, dass der Beklagte die Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert. Eine bereits begangene Rechtsverletzung indiziert die Wiederholungsgefahr. Die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse – wie hier durch das behauptete Fehlen eines Internetanschlusses – berührt die Wiederholungsgefahr nicht (vgl. BeckOK UrhR/Reber, 23. Edition 2018, § 97 UrhG Rn. 93 f.).Abs. 7
Die vom Beklagten in erster Instanz erhobene Einrede der Verjährung greift aus den vom Landgericht angeführten zutreffenden Gründen nicht durch. Insoweit greift der Beklagte den angefochtenen Beschluss mit der Beschwerdebegründung vom 28. März 2019 auch nicht mehr an.Abs. 8
Die Androhung von Ordnungsmitteln folgt aus § 890 Abs. 1, Abs. 2 ZPO. Insofern besteht entgegen der Auffassung des Beklagten kein Zusammenhang zu der Frage der – vom Beklagten aus den o.g. Gründen unzutreffend verneinten – Wiederholungsgefahr.Abs. 9
b) Die Verteidigung des Beklagten gegen den mit dem Antrag zu 2 geltend gemachten Schadensersatzanspruch der Klägerin hat zwar dem Grunde nach keine Aussicht auf Erfolg, jedoch hat die Klägerin einen solchen Anspruch derzeit nur in Höhe von 1.673,50 € schlüssig vorgetragen.Abs. 10
aa) Die Rechtsverletzung des Beklagten ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen. Dass der Beklagte – wie er nunmehr in der ergänzenden Beschwerdebegründung erstmals ohne nähere Substanz behauptet – das Computerspiel „unbeabsichtigt“ zum Download angeboten haben will, ändert nichts daran, dass er die Urheberrechtsverletzung durch das Einstellen in das Peer-to-Peer-Netzwerk zumindest fahrlässig vorgenommen hat und deshalb gegenüber der Klägerin gemäß § 97 Abs. 2 UrhG dem Grunde nach zur Schadensersatzzahlung verpflichtet ist.Abs. 11
bb) Entgegen der Auffassung des Landgerichts erscheint allerdings die Schätzung des mit dem Antrag zu 3 bezifferten Teil- bzw. Mindestschadens der Klägerin auf einen Betrag von jedenfalls 3.347,00 € auf der Basis des bisherigen unstreitigen Parteivorbringens überhöht.Abs. 12
Insoweit hat die Kammer allerdings im Ausgangspunkt zutreffend die sog. „Faktorrechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs zu Rechtsverletzungen durch Filesharing von Musikstücken auf Computerspiele und damit auch auf den vorliegenden Fall angewandt. Die Sachverhalte sind hinreichend vergleichbar. Die vorgenannte Rechtsprechung basiert auf dem Einsatz der konkreten Tauschsoftware sowie dem Gefährdungspotenzial der zur Tatzeit online befindlichen Nutzer, die uneingeschränkt auf das urheberrechtlich geschützte Werk zugreifen können (vgl. nur BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 19/14 – Tauschbörse I, juris Rn. 57 ff.). Diese Gefahr besteht unabhängig davon, ob es sich um Musikstücke, Filme oder Computerspiele handelt. Dem Umstand, dass Musikstücke ein geringeres Datenvolumen aufweisen und daher schneller und häufiger heruntergeladen werden können, kann durch den Ansatz eines entsprechend geringeren Faktors Rechnung getragen werden (vgl. zu allem Vorstehenden: Senatsbeschluss vom 26. November 2018 – 13 U 72/18, veröffentlicht bei juris).Abs. 13
Im vorliegenden Fall erscheint dem Senat unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Schadensschätzung (nur) auf das 50-fache des vom Beklagten nicht bestrittenen durchschnittlichen Preises für den legalen Erwerb des Spiels zum Beginn der streitgegenständlichen Rechtsverletzungen i.H.v. 33,47 € angemessen.Abs. 14
Bei der Bemessung des Faktors ist zum einen der Umfang der Verletzungshandlung zu berücksichtigen, die hier das insgesamt fünfmalige Angebot zum Download an „nur“ zwei Tagen innerhalb einer Woche beinhaltete. Nähere Einzelheiten zur Dauer dieser Verletzungshandlungen sowie zu der Anzahl der erfolgten Downloads bzw. der online befindlichen Nutzer hat die Klägerin nicht dargetan. Allein der Umstand, dass die Klägerin unbestritten vorgetragen hat, dass das Bittorrent-Netzwerk bereits im Jahre 2012 von mindestens 150 Millionen Nutzern pro Monat verwendet wurde, rechtfertigt nicht den Schluss, dass das konkrete Angebot des Beklagten, welches sich wie vorstehend ausgeführt auf einen vergleichsweise kurzen Zeitraum beschränkte, in dem von der Klägerin angenommenen Umfang zum Download genutzt wurde. Vielmehr erscheint mit Blick auf den weiter bei der Schadensschätzung zu berücksichtigenden Umstand, dass das Computerspiel zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung ca. 5 Monate auf dem Markt gewesen ist, der Ansatz des Faktors 50 gerechtfertigt.Abs. 15
Soweit die Klägerin in der Klageschrift insbesondere auf das Urteil des Oberlandesgerichts S. vom 26. April 2018 (6 U 41/17) verweist, betrifft dieses ausweislich seiner Gründe eine weitaus umfangreichere Verletzungshandlung über einen längeren Zeitraum (172 Fälle an 52 Tagen, vgl. Rn. 1 bei juris). Auch beim Vergleich mit dem Sachverhalt des vormals beim Senat anhängigen Verfahrens 13 U 72/18, das ebenfalls ein insgesamt fünfmaliges Angebot zum Download, allerdings innerhalb eines längeren Zeitraums von drei Tagen zwischen dem 19. April 2013 und dem 20. Mai 2013 betraf, sich jedoch andererseits auf ein Spiel bezog, das zum Zeitpunkt der Verletzungshandlungen bereits ca. 1 ½ Jahre auf dem Markt gewesen war, erscheint die – im Ergebnis übereinstimmende – Bemessung des Faktors mit 50 angemessen.Abs. 16
Hieraus folgt, dass die Verteidigung des Beklagten gegen den hälftigen Betrag des Schadensersatzanspruchs, mithin 1.673,50 € hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.Abs. 17
c) Gegen den Feststellungsantrag zu 3 sowie gegen den mit dem Klageantrag zu 4 geltend gemachten Auskunftsanspruch, deren Begründetheit das Landgericht jeweils mit zutreffenden Erwägungen bejaht hat, hat der Beklagte – auch in der ergänzenden Beschwerdebegründung – keine erheblichen Einwendungen vorgebracht.Abs. 18
d) Die Verteidigung des Beklagten hat jedoch ebenfalls teilweise Aussicht auf Erfolg, soweit er die Höhe der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beanstandet, deren Erstattung die Klägerin mit dem Antrag zu 5 bezogen auf einen Gegenstandswert von 20.000,00 € verlangt.Abs. 19
Nach § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG n.F. beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen auf Gebühren nach einem Gegenstandswert für den Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von 1.000 Euro, wenn es sich bei dem Abgemahnten – wie hier unstreitig bei dem Beklagten – erstens um eine natürliche Person handelt, die nicht im Rahmen einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit gehandelt hat, und der Abgemahnte zweitens nicht bereits durch Vertrag, aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist.Abs. 20
Zwar sieht § 97a Abs. 3 Satz 4 UrhG eine Ausnahme von der Deckelung für die Fälle vor, in denen diese Deckelung nach den besonderen Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Dies ist etwa der Fall, wenn das Ausmaß der Rechtsverletzung vom üblichen Maß in Anzahl oder Schwere abweicht (vgl. BT Drs. 17/13057, 29). Was das übliche Ausmaß einer Rechtsverletzung ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei sollte die Annahme einer Unbilligkeit allerdings auf absolute Ausnahmefälle beschränkt bleiben, um die Privilegierung nicht leer laufen zu lassen. Entscheidend für die restriktive Auslegung der Unbilligkeit ist, dass die Deckelung nach der Neuregelung des § 97a UrhG die Regel und nicht länger die Ausnahme sein soll. Mit Blick darauf, dass der Gesetzgeber mit der Deckelung gerade auch Filesharingfälle erfassen wollte, genügt es für die Erfüllung der Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, dass der private Nutzer ein urheberrechtlich geschütztes Werk über das Internet zugänglich macht (vgl. Dreier/Schulze/Specht, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. 2018, § 97a UrhG Rn. 19b; Reber, a.a.O., § 97a UrhG Rn. 28). Vielmehr bedarf es einer besonderen Häufigkeit oder eines qualifizierten Verstoßes, welcher die Berechnung des Erstattungsanspruchs aus einem höheren Gegenstandswert rechtfertigt. Letzteres kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Privatperson ein solches Werk vor oder unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Erscheinen öffentlich zugänglich macht (vgl. Reber, a.a.O.). Keine dieser Voraussetzungen ist hier erfüllt, weil der Beklagte weder besonders viele Verstöße begangen hat noch seine Rechtsverletzungen in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur – hier fünf Monate zurückliegenden – Erstveröffentlichung des Computerspiels stehen (vgl. Reuther, MMR 2018, 433, 436: kein unmittelbarer Zusammenhang bei einem Abstand von zwei Monaten; ebenso Rathsack, jurisPR-ITR 14/2018 Anm. 6 zu AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 28. August 2017 – 213 C 99/17).Abs. 21
Eine andere Auslegung ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht unter europarechtlichen Gesichtspunkten gerechtfertigt, insbesondere ergibt sie sich nicht aus der Heranziehung von Art. 14 der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (2004/48/EG), wonach die Mitgliedsstaaten sicherstellen müssen, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in aller Regel die unterlegene Partei zu tragen hat, soweit die Kosten zumutbar und angemessen sind. § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG ist mit der vorgenannten Vorschrift vereinbar, weil auch nach der Richtlinie zumutbare und angemessene Kosten nicht dem Verletzer auferlegt werden, „sofern Billigkeitsgründe dem entgegenstehen“. Da § 97a Abs. 3 Satz 2 UrhG für Fälle der Unbilligkeit eingeschränkt wird und es sich nicht um einen allgemeinen und bedingungslosen Ausschluss der Erstattung von Kosten jenseits einer bestimmten Obergrenze handelt, steht die Richtlinie der Deckelung des Gegenstandswerts nicht entgegen (so auch Kiersch, ZUM 2018, 667; Rathsack, a.a.O.).Abs. 22
Nach alledem kann die Klägerin von dem Beklagten Rechtsanwaltskosten nur bezogen auf einen Gegenstandwert von 1.000,00 €, mithin in Höhe von 124,00 €, erstattet verlangen.Abs. 23
e) Hinsichtlich der nur teilweisen Begründetheit der Zinsansprüche verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts unter II.2.b) und II.3.c) des Nichtabhilfebeschlusses. Ein Verzug des Beklagten, auf den sich die Klägerin insoweit stützt, ist erst mit Ablauf der Frist in der an ihn gerichteten Abmahnung eingetreten.Abs. 24
II.Abs. 25
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. Nr. 1812 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) und aus § 127 Abs. 4 ZPO. Der Senat hat infolge des Teilerfolgs der sofortigen Beschwerde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gerichtsgebühr auf die Hälfte zu ermäßigen.Abs. 26

(online seit: 21.08.2019)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Celle, OLG, Übertragbarkeit der sog. "Faktorrechtsprechung" auf Computerspiele - JurPC-Web-Dok. 0099/2019