JurPC Web-Dok. 24/2001 - DOI 10.7328/jurpcb/200116237

LG Köln
Urteil vom 30.11.2000

84 O 127/00

Call-by-Call Gespräche im Ortsnetz

JurPC Web-Dok. 24/2001, Abs. 1 - 22


UWG § 1

Leitsatz (der Redaktion)

Das Anbieten von Call-by-Call Gesprächen im Ortsnetz verstößt gegen gesetzliche Regelungen und ist daher wegen Verschaffung eines Vorsprungs durch Rechtsbruch nach § 1 UWG wettbewerbswidrig.

Tatbestand

Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um Unternehmen, das als sogenannter Verbindungsnetzbetreiber Call-by-Call- und Preselection-Gespräche für Kunden anbietet, die über einen Teilnehmernetzanschluß bei der Antragstellerin verfügen. Die der Antragsgegnerin zugewiesene Verbindungsnetzbetreiberkennzahl lautet 01051. Sie bietet ihre Dienstleistung bundesweit an und bewirbt sie auch im Internet.JurPC Web-Dok.
24/2001, Abs. 1
Die Antragstellerin ist Teilnehmernetzbetreiber und verfügt als ehemaliger Monopolist über mindestens 98 % aller Teilnehmer im Ortsnetzbereich.Abs. 2
Die Parteien schlossen im September 2000 eine Zusammenschaltungsvereinbarung, die die Weitervermittlung von Telefongesprächen von der Antragstellerin zur Antragsgegnerin betrifft, wenn diese als Verbindungsnetzbetreiber von einem Anschlußkunden der Antragstellerin ausgewählt worden ist. Auf den Inhalt der Vereinbarung wird Bezug genommen.Abs. 3
In der Bundesrepublik Deutschland ist die Verbindungsnetzbetreiberauswahl und damit Call-by-Call im Ortsnetz bislang nicht möglich, weil die Verbindungsnetzbetreiberkennziffer bei Wahl einer Nummer innerhalb desselben Ortsnetzes unterdrückt wird.Abs. 4
Im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie 98/61 EG hätte die Bundesrepublik spätestens zum 1.1.2000 Call-by-Call-Gespräche im Ortsnetz ermöglichen müssen. Da eine entsprechende Umsetzung bislang nicht erfolgt ist, hat die EU-Kommission im Juli 2000 ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet. Die Bundesregierung hat hierzu mit Schreiben vom 4.10.2000 Stellung genommen. Sie beruft sich darauf, daß bislang die betreffenden Passagen der Richtlinie anders verstanden worden wären und die EG-Kommission offenbar erst seit kurzem darunter auch die Verpflichtung zur Betreiberauswahl auf lokaler Ebene verstehe. Im Hinblick auf das abweichende Verständnis sei im Markt ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, der nur Schritt für Schritt und nicht kurzfristig geändert werden könne. Gegenwärtig fehle in Deutschland noch ein regulatorisches Modell zur Einführung der Betreibervorauswahl innerhalb eines Teilnehmernetzes auf Ortsebene mit einem entsprechenden Zeitplan. Im Hinblick auf die Komplexität der Problematik erscheine ein Zeitrahmen von mindestens zwei bis drei Jahren zur Entwicklung eines Konzeptes zur partiellen oder umfassenden Einführung der Betreibervorauswahl im Ortsnetz realistisch.Abs. 5
Seit Oktober 2000 bietet die Antragsgegnerin unter der Bezeichnung "Teledump" über die Einwahlnummer 01051031 "Call-by-Call"-Gespräche im Ortsnetz an. Durch Wahl der zusätzlichen Rufnummer 031 wird eine Vermittlung in das Verbindungsnetz von 01051 auch dann bewirkt, wenn vom Teilnehmer eine Zielrufnummer im selben Ortsnetz gewählt wird. Die Zuteilungsregeln für die Nutzung von 031-Rufnummern waren im Rahmen der Strukturierung und Ausgestaltung des Nummernraums aufgrund des § 43 TKG vom Bundesministerium für Post und Telekommunikation durch Verfügung aus dem Jahre 1997 festgelegt worden, wonach die Nutzung "für das Testen von Netzübergängen" zulässig war. Ein solcher Test ist etwa beim Wechsel des Preselection-Vertragspartners möglich. Abs. 6
Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin soll es sich um einen Test- und Startversuch handeln, der die eigene Leistungsfähigkeit des Netzes einschließlich des Inkassos prüfen soll.Abs. 7
Inzwischen bewirbt die Antragsgegnerin auch die Vermittlung von Telefonaten im Ortsnetz über die Einwahlnummer 0192101, die ihr von der Regulierungsbehörde ausschließlich für Online-Dienste zugewiesen worden war.Abs. 8
Die Antragstellerin sieht hierin einen Verstoß gegen § 1 UWG, weil sie die Gasse 031 bzw. die ihr zugeteilte Einwahlnummer 0192101 zu Zwecken mißbrauche, für die diese nicht bestimmt seien. Sie verschaffe sich auf diese Weise vor ihren Wettbewerbern einen Vorsprung durch Rechtsbruch und gefährde zudem aufgrund dieses Mißbrauchs die bestehenden technischen Einrichtungen. Abs. 9
Die Antragstellerin beantragt im Wege der einstweiligen Verfügung,

wie erkannt.

Abs. 10
Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Abs. 11
Die Antragsgegnerin sieht sich zu ihrem Verfahren sowohl aufgrund der Zusammenschaltungsvereinbarung wie auch aufgrund der in der Bundesrepublik noch nicht umgesetzten EU-Richtlinie als berechtigt an. Abs. 12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen. Abs. 13

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig und begründet. Abs. 14
Der Unterlassungsanspruch besteht gemäß § 1 UWG, weil die Antragsgegnerin mit den Handlungen, die Gegenstand des Unterlassungstenors sind, gegen die von den Parteien abgeschlossene Zusammenschaltungsvereinbarung und zudem gegen gesetzliche Regelungen verstößt und sich aufgrund dieses Rechtsbruchs einen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern verschafft, der ihr nicht zusteht.Abs. 15
Telefongespräche innerhalb eines Ortsnetzbereiches sind nicht Gegenstand der Zusammenschaltungsvereinbarung der Parteien. Ziffer 5 dieser zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung verweist auf die jeweils aktuelle Version der Spezifikation "Verbindungsnetzbetreiberauswahl (Carrier Selection)" des Arbeitskreises für technische und betriebliche Fragen der Nummerierung und Netzzusammenschaltung (AKNN), an dem im übrigen die Antragsgegnerin beteiligt ist. In Ziffer 6. 1 dieser Spezifikation heißt es ausdrücklich als "Regel": "Bei der Wahl eines Zieles innerhalb des Ortsnetzes wird beim Verbindungsaufbau der voreingestellte Verbindungsnetzbetreiber und ein gewählter Verbindungsnetzbetreiber nicht berücksichtigt." Abs. 16
Die Antragsgegnerin kann sich nicht darauf berufen, daß sie die Vorwahl 031 nur zu dem festgelegten Zweck, nämlich zum Testen von Netzübergängen, benutzen würde. Abgesehen davon, daß nicht ersichtlich ist, weshalb die Verwendung dieser Vorwahl zur Überprüfung der eigenen Leistungsfähigkeit des eigenen Netzes zur Vermittlung des Verkehrs und zur Abrechnung erforderlich sein soll, handelt es sich angesichts der Werbung der Antragsgegnerin für "Call-by-Call für Ortsgespräche" ganz eindeutig nicht um einen Test; die Antragsgegnerin bewirbt die Möglichkeit nämlich als dauerndes Angebot und nicht nur für einen begrenzten Zeitraum, wie dies für einen Test ausreichen würde.Abs. 17
Mit dem Mißbrauch dieser Vorwahl für Zwecke, für die sie nicht zur Verfügung gestellt worden ist, schafft sich die Antragsgegnerin vor ihren Mitbewerbern, die sich an die vorhandenen Regelungen und Vorschriften halten, einen Vorsprung durch Rechtsbruch, auf den sie keinen Anspruch hat. Denn aus der EU-Richtlinie kann die Antragsgegnerin allenfalls einen Anspruch gegenüber dem Staat oder einer staatlichen Stelle herleiten, nicht aber einen Anspruch gegen einen anderen Marktteilnehmer, weil eine nicht umgesetzte Richtlinie keine Anspruchsgrundlage auf horizontaler Ebene schafft (vgl. die Marshall-Entscheidung des EuGH, Slg. 1986, 723). Abs. 18
Auch ein Anspruch der Antragsgegnerin nach dem GWB besteht unter keinem Gesichtspunkt. Denn die Leistungen, die die Antragsgegnerin für sich in Anspruch nehmen will, sind gleichartigen Unternehmen eben nicht zugänglich, wenn diese sich an die Regelungen des Gesetzgebers halten.Abs. 19
Was für die mißbräuchliche Inanspruchnahme der Gasse 031 gilt, gilt gleichfalls für die Verwendung der ihr von der Regulierungsbehörde ausschließlich für Online-Dienste zugeteilten Rufnummer 0192101. Soweit die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung meinte, daß der Antrag der Antragstellerin in bezug auf diese Nummer auf jeden Fall zu weit gefaßt sei, weil Gespräche am gleichen Ort über diese Nummer auch per Datenübertragung möglich seien, sah sich die Kammer zu einer Einschränkung nicht veranlaßt. Denn der Antrag der Antragstellerin bezieht sich ausdrücklich nur auf Telefongespräche, worunter nach dem Sprachgebrauch eine Kommunikation per Internet nicht verstanden wird.Abs. 20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus dem Zweck der einstweiligen Verfügung. Abs. 21
Streitwert: DM 1.000.000,00
JurPC Web-Dok.
24/2001, Abs. 22
[online seit: 12.02.2001]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Köln, LG, Call-by-Call Gespräche im Ortsnetz - JurPC-Web-Dok. 0024/2001