JurPC Web-Dok. 251/2003 - DOI 10.7328/jurpcb/20031812331

VG Hamburg
Beschluss vom 01.07.2003

4 VG 4640/02

Errichtung einer Mobilfunkanlage

JurPC Web-Dok. 251/2003, Abs. 1 - 103


VwGO § 80 Abs. 3

Leitsatz (der Redaktion)

Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist im Rahmen der Abwägung der beteiligten privaten und öffentlichen Interessen das Interesse der Privaten an einer Aussetzung der Vollziehung der Baugenehmigung für den Bau einer Mobilfunkanlage angesichts der fraglichen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit wegen Beeinträchtigung des Nachbarrechts der Betroffenen infolge der ungeklärten gesundheitlichen Auswirkungen des Betriebs einer solchen Anlage höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einem sofortigen Baubeginn.

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche, die sie gegen die der Beigeladenen zu 1) erteilten Baugenehmigung eingelegt haben. Diese Genehmigung hat die Errichtung und Inbetriebnahme einer Mobilfunkanlage (D-Netz, UMTS) zum Gegenstand.
JurPC Web-Dok.
251/2003, Abs. 1
Die Antragsteller sind Eigentümer von Wohnungen eines mehrgeschossigen Wohnhauses im Bezirk Eimsbüttel. Das Haus grenzt zum Teil direkt an das Haus XXXstraße 76. Das Wohnhaus der Antragsteller, welches vor rund 100 Jahren erbaut worden sein dürfte, befindet sich im Bereich des Baustufenplans Harvestehude-Rotherbaum (Verordnung vom 06.09.1955, HmbGVBl. S. 294). Für den Baublock, in dem sich das Gebäude befindet, weist der Baustufenplan ein Wohngebiet mit viergeschossiger geschlossener Bebauung aus. Der Baublock liegt des Weiteren im Gebiet der Verordnung über die Erhaltung baulicher Anlagen in Rotherbaum und Harvestehude vom 12. August 1997 (HmbGVBl. S. 410).Abs. 2
Am 1. Oktober 2001 beantragte die Beigeladene zu 1) bei der Antragsgegnerin die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Basisstation für das Mobilfunknetz D1. Der Antrag werde gestellt, da die Abstrahlleistung der Anlage mehr als 10 Watt betrage. Die Station soll auf dem Grundstück XXXstraße 76 untergebracht und aus drei Antennen sowie einem Technikraum ("Versorgungseinheit") bestehen. Der Technikraum soll in einem Dachbodenraum untergebracht werden. Die Höhe des Daches, auf welchem die Antennen montiert werden sollen, beträgt gut 23 m. Der Giebel des Hauses der Antragsteller überragt das Dach, auf dem die Antennen platziert werden sollen, um knapp 5 Meter.Abs. 3
In der Baubeschreibung, die dem Baugenehmigungsantrag beigefügt ist, wird u.a. ausgeführt, dass die Beigeladene zu 1) vom Bundesministerium für Post und Telekommunikation beauftragt worden sei, das Mobilfunknetz D1 flächendeckend zu errichten. Das Funktelefonnetz werde nach einem weltweit genormten Standard als sogenanntes zellulares Netz errichtet. Eine Basisstation decke ein bestimmtes geografisches Gebiet ab. Der Zellendurchmesser betrage je nach geografischen Verhältnissen und funktechnischen Voraussetzungen für den Innenstadtbereich ca. 0,3 km. Jeweils mehrere Basisstationen seien mit einer Mobilvermittlungsstelle über digitale Schaltkreise und Leitungen verbunden. Anhand von Tests und Computersimulationen sei ermittelt worden, dass das Gebäude XXXstraße 76 eine optimale funktechnische Abdeckung im umliegenden Bereich biete. Bei den geplanten Antennen handele es sich um drei Sektorenantennen (T1, T2 und T3), die jeweils 1,3 m lang, 0,15 m breit und 0,69 m tief seien. Die Antennen für die Sektoren 60 o, 180 o und 300 o würden an je einem Antennentragrohr montiert werden. Im Technikraum sollen die Funkausrüstungen in Stahlschränken untergebracht werden. Mit den Antennen und der gesamten Ausrüstung werde empfangen, gesendet und die Funkübertragungsqualität verstärkt und überwacht.Abs. 4
Aus den beigezogenen Unterlagen der Beigeladenen zu 2) ergibt sich, dass die Spitzenleistung pro Kanal und Antenne am Senderausgang 20 Watt betragen soll. Als Betriebsfrequenz seien 2140 MHz (Mittelfrequenz) vorgesehen.Abs. 5
Auf Nachfrage des Gerichts hat die Beigeladene zu 2) durch Schriftsatz vom 28. Mai 2003 mitgeteilt, dass die Frequenz der streitgegenständlichen Sendefunkanlage im FDD-Spektrum (FDD = frequency division duplex mode) liegen werde. Bei dieser Betriebsart werde ein ungepulstes Modulationsverfahren angewendet werden (Bl. 1239 d. Gerichtsakte).Abs. 6
Der geringste Abstand von einer Sendeantenne (T 3) zur Außenwand des Hauses der Antragsteller wird in etwa 10 m betragen. Die sich über zwei Geschosse erstreckende Wohnung der Antragstellerin zu 6), die von dieser Außenwand begrenzt wird, liege im Strahlbereich dieser Antenne.Abs. 7
Am 15. November 2001 erteilte die Beigeladene zu 2) für die Hochfrequenzanlage eine - erste - Standortbescheinigung. Darin wird nach § 59 TKG i.V.m. § 6 TKZulV die Einhaltung der Personenschutzgrenzwerte bescheinigt. Für den Gesamtstandort wurde darin folgender Sicherheitsabstand festgelegt: 6,56 Meter (ohne Winkeldämpfung) und 1,47 Meter in vertikaler Richtung (mit Winkeldämpfung). In der Bescheinigung wird ausgeführt, dass bei Einhaltung des Sicherheitsabstandes die dem Standortbescheinigungsverfahren zugrunde gelegten Grenzwertanforderungen erfüllt seien. Nach den derzeitigen wissenschaftlich anerkannten Grenzwerten, die den heutigen Stand von Forschung und Technik darstellten, könne außerhalb des Sicherheitsabstandes von keiner Gesundheitsgefährdung ausgegangen werden. Die Standortbescheinigung legte die Beigeladene zu 1) der Antragsgegnerin am 21. November 2001 vor.Abs. 8
Unter dem 11. Januar 2002 erließ die Antragsgegnerin einen widerruflichen Baugenehmigungsbescheid für die Errichtung der beantragten Mobilfunkstation. Der Widerruf werde ausgesprochen, wenn und soweit neue Rechtsvorschriften, technische Baubestimmungen oder allgemein anerkannte Regeln der Technik über gesundheitliche Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf Menschen für die genehmigte Anlage zu weitergehenden Anforderungen führen würden. Im Bescheid wird des Weiteren darauf hingewiesen, dass die nach § 7 Abs. 1 der 26. Verordnung zur Durchführung des BImSchG (26. BImSchV) erforderliche Anzeige zusammen mit der Standortbescheinigung beim Gesundheits- und Umweltamt der Antragsgegnerin einzureichen sei.Abs. 9
Am 15. Oktober 2002 teilte die Beigeladene zu 1) der Antragsgegnerin mit, dass am 1. November 2002 mit der Ausführung des Vorhabens begonnen werden solle und die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke von dem Vorhaben unterrichtet worden seien. Ende Oktober 2002 meldete sich der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin, die ihm den Baugenehmigungsbescheid zur Kenntnisnahme übersandte.Abs. 10
Am 30. Oktober 2002 legten die Antragsteller gegen den Baugenehmigungsbescheid Widerspruch ein und beantragten bei der Antragsgegnerin - bislang ohne Ergebnis - die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche.Abs. 11
Die Antragsteller haben am 1. November 2002 den vorliegenden Antrag bei Gericht gestellt: Die Baugenehmigung sei rechtswidrig. Sie widerspreche u.a. dem Bauplanungs- und Bauordnungsrecht. Gesundheitsschädigungen der Bewohner und Wertverluste des Hauses seien zu befürchten. Die Antragstellerin zu 6) würde die Wohnung zusammen mit ihrem schwer erkrankten Mann bewohnen. Ihr Schlafplatz würde sich im Abstand von neun Metern von den Antennen befinden.Abs. 12
Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. Oktober 2002 gegen die von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 11. Januar 2002 anzuordnen,

hilfsweise: die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Nutzung/ Inbetriebnahme anzuordnen.

Abs. 13
Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Abs. 14
Die Anlage sei bauplanungsrechtlich ausnahmsweise zulässig. Nach der aktuellen Fassung der Baunutzungsverordnung (BauNVO), die zugrunde zu legen sei, könne die Anlage zugelassen werden. Aus der Standortbescheinigung ergebe sich, dass die Anlage keine Störungen verursache. Ein Baustopp im Rahmen des Eilverfahrens könne auch deshalb nicht verlangt werden, weil keine bleibenden Tatsachen geschaffen würden.Abs. 15
Die Beigeladene zu 1) beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Abs. 16
Die erteilte Baugenehmigung sei offensichtlich rechtmäßig. Die Anlage sei bauplanungsrechtlich nicht relevant, da die Antennen aufgrund der geringen Ausmaße kaum wahrnehmbar seien. Jedenfalls sei sie aber nach der BauNVO als Nebenanlage zulässig. Durch die Station werde auch keine Gefahr für die Gesundheit der Antragsteller begründet.Abs. 17
Die Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag. Am 24. Januar 2003 hat sie für die beantragte Anlage eine neue Standortbescheinigung erteilt. Für den Gesamtstandort wurde darin folgender neuer Sicherheitsabstand festgelegt: 6,49 Meter (ohne Winkeldämpfung) und 1,45 Meter in vertikaler Richtung (mit Winkeldämpfung). Der Abstand habe sich verringert, weil die Vorbelastung durch andere Strahlungsquellen gesunken sei.Abs. 18
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zu 2) verwiesen.Abs. 19

II.

Der Antrag der Antragsteller hat Erfolg. Denn er ist zulässig (1.) und ist auch von der Sache her begründet (2.).
Abs. 20
1. Der Antrag ist nach § 80a Abs. 3 VwGO zulässig.Abs. 21
Nach § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) hat ein Widerspruch gegen eine bauaufsichtliche Genehmigung (Baugenehmigung) keine aufschiebende Wirkung. Zwar kann die (Bauaufsichts-)Behörde nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO auf Antrag des Dritten gemäß § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen. Dies ist aber bislang nicht geschehen ist. Das Gericht kann deshalb nach § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO auf Antrag des Dritten selbst solche Maßnahmen treffen.Abs. 22
2. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.Abs. 23
Einem Antrag nach § 80a Abs. 3 VwGO ist stattzugeben, sofern die streitige Baugenehmigung offensichtlich Nachbarrechte verletzt. Denn in diesem Fall kann ein überwiegendes Interesse des Bauherrn oder der Öffentlichkeit an einer sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung nicht bestehen. Umgekehrt ist der Antrag des Nachbarn abzulehnen, wenn die Baugenehmigung offensichtlich rechtmäßig ist oder den Nachbarn jedenfalls nicht in eigenen Rechten verletzt. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens über den Rechtsbehelf des Nachbarn hingegen offen, hat das Gericht eine Abwägung der beteiligten privaten und öffentlichen Interessen vorzunehmen, die für oder gegen eine sofortige Ausnutzung der Baugenehmigung sprechen. Bei dieser Abwägung hat das Gericht zum einen das Gewicht der beteiligten Interessen und das konkrete Ausmaß ihrer Betroffenheit zu berücksichtigen. Zum anderen hat es zu würdigen, ob der Rechtsbehelf des Nachbarn - auch unter Berücksichtigung des von ihm eventuell glaubhaft gemachten Tatsachenvorbringens - wahrscheinlich Erfolg haben wird.Abs. 24
Die Kammer hält den Ausgang des Hauptsacheverfahrens vorliegend für offen (a.). Die Folgenabwägung ergibt, dass die Interessen der Antragsteller höher zu bewerten sind als die Interessen an einer sofortigen Errichtung und Inbetriebnahme der Hochfrequenzanlage (b.).Abs. 25
a. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist offen. Denn es ist darin zahlreichen schwierigen Rechtsfragen nachzugehen, die sich insbesondere aus der Anwendung des hamburgischen Bauplanungsrechtes ergeben. Zu wessen Gunsten die Prüfung ausgehen wird, kann derzeit nicht abgesehen werden. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen an der rechtlichen Zulässigkeit der Hochfrequenzanlage allerdings erhebliche Zweifel.Abs. 26
Nach § 69 Abs. 1 HBauO hätte die angefochtene Baugenehmigung nur erteilt werden dürfen, wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Es ist zwar davon auszugehen, dass die Anlage gegenüber den Wohnungen und dem Grundstück der Antragsteller - die Drittschutz vermittelnden - immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte einhält (aa.), es ist aber offen, ob das Vorhaben nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des hamburgischen Bauplanungsrechtes verstößt (bb.).Abs. 27
aa. Es kann davon ausgegangen werden, dass die geplante Mobilfunksendeanlage - die keiner Genehmigungspflicht nach § 4 BImSchG unterliegt, sodass für sie die Vorschriften der §§ 22 ff. BImschG gelten - die Vorschriften der Verordnung über elektromagnetische Felder vom 16.12.1996 (BGBl. I S. 1966 - 26. BImSchV) einhält.Abs. 28
(1) Die 26. BImSchV konkretisiert das vom Normgeber für erforderlich gehaltene Maß dessen, was an Umwelteinwirkungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG für die Nachbarschaft zumutbar ist. Nach der seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung können bei Einhaltung dieser Verordnung - jedenfalls soweit sie drittschützend ist - keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Sendeanlagen für den Mobilfunk erkannt werden (vgl. VGH München, Beschl. vom 08.07.1997, NVwZ 1998, 419; VG Schleswig, Urt. vom 22.08.1997, NVwZ 1998, 434; OVG Dresden, Beschl. vom 17.12.1997, DÖV 1998, 431; VGH Mannheim, Urt. vom 15.04.1997, NVwZ 1998, 416; VGH Kassel, Beschl. vom 29.07.1999 - 4 TG 2118/99 -; VG Gießen, Beschl. vom 29.08.2000 - 1 G 2224/00 -; dass., Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -).Abs. 29
Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Februar 1997 (NJW 1997, 2509) ist die 26. BImSchV eine geeignete Maßnahme zur Abwehr von Gesundheitsgefahren aus elektromagnetischen Feldern. Als normative Festlegung dieser Zumutbarkeitsschwelle schließt die 26. BImSchV grundsätzlich die tatrichterliche Beurteilung aus, dass Immissionen der Funkübertragungsanlage, die die Immissionsrichtwerte nach der 26. BImSchV unterschreiten, im Einzelfall gleichwohl als erheblich i.S.d. vorgenannten Vorschriften eingestuft werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.11.1994, NVwZ 1995, 993, zur vergleichbaren Problematik nach der 18. BImSchV [Sportanlagenlärmschutzverordnung]).Abs. 30
Nach einem weiteren Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 2002 (NJW 2002, 1103) ist durch die 26. BImSchV den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz ergebenden Anforderungen an den staatlichen Schutz der menschlichen Gesundheit genügt und kann eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Gerichte erst dann erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten ist, dass sich die Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen verengen lässt, welche anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt werden kann.Abs. 31
Die Kammer kann und muss sich im Rahmen dieses Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht im Einzelnen mit diesen Rechtsansichten auseinandersetzen, da sie vorliegend nicht entscheidungsrelevant sind. Sie merkt aber an, dass Zweifel an der ausreichenden Eignung der Grenzwerte für den Gesundheitsschutz - erst recht aber für den Bereich der Vorsorge - im Vordringen sind (vgl. hierzu Köck, Mobilfunkanlagen und grundrechtliche Schutzpflichten des Staates, ZUR 2002, 349).Abs. 32
(2) Die streitige Hochfrequenzanlage verstößt jedenfalls nicht gegen die Bestimmungen der 26. BImSchV, soweit diesen aufgrund festgesetzter Schutzgrenzwerte Drittschutz zukommt.Abs. 33
Die Verordnung ist einschlägig, da es sich vorliegend um eine Hochfrequenzanlage nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 der 26. BImSchV handelt. Denn die genehmigte Anlage ist ortsfest und überschreitet mit einer Sendeleistung von 2 Kanälen mit je 20 Watt Spitzenleistung pro Antenne die Grenze der Verordnung von 10 Watt EIRP und liegt bei einer Mittelfrequenz von 2140 MHz auch im Hochfrequenzbereich (10 bis 300.000 MHz).Abs. 34
Nach § 2 der 26. BImSchV sind Hochfrequenzanlagen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen so zu errichten und zu betreiben, dass in ihrem Einwirkungsbereich in Gebäuden oder auf Grundstücken, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt bestimmt sind, bei höchster betrieblicher Anlagenauslastung und unter Berücksichtigung von Immissionen durch andere ortsfeste Hochfrequenzanlagen, die in der Anlage 1 genannten Grenzwerte nicht überschritten werden.Abs. 35

Bei einer Frequenz zwischen 2000 MHz und 300.000 MHz gelten im Einwirkungsbereich folgende Grenzwerte (quadratisch gemittelt über 6-Minuten-Intervalle): Für die elektrische Feldstärke 61 V/m und für die magnetische Feldstärke 0,16 A/m. Auf dem Grundstück der Antragsteller (Gebäude und Gartenflächen) werden diese Werte nicht erreicht. Nach den Berechnungen der Beigeladenen zu 2) werden die Grenzwerte nebst Sicherheitsabstand (vorhandene Immissionen) - von den jeweiligen Antennen aus gemessen - nämlich nur innerhalb eines Radius überschritten, der das Grundstück der Antragsteller nicht berührt. Dies bliebe selbst dann der Fall, sofern in der nächsten Umgebung fünf weitere gleichartige Sendefunkanlagen errichtet werden würden. Der standortbezogene Sicherheitsabstand würde sich dann von ursprünglich 6,56 m auf 7,99 m vergrößern. Dabei legt das Gericht die Angaben und Berechnungen zugrunde, die die Beigeladene zu 2) im Schriftsatz vom 22.01.2003 gemacht hat.

Abs. 36

Würden von der Hochfrequenzanlage gepulste elektromagnetische Felder ausgehen, dürfte zusätzlich der Spitzenwert für die elektrische und magnetische Feldstärke das 32fache der Werte des Anhangs 1 zur 26. BImSchV nicht überschreiten. Bei solchen Feldern müsste überprüft werden, ob eine maximale Feldstärke von 1.952 V/m bzw. die magnetische Feldstärke von 5,12 A/m nicht überschritten wird. Das Gericht geht aufgrund der Angaben der Beigeladenen aber davon aus, dass von der streitgegenständlichen Hochfrequenzanlage keine gepulsten elektromagnetischen Felder übertragen werden. Die streitgegenständliche Hochfrequenzanlage bedient sich nach Angaben der Beigeladenen der digitalen Spreizbandmodulation, also einer Phasenmodulation, die über eine bestimmte Frequenzbreite gespreizt ist. Die genehmigte Frequenz dürfe nach dem Kanalplan nur im "FDD-Mode" betrieben werden. Bei dieser Betriebsart dürfe nur ein ungepulstes Modulationsverfahren angewandt werden.

Abs. 37
bb. Die Kammer hat allerdings erhebliche Zweifel daran, ob die streitbefangene Hochfrequenzanlage nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechtes verstößt.Abs. 38
Dabei geht das Gericht - im Einklang mit der Antragsgegnerin - davon aus, dass die Hochfrequenzanlage dem Bauplanungsrecht unterliegt (1). Den Antragstellern, die Wohnungs- und Grundstückseigentümer sind, steht auch ein Gebietsgewährleistungsanspruch zur Seite (2). Ob die geplante Hochfrequenzanlage nach den Festsetzungen des Baustufenplans an der vorgesehenen Stelle - in einem Wohngebiet - errichtet werden darf, kann im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht letztgültig entschieden werden (3). Hinzu kommt, dass die Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung hätte zugelassen werden können, die aber nicht erfolgt ist (4).Abs. 39
(1) Die streitgegenständliche Hochfrequenzanlage unterfällt nach Ansicht der Kammer den bauplanungsrechtlichen Vorschriften der §§ 30 ff. BauGB, da sie im Sinne von § 29 BauGB bodenrechtlich relevant ist.Abs. 40
Bodenrechtliche Relevanz nach § 29 BauGB wird in der Regel bejaht, sofern das Vorhaben nach Landesrecht anzeige- oder baugenehmigungspflichtig ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 31.08.1973, E 44, 59).Abs. 41
Durch die geplante Einrichtung des Technikraums nebst Sendeantennen ist eine Nutzungsänderung (von Wohnnutzung zu gewerblicher Nutzung) des Gebäudes XXXstraße 76 beabsichtigt. Eine solche Nutzungsänderung ist nach §§ 60 Abs.1 i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 2 HBauO genehmigungsbedürftig. Losgelöst von den Bedürfnissen der Hausbewohner wird nämlich eine neue gewerbliche Nutzung von außen an das Gebäude herangetragen. Nach der Rechtsprechung des VGH Mannheim, der die Kammer folgt, ändert sich damit die Funktion dieses Hauses, was zur Annahme einer Nutzungsänderung ausreicht (Urt. vom 26.10.1998, DÖV 2000, 82).Abs. 42
Hinzu tritt, dass Sendeantennenanlagen mit einer Strahlungsleistung von mehr als 10 Watt nach § 61 Abs. 1 HBauO i.V.m. § 1 Abs. 1 i.V.m. Abschnitt II. 4. (Anlage) HmbBauFreiVO nicht von einer Baugenehmigungspflicht freigestellt sind. Da die geplante Anlage eine höhere Leistung abstrahlen soll, ist sie genehmigungspflichtig und auch deshalb bauplanungsrechtlich relevant.Abs. 43
Schließlich ist eine bauplanungsrechtliche Relevanz für das Ortsbild zu bejahen, weil die Antennenanlage erhöht angebracht werden soll und bei der Betrachtung auffällt (vgl. VGH Kassel, NVwZ 2000, 694, 695; VG München, NVwZ 2001, 461).Abs. 44
(2) Nach der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (HmbOVG), der das Gericht folgt, haben Baugebietsfestsetzungen, die auf der Grundlage der Baupolizeiverordnung vom 8. Juni 1938 (BPVO) erfolgt sind, nachbarschützende Wirkung (Urt. vom 10.04.1997, NordÖR 1999, 354). Dabei kommt es für den Eigentümer eines Grundstücks im Plangebiet auf seine tatsächliche Betroffenheit oder gar auf eine unzumutbare faktische Betroffenheit nicht an (BVerwG, Urt. vom 23.08.96, E 101, 364).Abs. 45
Sofern die streitige Anlage gegen die Gebietsfestsetzung des Baustufenplanes verstößt, stünde den benachbarten Antragstellern als Grundeigentümern deshalb ein subjektives Recht auf Einhaltung des Gebietscharakters zur Seite.Abs. 46
(3) Ob die Errichtung der geplanten Hochfrequenzanlage in einem Wohngebiet Nachbarrechte verletzt, kann im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend entschieden werden.Abs. 47
Es muss vielmehr im Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob die Hochfrequenzanlage gegen nachbarschützende Vorschriften der BPVO verstößt. In Betracht kommt vorliegend ein Verstoß gegen § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO (b). Die Vorschrift des § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 3 BPVO kommt nicht zur Anwendung (a).Abs. 48
(a) Aus § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 3 BPVO können die Antragsteller keine Rechte herleiten. Wie sich aus dem Baustufenplan ergibt, hat der Plangeber für den Baublock, in dem die streitbefangenen Grundstücke liegen, keine besonderen Schutzvorschriften - z.B. in Form eines Verbots jeder Art gewerblicher Betriebe - erlassen.Abs. 49
(b) Eine rechtswidrige und Rechte der Antragsteller verletzende Baugenehmigung könnte jedoch deshalb erteilt worden sein, weil die projektierte Hochfrequenzanlage nicht mit § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO in Einklang gebracht werden kann. Danach dienen Grundstücke im Wohngebiet den Wohnbedürfnissen.Abs. 50
Diese Vorschrift ist gültig (aa). Die Kammer geht auch davon aus, dass sie anzuwenden ist, weil sie nicht durch speziellere Vorschriften verdrängt wird (bb). Dass durch die Hochfrequenzanlage gegen § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO verstoßen wird, ist im Ergebnis eher wahrscheinlich (cc). Die Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) kann auch nicht nach Maßgabe von § 14 BauNVO im Rahmen der Auslegung von § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO zugelassen werden (dd).Abs. 51
(aa) Die Bestimmung des § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO ist noch gültig, denn sie gilt als altes Planungsrecht fort, § 173 Abs. 3 BBauG (BVerwG, Urt. vom 17.12.1998, E 108, 190).Abs. 52
(bb) Die Kammer geht auch davon aus, dass sie anzuwenden ist, weil speziellere Vorschriften nicht existieren. Denn das Planungsrecht der BPVO enthält keine weitere Vorschrift über die Art der baulichen Nutzung, die für eine Sendefunkanlage der vorliegenden Art einschlägig wäre. Insbesondere enthält sie - im Gegensatz zur BauNVO - keine ausdrückliche Regelung für Nebenanlagen.Abs. 53
(cc) Ob durch die Hochfrequenzanlage gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO verstoßen wird, ist als offen, wenn auch eher wahrscheinlich zu kennzeichnen.Abs. 54
(cc 1) Welche einzelnen Nutzungen Wohnbedürfnissen dienen und welche keine dienende Funktion haben, ist in der Rechtsprechung bislang nämlich nicht hinreichend geklärt.Abs. 55
Nach der Rechtsprechung ist der Begriff der "Wohnbedürfnisse" weiter auszulegen, als der Begriff des "Wohnens". Die Grundstücke dienen danach nicht ausschließlich dem Wohnen, vielmehr sind auch die für Wohngebiete üblichen Nutzungen eingeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichtes dienen Nutzungen dann den Wohnbedürfnissen, wenn sie dort "allgemein erwartet werden" oder jedenfalls "mit ihm verträglich sind" (ständige Rechtsprechung, vgl. nur Urt. vom 13.02.2002, HmbJVBl 2003, 35, 36).Abs. 56
Damit stellt sich die schwierige Abgrenzung, welche Betätigung noch als das beim Wohnen Übliche, allgemein Erwartete oder zumindest mit ihm Verträgliche angesehen werden kann.Abs. 57
Nach der Rechtsprechung des HmbOVG und des Bundesverwaltungsgerichtes kann - wenn auch nicht schematisch - die Baunutzungsverordnung in ihrer jeweils geltenden Fassung zur Bestimmung der Üblichkeit und Verträglichkeit hierfür als Auslegungshilfe herangezogen werden. Sie bringt in der Regel zum Ausdruck, was nach allgemeinem Verständnis in für Wohnnutzung bestimmten Gebieten über die reine Wohnnutzung hinaus als dazugehörig oder jedenfalls als insoweit verträglich anzusehen ist. Allerdings ist eine direkte oder entsprechende Anwendung der jeweils geltenden BauNVO - einschließlich ihrer speziellen Ausnahmeregelungen - im Rahmen der Auslegung der Baustufenpläne nicht zulässig. Das liefe im Ergebnis auf eine "dynamische Verweisung" hinaus, die jedoch § 173 Abs. 3 BBauG und § 31 Abs. 1 BBauG/BauGB widerspräche (BVerwG, Urt. vom 17.12.1998, a.a.O.).Abs. 58
Die konkretisierende Auslegung muss vielmehr zu einer typisierenden Bestimmung der Nutzungen führen. Anderenfalls wäre eine den Anforderungen der Rechtssicherheit entsprechende Abgrenzung der von § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" BPVO unterschiedenen Baugebiete nach typisierenden Merkmalen nicht gewährleistet.Abs. 59
Nach der neueren Rechtsprechung des HmbOVG kann deshalb auf die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 3 BauNVO zur Auslegung des Begriffes des allgemeinen Wohngebietes nach § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" BPVO nicht unmittelbar und im Übrigen nur restriktiv zurückgegriffen werden. Nach dieser Rechtsprechung sind die in § 4 Abs. 3 BauNVO aufgeführten Nutzungsarten darauf zu untersuchen, ob sie teilweise, d.h. unter Heranziehung zusätzlicher typisierender Merkmale im Wohngebiet geradezu erwartet werden oder jedenfalls als gebietsverträglich erscheinen. Im Verfahren 2 Bf 22/97 kam das HmbOVG zu dem Ergebnis, dass nur der Typ "kleiner Beherbergungsbetrieb" den Wohnbedürfnissen der BPVO dient, während nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO Betriebe des Beherbergungsgewerbes grundsätzlich ohne Beschränkung im Wege der Ausnahme zugelassen werden können (HmbOVG, Urt. vom 13. Februar 2002, a.a.O.).Abs. 60
(cc 2) Legt man diese Maßstäbe auf den zu entscheidenden Fall an, ergibt sich Folgendes:Abs. 61
Vorliegend sind die aktuellen Vorschriften der BauNVO zum allgemeinen Wohngebiet (§ 4 BauNVO) als Auslegungshilfe für die Bestimmung der "Wohnbedürfnisse" heranzuziehen. Da, wie bereits ausgeführt, im Baustufenplan Harvestehude/ Rotherbaum für das betreffende Gebiet keine besonderen Schutzvorschriften festgesetzt wurden, handelt es sich vorliegend nicht um ein Wohngebiet, für welches zur Auslegung die Vorschriften der BauNVO über reine Wohngebiete (§ 3 BauNVO) heranzuziehen sind.Abs. 62
Allgemeine Wohngebiete dienen vorwiegend dem Wohnen (§ 4 Abs. 1 BauNVO). Zulässige Nutzungen sind in § 4 Abs. 2 BauNVO aufgezählt. Danach sind neben Wohngebäuden auch die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe zulässig. Erlaubt sind dort auch Anlagen für soziale Zwecke, sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke.Abs. 63
Nach Ansicht des Gerichts erfüllt die genehmigte Hochfrequenzanlage die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 4 Abs. 2 BauNVO nicht. Dies bedarf hinsichtlich des "Handwerksbetriebs" (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) - mangels betrieblicher Produktion - keiner vertieften Begründung. Es liegt auch fern, eine Sendefunkanlage als Anlage für soziale oder kulturelle Zwecke im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO anzusehen.Abs. 64
Eine gewerbliche Anlage, wie die streitgegenständliche Hochfrequenzanlage, ist danach im Wohngebiet W grundsätzlich nicht zulässig. Denn nicht alle "nicht störenden gewerblichen Betriebe" sind im allgemeinen Wohngebiet zulässig, sondern nur die - insoweit privilegierten - der Versorgung des Gebiets dienenden nicht störenden Handwerksbetriebe, um die es hier aber gerade nicht geht.Abs. 65
(cc 3) Der Befund, dass Hochfrequenzanlagen nicht ohne weiteres in einem durch Baustufenplan festgesetzten - nicht besonders geschützten - Wohngebiet zulässig sind, führt für sich genommen noch nicht dazu, die Erfolgsaussichten der Antragsteller im Hauptsacheverfahren als hinreichend hoch zu betrachten.Abs. 66
Es können auch solche Nutzungen gebietsverträglich sein, die nach § 4 Abs. 3 BauNVO in Wohngebieten nur als Ausnahme zugelassen werden können; auch sie können daher in durch Baustufenplan festgesetzten Wohngebieten in rechtmäßiger Weise zugelassen werden. Die neuere Rechtsprechung des HmbOVG geht insoweit aber - wie bereits dargestellt - restriktiv vor. Die zu entwickelnde restriktive Typik dürfte dazu führen, jedenfalls bestimmte Hochfrequenzanlagen in Wohngebieten nach alten Baustufenplänen als nicht zulässig zu erachten.Abs. 67
Das HmbOVG stellt in seinem Urteil vom 13. Februar 2002 maßgeblich darauf ab, ob durch die beabsichtigte gewerbliche Nutzung der Charakter des (allgemeinen) Wohngebiets "beeinflusst" wird. Für kleine - und nur für diese - Beherbergungsbetriebe hat das Gericht dies verneint, weil sich diese Betriebsform der Vermietung von Wohnräumen annähert und sie (deshalb) gemäß BauNVO im Wege der Ausnahme sogar in reinen Wohngebieten zulässig sei. Ergänzend wird vom Obergericht ausgeführt, dass bei anderen gewerblichen Nutzungsarten als restriktives Abgrenzungsmerkmal die Versorgung des Gebiets durch den Betrieb als Kriterium in Betracht komme, um die Gebietsverträglichkeit zu bestimmen. Es erwähnt insoweit die § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO unterfallenden (gewerblichen) Nutzungsarten.Abs. 68
Deshalb gebietet es die neuere Rechtsprechung des HmbOVG zumindest ein zusätzliches restriktives Merkmal anzufügen. Die Regelung in § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO bietet insoweit - im Zusammenhang mit der Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO - einen systematischen Ansatz für die notwendige Eingrenzung der zulässigen Gewerbebetriebe. Sie zeigt, dass im Wohngebiet die zur Versorgung des Gebiets dienenden Einrichtungen privilegiert und als gebietsangemessen bewertet werden.Abs. 69
Die Kammer neigt daher dazu anzunehmen, dass Hochfrequenzanlagen im Wohngebiet W nicht schon dann und deshalb zugelassen werden können, wenn sie sich als "nicht störender Gewerbebetrieb" darstellen, sondern erst dann, wenn die jeweilige Anlage der Versorgung des Gebietes dient.Abs. 70
Vor diesem Hintergrund ist das Gericht nach summarischer Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass einiges dafür spricht, dass die streitige Mobilfunkanlage aus bauplanungsrechtlichen Gründen nicht zugelassen werden darf. Sie dürfte nämlich nicht nur der Versorgung des Gebiets dienen (cc 3.1). Hinzu tritt, dass auch Zweifel daran bestehen, ob es sich bei der Anlage um einen nicht störenden Gewerbebetrieb handelt (cc 3.2).Abs. 71
(cc 3.1) Es ist zweifelhaft, ob die genehmigte Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) der Versorgung des Wohngebiets dient.Abs. 72
Unter "Gebiet" ist nach herrschender Meinung das im Bebauungsplan jeweils festgesetzte Baugebiet zu verstehen. Sind in einem Bebauungsplan mehrere solcher Gebiete festgesetzt, so ist die Prüfung für jedes dieser Gebiete gesondert durchzuführen. Allerdings braucht sich der Versorgungsbereich nicht exakt auf dieses Gebiet zu beschränken. Die Grenze ist erst dann überschritten, wenn hinreichend sicher anzunehmen ist, dass die betreffende Anlage nicht oder zumindest nicht erster Linie auf den Kreis der Bewohner des jeweiligen Baugebiets ausgerichtet ist (vgl. Knaup/Stange, Kommentar zur BauNVO, 8. Aufl. 1997, § 2 Rz. 21 m.w.N.; Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 10. Aufl. 2002, § 2 Rz. 9).Abs. 73
Im vorliegenden Fall mag zweifelhaft sein, ob der Baublock, in welchem das Vorhaben- und das Nachbargrundstück liegen (begrenzt durch die XXXstraße, die XXX, den XXX-Weg und den XXX), allein das maßgebliche Baugebiet darstellt oder ob angrenzende Wohngebiete hinzuzurechnen sind. Denn selbst wenn man - insbesondere südlich und westlich - angrenzende gleichartige Wohngebiete dem "Gebiet" zuschlagen würde, blieben die Zweifel an der Gebietsversorgung bestehen.Abs. 74
Wie die Beigeladene zu 1) im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens ausgeführt hat, deckt eine Basisstation ein bestimmtes geografisches Gebiet funktechnisch ab. Nach den allgemeinen Angaben in der Baubeschreibung beträgt der Zellendurchmesser je nach geografischen Verhältnissen und funktechnischen Voraussetzungen für den Innenstadtbereich ca. 0,3 km. Die Beigeladene zu 2) hält einen Abstand von 0,3 km bis 0,5 km für realistisch (vgl. Schriftsatz vom 22.1.2003, Bl. 858 d. Gerichtsakte).Abs. 75
Vor dem Hintergrund, dass sich besonders geschützte Wohngebiete bereits im Abstand von etwa 100 m und Sportanlagen im Abstand von knapp 150 m zur genehmigten Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) befinden, dürfte sich deshalb ein großer Teil der Funkzelle nicht nur außerhalb des konkreten Baublocks, sondern sogar außerhalb angrenzender (allgemeiner) Wohngebiete befinden.Abs. 76
Kleinere UMTS-Anlagen mit geringerer Wattzahl könnten zwar in Wohngebieten, die durch Baustufenplan festgesetzt worden sind, im Hinblick auf die Versorgungsfunktion zulässig sein. Dies dürfte jedoch nicht für die streitbefangene Hochfrequenzanlage gelten, da sie aufgrund ihrer Funktion und Strahlungsleistung nicht auf das Wohngebiet beschränkt sein dürfte, in welchem sie aufgestellt werden soll. Einzelheiten zum konkreten geografischen Versorgungsgebiet durch die Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) wären gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren weiter aufzuklären.Abs. 77
(cc 3.2) Es ist im Übrigen auch zweifelhaft, ob die Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) sich überhaupt als nicht störender Gewerbebetrieb darstellt. Wäre sie keine nicht störende gewerbliche Anlage, dürfte die Anlage am genehmigten Standort nicht errichtet werden.Abs. 78
Nach der Rechtsprechung des BVerwG, der das Gericht folgt, sind für die Beurteilung, ob es sich bauplanungsrechtlich um einen störenden Gewerbebetrieb oder eine störende gewerbliche Nutzung handelt, alle mit der Zulassung des Betriebes nach dessen Gegenstand, Struktur und Arbeitsweise typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung zu berücksichtigen. Dem Leitbild, eine geordnete städtebauliche Entwicklung und eine dem Wohl der Allgemeinheit entsprechende Bodennutzung zu gewährleisten, kann eine Stadtplanung nicht gerecht werden, die den Zweck der Baugebiete und die in ihnen zulässigen Nutzungen ausschließlich nach dem Störgrad oder der Störanfälligkeit von Nutzungen im Hinblick auf Immissionen bestimmen könnte (Urt. vom 25.11.1983, BVerwGE 68, 207). Es geht vielmehr um die Vermeidung von Nutzungen, die die kollektive Wohngemeinschaft zu stören geeignet sind, und damit Unruhe in das Gebiet bringen und den Gebietscharakter beeinträchtigen (BVerwG, Urt. vom 21.03.2002, E 116, 155).Abs. 79
Ob die gewerbliche Nutzung der Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) in diesem Sinne planungsrechtlich stört, entscheidet sich deshalb nicht nur nach Maßgabe der immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen des BImSchG, die eingehalten sein dürften (siehe oben unter aa.), sondern auch an weiteren Kriterien, die die Baugebietsverträglichkeit beeinflussen.Abs. 80
Nach der Rechtsprechung des BVerwG kann eine Störung im bauplanungsrechtlichen Sinne auch dann vorliegen, wenn in einem Wohngebiet bewältigungsbedürftige Spannungen begründet werden, die aus der abstrakten Gefährlichkeit der Anlage resultieren. Eine Nutzung, die psychische Belastungen der Nachbarschaft auslöst, kann solche Spannungen schaffen, und damit den Rahmen der baurechtlich erlaubten Nutzung übersteigen. Dabei wird vom BVerwG auf das Empfinden "durchschnittlicher Bewohner" auf die objektiven Gegebenheiten der "näheren Umgebung" abgestellt und nicht etwa auf persönliche Verhältnisse und Einschätzungen der jeweiligen Grundstückseigentümer (BVerwG, Beschl. v. 05.03.1984, NVwZ 1984, 647).Abs. 81
Unter Anlegung dieses Maßstabs ist zweifelhaft, ob die Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) im Wohngebiet - trotz Einhaltung der immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen - nicht doch schon eine störende gewerbliche Nutzung darstellt. Denn es gibt Hinweise darauf, dass bei Inbetriebnahme der Anlage nicht nur aufgrund der persönlichen Verhältnisse und Einschätzungen bei den Antragstellern psychische Belastungen durch die Anlage entstünden, sondern dass solche Belastungen auch bei einem - vom BVerwG als Maßstab herangezogenen - "Durchschnittsbürger" ausgelöst werden könnten.Abs. 82
Das Gericht stützt sich bei dieser vorläufigen Einschätzung auf eine im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt (Bundesamt für Strahlenschutz) durchgeführte repräsentative Umfrage aus dem Jahr 2001, wonach sich gut 30% der Bevölkerung starke oder sehr starke Sorgen wegen gesundheitlicher Risiken durch Mobilfunkanlagen machen. Bei Befragten, die angaben, in unmittelbarer Umgebung einer Sendeanlage zu wohnen, erhöhte sich der Anteil derer, die angaben, sich wegen elektromagnetischer Felder durch Mobilfunksendeanlagen, Handys oder schnurlosen Telefonen Sorgen zu machen sogar auf 46% (Schröder, Stakeholder-Perspektiven zur Novellierung der 26. BImSchV, Juni 2002, www.bfs.de).Abs. 83
Das Gericht hält die in dieser Umfrage dokumentierten Sorgen der Bevölkerung für ausreichend, um im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes davon ausgehen zu können, die vom BVerwG entwickelte (objektivierte) Bedingung des belasteten "Durchschnittsbürgers" als erfüllt anzusehen. Dies auch deshalb, weil vor dem Hintergrund der von den Antragstellern ins Feld geführten anhaltenden natur- und rechtswissenschaftlichen Diskussion über das Schutzkonzept der 26. BImSchV, einschließlich der Grenzwerte, viel dafür spricht, dass sich die ermittelten Umfragewerte nur marginal geändert haben dürften. Im Hinblick auf diese Diskussion merkt das Gericht Folgendes ergänzend an:Abs. 84
Die in der 26. BImSchV festgesetzten Grenzwerte orientieren sich an nachweisbaren Gesundheitsgefahren einer durch Hochfrequenz ausgelösten Erwärmung des Gewebes. Sie enthalten keine Vorsorge- oder gar Schutzanforderungen zur Berücksichtigung nichtthermischer Wirkungen. Der Umweltausschuss des Bundesrates hatte zwar Vorsorgeanforderungen gefordert, weil auch bei Feldstärken unterhalb der Grenzwerte Langzeitwirkungen bisher weder eindeutig nachgewiesen noch eindeutig ausgeschlossen werden könnten. Das Plenum des Bundesrats ist dieser Empfehlung jedoch nicht gefolgt (vgl. BR-Drs. 393/96; Kutscheidt, Die Verordnung über elektromagnetische Felder, NJW 1997, 2481, 2483f.). Nach aktueller wissenschaftlicher Bewertung der Strahlenschutzkommission (SSK) für den Bereich hochfrequenter elektromagnetischer Felder einschließlich des Mobilfunks gibt es zwar nach Bewertung der neueren wissenschaftlichen Literatur keinen Nachweis für Gesundheitsbeeinträchtigungen unterhalb der geltenden Grenzwerte. Die SSK erkennt in einigen Studien jedoch wissenschaftlich begründete Hinweise auf Gesundheitsbeeinträchtigungen an und plädiert deshalb für eine weitere intensive Forschung. Unter anderem empfiehlt sie, die thermische Abhängigkeit der "Blut-Hirn-Schranke" weiter zu untersuchen (Grenzwerte und Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor elektromagnetischen Feldern, September 2001). Dieser Empfehlung folgend, hat die Bundesregierung angekündigt, die Haushaltsmittel für die Wirkungsforschung elektromagnetischer Felder deutlich zu erhöhen (BT-Drs. 14/7958 vom 04.01.2002, S. 2, 15).Abs. 85
In anderen europäischen Ländern haben die politischen Erörterungen zu stark variierenden Bestimmungen geführt: Dieselben Schutzgrenzwerte wie in Deutschland gelten beispielsweise in der Schweiz. Diese werden aber für bestimmte Bereiche (mit empfindlicher Nutzung) als Vorsorgegrenzwerte ergänzt, die um ca. einen Faktor 100 strenger sind als die Schutzgrenzwerte. Dies würde zu einer 10fachen Vergrößerung des Sicherheitsabstandes führen, der dann zwischen 30 m und 100 m liegen würde (vgl. Freie und Hansestadt Hamburg, Bericht zur Auswertung des Gutachtens "Mobilfunkimmissionen in Hamburg", Stand: 10.09.2001, Seite 22f.; vgl. auch BT-Drs. 14/7958 vom 04.01.2002, S. 19). In Luxemburg wurde im Januar 2001 eine Regelung zur Begrenzung von elektromagnetischen Feldern erlassen, die für den Frequenzbereich des Mobilfunks einen Grenzwert von nur 3 Volt pro Meter vorschreibt. Zum Schutz von Schwangeren wurde sogar festgelegt, dass sie keinen elektromagnetischen Feldern ausgesetzt sein sollen (BT-Drs. 14/7958 vom 04.01.2002, Seite 19). In Italien liegt der Grenzwert für Wohnbereiche um den Faktor 47 niedriger als in Deutschland (Freie und Hansestadt Hamburg, a.a.O., S. 22). Dieser soll im Hinblick auf eine Abschwächung geprüft werden (BT-Drs. 15/43, S. 51). Nach Auskunft der Bundesregierung existieren in den Niederlanden, Dänemark, Frankreich und Österreich keine rechtsverbindlichen Regelungen. Soweit dort rechtlich unverbindliche Empfehlungen oder Normen bestehen, entspricht ihr Schutzniveau demjenigen der 26. BImSchV oder ist weniger streng (BT-Drs. 14/7958 vom 04.01.2002, S. 18f.).Abs. 86
Legte man die strengeren Anforderungen auf die geplante Hochfrequenzanlage an, so würde das Grundstück der Antragsteller im Sicherheitsabstand der Hochfrequenzanlage liegen. Dies gilt z.B. bei dem Vorsorgegrenzwert der Schweiz, der vorliegend zu einem Sicherheitsabstand von knapp 65 Metern führen würde. Selbst wenn man lediglich ein Zehntel (Faktor 10) hiervon zugrundelegte, würde sich der Radius, in welchem die Grenzwerte überschritten wären von 6,49 m auf 20,52 m erweitern (6,49 m x Ö 10). Selbst dann läge das Grundstück noch im Sicherheitsabstand. Die zweite Variante entspräche im Übrigen dem Maßstab der älteren Rechtsprechung des VGH Kassel in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wonach bei Nachbarwidersprüchen dieser Vorsorge-Faktor bereits immissionsschutzrechtlich - vor Erlass der 26. BImSchV - als angemessen angesehen wurde (vgl. Beschlüsse vom 30.12.1994, NVwZ 1995, 1010 und ZUR 1995, 205).Abs. 87
Deshalb können die Ängste und psychischen Belastungen wie sie von den Antragstellern vorgetragen werden, auch nach objektiviertem Maßstab als nachvollziehbar und als Empfindung eines Durchschnittsbewohners gewertet werden. Derartige Belastungen und Störungen dürfen aber Hochfrequenzanlagen als gewerbliche Nutzung in Wohngebieten nicht auslösen, sollen sie dort noch als nicht störender Gewerbebetrieb gewertet werden.Abs. 88
(dd) Die Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) kann auch nicht nach Maßgabe von § 14 BauNVO im Rahmen der Auslegung von § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO zugelassen werden.Abs. 89
(dd 1) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Regelung der BauNVO über Nebenanlagen vorliegend überhaupt zur Auslegung heranzuziehen ist, weil § 14 BauNVO ausweislich seines Wortlautes nur dann Anwendung findet, sofern das Vorhaben nicht nach Maßgabe von §§ 2 bis 13 BauNVO zu beurteilen ist. Aufgrund der weiten Auslegung des Begriffs "Gewerbebetrieb", spricht einiges dafür, dass § 14 BauNVO vorliegend nicht einschlägig ist. Das BVerwG behandelt Gewerbebetriebe und gewerbliche Nutzungen bauplanungsrechtlich nämlich grundsätzlich gleich (Urt. vom 03.12.1992, E 91, 234), mit der Folge, dass es gewerbliche Nutzungen, die keine Betriebe sind, (jedenfalls auch) am Zulässigkeitsmaßstab des jeweiligen Baugebiets misst. Gewerbliche Nutzungen sind deshalb vom Begriff "Gewerbebetrieb" umfasst (so auch OVG Münster, Beschl. vom 25.02.2003, 10 B 2417/02, S. 13 UA).Abs. 90
(dd 2) Selbst wenn man aber davon ausginge, dass die aktuellen Bestimmungen des § 14 BauNVO zur Auslegung dessen herangezogen werden könnten, was im vorliegenden Fall in durch Baustufenplan festgesetzten Wohngebieten zulässig ist oder zugelassen werden kann, bestünden dennoch rechtliche Zweifel, ob dies zur planungsrechtlichen Zulässigkeit der Hochfrequenzanlage führen könnte.Abs. 91
Dies gilt sowohl für die Regelung in § 14 Abs. 1 BauNVO (dd 2.1), als auch bezüglich des zweiten Absatzes dieser Vorschrift (dd 2.2).Abs. 92
(dd 2.1) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind außer den in den §§ 2 bis 13 BauNVO genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen.Abs. 93
Wie bereits oben ausgeführt (cc 3.1), bestehen schon Zweifel, ob die Hochfrequenzanlage der Beigeladenen zu 1) dem Baugebiet selbst dient, sodass vorliegend an dieser Stelle nicht mehr zu erörtern ist, ob es sich bei der streitbefangenen Sendefunkanlage überhaupt um eine "untergeordnete Nebenanlage" handelt.Abs. 94
(dd 2.2) Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 BauNVO 1990 können - weitergehend - fernmeldetechnische Nebenanlagen, die der Versorgung der Baugebiete dienen, auch soweit für sie im Bebauungsplan keine besonderen Flächen festgesetzt sind als Ausnahme zugelassen werden.Abs. 95
Eine uneingeschränkte Anwendung dieser Vorschrift für die Auslegung von § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO scheidet bereits aus den selben Gründen wie bei § 4 Abs. 3 BauNVO aus. Denn genauso wie bei § 4 Abs. 3 BauNVO handelt es sich vorliegend um eine Ausnahmevorschrift, für die eine restriktiv auszulegende Typik an zulässigen Nebenanlagen zu entwickeln wäre (siehe hierzu bereits oben unter cc 1 bis cc 3).Abs. 96
Wie diese auszugestalten ist, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, zumal in diesem Zusammenhang weiterhin zweifelhaft ist, ob die Hochfrequenzanlage überhaupt als "fernmeldetechnische Nebenanlage" angesehen werden kann.Abs. 97
Ob nämlich Sendefunkanlagen, die weder in der Begründung des Regierungsentwurfs (BR-Drs. 354/89; vgl. auch Stock, Die Novelle 1990 zur BauNVO, NVwZ 1990, 518, 519) noch zu den in der Kommentarliteratur beispielhaft aufgeführten Nebenanlagen zählen, fernmeldetechnische Nebenanlagen im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO sind, lässt sich danach nicht ohne weiteres beantworten. Auch die hierzu vorliegende Rechtsprechung ergibt kein einheitliches Bild (VGH München, Beschl. vom 08.07.1997, BRS 59 Nr. 181; VGH Kassel, Beschl. vom 29.07.1999, BRS 62 Nr. 83; OVG Münster, Beschl. vom 25.02.2003, 10 B 2417/02, S. 10 ff. UA, Fickert/Fieseler, a.a.O, § 14 Rz. 11.5).Abs. 98
(4) Hinzu kommt, dass die Hochfrequenzanlage der Beigeladenen nur im Rahmen einer Ermessensentscheidung hätte zugelassen werden dürfen, die nicht erfolgte; im Rahmen dieser gebotenen Ermessensentscheidung hätten die offen zutage liegenden gegenläufigen Interessen der Eigentümer des Nachbarhauses gewürdigt werden müssen. Dieser Mangel führt nach der Rechtsprechung des OVG Münster (Beschl. vom 25.02.2003, a.a.O.), der sich die Kammer anschließt, dazu, dass die aufschiebende Wirkung der Widersprüche der Antragsteller anzuordnen ist, weil ernstlich in Betracht kommt, dass den Antragstellern ein drittschützendes Recht auf fehlerfreie Würdigung ihrer gegenläufigen Interessen zusteht.Abs. 99
Eine solche Ermessensentscheidung ist bei der Zulassung einer Hochfrequenzanlagen selbst dann geboten, wenn sie als nicht störender Gewerbebetrieb als gebietsverträglich angesehen werden könnte. In der Rechtsprechung des HmbOVG und des Bundesverwaltungsgerichtes zur Auslegung des § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" BPVO ist nämlich ausschließlich Satz 1 zur Auslegung der Norm herangezogen worden, mit der Folge, dass man annehmen könnte, dass alle Vorhaben, die nach neuerer Auslegung des § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 1 BPVO als den Wohnbedürfnissen dienend qualifiziert werden können, einen Rechtsanspruch auf Zulassung hätten. Ein kleinerer der Versorgung des Gebiets dienender Handwerksbetrieb müsste danach - strikt - zugelassen werden. Das widerspräche aber offenbar der gesetzlichen Regelung des § 10 Abs. 4 Abschnitt "Wohngebiet W" Satz 2 BPVO, wonach dieser Betrieb - wie die anderen dort erwähnten Betriebe - lediglich nach Maßgabe einer Ermessensentscheidung zugelassen werden kann. Eine Normauslegung darf aber nicht zu Ergebnissen führen, die dem ausdrücklichen Inhalt der Norm offenbar widerspricht. Daher wird man jene neue Rechtsprechung dahin zu ergänzen haben, dass reine Wohnnutzungen zwar strikt zuzulassen sind, dass alle übrigen Nutzungen hingegen nur im Ermessenswege zugelassen werden können. Bei Nutzungen, die dem § 4 Abs. 2 BauNVO unterfallen und die heute uneingeschränkt zulässig sind, mag insoweit von einem eingeschränkten Ermessensspielraum gesprochen werden; bei geplanten Nutzungen, die unter § 4 Abs. 3 BauNVO fallen, verbleibt es aber bei einer reinen Ermessensentscheidung, die hier aber nicht getroffen wurde.Abs. 100
b. Die nach alledem vorzunehmende Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller. Es sind nämlich keine beachtlichen Nachteile für die Beigeladene zu 1) erkennbar, wenn die streitige Sendefunkanlage erst nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens errichtet und in Betrieb genommen werden darf. Hierzu hat sie nichts vorgetragen. Deshalb ist den Antragstellern nicht zuzumuten, dass in ihrem Gebiet eine Hochfrequenzanlage errichtet wird, an deren rechtlicher Zulässigkeit erhebliche Zweifel bestehen.Abs. 101

III.

Die Entscheidung über die Kosten dieses Rechtsstreits folgt aus §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Abs. 102
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 20 Abs. 3 i. V. m. § 13 Abs. 1 GKG.
JurPC Web-Dok.
251/2003, Abs. 103
[online seit: 01.12.2003]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Hamburg, VG, Errichtung einer Mobilfunkanlage - JurPC-Web-Dok. 0251/2003