JurPC Web-Dok. 329/2002 - DOI 10.7328/jurpcb/20021711293

Wolfram Viefhues *

Bericht über den 11. Deutschen EDV-Gerichtstag vom 25.9.2002 bis 27.9.2002 in Saarbrücken

JurPC Web-Dok. 329/2002, Abs. 1 - 10


In seiner Begrüßung dankte der Vorsitzende Prof. Herberger der ausgeschiedenen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin für ihre Unterstützung und verwies auf die positive Entwicklung, die es seit der Forderung des EDV-Gerichtstags 1999 auf "Freies Recht für freie Bürger" gegeben habe, denn heute seien wesentliche Teile des Bundesrechts kostenfrei im Internet abrufbar.JurPC Web-Dok.
329/2002, Abs. 1
Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Prof. Pick bezeichnete den EDV-Gerichtstag als bereits "altehrwürdige Institution" im schnelllebigen Bereich der elektronischen Medien. Die rasante Entwicklung zeige ein Blick auf die Webseite des EDV-Gerichtstages 1995, der mit dem Thema "IT am Juristenarbeitsplatz" den Eindruck vermittelte, "da kommt was auf uns zu". Heute gehe es bereits um den Erfahrungsaustausch über die Technologie im Justizalltag. Anschließend gab er einen kurzen Überblick über die Themen der nächsten Legislaturperiode:
  • Das Internet als Schwerpunkt der Politik
    Bei 31 Millionen Nutzer in Europa liegt Deutschland mit 20 Millionen international an der Spitze; dies gilt auch für den elektronischen Handel mit 20 Milliarden Euro Umsatz. Das Internet ist also bereits ein gesamtgesellschaftliches Medium.
  • Die Balance von Freiheit und Sicherheit im Internet
    Erforderlich seien auch hier demokratisch begründete, klare rechtliche Regelungen. Auch Kriminalität und Terrorismus hätten das Internet entdeckt. Das Internet sei aber kein rechtsfreier Raum. "On line" sei nicht "off duty". Was offline strafbar ist, müsse auch online strafbar sein. Auch beim Jugendschutz müsse es eine Konvergenz der Medien geben.
  • Der gute Name im Internet
    Er verwies weiter auf die Tatsache, dass inzwischen über 5,7 Millionen de-Domainnamen vergeben worden sind. Es habe spektakuläre Auseinandersetzungen gegeben; insgesamt stecke hier ein erhebliches Konfliktpotential. Unter Hinweis auf das erfolgreich funktionierende Wipo-System der Schiedsentscheidungen bei internationalen Domainstreitigkeiten begrüßte er ausdrücklich die Bestrebungen des EDV-Gerichtstags, eine Schlichtungsstelle für Streitigkeiten über deutsche Domains einzurichten.
  • Hassfreie Zone im Internet
    Politisches Ziel sei weiterhin, Hetze und Hass im Internet einzudämmen, wobei internationale Zusammenarbeit notwendig sei. Er verwies darauf, dass der Europarat seine Beratungen über eine Zusammenarbeit gegen Cybercrime abgeschlossen habe und ein EU-Ratsbeschluss in Vorbereitung sei.
  • Info-Richtline
    Das digitale Zeitalter mit seinen vielen Medien brauche auch zeitgemäße Regeln; diese bringe der Entwurf des neuen Urheberrechts.
  • Elektronischer Rechtsverkehr bei den Gerichten
    Er erinnerte daran, dass die Ministerin noch vor 2 Jahren eine Zeitreise zu diesem Thema vorgetragen habe, während inzwischen der Input zu und Output von den Gerichten auf elektronische Weise gesetzlich geregelt worden sei. Es fehle noch das Zwischenstück, denn die Akte werde noch in Papierform geführt. Um die hier noch bestehenden rechtlichen Hindernisse zu beseitigen, habe das BMJ den Diskussionsentwurf eines Gesetzes über die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs bei den Gerichten (ERVG) erstellt, der die elektronische Akte gleichwertig neben die Papierakte stellen wolle, aber ohne einen Zwang zur elektronischen Kommunikation aufzustellen. Damit werde auch eine Anpassung an die Rechtssysteme der Nachbarländer - wie z.B. Österreich - erreicht.
  • Elektronische Verkündung
    Auch im Gesetzgebungsverfahren werde in Zukunft weitgehend elektronisch gearbeitet; logische Konsequenz sei auch die elektronische Verkündung von Gesetzen.
  • Bundesgerichte im Internet
    Die Bundesgerichte sind inzwischen sämtlich im Internet präsent und informieren elektronisch über ihre Arbeit.
  • Juristenausbildung
    Die Reform der Juristenausbildung biete den Universitäten jetzt die Möglichkeit, der Rechtsinformatik einen größeren Stellenwert zu verschaffen.
Der vollständige Text der Ansprache ist auf der Internet-Seite http://edvgt.jura.uni-sb.de/ nachzulesen.
Abs. 2
Der diesjährige Festvortrag von Prof. Berkemann befasste sich mit dem Thema "Freies Recht für Freie Bürger II - muss die Veröffentlichung von Urteilen kostenlos sein ?" Das Thema behandelte er in einem sehr launigen Vortrag anhand der folgenden Fragen:
  • Müssen gerichtliche Entscheidungen überhaupt sein?
  • Müssen gerichtliche Entscheidungen begründet werden?
  • Für wen müssen gerichtliche Entscheidungen begründet werden?
  • Ist die gegebene Begründung ein öffentliches Gut?
  • Müssen öffentliche Güter zu jedermanns Nutzen im Sinne eines Gemeingebrauchs offen stehen?
  • Muss ein Gemeingebrauch für den Nutzer stets kostenfrei sein?
Abs. 3
Nach einem Ausflug durch die Geschichte u.a. mit - nicht begründeten - Urteilen gegen Sokrates und Jesus kam Berkemann zum deutschen Prozessrecht, das eine schriftliche Begründung gerichtlicher Entscheidungen zwingend verlangt. Aus der umfassenden Erörterung des Zwecks dieser Begründungspflicht leitete er ab, dass die Begründung ein Produkt in amtlicher Funktion und mithin ein öffentliches Gut sei. Zwar gebe es keinen Verfassungsgrundsatz, dass der Staat kostenlos Leistungen zu offerieren habe. Aber die Fakten sprächen eine eindeutige Sprache. Das Bundesverfassungsgericht stellt seit September 1999 seine Entscheidungen im Volltext ins Internet. Der Bundesgesetzgeber hat im Jahre 2001 die Bundeshaushaltsordnung dahingehend geändert, dass die kostenlose Veröffentlichung im Internet zulässig ist und hat damit eine Forderung des EDV-Gerichtstages erfüllt. Diese Linie werde weiterverfolgt, indem das Bundesverwaltungsgericht demnächst unter http://www.bverwg.bund.de auch seine Entscheidungen kostenlos im Internet bereitstelle.Abs. 4
Auch in diesem Jahre boten die verschiedenen Arbeitskreise wieder hochkarätige Informationen und Gelegenheit zu Diskussion und kompetentem Erfahrungsaustausch. Der elektronische Rechtsverkehr nimmt mehr und mehr deutliche Formen an. Unter der sachkundigen und erfolgreichen Koordination der Bund-Länder-Kommission für Datenverarbeitung (BLK) sind inzwischen eine Reihe von notwendigen Vorarbeiten durchgeführt und zum Abschluss gebracht worden. Entwickelt worden sind umfassende einheitliche technische Standards und organisatorische Leitlinien, die trotz der der föderalen Struktur der Justiz einen einheitlichen, bundesweit gültigen Rahmen für den funktionierenden elektronischen Rechtsverkehr geben und demnächst in eine Muster-Rechtsverordnung münden sollen. Einige Pilotverfahren sind bereits eingeleitet worden wie z.B. beim Bundesgerichtshof und beim Finanzgericht Cottbus, bei denen erstmals mit vollständig elektronischer Aktenführung und einem Document Management System sowie einem elektronischen Gerichtspostfach gearbeitet wird. Weitere Pilotierungen werden folgen, die ebenfalls von der BLK koordiniert werden sollen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung von Insolvenzverfahren im Internet in NRW und das in länderübergreifender Kooperation entwickelte elektronische Handeslregisterverfahren REGISTAR sowie das von der Bundesnotarkammer aufgebaute Notarnetz.Abs. 5
Weitere Arbeitskreise beschäftigten sich ausführlich mit den Fragen von "Sicherheit und elektronischer Kommunikation", "Sicherheit und Justiz" und "Biometrischen Verfahren - Beweissicherung und Persönlichkeitsschutz" sowie "Kommunikationsstandards", denn nur eine in jeder Hinsicht sichere Kommunikation kann Grundlage eines verbindlichen elektronischen Rechtsverkehrs sein.Abs. 6
Unter dem Thema "Rechnen im Internet - Rechtsanwendungsprogramme" wurde den Fragen des Leistungsumfangs und der Funktionsweise solcher Programme sowie der Datensicherheit und Vergütungsregelung nachgegangen. "IT einsetzen und sparen" war das Thema, unter dem Kriterien für einen durchdachten IT-Einsatz mit dem Ansatz der Kostenreduzierung diskutiert wurden, denn die Einführung und der sichere Betrieb von EDV-Anwendungen ist mit nicht unbeträchtlichem Aufwand verbunden, bei dem die Frage nach dem Nutzeffekt nicht vergessen werden sollte. Last but not least verfolgte ein Arbeitskreis die Möglichkeiten eines nationalen Mediations- und Schlichtungsstelle für Domain-Streitigkeiten parallel zum Schlichtungsverfahren der ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) mit der Kompetenz des EDV-Gerichtstags.Abs. 7
Die Teilnehmer konnten zudem die Gelegenheit nutzen, auf der gut besuchten Firmenbegleitausstellung einen umfassenden und gründlichen Überblick über die breite Palette von Justizlösungen, Anwaltssoftware und elektronischen juristischen Informationsangeboten zu gewinnen. Es gehört schon zu Tradition für alle diejenigen, die im Bereich von Justiz und Anwaltschaft entsprechende Produkte anbieten, auf dem EDV-Gerichtstag mit einem Stand vertreten zu sein. Besonderes Interesse verzeichneten in diesem Jahr die Firmenpräsentationen von Online-Angeboten.Abs. 8
Der nächste EDV-Gerichtstag findet vom 24.-26.9.2003 in Saarbrücken statt.Abs. 9
Anfragen sind zu richten an den Deutschen EDV-Gerichtstag e.V. Lehrstuhl Prof. Dr.Rüßmann, Universität Saarbrücken, Im Stadtwald, Bau 31, 66123 Saarbrücken, Tel. 0681 302 3150, Fax 0681 302 4012, E-Mail: skuhn@rz.uni-sb.de. Im Internet ist der EDV-Gerichtstag erreichbar unter http://edvgt.jura.uni-sb.de/.
JurPC Web-Dok.
329/2002, Abs. 10
* Dr. Wolfram Viefhues ist Richter am Amtsgericht Oberhausen / OLG Düsseldorf und Vorstandsmitglied des Deutschen EDV-Gerichtstages e.V.
[online seit: 04.11.2002]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Viefhues, Wolfram, Bericht über den 11. Deutschen EDV-Gerichtstag vom 25.9.2002 bis 27.9.2002 in Saarbrücken - JurPC-Web-Dok. 0329/2002