JurPC Web-Dok. 103/2011 - DOI 10.7328/jurpcb/2011266101

Finanzgericht des Saarlandes
Gerichtsbescheid vom 06.08.2010

2 K 1207/10

Rückforderung einer wegen fehlerhafter Dateneingabe überhöhten Steuererstattung

JurPC Web-Dok. 103/2011, Abs. 1 - 31


§§ 218 Abs. 2, 37 Abs. 2, 228, 130 Abs. 3 AO

Leitsatz (der Redaktion)

    Der Rückforderung einer wegen fehlerhafter Dateneingabe überhöhten Steuererstattung kann eine Zahlungsverjährung nicht entgegengehalten werden, wenn wie vorliegend aufgrund der fehlerhaften Dateneingabe und der nachfolgend automatisierten Berechnung der Erstattung eine materiell-rechtliche Prüfung erstmals mit der geänderten Anrechnungsverfügung erfolgt.

Tatbestand                                 

Die Kläger wenden sich gegen die Rückzahlung zu Unrecht erstatteter Lohnsteuerbeträge.

JurPC Web-Dok.
103/2011,   Abs. 1

Die Kläger waren in dem streitigen Veranlagungszeitraum 1997 verheiratet und wurden vom Beklagten gemäß § 26b EStG zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie bezogen jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 1997 mit Bescheid vom 23. Februar 1998 auf 14.458 DM fest. Nach Anrechnung der einbehaltenen Lohnsteuerbeträge ergab sich hieraus eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 3.631 DM zuzüglich Nebenabgaben. Mit Bescheid vom 7. Juli 1999 änderte der Beklagte die vorgenannte Steuerfestsetzung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und setzte die Einkommensteuer auf 15.116 DM fest. Nach der unveränderten Anrechnung der Steuerabzugsbeträge und der Abrechnung mit den bereits erstatteten Beträgen ergab sich hieraus eine Nachzahlung in Höhe von 658 DM zuzüglich Nebenabgaben. Auf den Einspruch der Kläger vom 5. August 1999 erließ der Beklagte am 30. Juli 2002 einen abermals geänderten, dem Einspruchsbegehren stattgebenden Einkommensteuerbescheid 1997, mit dem die Einkommensteuer auf 14.458 DM herabgesetzt wurde. Wegen einer Umstellung der Datenverarbeitung des Beklagten zum 1. Januar 2000 waren zur Anfertigung des Abhilfebescheids sämtliche Eingabedaten neu zu erfassen. Bei dieser Datenerfassung wurde die für den Kläger einbehaltene Lohnsteuer versehentlich mit dem 10-fachen Wert (153.550 DM statt 15.355 DM) eingegeben. Unter Einbeziehung der zutreffend eingegebenen Lohnsteuer der Klägerin und nach Aufrundung der anzurechnenden Lohnsteuer auf volle DM-Beträge wurde auf die in dem Änderungsbescheid festgesetzte Einkommensteuer unzutreffend einbehaltene Lohnsteuer in einer Gesamthöhe von 156.285 DM angerechnet. Die Anrechnung von Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer erfolgte zutreffend mit den ursprünglichen Beträgen. Die fehlerhafte Eingabe der einbehaltenen Lohnsteuer führte nach Abrechnung mit den bisher erstatteten bzw. gezahlten Beträgen zu einer weiteren Einkommensteuererstattung in Höhe von 70.995 € und zur Festsetzung von Erstattungszinsen nach § 233a AO in Höhe 14.182 €. Bei zutreffender Anrechnung der Lohnsteuer hätte sich eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 336 € sowie eine Festsetzung von Erstattungszinsen in Höhe von 58 € (35 Monate x 0,5 % x 336 €) ergeben. Der sich aus der fehlerhaften Anrechnung ergebende Erstattungsbetrag wurde auf das von den Klägern in ihrer Einkommensteuererklärung 1997 angegebene Bankkonto überwiesen.


Im Rahmen einer 2008 durchgeführten Überprüfung von hohen Auszahlungsbeträgen durch die zentrale Controlling- und Revisionsstelle des Landesamts für zentrale Dienste wurde der Beklagte auf die unrichtige Erfassung der anzurechnenden Lohnsteuer aufmerksam gemacht. Der Beklagte erließ daraufhin am 7. November 2008 gegenüber den zwischenzeitlich geschiedenen Klägern als Gesamtschuldnern eine geänderte Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1997. Dabei wurde der zu Unrecht erstattete Steuerbetrag in Höhe von 70.657,98 € zurückgefordert und zum 10. Dezember 2008 fällig gestellt. Die Änderung der Abrechnung stützte der Beklagte auf § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO. Verbunden mit der geänderten Abrechnung erfolgte eine auf § 233a Abs. 5 AO gestützte Neufestsetzung der Zinsen zur Einkommensteuer 1997. Die Zinsen wurden hierbei auf 26.441 € festgesetzt, was nach Abrechnung mit den bisher erstatteten Zinsen zu einer Nachforderung in Höhe von 40.623 € führte.


Mit Schreiben vom 9. bzw. 25. November 2008 legten die Kläger Einsprüche gegen die geänderte Anrechnungsverfügung ein. Der Beklagte behandelte diese als Antrag auf Erteilung eines Abrechnungsbescheides nach § 218 Abs. 2 AO. Mit Abrechnungsbescheid vom 15. Juli 2009 stellte der Beklagte die Rechtmäßigkeit der geänderten Anrechnungsverfügung vom 7. November 2008 fest. Den hiergegen gerichteten Einspruch vom 16. Juli 2009 wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 30. März 2010 als unbegründet zurück.


Am 14. April 2010 haben die Kläger Klage erhoben. Sie beantragen sinngemäß,


die geänderte Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1997 vom 7. November 2008 und den Abrechnungsbescheid vom 15. Juli 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. März 2010 aufzuheben.


Die Kläger sind der Auffassung, der Beklagte habe die Beträge zu Unrecht zurückgefordert. Die Rücknahme der ursprünglichen Anrechnungsverfügung sei nicht fristgerecht im Sinne des § 130 Abs. 3 AO erfolgt. Denn dem Beklagte seien bereits mit Ergehen des Einkommensteuerbescheides 1997 am 30. Juni 2002 alle Tatsachen bekannt gewesen, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes relevant gewesen seien. Darüber hinaus habe die vorgesetzte Dienstbehörde des Beklagten bereits vor dem Tätigwerden der zentralen Controlling- und Revisionsstelle des Landesamts für zentrale Dienste von dem Vorfall Kenntnis erlangt. Im Übrigen sei ein etwaiger Erstattungs- beziehungsweise Rückforderungsanspruch des Beklagten durch Zahlungsverjährung nach § 228 AO erloschen. Denn der Rückforderungsanspruch sei bereits mit seiner Entstehung in 2002 fällig geworden. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH (BFH vom 12. Februar 2008 VII R 33/06, BStBl II 2008, 504; vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BStBl II 2010, 382) stelle die in § 228 AO normierte Fünfjahresfrist eine absolute Verjährungsfrist dar.


Die Kläger sind zudem der Auffassung, dass ein auf § 37 Abs. 2 AO basierender Erstattungsanspruch nicht der Verzinsung nach § 233a AO unterliege.


Der Beklagte beantragt,


die Klage als unbegründet abzuweisen.


Die Rücknahme sei innerhalb der Frist des § 130 Abs. 3 AO erfolgt. Entscheidend für den Fristbeginn sei dabei nicht die Kenntnis der zur Rücknahme führenden Tatsachen, sondern die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des zur Entscheidung berufenen Sachbearbeiters der zuständigen Behörde. Im Streitfall habe der Beklagte erst am 4. August 2008 die Rechtswidrigkeit der mit dem Steuerbescheid vom 30. Juli 2002 verbundenen Anrechnungsverfügung erkannt. Die Änderung der Anrechnungsverfügung sei am 7. November 2008 und damit innerhalb dieser Frist erfolgt. Im Übrigen könne die Berichtigung der Anrechungsverfügung auch auf die Regelung des § 129 AO gestützt werden, da die fehlerhafte Lohnsteueranrechnung ganz zweifelsfrei auf ein mechanisches Versehen bei der Dateneingabe zurückzuführen sei.


Der Rückforderungsanspruch sei auch nicht zahlungsverjährt. Denn eine wirksame Entscheidung über das Bestehen des Rückerstattungsanspruchs sei erst durch die geänderte Anrechnungsverfügung vom 7. November 2008 erfolgt. Erst diese habe die Verjährungsfrist des § 228 AO ausgelöst.


Der Beklagte habe die geänderte Anrechnungsverfügung vom 7. November 2008 zu Recht mit einer geänderten Zinsfestsetzung verbunden. Denn gemäß § 233a Abs. 5 AO sei die Zinsfestsetzung zu ändern, wenn die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen zurückgenommen werde. Im Übrigen hätten die Kläger die geänderte Zinsfestsetzung nicht mit Einspruch angefochten.


Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe                                 

1. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die geänderte Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1997 und der Abrechnungsbescheid vom 15. Juli 2009 sind rechtmäßig. Die ursprüngliche Anrechnungsverfügung konnte gemäß § 130 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 AO zurückgenommen und dahingehend korrigiert werden, dass der zu Unrecht erstattete Steuerbetrag in Höhe von 70.657,98 € zurückgefordert wurden. Dem hat der Beklagte in dem angefochtenen Abrechnungsbescheid inhaltlich Rechnung getragen.


a) Die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO lagen im Streitfall vor. Nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.


Diese Regelung gilt auch für Anrechnungsverfügungen. Bei Anrechnungsverfügungen handelt es sich um Verwaltungsakte, deren Außenwirkung sich nach dem Ergebnis der Anrechnung in einem Leistungsgebot oder in einer Erstattung äußert (BFH vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BStBl II 1987, 405, 407).


Die die Kläger begünstigende Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1997 vom 30. Juli 2002 war - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - unzutreffend und mithin rechtswidrig. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Rechtswidrigkeit den Klägern bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war. Denn die fehlerhafte Eingabe der einbehaltenen Lohnsteuer führte nach Abrechnung mit den bisher erstatteten bzw. gezahlten Beträgen zu einer weiteren Einkommensteuererstattung in Höhe von 70.995 €, zur Festsetzung von Erstattungszinsen nach § 233a AO in Höhe 14.182 € und zu einer Gutschrift dieser Beträge auf dem von den Klägern in ihrer Einkommensteuererklärung 1997 angegebene Bankkonto. Selbst bei nur oberflächlicher Prüfung musste den Klägern bewusst gewesen sein, dass eine Minderung der Einkommensteuer im Rahmen des Einspruchsverfahrens in Höhe von 658 DM nicht zu einer derartigen Erstattung führen konnte. Soweit die Klägerin vorträgt, aufgrund ihrer seinerzeitigen familiären Situation keine Kenntnis von der Gutschrift erhalten zu haben, muss sie sich grobe Fahrlässigkeit entgegen halten lassen.


b) Die Rücknahme ist auch innerhalb der Rücknahmefrist erfolgt. Nach § 130 Abs. 3 AO ist die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nur innerhalb eines Jahres von dem Zeitpunkt an zulässig, in dem die Finanzbehörde von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen Kenntnis erhalten hat. Maßgebend ist dabei die Erkenntnis des zur Entscheidung berufenen Sachbearbeiters der zuständigen Behörde (vgl. BFH vom 28. September 1993 VII R 107/92, BFH/NV 1994, 751).


Im Streitfall hat der Beklagte als für die Durchführung der Besteuerung zuständiges Wohnsitzfinanzamt nach § 19 Abs. 1 AO am 4. August 2008 durch einen Hinweis der Innenrevision beim Landesamt für Zentrale Dienste die Rechtswidrigkeit der mit dem Steuerbescheid vom 30. Juli 2002 verbundenen Anrechnungsverfügung erkannt. Dieser Zeitpunkt der Kenntnisnahme hat die Jahresfrist des § 130 Abs. 3 AO in Gang gesetzt. Die Änderung der Anrechnungsverfügung ist am 7. November 2008 und damit innerhalb dieser Frist erfolgt.


Soweit die Kläger vortragen, alle anspruchsbegründenden Tatsachen seien dem Finanzamt bereits bei Erlass der ursprünglichen Anrechnungsverfügung bekannt gewesen, ist dies für die Berechnung der Frist unbeachtlich, da es dabei auf die Kenntnis der rechtswidrigen Umsetzung der Tatsachen ankommt (vgl. BVerwG vom 19. Dezember 1984 GrS 1 und 2/84, NJW 1985, 819 und daran anschließend die ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH vom 28. September 1993 VII R 107/92, BFH/NV 1994, 751, vom 21. Oktober 1999 VII B 133/99, BFH/NV 2000, 490, vom 9. Dezember 2008 VII R 43/07, BStBl II 2009, 344).


Der hier streitige Rückforderungsanspruch des Beklagten nach § 37 Abs. 2 AO ist erstmals durch die geänderte Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1997 vom 7. November 2008 fällig geworden und nicht durch den geänderten Einkommensteuerbescheid 1997 vom 30. Juli 2002. Denn der letztgenannte Bescheid, mit dem die Einkommensteuer 1997 auf 14.458 DM festgesetzt worden war, war isoliert betrachtet nicht Grundlage des (unrichtigen) Steuererstattungsanspruchs der Kläger. Dieser entstand nicht durch die Steuerfestsetzung, sondern durch die aufgrund eines mechanischen Versehens unzutreffende Anrechnungsverfügung. Weder der geänderte Einkommensteuerbescheid 1997 vom 30. Juli 2002 noch die Anrechnungsverfügung zu diesem Einkommensteuerbescheid führten zum Entstehen des streitigen Rückforderungsanspruchs.


Der Rückforderungsanspruch des Beklagten konnte vielmehr erst mit der nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO geänderten Anrechnungsverfügung vom 7. November 2008 entstehen, da erst zu diesem Zeitpunkt die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 AO vorlagen.


§ 37 Abs. 2 AO setzt eine Leistung ohne rechtlichen Grund voraus. Wann dies der Fall ist, ist umstritten (vgl. zum Theorienstreit etwa Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, FGO, § 37 AO Rn. 27 ff). Die Rechtsprechung des BFH ist uneinheitlich und zum Teil widersprüchlich. Teilweise wird die Auffassung vertreten, der rechtliche Grund fehle, wenn nach materiellem Recht kein entsprechender Anspruch bestehe (sog. materiellen Rechtsgrundtheorie, Nachweise bei Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, FGO, § 37 AO Rn. 27 ff). Demgegenüber sieht die sog. formelle Rechtsgrundtheorie in der die materiellen Rechtslage konkretisierenden Steuerfestsetzung den Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung. Die Tilgung einer in einem wirksamen Steuerbescheid festgesetzten Steuer sei auch dann nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt, wenn der Bescheid nicht der materiellen Rechtslage entspreche (Nachweise bei Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, FGO, § 37 AO Rn. 27 ff). Wenngleich der Ansatz beider Theorien völlig unterschiedlich ist, kommen sie in der Praxis insoweit zu gleichen Ergebnissen, als auch nach der materiellen Rechtsgrundtheorie der Grundsatz, dass jeder ohne rechtlichen Grund erfüllte Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zu erstatten ist, durch die Bestandskraft der Festsetzung dieses Anspruchs begrenzt wird. Ist eine Zahlung nach materiellem Recht "ohne rechtlichen Grund" erfolgt, so kann der Erstattungsanspruch nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der entsprechende Bescheid nach formellem Recht aufgehoben oder geändert werden kann (vgl. etwa BFH vom 29. Oktober 2002 VII R 2/02, BStBl II 2003, 43; Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, FGO, § 37 AO Rn. 34). Danach entsteht ein Rückzahlungsanspruch bei Leistungen, denen ein materiell rechtswidriger Verwaltungsakt zugrunde lag, erst mit einem abändernden oder aufhebenden Bescheid oder einem Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO.


Im Streitfall stand die (fehlerhafte) Anrechnungsverfügung vom 30. Juli 2002 dem Rückforderungsanspruch des Beklagten nach § 37 Abs. 2 AO entgegen.


Da der Rückforderungsanspruch des Beklagten nach § 37 Abs. 2 AO nicht vor seinem Entstehen fällig werden konnte, konnte die Frist zur Zahlungsverjährung daher gemäß § 229 Abs. 1 Satz 2 AO erst zu diesem Zeitpunkt in Gang gesetzt werden.


Diese Betrachtung widerspricht den von den Klägern zitierten Entscheidungen des BFH (BFH vom 12. Februar 2008 VII R 33/06, BStBl II 2008, 504; vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BStBl II 2010, 382) nicht. Der BFH hat in der letztgenannten Entscheidung zwar die bis dahin bestehende Auffassung aufgegeben, wonach die festgesetzte Einkommensteuer bei Ausweis einer zu geringen Abschlusszahlung insoweit nicht fällig werde und damit nicht zahlungsverjähren könne (BFH vom 18. Juli 2000 VII R 32, 33/99, BStBl II 2001, 133). In diesem Fall stelle die in § 228 AO normierte Fünfjahresfrist eine absolute Verjährungsfrist dar. Dies gelte nicht nur für die vom BFH mit Urteil vom 12. Februar 2008 (BFH vom 12. Februar 1008 VII R 33/06, BStBl II 2008) entschiedene Fallkonstellation der nachträglichen Anrechnung durch Steuerabzug entrichteter Beträge und einer daraus folgenden Verringerung der Abschlusszahlung, sondern könne auch eine Korrektur betreffen, die zu einer Erhöhung der Abschlusszahlung führe (BFH vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BStBl II 2010, 382).


Im Streitfall ging es indessen nicht um die Fälligkeit festgesetzter Einkommensteuer, sondern um eine aufgrund eines mechanischen Versehenes fehlerhafte Abrechnungsverfügung, die nur in einem äußeren Zusammenhang mit der Steuerfestsetzung stand. Anders als in dem vom BFH entschiedenen Fall erfolgte im Streitfall eine materiell-rechtliche Prüfung des Steuererstattungsanspruchs der Kläger erstmals - und damit konstitutiv - mit der geänderten Anrechnungsverfügung vom 7. November 2008. Der Gedanke des BFH, wonach das Institut der Zahlungsverjährung im Erhebungsverfahren dafür sorgen soll, dass nach Ablauf einer angemessenen Frist endgültig Rechtssicherheit darüber einkehrt, was der Steuerpflichtige aufgrund der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung anzurechnender Vorauszahlungen und Abzugssteuern noch zu zahlen hat (BFH vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BStBl II 2010, 382), kann nicht so verstanden werden, dass ein Anspruch bereits zahlungsverjähren kann, bevor er überhaupt entstanden ist. Abgesehen davon führte die Betrachtung des BFH, würde sie auch für Fallkonstellationen wie diese gelten, dazu, dass die Frist des § 130 Abs. 3 AO, die ihrerseits im Rahmen der Änderungsvorschrift des § 130 AO dem Gedanken des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit Rechnung trägt, letztlich ausgehöhlt würde. Denn wäre der BFH so zu verstehen, dass bereits die Änderungsmöglichkeit nach § 130 AO nicht nur der dort normierten Frist unterliegt, sondern zugleich der Zahlungsverjährungsfrist, wäre die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach Ablauf von fünf Jahren auch bei späterer Kenntnis der Finanzbehörde nicht mehr zulässig. Eine derartige Einschränkung ist nicht nur dem Gesetz nicht zu entnehmen, sie würde auch in unzulässiger Weise Festsetzungs- und Erhebungsverfahren vermengen.


e) Es kann im Streitfall dahinstehen, ob der Beklagte mit dem Abrechnungsbescheid zu Recht auch den Zinsbescheid geändert hat. Denn die Kläger haben nach Lage der Akten gegen die Zinsfestsetzung keinen Einspruch eingelegt. In dem Einspruchsschreiben vom 25. November 2008 haben die Kläger ausdrücklich nur Einwendungen gegen die geänderte Anrechnung erhoben und den Erlass eines Abrechnungsbescheids nach § 218 Abs. 2 AO beantragt. Die mit Bescheid vom 7. November 2008 geänderte Zinsfestsetzung ist mithin in Bestandskraft erwachsen.


2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


Der Senat hat die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, ob die Rechtsprechung des BFH, wonach eine Änderung der Anrechnungsverfügung nach Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist unzulässig sei (BFH vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BStBl II 2008, 504), auch für den Fall der Rücknahme einer Anrechnungsverfügung unter Berücksichtigung lediglich fiktiver Steueranrechnungsbeträge gilt (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

JurPC Web-Dok.
103/2011,   Abs. 31


[ online seit: 21.06.2011 ]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Saarlandes, Finanzgericht des, Rückforderung einer wegen fehlerhafter Dateneingabe überhöhten Steuererstattung - JurPC-Web-Dok. 0103/2011