JurPC Web-Dok. 155/2017 - DOI 10.7328/jurpcb20173211151

Matthias Kegel *

Der elektronische Rechtsverkehr und ein Fallstrick

JurPC Web-Dok. 155/2017, Abs. 1 - 19


Durch das „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs" vom 5. Juli 2017 (BGBl. I, S. 2208) wird der elektronische Rechtsverkehr auch in Strafverfahren (§ 32a StPO in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung) und in Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 110c OWiG in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung i. V. m. § 32a StPO) am 1. Januar 2018 bundesweit eröffnet. Diesen Termin können der Bund und die Länder durch die sog. Opt-Out-Klausel in § 15 EGStPO und § 134 OWiG per Rechtsverordnung auf den 1. Januar 2019 oder den 1. Januar 2020 verschieben. Einige Länder werden wohl davon Gebrauch machen, weil sie die flächendeckende Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs zum 1. Januar 2018 aus diversen Gründen nicht schaffen werden. Neben vielen juristischen Feinheiten, die beim Opt-Out zu beachten sind, entsteht beim elektronischen Rechtsverkehr ein Fallstrick. Bei Nichtkenntnis droht insbesondere Anwälten die nicht formwirksame Einreichung von elektronischen Dokumenten, wenn sie diese über das besondere Anwaltspostfach ohne qualifizierte elektronische Signatur übermitteln.Abs. 1

Opt-Out und dennoch elektronischer Rechtsverkehr

Abs. 2
Ursprünglich sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Opt-Out-Klausel ohne Einschränkung vor[1] und bei Gebrauch wäre für die betroffenen Gerichte und Behörde in der Zeit des Opt-Outs gar kein elektronischer Rechtsverkehr im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren möglich gewesen. Jedoch haben einige Länder bereits per Rechtsverordnung nach § 41a StPO den elektronischen Rechtsverkehr z.B. nur für alle Strafgerichte aber nicht für die Staatsanwaltschaften oder nur für die Staatsanwaltschaften und nicht für die Strafgerichte eröffnet. Bei einem Opt-Out nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung hätte dieser elektronische Eingangskanal bei den betreffenden Gerichten und Staatsanwaltschaften zum 1. Januar 2018 wieder geschlossen werden müssen, denn die darauf fußenden Rechtsgrundlagen wären in Wegfall geraten. Dieses Ergebnis war rechtspolitisch nicht gewollt.[2] Auf diesen Umstand reagierte der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren, indem er die Opt-Out-Regelung in § 15 EGStPO um die weitere Anwendung von § 41a StPO in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung bis jeweils zum 31. Dezember des Jahres 2018 oder 2019 ergänzte (in § 134 OWiG die Fortgeltung von § 110a OWiG in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung). D.h., selbst wenn die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs nach § 32a StPO um ein oder zwei ganze Jahre verschoben wird, kann der elektronische Rechtsverkehr eröffnet sein.Abs. 3
Die weitere Anwendung von § 41a StPO und § 110a OWiG in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung erlaubt dem Bund und den Ländern bei einem Opt-Out den elektronischen Rechtsverkehr in diesem Zeitraum jederzeit für weitere Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie Bußgeldbehörden im Strafverfahren und Ordnungswidrigkeitenverfahren zu eröffnen (versteckter Opt-In). Nur für die Polizei wäre das nicht möglich, weil § 41a StPO ausdrücklich nur für Staatsanwaltschaften und Gericht gilt (im Gegensatz zu § 32a StPO, dessen Geltung alle Strafverfolgungsbehörden und Gerichte umfasst). Zugespitzt wäre folgendes möglich; für alle Gerichte und Staatsanwaltschaften im Land gilt die Opt-Out-Regelung, aber tatsächlich wird der elektronische Rechtsverkehr im Opt-Out-Zeitraum vollständig eröffnet.Abs. 4

Der Fallstrick

Abs. 5
Bei einem Opt-Out gilt § 32a StPO nicht, weil § 41a StPO und § 110a OWiG in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung im Opt-Out-Zeitraum weiter Anwendung finden und den gleichen Regelungsinhalt wie § 32a StPO haben. Damit fehlt nach alter Rechtslage die gesetzliche Regelung für den schriftformersetzenden Versand elektronischer Dokumente ohne qualifizierte elektronische Signatur wie in § 32a Absätze 3 und 4 StPO, wonach eine qualifizierte elektronische Signatur nicht erforderlich ist, wenn das elektronische Dokument von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird. Sichere Übermittlungswege sind die elektronische Kommunikation per De-Mail, über das besondere Anwaltspostfach oder das besondere Behördenpostfach sowie sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind. Hierin besteht der Fallstrick beim Opt-Out.Abs. 6
Dieser feine Unterschied kann schnell übersehen werden. Mögliche Auswirkungen nach dem 1. Januar 2018 sollen an zwei einfachen Beispielen gezeigt werden:Abs. 7

1. Fallvariante

Abs. 8
In einem Bundesland ist von der Opt-Out-Klausel für alle Gerichte in Strafverfahren Gebrauch gemacht worden, jedoch wurde der elektronische Rechtsverkehr über § 41a StPO durch Landesverordnung vor oder nach dem 1. Januar 2018 eröffnet. Für alle weiteren Gerichte ist die Opt-Out-Klausel nach Artikel 24 des „Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs" nicht genutzt worden. Hier können ab dem 1. Januar 2018 elektronische Dokumente nach § 130a ZPO in der Fassung ab 1. Januar 2018 (und den vergleichenden Vorschriften der anderen Verfahrensordnungen) eingereicht werden. Für diese Bereiche findet die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) der Bundesregierung Anwendung.Abs. 9
Der Rechtsanwalt legt über sein besonderes Anwaltspostfach elektronisch Rechtsmittel bei einem Gericht in einem Zivilverfahren und in einem Strafverfahren ein, ohne die Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen. Im ersten Fall ist das Rechtsmittel formwirksam eingereicht, im zweiten wird das Rechtsmittel als unzulässig verworfen.Abs. 10

2. Fallvariante

Abs. 11
In einem Bundesland ist der elektronische Rechtsverkehr in Strafverfahren kraft Gesetzes nach § 32a StPO möglich. Das benachbarte Bundesland hat die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Strafgerichten um ein oder zwei Jahre nach § 15 EGStPO verschoben, aber über die weitere Anwendung von § 41a StPO den elektronischen Rechtsverkehr in diesem Bereich durch Landesverordnung eröffnet.Abs. 12
Der Rechtsanwalt legt über sein besonderes Anwaltspostfach in beiden Bundesländern elektronisch Rechtsmittel bei einem Strafgericht ein, ohne die Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen. Im ersten Fall ist das Rechtsmittel formwirksam eingereicht, im zweiten wird das Rechtsmittel als unzulässig verworfen.Abs. 13
Dieses Problem wird für die Anwälte virulent, die nur die beA-Karte Basis und nicht die beA-Karte Signatur[3] erworben haben und die neue Möglichkeit nutzen wollen, ohne qualifizierte elektronische Signatur rechtsverbindlich Dokumente zu versenden. Nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf[4] hätte der Anwalt in den obigen negativen Beispielen es an der gebotenen Sorgfalt missen lassen. Er hätte sich zuvor genau erkundigen müssen, ob der elektronische Rechtsverkehr nach neuer oder alter Rechtslage eröffnet wurde und in letzterer Alternative erkennen können, dass ein schriftformersetzender Versand elektronischer Dokumente ohne qualifizierte Signatur nicht wirksam ist.Abs. 14
Diese mögliche Auswirkung bei einem Opt-Out wäre für die Akzeptanz des elektronischen Rechtsverkehrs natürlich alles andere als förderlich. Statt den „Flickenteppich" beim elektronischen Rechtsverkehr ab dem 1. Januar 2018 zu beseitigen, würde eine neuer entstehen.Abs. 15

Der Fallstrick kann vermieden werden

Abs. 16
Bei einem Opt-Out und gleichzeitiger Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs nach alter Rechtsgrundlage kann praktisch eine Harmonisierung mit § 32a StPO und der Rechtsverordnung der Bundesregierung erreicht werden. Der Gesetzgeber hat im Justizkommunikationsgesetz 2005 (BGBl. I, S. 837) weitsichtig in § 41a StPO und § 110a OWiG in Absatz 1 Satz 2 den Verordnungsgeber ermächtigt, in der Rechtsverordnung neben der qualifizierten elektronischen Signatur auch ein anderes sicheres Verfahren zuzulassen, das die Authentizität und die Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sicherstellt. Er begründet das wie folgt: „Den für das gerichtliche Verfahren erforderlichen Sicherheitsanforderungen wird auch genügt, wenn durch ein anderes sicheres Verfahren die Authentizität und Integrität des übermittelten elektronischen Dokuments sichergestellt wird. Solche sicheren Verfahren müssen gewährleisten, dass das elektronische Dokument dem angegebenen Absender zuzurechnen ist, in seiner Integrität geschützt übermittelt wird, und nach Eingang bei dem Gericht so gespeichert wird, dass die Überprüfbarkeit der Integrität sichergestellt ist.[5]Abs. 17
Damit könnte bei einem Opt-Out in der Landesverordnung für die Eröffnung des elektronischen Rechtsverkehrs der schriftformersetzende Versand elektronischer Dokumente ohne qualifizierte elektronische Signatur analog wie in § 32a Absätze 3 und 4 StPO geregelt und für den Opt-Out-Zeitraum zugelassen werden. Wenn man darüber hinaus Regelungen der ERVV der Bundesregierung wie die Dateiformate übernimmt, würde man praktisch eine weitgehende rechtliche Harmonisierung erreichen.Abs. 18
Wenn eine solche Anpassung der Landesrechtsverordnung nicht erfolgt, sollte auf den Webseiten, in denen über den elektronischen Rechtsverkehr informiert wird, darauf hingewiesen werden, dass ein schriftformersetzender Versand elektronischer Dokumenten ohne qualifizierte Signatur im Opt-Out-Zeitraum nicht formwirksam erfolgen würde.Abs. 19

Fußnoten

* Matthias Kegel ist Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg und IT-Dezernent. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.
[1] BT-Drs. 18/9416, S. 20 und S. 25.
[2] BT-Drs. 18/12203, S. 84.
[3] https://bea.bnotk.de/documents/FAQ_beA_160524.pdf
[4] OLG Düsseldorf, Urteil vom 24. Juli 2013 – VI-U (Kart) 48/12 –, juris.
[5] BT-Drs. 15/4067, S. 37 (43, 46).

 
(online seit: 07.11.2017)
 
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
 
Zitiervorschlag: Kegel, Matthias, Der elektronische Rechtsverkehr und ein Fallstrick - JurPC-Web-Dok. 0155/2017