JurPC Web-Dok. 387/2002 - DOI 10.7328/jurpcb/20021712377

OLG Bamberg
Urteil vom 07.03.2001

3 U 105/00

Haftung für sittenwidriges Computerspiel

JurPC Web-Dok. 387/2002, Abs. 1 - 25


BGB §§ 826, 830 Abs. 2

Leitsätze (der Redaktion)

1. Ein Spielsystem, das darauf angelegt ist, dass die ersten Mitspieler einen (meist) sicheren Gewinn erzielen, während die große Masse der späteren Teilnehmer ihren Einsatz verlieren muss, weil angesichts des Vervielfältigungsfaktors in absehbarer Zeit keine neuen Mitspieler mehr geworben werden können, verstößt gegen die guten Sitten.

2. Wer mit der Entwicklung der erforderlichen Software und der Verwaltung des Spieles durch die EDV willentlich die unerlaubte Handlung des Anbieters des Computerspiels unterstützt, haftet als Gehilfe nach § 830 Abs. 2 BGB für den beim Mitspieler eintretenden Vermögensschaden.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.JurPC Web-Dok.
387/2002, Abs. 1

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.Abs. 2
Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 2) als Gesamtschuldner neben dem mit Teilversäumnisurteil vom 29.6.1999 verurteilten Beklagten zu 1) einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 15.866,67 DM (§§ 826, 830 Abs. 2, 840 Abs. 1, 254 Abs. 1 BGB) nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 28.1.1999 (§§ 288 Abs. 1, 291 BGB a.F.). Die weitergehende Klage ist unbegründet.Abs. 3
1. Unstreitig hat sich der Kläger an dem von dem Beklagten zu 1) veranstalteten Systemspiel "Countdown 3000" beteiligt. Die von ihm geschlossenen Spielverträge sind wegen Sittenwidrigkeit nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB).Abs. 4
Durch die Spielvereinbarung soll der Mitspieler verpflichtet werden, für einen Basisplatz einer Pyramide der ersten Spielebene einen Einstiegspreis von mindestens 275, -- DM bzw. - ab 18.6.1993 - 300,-- DM zu zahlen. Sodann muß er weitere Mitspieler werben, um von dem Basisplatz in die nächsthöheren Spielstufen und schließlich in die Gewinnposition, den sogenannten Goldplatz zu gelangen und von dort aus in die zweite Spielebene vorzurücken (Ziffer 2 der "Verbindlichen Spielregeln"). Der Teilnehmer, der sich in der sogenannten Bronzeposition befindet und dem Spiel keine neuen Spieler zuführt, muß auf sogenannte "Dynamikeinstiege" warten. Kommt er auf diese Weise auf den Goldplatz, erhält er von seinem Einstiegspreis 225, -- DM zurück; er bekommt aber nicht den für diese Position sonst anfallenden Gewinn von 800, -- DM und erreicht auch nicht die zweite Spielebene (Ziffer 2.2 der "Verbindlichen Spielregeln"). Die Gewinnerwartung der Teilnehmer beruht somit allein darauf, daß nach Art des sogenannten Schneeballsystems eine immer stärker ansteigende Zahl von Mitspielern hohe Einsätze einzahlt. Ein solches Spielsystem, das darauf angelegt ist, daß die ersten Mitspieler einen (meist) sicheren Gewinn erzielen, während die große Masse der späteren Teilnehmer ihren Einsatz verlieren muß, weil angesichts des Vervielfältigungsfaktors in absehbarer Zeit keine neuen Mitspieler mehr geworben werden können, verstößt gegen die guten Sitten (BGH NJW 1997, 2314, 2315; vgl. auch Senat, Urteile vom 19.6.1996 - 3 U 217/95 - und vom 27.11.1996 - 3 U 41/96 -, OLG Celle NJW 1996, 2660, OLG München NJW 1986, 1880, OLG Karlsruhe GRUR 1989, 615, 616, LG Gießen NJW-RR 1996, 796, 797).Abs. 5
2. Das dem Spielsystem immanente hohe Risiko hat sich beim Kläger verwirklicht, denn er hat 23.800, -- DM verloren.Abs. 6
Er hat sich am 18.3.1993 mit 8.300 DM (32 Plätze) sowie mit 6.600, -- DM (24 Plätze), am 31.3.1993 mit 3 x 2.200, -- DM (jeweils 8 Plätze) und am 5.4.1993 mit 15.400, -- DM (56 Plätze), insgesamt also mit 37.400, -- DM, an dem Spiel beteiligt. Die Richtigkeit seines diesbezüglichen Vortrags ergibt sich aus den von ihm vorgelegten Durchschlägen der Beteiligungsscheine, die laut Aufdruck als Quittung für die an den jeweiligen Spielleiter bezahlten Beträge dienen. Der Beklagte zu 2), der die Einzahlungen des Klägers mit Nichtwissen bestreitet, hat keinen Beweis für die Unrichtigkeit des Inhalts dieser Quittungen angetreten. Im übrigen dürfte das Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig sein (§ 138 Abs. 4 ZPO), denn der Beklagte zu 2) hat nach seinem eigenen Vortrag die neuen Mitspieler anhand der ihm von der Spielleitung übergebenen Beteiligungsscheine "gesetzt", d.h. per EDV in den Pyramiden plaziert (siehe etwa Seite 14 unten des Schriftsatzes vom 31.1.2001) und er ist im Besitz aller Setzlisten aus der Zeit vom 27.11.1992 bis 5.11.1993 (Seite 6 ff. des Schriftsatzes vom 9.4.1996, den die Beklagtenvertreter in dem Strafverfahren xxx an das Landgericht in Hof gerichtet haben und auf den sich der Beklagte zu 2) im vorliegenden Rechtsstreit ausdrücklich bezieht. Er weiß deshalb oder kann zumindest unschwer in Erfahrung bringen, welche Einsätze der Kläger geleistet hat (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 22. Aufl., § 138 Rdnr. 14).Abs. 7
Außer Streit steht, daß der Kläger 17 Goldplätze erreicht, also 17 x 800, -- DM = 13.600 DM gewonnen hat.Abs. 8
Sein Verlust beträgt daher
37 400, -- DM . /. 13.600, -- DM = 23.800, -- DM
Abs. 9
3. Der Kläger hat gemäß §§ 826, 830 Abs. 1, 254 Abs. 1 BGB Anspruch darauf, daß der Beklagte zu 2) ihm von diesem Vermögensschaden 15.866,67 ersetzt.Abs. 10
a) Er ist zur Geltendmachung der Forderung aktivlegitimiert, denn er hat der N... AG, Vaduz, am 25.11.1993 nur seine Plätze in dem streitgegenständlichen Spielsystem abgetreten, nicht aber die aufgrund seiner Beteiligung bis dahin entstandenen Schadensersatzansprüche.Abs. 11
b) Der Veranstalter des Spiels, der Beklagte zu 1), hat dem Kläger den Schaden in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise (siehe die Ausführungen unter 1.) und zumindest bedingt vorsätzlich zugefügt im Sinn von § 826 BGB. Er war sich ohne Zweifel darüber im klaren, daß nur die ersten Spieler Gewinne erzielen konnten, die Masse der späteren Teilnehmer aber leer ausgehen und ihre Einsätze verlieren mußte; deren Schaden hat er zu seinem eigenen Vorteil zumindest billigend in Kauf genommen. Damit sind bei ihm die Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB auch ohne Hinzutreten weiterer belastender Umstände erfüllt (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 60. Aufl., § 826 Rdnr. 64; Senat, Urteil vom 27.11.1996 - 3 U 41/96 - ; LG Gießen, a.a.O.). Daß die Spielverträge gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig waren, steht dem nicht entgegen (BGH WM 1975, 325, 328).Abs. 12
Der Beklagte zu 2) hat zu der unerlaubten Handlung des Beklagten Beihilfe geleistet (§ 830 Abs. 2 BGB). Gehilfe ist, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung Hilfe geleistet hat (§ 27 Abs. 1 StGB), wobei als Vorsatzform für Haupttat und Beihilfe dolus eventualis ausreicht (MünchKommBGB-Stein, 3. Aufl., § 830 Rdnr. 14, m.w.N.). Daß der Gehilfe den Erfolg der Tat ursächlich mitbewirkt hat, ist nicht erforderlich; es genügt, daß die den Tatbestand verwirklichende Handlung durch die Hilfeleistung gefördert wird (Staudinger/Belling/Eberl-Borges, BGB, 13. Aufl., § 830 Rdnr. 39, m.w.N.). diese Voraussetzungen sind bei dem Beklagten zu 2) erfüllt. Er hat unstreitig die Software für das Spiel entwickelt und war für dessen Verwaltung durch die EDV verantwortlich (Seite 11 des bereits zitierten Schriftsatzes der Beklagtenvertreter an das Landgericht Hof vom 9.4.1996). So gehörte es nach seinem Vortrag zu seinen Aufgaben, neue Mitspieler EDV-mäßig zu erfassen, in die richtige Pyramide einzusetzen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Beteiligungen der Spieler graphisch in Pyramidenform dargestellt wurden. Für jede Plazierung erhielt er eine Vergütung von 2, -- DM. Daß er mit der Entwicklung der erforderlichen Software und der Verwaltung des Spieles durch die EDV willentlich die unerlaubte Handlung des Beklagten zu 1) unterstützt hat, steht außer Zweifel. Ohne seine Tätigkeit hätte das in den "Verbindlichen Spielregeln" ausdrücklich als "Computerspiel" bezeichnete Spiel so, wie es angelegt war, nicht durchgeführt werden können. Dabei wusste er allein aufgrund der Konzeption des Spiels - deren genaue Kenntnis für seine Tätigkeit unabdingbar war -, aber auch aufgrund seiner anläßlich der Verwaltung des Spiels gewonnenen Erkenntnisse, daß schon nach relativ kurzer Zeit die neugewonnenen Mitspieler ihre Einsätze verlieren mußten. Deren Schädigung nahm auch er zumindest billigend in Kauf, so daß ihm bedingter Vorsatz anzulasten ist. Damit haftet er gemäß §§ 826, 830 Abs. 2, 840 Abs. 1 BGB als Gehilfe gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 1). Daß möglicherweise auch ein anderer in der Lage gewesen wäre, seinen Tatbeitrag zu leisten, ist dabei ohne Bedeutung. Ebensowenig kommt es darauf an, ob er durch Manipulationen zum Nachteil des Klägers in den Spielverlauf eingegriffen hat.Abs. 13
c) § 762 Abs. 1 Satz 2 BGB steht der Schadensersatzforderung des Klägers nicht entgegen. Zum einen gilt diese Vorschrift nicht für sittenwidrige und deshalb nichtige Verträge (BGH, a.a.O.); zum anderen geht es vorliegend nicht um die Rückforderung geleisteter Einsätze, sondern ausschließlich um einen Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung.Abs. 14
d) der Anspruch ist auch nicht nach § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen, denn diese Bestimmung findet über das Gebiet der Bereicherungsansprüche hinaus keine entsprechende Anwendung (Palandt/Thomas, a.a. O., § 817 Rdnr. 2, m.w.N.).Abs. 15
Da es sich vorliegend nicht um einen Bereicherungsanspruch handelt, kommt auch eine Anwendung von § 814 BGB nicht in Betracht.Abs. 16
e) die Ersatzpflicht des Beklagten zu 2) mindert sich jedoch wegen des erheblichen Mitverschuldens des Klägers (§ 254 Abs. 1 BGB).Abs. 17
Einfache Fahrlässigkeit des Geschädigten im Hinblick auf die Entstehung des Schadens wirkt sich auf den Umfang der Haftung des mit direktem Vorsatz handelnden Schädigers nach § 826 BGB in der Regel nicht aus. Anders ist es jedoch bei einem grob fahrlässigen oder jedenfalls besonders leichtsinnigen Verhalten des Geschädigten, und zwar erst recht, wenn dem eine nur bedingt vorsätzliche Schadenszufügung gegenübersteht (MünchKommBGB-Mertens, a.a.O., § 826 Rdnr. 81). Der Kläger hat sich mindestens besonders leichtsinnig, wenn nicht grob fahrlässig, verhalten, denn er hat in Erwartung des in Aussicht gestellten "großen Gewinns" Bedenken gegen die Seriosität des Spiels, die sich ihm hätten aufdrängen müssen, nicht aufkommen lassen. Da auf der anderen Seite dem Beklagten zu 2) nur bedingter Vorsatz angelastet werden kann, ist es gerechtfertigt, daß der Kläger 1/3 seines Schadens selbst trägt. Der Beklagte zu 2) hat deshalb von dem Gesamtschaden von 23.800, -- DM nur 2/3, d.h. 15.866,67 DM zu ersetzen.Abs. 18
4. Die Verjährung ist nicht eingetreten.Abs. 19
Der Anspruch auf Schadensersatz wegen einer unerlaubten Handlung verjährt gemäß ,§ 852 Abs.1 BGB in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Vorliegend ist die Klage dem Beklagten zu 2) am 27.1.1999 zugestellt worden. Der Kläger hat vorgetragen, er habe erst durch die Mitte 1997 gewährte Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Hof davon erfahren, daß die Beklagten für seinen Schaden verantwortlich seien. Der für den Beginn und den Ablauf der Verjährungsfrist beweispflichtige Beklagte zu 2) (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O. , Überblick vor § 194 Rdnr. 18) hat demgegenüber nicht schlüssig vorgetragen und unter Beweis gestellt, daß seine Täterschaft dem Kläger bereits vor dem 27.1.1996 bekannt war. Das in der Berufungsverhandlung vorgelegte Schreiben vom 13.3.1995, das die Rechtsanwältin ... als anwaltschaftliche Vertreterin des ... an den Beklagten zu 2) gerichtet hat, beweist nicht, daß auch der Kläger von der Verantwortlichkeit dieses Beklagten für den entstandenen Schaden wusste. Davon abgesehen hat der Beklagte zu 2) lediglich vorgetragen, in der Presse und im Fernsehen sei schon im Februar 1995 über die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden berichtet worden; dem Kläger sei es deshalb schon damals möglich gewesen, Regreß zu nehmen. Dieses Vorbringen enthält nicht einmal die schlüssige Behauptung, daß der Kläger damals Kenntnis vom Inhalt eines Medienbeitrags erlangt hat, aus dem sich ergab, daß der Beklagte zu 2) - der bei den vom Kläger besuchten Veranstaltungen nie persönlich in Erscheinung getreten war - als Schädiger in Betracht kam. Es ist deshalb davon auszugehen, daß die Klage in unverjährter Zeit erhoben ist.Abs. 20
5. Dem Kläger stehen aus der begründeten Hauptforderung gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB a.F. 4 % Zinsen seit dem 28.1.1999 zu. Die weitergehende Zinsforderung ist unbegründet. Zu einem früheren Verzug des Beklagten zu 2) hat der Kläger nichts vorgetragen. § 849 BGB - auf den der Kläger offensichtlich abstellen will - ist nicht einschlägig, da dem Kläger die freiwillig bezahlten Spieleinsätze nicht entzogen worden sind. Ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts daß ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung vom Zeitpunkt seiner Entstehung an zu verzinsen sei, kann § 849 BGB nicht entnommen werden. Dessen Anwendungsbereich ist vielmehr auf die dort genannten Fälle der Entziehung oder Beschädigung einer Sache beschränkt (MünchKommBGB-Stein, a.a.O., § 849 Rdnr. 1).Abs. 21
6. Nach alledem ist das angefochtene Urteil auf die Berufung des Klägers abzuändern und der Klage in dem zuerkannten Umfang stattzugeben. Im übrigen ist die Klageabweisung aufrechtzuerhalten und die weitergehende Berufung zurückzuweisen.Abs. 22
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.Abs. 23
Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.Abs. 24
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
JurPC Web-Dok.
387/2002, Abs. 25
[online seit: 16.12.2002]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Bamberg, OLG, Haftung für sittenwidriges Computerspiel - JurPC-Web-Dok. 0387/2002