JurPC Web-Dok. 188/1998 - DOI 10.7328/jurpcb/19981312190

OLG Frankfurt, Urteil vom 05.11.98 (6 U 130/98)

Zulässigkeit einer Rechtsberatungshotline

JurPC Web-Dok. 188/1998, Abs. 1 - 21


§§ 1 UWG, 3 Abs. 1 BRAGO

Leitsatz (der Redaktion)

Die Einziehung einer Zeitvergütung für die Erteilung von Rechtsrat durch Rechtsanwälte über eine Rechtsberatungshotline mittels einer geschalteten "0190"-Nummer ist mit § 3 BRAGO nicht zu vereinbaren und begründet einen Wettbewerbsverstoß.

Tatbestand

Die Antragsteller betreiben eine in ... und ... ansässige Anwaltskanzlei. Der in ... als Anwalt ansässige Antragsgegner beteiligt sich an einem von der unter der Bezeichnung "..." unterhaltenen Service zur telefonischen Rechtsberatung unter einer "0190"-Nummer, auf den in der Programmzeitschrift ... Nr. 12, wie folgt hingewiesen wurde:
(Es folgt die Anzeige.)
JurPC Web-Dok.
188/1998, Abs. 1
Bei einem Anruf unter der angegebenen Nummer wird der Rechtssuchende mit einem ihm bis dahin unbekannten Anwalt verbunden. Der Anrufer hat an die ... eine Gesprächsgebühr von 3,63 DM pro Minute zu entrichten, von der ein Anteil in Höhe von 2,48 DM an den Servicebetreiber bzw. den beteiligten Anwalt weitergeleitet wird. Der Antragsteller zu 1) wurde anläßlich eines Testanrufs unter der fraglichen Nummer mit dem Antragsgegner verbunden.Abs. 2
Die Antragsteller sind der Auffassung, die Zeitvergütung von 3,63 DM pro Minute verstoße gegen die Vorschriften der BRAGO und gegen § 1 UWG. Sie nehmen den Antragsgegner daher auf Unterlassung der Werbung für eine Rechtsberatung zu diesen Kosten in Anspruch.Abs. 3
Mit Urteil vom 18.05.1998 hat das Landgericht die beantragte einstweilige Verfügung gegen den Antragsgegner erlassen. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Berufung.Abs. 4
Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.Abs. 5

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Den Antragstellern steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch in der aus dem Tenor ersichtlichen Form aus §§ 1 UWG in Verbindung mit 3 Abs. 1 BRAGO zu.Abs. 6
Die Einziehung einer Zeitvergütung für telefonische Rechtsberatung unter einer "0190"-Nummer in der beanstandeten Höhe ist mit den Vorschriften über die Vereinbarung und Erhebung von Zeitvergütungen (§ 3 BRAGO) in zweierlei Hinsicht nicht vereinbar.Abs. 7
Zum einen beanstanden die Antragsteller mit Recht, daß eine solche pauschale Zeitvergütung im Einzelfall die gesetzlichen Gebühren der BRAGO in unangemessener Weise unterschreiten kann (§ 3 Abs. 5 Satz 4 BRAGO). Denn ob eine Zeitvergütung in angemessenem Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Anwalts steht, läßt sich regelmäßig nur an Hand des konkret in Aussicht stehenden Mandatsverhältnisses beurteilen, während im vorliegenden Fall die Höhe der Zeitvergütung gerade nicht individuell vereinbart wird, sondern unterschiedslos auf alle denkbaren Beratungsfälle Anwendung findet.Abs. 8
Zum anderen kann die vom Antragsgegner erhobene Zeitvergütung - wogegen sich die Antragsteller sowohl mit der Begründung ihres Verfügungsbegehrens als auch mit dem Unterlassungsantrag in der zuletzt gestellten Fassung ebenfalls wenden - aber auch über der gesetzlichen Gebühr liegen, ohne daß die hierfür vorgesehenen Formvorschriften (§ 3 Abs. 1 BRAGO) beachtet werden.Abs. 9
Das streitgegenständliche Angebot telefonischer Rechtsberatung ist vorrangig auf die Beantwortung alltäglicher Rechtsfragen gerichtet, die auch Fälle mit sehr niedrigen Streitwerten betreffen können. Bei einem Streitwert bis zu 600, -- DM entstehen aus einer telefonischen Beratung, die über einen Rat oder eine Auskunft im Sinne von § 20 BRAGO hinausgeht und daher eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, unter Zugrundelegung einer Geschäftsgebühr (Mittelgebühr) nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO folgende gesetzlichen Gebühren:Abs. 10
7,5/10 aus der vollen Gebühr (50,-- DM) 37,50 DM
16% Mehrwertsteuer6,-- DM
42,50 DM (sic!)
Abs. 11
Dieser Betrag kann bei Inanspruchnahme der streitgegenständlichen "0190"-Servicenummer durchaus überschritten werden. Selbst wenn man zum Zwecke der Vergleichsberechnung lediglich denjenigen Teil der Gesprächsgebühren berücksichtigt, den die Deutsche Telekom an den Anwalt bzw. den Systembetreiber weiterleitet (2,48 DM pro Minute) , ist die Höhe der gesetzlichen Gebühren von 42,50 DM bereits nach einer Gesprächsdauer von gut 17 Minuten erreicht. Eine solche Dauer ist für eine vollständige Beratung nicht unrealistisch, da auch bei Fällen mit geringem Streitwert die Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Fragen gerade bei weniger gewandten Mandanten eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen kann.Abs. 12
Der Antragsgegner beruft sich in diesem Zusammenhang ohne Erfolg darauf, daß die Mehrzahl der eingehenden Anrufe ohnehin nur wenige Minuten in Anspruch nehme, da viele Anrufer lediglich eine erste Einschätzung haben wollten, ob sich in ihrem Fall das Aufsuchen eines Anwalts überhaupt lohne. Die Abgabe einer solchen Einschätzung - für die Anwälte in der Regel ohnehin keine Kostennote stellen werden - löst allenfalls eine Ratsgebühr (§ 20 BRAGO) an der unteren Grenze des Gebührenrahmens (1/10 bis 10/10) aus. Unter Zugrundelegung eines geringen Streitwertes entstehen dabei sehr geringe gesetzliche Gebühren, deren Höhe durch einen Anruf unter der "0190"-Nummer wiederum bereits nach wenigen Minuten erreicht wird.Abs. 13
Die demnach im vorliegenden Fall jedenfalls mögliche Vereinnahmung einer über den gesetzlichen Gebühren liegenden Zeitvergütung ist mit § 3 Abs. 1 BRAGO unvereinbar, weil die in dieser Vorschrift vorgesehene Schriftform nicht gewahrt wird und aufgrund des Gebührenerhebungssystems auch nicht gewahrt werden kann. Zwar ist dem Rechtsanwalt die Vereinbarung einer höheren Zeitvergütung ohne Beachtung der Schriftform nicht schlechthin verboten, er ist in einem solchen Fall nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BRAGO lediglich gehindert, die höhere Vergütung zu verlangen, während der Auftraggeber seinerseits die freiwillig und ohne Vorbehalt geleistete höhere Vergütung nicht zurückfordern kann (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO). Die "Freiwilligkeit" der Leistung setzt in diesem Zusammenhang jedoch voraus, daß der Auftraggeber weiß , daß seine Zahlung die gesetzliche Vergütung übersteigt (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 13. Aufl., Rz. 7 zu § 3). Daran fehlt es hier, nachdem der Systembetreiber, dem sich der Antragsgegner angeschlossen hat, gerade mit der Preisgünstigkeit seines Angebots wirbt. In den Fällen der Überschreitung der gesetzlichen Gebühren zieht der Antragsgegner daher eine Vergütung ein, auf die er in dieser Höhe auch unter Berücksichtigung der Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 2 BRAGO keinen Anspruch hat.Abs. 14
Mit dem Verstoß gegen die Vorschriften des § 3 BRAGO verschaffen sich die Anwälte, die sich dem in Rede stehenden Telefonservice angeschlossen haben, zugleich einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorsprung vor anderen Anwälten, die die gesetzlichen Beschränkungen bei der Vereinbarung von Zeitvergütungen beachten.Abs. 15
Aus der Wettbewerbswidrigkeit dieser Form der Einziehung von Zeitvergütungen ergibt sich weiter, daß auch die Werbung hierfür mit § 1 UWG unvereinbar ist. Die in ... Nr. 12 erschienene Veröffentlichung ist schon im Hinblick auf ihre Aufmachung kein redaktioneller Beitrag, sondern stellt objektiv Werbung für den ... dar, die auch dem Antragsgegner zugute gekommen ist.Abs. 16
Die Passivlegitimation des Antragsgegners für die wettbewerbswidrige Werbung ergibt sich bereits daraus, daß er sich dem angeschlossen hat. Denn daß für diesen Service unter Hinweis auf die Abrechnungsmodalitäten geworben werden würde, war nicht nur vorhersehbar, sondern Bestandteil der Geschäftsidee. Ob der Antragsgegner von der konkreten Gestaltung der Anzeige Kenntnis hatte, ist unter diesen Umständen unerheblich.Abs. 17
Die Antragsteller sind auch aktivlegitimiert, da sie durch die Verletzungshandlung unmittelbar betroffen sind. Das hierfür ausreichende konkrete Wettbewerbsverhältnisse (vgl. BGH WRP 98, 973 - Fotovergrößerungen) ist gegeben, weil wegen der örtlich unbeschränkten Werbung des Antragsgegners jedenfalls denkbar ist, daß ein im Raum ... ansässiger Anrufer, der mit dem Antragsgegner verbunden wird, sich ansonsten an die Antragsteller gewandt hätte.Abs. 18
Die erhobene Verjährungseinrede greift schon deswegen nicht durch, weil das Vorbringen des Antragsgegners im Prozeß jedenfalls eine (neue) Begehungsgefahr begründet, der Antragsgegner hat keinen Zweifel daran gelassen, daß er ohne ein gerichtliches Verbot weiterhin in der beanstandeten Weise werben bzw. für sich werben lassen würde.Abs. 19
Ob darüber hinaus die vom Antragsgegner betriebene Form der Rechtsberatung im Hinblick auf den anonymen Charakter des Angebots, die unmittelbare Einziehung der Zeitvergütung durch die ... und die damit beispielsweise verbundenen Haftungsfragen weiteren rechtlichen Bedenken begegnet, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens.Abs. 20
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
JurPC Web-Dok.
188/1998, Abs. 21
Anmerkung der Redaktion:
Zum Thema Rechtsberatungshotline vgl. die Entscheidungen des OLG München vom 23.07.98, Az.: 29 U 4042/98 = JurPC Web-Dok. 167/1998und des LG Berlin vom 18.08.98, Az.: 16 O 121/98 = JurPC Web-Dok. 182/1998.
[online seit: 11.12.98 ]
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Frankfurt, OLG, Zulässigkeit einer Rechtsberatungshotline - JurPC-Web-Dok. 0188/1998