JurPC Web-Dok. 109/2012 - DOI 10.7328/jurpcb/2012277120

Wolfgang Lent *

Rezension:  Eva Ellen Wagner, Abkehr von der geräteabhängigen Rundfunkgebühr

JurPC Web-Dok. 109/2012, Abs. 1 - 10


Eva Ellen Wagner
Abkehr von der geräteabhängigen Rundfunkgebühr.
Die Neuordnung der Rundfunkfinanzierung
Studien zum deutschen und europäischen Medienrecht, Band 48
Verlag Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a.M. u. a. 2011
XVI, 285 Seiten. Broschiert.
ISBN 978-3-631-60654-4
57,80 Euro / 84,00 SFR
Am 1. Januar 2013 tritt der neue Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBeitrStV) in Kraft. Einige Übergangsbestimmungen sind bereits seit 1. Januar 2012 wirksam. Mit dem neuen Recht wird ein Epochenwechsel in der Rundfunkfinanzierung eingeleitet: An die Stelle der bisherigen geräteabhängigen Rundfunkgebühr tritt ein geräteunabhängiger Rundfunkbeitrag. Das derzeit noch geltende Recht war angesichts der Medienkonvergenz zunehmend in die Kritik geraten. Vor allem die Gebührenpflicht für Internet-PCs beschäftigte häufig die Gerichte.(2) JurPC Web-Dok.
109/2012, Abs. 1
Dem Übergang von der alten zur neuen Rundfunkfinanzierung widmet sich Wagner in ihrer gelungenen Dissertation, die unter Betreuung von Dieter Dörr an der Universität Mainz entstand. Die Abhandlung gliedert sich nach einer kurzen Einleitung (S. 1 ff.) in drei Kapitel: Zunächst erfolgt eine knappe Darstellung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen (S. 4 ff.), ehe die aktuelle Rechtslage (S. 18 ff.) und dann, als Schwerpunkt der Arbeit, die Reform der Rundfunkfinanzierung analysiert wird (S. 106 ff.). Abs. 2
Im ersten Kapitel skizziert die Autorin die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Sonderdogmatik der Rundfunkfreiheit als dienende Freiheit, die vom dogmatischen Verständnis anderer Freiheitsrechte abweicht. Anschließend befasst sie sich im zweiten Kapitel mit den Anwendungsproblemen des Rundfunkgebührenstaatsvertrages am Beispiel der lange umstrittenen Abgabenpflicht für internetfähige PCs. Sie erörtert einschlägige verfassungsrechtlichen Fragen, etwa die umstrittene Erstreckung der Rundfunkfreiheit auf Internetdienste (S. 40 ff.) sowie mögliche Verstöße gegen die Informationsfreiheit aus Art.5 Abs.1 S.1 GG (S. 66 ff.) und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus  Art. 3 Abs. 1 GG (S. 92 ff.). Wagner kommt - womit sie auf der Linie der Grundsatzentscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Oktober 2010 liegt - zu dem Ergebnis, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken aus heutiger Sicht noch auszuräumen seien (S. 104 f.). Langfristig sei die Unterscheidung zwischen herkömmlichen und neuen Rundfunkempfangsgeräten aber, wie sie zu Recht feststellt, wegen der immer stärker zunehmenden Multifunktionalität und Mobilität der Empfangsgeräte nicht aufrechtzuerhalten. Es handele sich nur um eine "defizitäre Zwischenlösung". Die Neuordnung der Rundfunkfinanzierung sei deshalb rechtspolitisch notwendig gewesen (S. 248). Abs. 3
Im dritten Kapitel befasst sich Wagner mit Einzelheiten der Reform. Ausführlich schildert sie die verschiedenen Modellüberlegungen für eine modifizierte Rundfunkgebühr (S. 111ff.) und eine geräteunabhängige Abgabe (S. 173 ff.), die der jetzt erfolgten Regelung im neuen Rundfunkbeitragsstaatsvertrag vorangingen. Abs. 4
Zur Typisierung des Abgabentatbestandes wird ab 2013 nicht mehr - wie bisher - an das Bereithalten eines Empfangsgerätes, sondern im privaten Bereich an das Innehaben einer Wohnung (§§ 2, 3 RBeitrStV) und im nicht privaten Bereich an das Innehaben einer Betriebsstätte (§§ 5, 6 RBeitrStV) angeknüpft. Abs. 5
Der private Haushalt bilde, so die amtlichen Begründung des RBeitrStV, "in der Vielfalt moderner Lebensformen häufig Gemeinschaften ab, die auf ein Zusammenleben angelegt sind. Die an dieser Gemeinschaft Beteiligten üben ihre Informationsfreiheit (Artikel 5 Abs.1 Satz 1 des Grundgesetzes) typischerweise in ihrer gemeinsamen Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) aus."(3) Für die Ausübung der Informationsfreiheit in Betrieben legt das Gesetz eine Gemeinschaft der Betriebsangehörigen als Rundfunkrezipienten zu Grunde. Dabei ist eine Staffelung der Beitragshöhe nach Zahl der Mitarbeiter vorgesehen, "da es für die Höhe und Anzahl der Beiträge auf den möglichen kommunikativen Nutzen ankommt".(4) Abs. 6
Die Anknüpfung an die Wohnung hält sich nach Wagners Auffassung im Rahmen der gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis (S. 175, 201). Differenzierter beurteilt sie die verfassungsrechtliche Legitimation des Betriebsstättenbeitrags. Gesicherte Erfahrungswerte zum Rundfunkempfang in Betriebsstätten liegen nicht vor. Diese unsichere Tatsachengrundlage müsse durch eine gesetzliche Regelung ausgeglichen werden, die unbillige Ergebnisse vermeide (S.200). Insbesondere dürfe die Definition der Betriebsstätte nicht zu weit gefasst sein. Die realen Verhältnisse würden ansonsten in einigen Bereichen so schwach abgebildet, dass die Grenze des Willkürverbots nach  Art. 3 Abs.1 GG überschritten werde (S. 175 ff.). Kritisch sei daher die gesetzliche Negativdefinition zu beurteilen, wonach eine Betriebsstätte die Bestimmung oder Nutzung zu einem "nicht ausschließlich privaten Zweck" voraussetzt (siehe § 6 Abs.1 Satz 1 RBeitrStV). Für die Verwaltungspraxis sei dieses Merkmal zwar leicht zu handhaben. Angesichts der verfassungsrechtlichen Grenzen für gesetzgeberische Typisierungen wäre aber eine Positivdefinition unter Anknüpfung an konkrete, einzelne Nutzungsformen angebrachter gewesen (S. 176 f.). Abs. 7
Wagner widmet sich sodann weiteren Einzelaspekten des neuen Rechts. Sie erörtert, wer Schuldner der Wohnungsabgabe (S. 175, 123 ff.) und der Betriebsstättenabgabe (S. 175, 145 ff.) ist, nimmt zu den - in der Literatur umstrittenen - zusätzlichen Beitragspflichten für nicht privat genutzte Kraftfahrzeuge Stellung (S. 188 ff.) und befasst sich mit der Datenschutzproblematik beim einmaligen Meldedatenabgleich für die Ersterfassung der Beitragsschuldner (S. 131 ff.). Datenschutzrechtliche Fragen wirft der neue Staatsvertrag an mehreren Stellen auf. So beurteilt Wagner etwa die Möglichkeit der Rundfunkanstalten zur Einsichtnahme in Mietverträge, um einen Wohnungsinhaber zu ermitteln, zu Recht kritisch (S. 124). Abs. 8
Schließlich nimmt Wagner noch kurz zur europarechtlichen Einordnung der alten Rundfunkgebühr und des neuen Rundfunkbeitrags als Beihilfe im Sinne des  Art. 107 AEUV bzw. als Neubeihilfe im Sinne des  Art. 108 AEUV Stellung. Im Ergebnis hält sie die Modelländerung der Rundfunkfinanzierung aus beihilferechtlicher Perspektive nicht für bedenklich (S. 246 ff.). Abs. 9
Insgesamt bietet die Autorin einen guten und fundierten Überblick zu den Transformationsfragen vom alten zum neuen Recht. Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag wirft vielfältige dogmatische und praktische Probleme auf. Die Überlegungen von Wagner sind hilfreich, um hier sachgerechte Lösungen zu entwickeln.

Der Verlag hat freundlicherweise eine Leseprobe des Werkes zur Verfügung gestellt, die unter folgendem Link aufgerufen werden kann: http://www.jurpc.de/jurpcaufsatz/Leseprobe_Wagner.pdf.
JurPC Web-Dok.
109/2012, Abs. 10


F u ß n o t e n
(1) Dr. Wolfgang Lent ist Rechtsanwalt in München und Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
(2) Siehe z.B. BVerwG, 17.8.2011, 6 C 15.10, Jur-PC Web-Dok. 165/2011, Abs.1-41; BVerwG, 27.10.2010, 6 C 12.09, 17.09 und 21.09.
(3) Landtags-Drucksache Baden-Württemberg 15/197, S. 37.
(4) Landtags-Drucksache Baden-Württemberg 15/197, S. 42.
* Dr. Wolfgang Lent ist Rechtsanwalt in München und Lehrbeauftragter an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
[ online seit: 10.07.2012 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Lent, Wolfgang, Rezension:  Eva Ellen Wagner, Abkehr von der geräteabhängigen Rundfunkgebühr - JurPC-Web-Dok. 0109/2012