JurPC Web-Dok. 70/2005 - DOI 10.7328/jurpcb/200520669

Dominik Eickemeier *

Anmerkung zum Urteil des OLG Köln (6 U 88/04) vom 05.11.2004

JurPC Web-Dok. 70/2005, Abs. 1 - 7


1. Das OLG Köln hatte insofern in einer ungewöhnlichen Situation zu entscheiden, als sowohl das streitgegenständliche Verhalten als auch die erstinstanzliche Entscheidung zum alten UWG, die Entscheidung in der Berufungsinstanz jedoch aufgrund fehlender Übergangsvorschriften nach neuem UWG zu erfolgen hatte. Das OLG hat zunächst materiell-rechtlich die strenge Rechtsprechung des BGH zum "mutmaßlichen Interesse" bei Maßnahmen des Direktmarketings bestätigt und fortgeschrieben. Es scheint sich abzuzeichnen, dass es nur sehr schwer möglich sein wird, außerhalb einer bestehenden Geschäftsbeziehung von einem solchen mutmaßlichen Interesse berechtigter Weise auszugehen. Direktmarketingmaßnahmen nutzenden Unternehmen ist durch Schaffung des § 7 UWG nochmals deutlich gemacht worden, dass das sogenannte "Cold Calling" wettbewerbsrechtlich nicht erwünscht ist. Die auch bisher schon strenge Rechtsprechung der Instanzgerichte sowie des BGH wurde durch § 7 UWG festgeschrieben und (bzgl. E-Mails) sogar verschärft. War vormals zumindest gegenüber Gewerbetreibenden das Zusenden einer E-Mail dann für zulässig erachtet worden, wenn ein Einverständnis des Gewerbetreibenden zu vermuten war, schneidet § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG den Direktwerbenden diese Verteidigung nunmehr ab. JurPC Web-Dok.
70/2005, Abs. 1
Zwar wird die bestehende Geschäftsbeziehung in der Rechtsprechung zumeist lediglich als Beispiel eines sachlich rechtfertigenden Interesses des Gewerbetreibenden an einer Kontaktaufnahme genannt, jedoch sind kaum Entscheidungen bekannt, in denen außerhalb einer solchen Geschäftsverbindung ein entsprechendes Interesse angenommen wurde. Die Entscheidung des AG Bergisch Gladbach vom 04.12.2003, veröffentlicht in GRUR-RR 2004, 188 stellt hier eine durchaus überzeugend begründete Ausnahme dar. In dieser Entscheidung wurde ein Rechtsanwalt von einem Mandatsvermittlungsservice während der üblichen Bürozeiten angerufen und gefragt, ob er an der Vermittlung von Mandaten interessiert sei. Das AG Bergisch Gladbach hat ein vermutetes Einverständnis angenommen. Ist dies so fernliegend? Abs. 2
Wenn man die Wehrhaftigkeit von Gewerbetreibenden, während ihrer Tätigkeit betroffen, nicht unterschätzt, spricht vieles dafür, das Telefonmarketing - in vernünftigem Maße - auch über bestehende Geschäftsverbindungen hinaus moderat zuzulassen. Gerade im Rahmen einer geschäftlichen Tätigkeit ist der so Angesprochene besser in der Lage, eine unerwünschte Werbung abzuweisen, als dies in seinem Privatbereich der Fall ist. Werden schon die meisten Telefonanrufe an der Zentrale "hängen bleiben", so dürfte der Gewerbetreibende durchaus in der Lage sein, die verbleibenden Anrufe sachgerecht zu beurteilen und entsprechend auf sie zu reagieren. Zumindest bei tätigkeitsnahen Waren oder Dienstleistungen hält der Unterzeichner es für denkbar, den zulässigen Korridor ein wenig zu erweitern. So könnte etwa ein Rechtsanwalt durchaus in der Lage sein, Angebote auf Aufnahme in Spezialistenverzeichnisse, Empfehlungslisten etc. richtig zu beurteilen und seinen persönlichen Vorstellungen nach über eine solche Aufnahme entscheiden. Die Frage, wieweit dieser Kreis zu ziehen, wird sicherlich die Gerichte in den nächsten Jahren noch häufig beschäftigen. Abs. 3
Ist bei Telefonanrufen die Anwendung der Bagatellklausel des § 3 UWG wohl nur in Ausnahmefällen vorstellbar, könnte dies bei der - als weniger direkt und belastend empfundenen und zudem für den Absender schwieriger zu kontrollierenden E-mail anders zu beurteilen sein. Es stellt sich die Frage, ob das einmalige Zusenden einer E-Mail einen Bagatellverstoß nach § 3 UWG darstellen kann, auf den § 7 Abs. 1 UWG bekanntlich verweist. Vereinzelt ist das Vorliegen eines Verfügungsgrundes bei nur einmaliger Zusendung von E-Mails abgelehnt worden (etwa LG Düsseldorf, Beschluss vom 06.02.2003, Az. 13 O 39/03; weitere Nachweise bei Harte/Henning/Ubber, § 7 UWG, Rdnr. 172). Auch die Bundesregierung hält dies für möglich, wie sie in ihrer Antwort auf die große Anfrage der Opposition (Bundestagsdrucksache 15/4092) auf Seite 10 mitteilt. Abs. 4
2. Nahezu unbemerkt hat die Klagebefugnis der Verbände nach §§ 8  Abs. 3 Nrn. 2 und 3 UWG offensichtlich eine systemfremde Erweiterung erfahren. Sahen § 13 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG a.F. noch vor, dass nur solche Handlungen angegriffen werden konnten, die geeignet waren, den Wettbewerb auf dem betroffenen Markt wesentlich zu beeinträchtigen bzw. bei Verbraucherverbänden, soweit wesentliche Belange der Verbraucher berührt wurden, sind diese Einschränkungen mit der Schaffung der Bagatellklausel in § 3 UWG fortgefallen. Auch die Bedenken des Bundesrates (vgl. Seite 33 der Bundestagsdrucksache 15/1487 zu Ziffer 20) konnten die Bundesregierung nicht umstimmen (vgl. Seite 42 der Bundestagsdrucksache 15/1487). Bemerkenswert ist die Begründung der Bundesregierung für die vom Bundesrat vorgeschlagene Beschränkung der Klagebefugnis der Verbraucherverbände bestehe kein Anlass, weil diese in der Vergangenheit sehr maßvoll von ihrer Klagebefugnis Gebrauch gemacht hätten. Diese Begründung verwundert, da das Fehlen einer Missbrauchsvermutung in der Regel nicht dazu führt, dass einem Rechtssubjekt weitergehende Rechte (an deren Geltendmachung dieses Rechtssubjekt vermutlich gar kein Interesse hat) eingeräumt werden. Offensichtlich sah man sich nicht in der Lage, die Formulierungen der Bagatellklausel in § 3 UWG sowie weitere Einschränkungen in § 8 UWG kurzfristig besser aufeinander abzustimmen. Die Kommentarliteratur schließt wie das OLG Köln aus der Änderung, dass die Klagebefugnis der Verbraucherverbände erweitert wurde (Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 8 UWG, Rdnr. 3.52; Harte/Henning/Ubber, § 8 UWG, Rdnr. 299; Fezer/Büscher, § 8 UWG, Rdnr. 218). Missbräuche sollen über § 8 Abs. 4 UWG abgefangen werden. Lediglich Lettl (in GRUR 2004, 449, 460) will die Klagebefugnis demgegenüber davon abhängig machen, dass der Wettbewerb nicht nur unerheblich zum Nachteil der Verbraucher berührt wird. Im Ergebnis darf die Gesetzesänderung nicht dazu führen, dass Verbraucherverbände auch solche Verstöße geltend machen können, die überhaupt keine Verbraucherinteressen berühren. Ein solches Vorgehen wäre auch nicht vom Satzungszweck eines Verbraucherverbandes gedeckt. Es kann daher gespannt abgewartet werden, wie sich die Verbraucherverbände hier verhalten. Abs. 5
Bemerkenswert sind die Überlegungen des OLG Köln zur Feststellung des Streitgegenstandes. Hatte die Vorinstanz den Telefonanruf der Beklagten bei der Zeugin X. noch unabhängig davon als unlauter und als von der Klägerin verfolgbar angesehen, unter welcher Rufnummer der Anruf bei der Zeugin erfolgt war, unterscheidet das OLG hier. Die Frage, ob ein Verbraucher oder ein Gewerbetreibender angerufen wurde, beurteilt das OLG danach, welche Rufnummer (eine private oder aber gewerblich genutzte) die Beklagte angewählt hat. Da es davon ausgehen musste, dass - nach in 2. Instanz zugestanden möglicher Rufumleitung - ein Anruf bei einem Gewerbetreibenden erfolgte (zumindest beabsichtigt war), sah es den Klagevorwurf als nicht erfüllt an. Es erlegt damit dem Anschlussinhaber die Verantwortung dafür auf, ob eine Rufnummernumleitung von einer gewerblichen auf eine private Nummer erfolgt. Dieses Ergebnis erscheint richtig. Zum einen unterscheidet § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG (ebenso wie die Rechtsprechung des BGH zuvor) deutlich zwischen Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern und stellt für die beiden Fälle unterschiedliche Voraussetzungen auf, zum anderen bürdete man dem Direktmarketingbetreibenden ein nicht kalkulierbares und nicht zu beherrschendes Risiko auf, indem man bei einer Rufumleitung auf einen Privatanschluss von einem Telefonanruf bei Verbrauchern ausginge. Der Gewerbetreibende oder andere Marktteilnehmer hat es in der Hand, seine gewerblich genutzte Telefonnummer weiterzuleiten oder mit einer Mailbox zu verbinden etc. Der Werbung Treibende hat hierauf keinen Einfluss und kann einer gewerblichen Telefonnummer nicht ansehen, ob sie letztendlich zu einer Privatperson führt. Wer als Gewerbetreibender oder anderer Marktteilnehmer eine Telefonnummer publik macht, der signalisiert damit, dass er für Geschäftsabschlüsse und interessante Angebote offen ist. Er wird bei Annahme von Telefongesprächen nicht in seiner Privatsphäre betroffen, sondern rechnet mit derartigen Offerten anderer Gewerbetreibender. Dementsprechend wird er sich auch gegen nicht erwünschte Angebote zur Wehr setzen können. Soweit ein Anschluss privat und gewerblich genutzt wird, will die Literatur darauf abstellen, ob ein Anruf noch zu den üblichen Geschäftszeiten erfolgt (vgl. Harte/Henning/Ubber, § 7 UWG, Rdnr. 126; Baumbach/Hefermehl/Köhler, § 7 UWG, Rdnr. 50). Dies erscheint jedoch zu kurz gegriffen. In der heutigen Dienstleistungsgesellschaft dürfte es in vielen Marktbereichen üblich sein, weit über die "typischen" Geschäftszeiten hinaus geschäftliche Gespräche zu führen. Ein Gewerbetreibender, der nach den üblichen Geschäftszeiten an das Telefon geht, wird eine für ihn attraktive Offerte sicherlich nicht ausschlagen. Hiermit geht allerdings auch einher, dass zu ungewöhnlicher Zeit erfolgende Anrufe noch möglich sein dürften. Der Anschlussinhaber hat es zu jeder Zeit in der Hand, Anrufe anzunehmen. ISDN und DSL-Anlagen sind heute bei Gewerbetreibenden oder Freiberuflern sicherlich der Standard, weshalb es ohne weiteres möglich ist, zu erkennen, ob ein Anrufer über eine umgeleitete Nummer oder auf einer ausschließlich gewerblich genutzten Nummer anruft oder aber die für private Kontakte vorbehaltene Nummer nutzt. Abs. 6
Entsprechendes dürfte auch für Mobilfunknummern gelten. Sofern eine Mobilfunknummer im geschäftlichen Verkehr genutzt wird, können Werbeanrufe auf dieser Nummer keine Anrufe bei Verbrauchern im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG darstellen. Da auch Ansprechpartner bei Gewerbetreibenden als Privatpersonen Verbraucher sind, ist diese Unterscheidung notwendig, um dem Auftrag des Gesetzgebers nachkommen zu können, zwischen Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern unterscheiden zu können. Der Anschlussinhaber selbst hat es in der Hand, die geltenden Regeln für werbende Anrufe festzulegen. Soweit er eine Rufnummer ausschließlich privat nutzt, darf sie nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG nur mit dessen Einwilligung zu Werbezwecken angewählt werden. Diese klare Unterscheidung erübrigt auch die sehr schwierige und praktisch kaum handhabbare Abgrenzung zwischen solchen Waren oder Dienstleistungen, die ausschließlich Unternehmen interessieren und solchen, die sowohl für Verbraucher als auch für Gewerbetreibende oder aber nur für Verbraucher interessant sind. Den Direktmarketingunternehmen ermöglicht diese Sichtweise ein rechtssichereres Arbeiten in einem immer enger werdenden Markt.
JurPC Web-Dok.
70/2005, Abs. 7
* Rechtsanwalt Dominik Eickemeier ist Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek in Köln. Er war an dem Verfahren als Vertreter beteiligt.
[online seit: 10.06.2005 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Eickemeier, Dominik, Anmerkung zu OLG Köln - 6 U 88/04 - - JurPC-Web-Dok. 0070/2005