JurPC Web-Dok. 193/2007 - DOI 10.7328/jurpcb/20072212195

LSG Rheinland-Pfalz
Beschluss vom 10.09.2007

L 4 R 447/06

Verspätete Berufung durch Formfehler bei E-Mail - qualifizierte elektronische Signatur

JurPC Web-Dok. 193/2007, Abs. 1 - 15


§ 130 a ZPO
§ 2 rp VO über den elektronischen Rechtsverkehr vom 22.12.2003
§ 4 rp VO über den elektronischen Rechtsverkehr vom 22.12.2003

Leitsätze

  1. Eine nicht qualifiziert elektronisch signierte E-Mail genügt nicht den Formerfordernissen für eine wirksame Berufung.
  2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Berufungsfrist ist nicht zu gewähren, wenn trotz ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung die Berufung durch eine nicht qualifiziert elektronisch signierte E-Mail erfolgt und diese am letzten Tag der Berufungsfrist nach Geschäftsschluss beim Berufungsgericht eingeht, so dass auf den Mangel der Form nicht mehr innerhalb der Berufungsfrist hingewiesen werden konnte.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Hauptsacheverfahren über die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI). Im Vordergrund des Berufungsverfahrens steht die Frage der Zulässigkeit der Berufung des Klägers. JurPC Web-Dok.
193/2007,  Abs. 1
Einen Antrag des Klägers vom Dezember 2003 auf Gewährung von Rente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.01.2004 und Widerspruchsbescheid vom 25.06.2004 ab. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Koblenz, gestützt auf Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie ärztliche Gutachten, mit Gerichtsbescheid vom 08.11.2006 abgewiesen, da der Kläger noch mindestens 6 Stunden arbeitstäglich leichten körperlichen Tätigkeiten unter Beachtung zusätzlicher Leistungsausschlüsse gewachsen sei und mithin die Voraussetzungen einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§§ 43; 240 SGB VI) nicht vorlägen. Abs. 2
Der Gerichtsbescheid wurde dem Kläger am 16.11.2006 zugestellt. Am Montag, dem 18.12.2006 wurde von einer Frau E   W      durch einfache, nicht elektronisch signierte E-Mail an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt. Nach Rückfragen hat der Kläger mit am 30.01.2007 beim LSG eingegangenem Schreiben mitgeteilt, die von Frau W      eingelegte Berufung bleibe aufrecht erhalten. Aus Unkenntnis, was eine qualifizierte digitale Signatur sei, habe er Frau W      wegen drohenden Fristablaufs gebeten, die Berufung per E-Mail einzulegen. Zudem leide er an psychischen Störungen. Abs. 3
Der Kläger beantragt, Abs. 4
ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Berufungsfrist gegen des Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 08.11.2006 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, Abs. 5
den Antrag abzulehnen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf den Inhalt der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten (Az.: 53 190451 B 014) sowie der Prozessakte, der Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung war. Abs. 6

II.

Der Antrag des Klägers ist abzulehnen, da die Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung hier nicht vorliegen. Abs. 7
Nach § 67 Abs. 1 SGG ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist nach § 67 Abs. 2 SGG binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrages sollen glaubhaft gemacht werden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Berufungsfrist ist dem Kläger nicht zu gewähren, da er nicht ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs. 1 SGG). Dies ist der Fall, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist. Abs. 8
Da der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 08.11.2006 dem Kläger am 16.11.2006 zugestellt worden ist, endete die Berufungsfrist von einem Monat (§ 151 Abs. 1 SGG) am Montag, dem 18.12.2006. Die formgerecht eingelegte Berufung des Klägers mit Telefax vom 29.01.2007 ging aber erst am 30.01.2007 und damit verspätet beim LSG ein. Die nach den Angaben des Klägers auf seine Veranlassung am 18.12.2006 beim LSG eingegangene E-Mail der Frau W      stellt keine formgerechte Berufungseinlegung dar. Abs. 9
Nach §§ 130 a Zivilprozessordnung (ZPO); 202 SGG i.V.m. §§ 2 Satz 1; 4 der rheinland-pfälzischen Landesverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr vom 22.12.2003 sowie Nr. 3 deren Anlage zu § 4 sind die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz zu versehen, soweit das Gesetz Schriftform vorsieht. Im Übrigen sollen die elektronischen Dokumente mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen werden. Da für die Berufung die Schriftform vorgeschrieben ist (§ 151 Abs. 1 SGG), ist also für die Einlegung durch email eine qualifizierte digitale Signatur erforderlich. Die rheinland-pfälzische Verordnung verweist hinsichtlich der Art und Form der Signatur auf § 2 des Gesetzes über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturgesetz), der wie folgt lautet: Abs. 10
"Im Sinne des Signaturgesetzes sind
    
 1.   "elektronische Signaturen" Daten in elektronischer Form, die anderen
       elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft
       sind und die zur Authentifizierung dienen,
      
 2.   "fortgeschrittene elektronische Signaturen" elektronische Signaturen
       nach Nummer 1, die
   
       a)  ausschließlich dem Signaturschlüssel-Inhaber zugeordnet sind,
   
       b)  die Identifizierung des Signaturschlüssel-Inhabers ermöglichen,
      
       c)  mit Mitteln erzeugt werden, die der Signaturschlüssel-Inhaber
           unter seiner alleinigen Kontrolle halten kann, und
      
       d)  mit den Daten, auf die sie sich beziehen, so verknüpft sind, dass
           eine nachträgliche Veränderung der Daten erkannt werden kann,
      
 3.   "qualifizierte elektronische Signaturen" elektronische Signaturen
       nach Nummer 2, die
      
       a)  auf einem zum Zeitpunkt ihrer Erzeugung gültigen qualifizierten
           Zertifikat beruhen und
      
       b)  mit einer sicheren Signaturerstellungseinheit erzeugt werden..."  
  
Abs. 11
Die E-Mail der Frau W      entsprach nicht diesen Vorgaben, da sie nicht digital signiert war. Da sie am letzten Tag der Berufungsfrist erst nach Dienstende am LSG um 19:02 Uhr einging, konnte Frau W      auch erst am nächsten Tag, mithin erst nach Ablauf der Berufungsfrist auf den Formmangel hingewiesen werden. Abs. 12
Der Kläger war nicht ohne Verschulden verhindert, die Berufungsfrist einzuhalten, da er nicht diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist. In der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Gerichtsbescheids ist ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass eine durch E-Mail eingelegte Berufung zur Wirksamkeit qualifiziert digital signiert sein müsse. Wenn der Kläger, was glaubhaft ist, nicht wusste, welche Erfordernisse damit verbunden sind, wäre es ihm innerhalb der Berufungsfrist möglich und zumutbar gewesen, sich zu informieren oder ein ihm bekanntes Medium wie Post oder Telefax zu benutzen, statt erst wenige Stunden vor Ablauf der Berufungsfrist das Risiko einzugehen, einen ihm unbekannten Zugangsweg zum Berufungsgericht zu wählen. Abs. 13
Der Wiedereinsetzungsantrag ist daher zurückzuweisen. Abs. 14
Gegen diesen Beschluss ist keine weitere Beschwerde statthaft (§ 177 SGG).
JurPC Web-Dok.
193/2007,  Abs. 15
[ online seit: 04.12.2007 ]
Zitiervorschlag: Rheinland-Pfalz, LSG, Verspätete Berufung durch Formfehler bei E-Mail - qualifizierte elektronische Signatur - JurPC-Web-Dok. 0193/2007