JurPC Web-Dok. 71/2000 - DOI 10.7328/jurpcb/200015573

Hanseatisches Oberlandesgericht
Urteil vom 25.11.1999

3 U 62/99

Unaufgeforderte Telefonwerbung durch eine gesetzliche Krankenkasse

JurPC Web-Dok. 71/2000, Abs. 1 - 19


GVG § 17 Abs. 2; UWG §§ 1, 13 Abs. 2 Nr. 3; SGB V §§ 13 ff.

Leitsatz (der Redaktion)

Auch eine gesetzliche Krankenkasse handelt rechts- und sittenwidrig, wenn sie unaufgefordert mit werbenden Telefongesprächen belästigend in die Privatsphäre möglicher Kunden eindringt, denn es stehen ihr weniger anstößige Methoden zu Gebote, um ihrem Auftrag aus den §§ 13 ff SGB V gerecht zu werden.

Tatbestand

Die Klägerin, ein rechtsfähiger Verbraucherverband im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG, nimmt die Beklagte, eine gesetzliche Krankenkasse (Ersatzkasse), aus § 1 UWG auf Unterlassung von Telefonwerbung in Anspruch.JurPC Web-Dok.
71/2000, Abs. 1
Eine Mitarbeiterin der Beklagten rief am 15. Oktober 1996 bei der Familie eines Schulabgängers an, dessen Rufnummer sie aus der Abiturientenzeitung erfahren hatte. Der Inhalt des Gesprächs ist im einzelnen streitig. Nach Behauptung der Klägerin hat es auch weitere Anrufe vergleichbarer Art gegeben. Abs. 2
Die Klägerin hält dieses Vorgehen, das nicht durch die gesetzlichen Aufgaben der Beklagten gerechtfertigt sei, als belästigende Telefonwerbung für sittenwidrig.Abs. 3
Sie hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens DM 500.000, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), letztere zu vollziehen an ihren gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen, Endverbraucher anzurufen, um sie als Kunden zu werben, wenn diese nicht vorher einer telefonischen Kontaktaufnahme zugestimmt haben.

Abs. 4
Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

Abs. 5
und erwidert, zwar komme solchen Anrufen, die grundsätzlich im zuvor erklärten Einverständnis des Angerufenen erfolgten, eine gewisse Werbewirkung zu, doch erfülle sie mit ihnen die ihr gesetzlich auferlegte Pflicht, die Bevölkerung aufzuklären und zu beraten.Abs. 6
Nachdem der Bundesgerichtshof am 14. Mai 1998 den Zivilrechtsweg für zulässig erklärt hatte, hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.Abs. 7
Von der Wiedergabe weiterer Einzelheiten wird abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).Abs. 8

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.Abs. 9
1. Das Landgericht hat Anrufe der Beklagten ohne vorherige Kontaktaufnahme nach den Maßstäben des Zivilrechts als Wettbewerbshandlung eingestuft, weil seit der Änderung des § 173 Abs. 2 SGB V ein derartiger Anruf - wie die Beklagte selbst einräume - auch ermögliche, neue Mitglieder zu gewinnen, und ein solches Verhalten nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (BGH GRUR 1979, 523 - Telefonwerbung I) als belästigende Werbung sittenwidrig sei, ohne daß die öffentlich-rechtlichen Aufgaben der Beklagten dies rechtfertigen könnten.Abs. 10
2. Die Beklagte macht geltend, der Klägerin fehle bereits die Klagebefugnis. Diese ergebe sich nicht aus §§ 1, 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG. Das UWG sei auf sie nicht anzuwenden, denn - wie das Bundessozialgericht am 31. März 1998 (Az.: B 1 KR 9/95 R) entschieden habe -

"unbeschadet des in einem gegliederten System der Krankenversicherung mit Kassenwahlfreiheit bestehenden Konkurrenzverhältnisses bleiben die Krankenkassen als Organe mittelbarer Staatsverwaltung auch bei ihren Werbemaßnahmen der gemeinsamen öffentlichen Aufgabe der gesundheitlichen Daseinsvorsorge verpflichtet. Dürften die Belange der Allgemeinheit dem Interesse an der Mitgliederwerbung untergeordnet werden, wäre ihre ordnungsgemäße Erfüllung nicht mehr sichergestellt. Deshalb müssen die Grenzen des Wettbewerbs zwischen Krankenkassen anhand des gesetzlichen Auftrags und der zu seiner Verwirklichung erlassenen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs bestimmt werden; diese und nicht die Normen des privatrechtlichen Wettbewerbsrechts sind anzuwenden, wenn über Ansprüche aus unzulässigen Werbemaßnahmen einer Krankenkasse zu entscheiden ist...."
Abs. 11
Dem folge letztlich auch der Bundesgerichtshof, wenn er in seinem Beschluß vom 14. Mai 1998 im vorliegenden Rechtsstreit klarstelle, daß bei Streitigkeiten zwischen gesetzlichen Krankenkassen über Maßnahme der Mitgliederwerbung der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben sei, und er nur wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen dem privaten Recht unterstelle Selbst das sei zweifelhaft, denn es könne nicht richtig sein, "daß der hier streitige Telefonanruf einmal nach den Regeln des Wettbewerbsrechts, ein (andermal) nach sozialrechtlichen Vorschriften zu beurteilen ist, je nachdem wer gerade auf der Klägerseite steht." Hier gehe es aber nicht einmal um einen privatrechtlichen Wettbewerber, sondern um einen Verband nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG, der sich auf keinen Fall auf den privatrechtlichen Anspruch aus § 1 UWG berufen könne, weil die im Streit stehende Maßnahme öffentlich-rechtlich geregelt sei und keine Abgrenzung nach Inhalt einerseits und Art und Weise andrerseits erlaube.Abs. 12
3. Der Beklagten ist einzuräumen, daß es absurd wäre, wenn das Ergebnis eines Rechtsstreits über dasselbe Verhalten davon abhinge, wer klagt. Ihre Erwägungen büßen aber an Überzeugungskraft ein, wenn man sich vor Augen hält, daß das Ergebnis das gleiche sein kann, ob man nun privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Normen anwendet. Es ist schwer vorstellbar, daß ein Verhalten, das unter privatrechtlichen Gesichtspunkten den Makel der Sittenwidrigkeit trägt, diesen nur deshalb verlieren sollte, weil es ausschließlich nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben zu beurteilen ist.Abs. 13
Das Bundessozialgericht hat ja nicht etwa geäußert, gesetzliche Krankenkassen seien bei der Mitgliederwerbung von allen Fesseln frei, denen private Krankenkassen unterworfen sind. Es hat vielmehr in einem Rechtsstreit zwischen zwei gesetzlichen Krankenkassen entschieden, daß die sozialrechtlichen Regelungen einer A.... keine Ansprüche gegen die B......... Ersatzkasse auf Auskunft, Veröffentlichung einer Unterlassungserklärung und Ersatz der Kosten eines Rechtsanwaltes gäben. Um solche Ansprüche geht es hier nicht, während sich dem Bundessozialgericht die Frage nach dem Unterlassungsanspruch nicht stellte, weil sich die Ersatzkasse wegen einer "Gegenüberstellung der Leistungsunterschiede der B....... Ersatzkasse gegenüber der A...." mit teilweise unrichtigem, irreführendem bzw. diskriminierendem Inhalt bereits strafbewehrt unterworfen hatte. Es spricht nichts dagegen, daß das Bundessozialgericht dieses Verhalten unter Würdigung des Umstandes, daß es von der Privatrechtsordnung als sittenwidrig angesehen wird, verboten hätte, wenn es sich mit ihm hätte befassen und die Grenzen des Wettbewerbs "anhand des gesetzlichen Auftrags und der zu seiner Verwirklichung erlassenen Vorschriften des Sozialgesetzbuchs" hätte bestimmen müssen.Abs. 14
Für den Senat steht fest, daß sich die Beklagte rechtswidrig verhält, wenn sie in belästigender Weise in die Privatsphäre möglicher Kunden eindringt, denn das ist sittenwidrig, weil ihr weniger anstößige Methoden zu Gebote stehen, um ihrem Auftrag aus den §§ 13 ff. SGB V gerecht zu werden, mag sich das nun aus § 1 UWG ergeben oder aus einer entsprechenden Bewertung der Vorschriften des SGB. Daß der Senat auch in diesem Falle zu entscheiden befugt ist, ergibt sich aus § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG.Abs. 15
4. Daraus allein folgt allerdings noch nicht, daß die Klägerin klagebefugt ist. Doch ist auch das zu bejahen. Abs. 16
Dem muß nicht einmal die Auffassung des Bundessozialgerichts entgegenstehen, denn das hat seine Entscheidung in einem Fall getroffen, bei dem auf beiden Seiten Subjekte des öffentlichen Rechts beteiligt waren. Was gelten soll, wenn ein Privatrechtssubjekt klagt, ist damit nicht entschieden. Es erscheint jedenfalls möglich, daß eine Maßnahme, die gleichzeitig in den öffentlich-rechtlichen und in den privatrechtlichen Bereich hineinwirkt, gemäß dieser Doppelnatur je nach der Betroffenheit des Klägers nach unterschiedlichen Normen bewertet werden muß, ohne daß die Ergebnisse sich unterscheiden. Daß im vorliegenden Fall Privatrecht anzuwenden und die Klägerin deshalb nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 UWG klagebefugt ist, ergibt sich aus dem in dieser Sache ergangenen Beschluß des Bundesgerichtshofs, der unter II. 2. b. aus allgemeinen Erwägungen den Rechtsweg zu den Zivilgerichten bejaht und unter II. 2. c. die Richtigkeit dieses Ergebnisses unter anderem mit den Worten begründet hat: "Die Frage, wie die Beklagte ihre Aufklärungspflicht zu erfüllen hat, wird nicht durch öffentlich-rechtliche Bestimmungen geregelt. Eine Werbemaßnahme der vorliegenden Art muß sich daher an den für das Wettbewerbsverhalten maßgeblichen privatrechtlichen Normen messen lassen. Die Beklagte unterliegt bei der Erfüllung ihrer Aufklärungspflicht mithin den gleichen privatrechtlichen Beschränkungen wie es bei den Anbietern privater Krankenversicherungen der Fall ist."Abs. 17
5. Zu den weiteren Voraussetzungen des Anspruchs, insbesondere zur Begehungsgefahr wird ergänzend auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.Abs. 18
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt.
JurPC Web-Dok.
71/2000, Abs. 19
[online seit: 15.05.2000]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Hamburg, Hanseatisches Oberlandesgericht, Unaufgeforderte Telefonwerbung durch eine gesetzliche Krankenkasse - JurPC-Web-Dok. 0071/2000