Ausgabe vom 21. März 2023
37/2023   OLG Frankfurt a.M.: Parodierende Auseinandersetzung mit einem urheberrechtlich geschützten Lichtbild (Urteil vom 02.02.2023, 11 U 101/22)
 Eine Parodie im Sinne des § 51a UrhG liegt nicht vor, wenn sich ein zu prüfender Wort- und/oder Bildbeitrag in der Kritik am Gegenstand des urheberrechtlich geschützten Lichtbild(werk)s - hier: dem auf der Fotografie abgebildeten Rechtsanwalt - erschöpft und weder Humor noch Verspottung erkennen lässt.
38/2023   VG Karlsruhe: Beweiskraft einer eingescannten Postzustellungsurkunde (Beschluss vom 21.02.2023, A 19 K 304/23)
 Eine Verletzung der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgender Gebote ordnungsgemäßer Aktenführung (insbes. Aktenverständlichkeit, Aktenwahrheit, Aktenvollständigkeit und Aktenbeständigkeit) rechtfertigt für sich allein nicht, eine materiell-rechtlich nicht gebotene bzw. gerechtfertigte Entscheidung zu treffen. Wird das Original einer Postzustellungsurkunde nachträglich vorgelegt, ist dieses auch dann beachtlich, wenn sich in der vorgelegten elektronischen Akte kein Hinweis darauf findet, dass es sich um eine hybride Akte handelt und auch Papierdokumente Bestandteil der vollständigen Akten sind. Auf das elektronische Dokument "Scan einer Postzustellungsurkunde" finden die §§ 415, 418 ZPO nur dann aufgrund der Anordnung des § 371b ZPO entsprechend Anwendung, wenn der Scan nach dem Stand der Technik erfolgt ist und eine Bestätigung vorliegt, dass das elektronische Dokument mit der Urschrift bildlich und inhaltlich übereinstimmt. Den derzeit (Februar 2023) vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Asylverfahren vorgelegten elektronischen Akten lassen sich diese Umstände - Scan nach dem Stand der Technik, Bestätigung der Übereinstimmung - nicht entnehmen, so dass die Anwendung von § 371b ZPO regelmäßig ausgeschlossen ist.
39/2023   LSG Niedersachsen-Bremen: Anspruch gegen Aufsichtsbehörde aus der DSGVO (Urteil vom 14.02.2023, L 16 SF 5/21 DS (KR))
 Aus Art 57 Abs 1f DSGVO iVm Art 77, 78 Abs 1 DSGVO ergibt sich nicht lediglich ein petitionsähnliches Recht in dem Sinne, dass sich die Aufsichtsbehörde, hier der beklagte Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationssicherheit, mit der Beschwerde befasst, sondern es besteht ein Anspruch auf eine gerichtlich überprüfbare ermessenfehlerfreie Entscheidung. Der Aufsichtsbehörde steht sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen zu. Stellt die Aufsichtsbehörde einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung fest, ist ihr Entschließungsermessen angesichts ihrer sich aus Art 57 Abs 1a DSGVO ergebenden Verpflichtung, die Anwendung der Datenschutzgrundverordnung durchzusetzen, regelmäßig dahingehend reduziert, von ihren Abhilfebefugnissen nach Art 58 Abs 2 DSGVO Gebrauch zu machen bzw mit dem Ziel der Abstellung des Verstoßes vorzugehen. Im Bereich des Auswahlermessens steht der Behörde ein weiter Spielraum zu, ein bestimmtes behördliches Handeln kann regelmäßig nicht verlangt werden. Macht der Kläger keine Ansprüche aus seinem Sozialleistungsverhältnis geltend, sondern Ansprüche aus der DSGVO auf ein hoheitliches Einschreiten des Datenschutzbeauftragten, sind Kosten gemäß § 197a SGG iVm dem GKG zu erheben und die §§ 154 bis 162 VwGO anzuwenden. Der Kläger steht nicht in einem Sozialrechtsverhältnis zur Datenschutzaufsichtsbehörde und ist nicht in seiner Eigenschaft als Zugehöriger eines privilegierten Personenkreises im Sinne des § 183 SGG beteiligt. Die garantierte Kostenfreiheit des Beschwerdeverfahrens (Art 57 Abs 3 DSGVO) gilt nach den Grundsätzen der DSGVO nicht für das Gerichtsverfahren.
40/2023   LAG Niedersachsen: Einreichung eines nicht den Formatvorgaben nach § 46c Abs. 2 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 ERVV entsprechenden Schreibens (Beschluss vom 22.02.2023, 4 Sa 833/22)
 Die Regelungen in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV, wonach das elektronische Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln ist und ausnahmsweise zusätzlich im Dateiformat TIFF übermittelt werden darf (§ 2 Abs. 1 Satz 2 ERVV) sind zwingend. Ein im Format "MSG" übermitteltes Schreiben an das Gericht ist nicht formwirksam iSv. § 46c Abs. 2 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 ERVV eingegangen, auch wenn diesem Schreiben die Berufungsbegründung als Anlage im Format PDF beigefügt ist.
 
Ausgabe vom 14. März 2023
33/2023   BGH: rakuten.de (Urteil vom 10.11.2022, I ZR 10/22)
 Händler im Sinne des § 54b Abs. 1 UrhG ist, wer gewerblich Geräte und Speichermedien erwirbt und weiterveräußert, also Kaufverträge über diese Produkte abschließt. Es ist mit Blick auf die aus Art. 5 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG folgende Ergebnispflicht bei der Gewährung des gerechten Ausgleichs für die Anfertigung von privaten Vervielfältigungen nicht geboten, Online-Marktplätze, die die Vermittlung von Kaufverträgen über vergütungspflichtige Geräte und Speichermedien ermöglichen, in den Kreis der Schuldner der Gerätevergütung (§ 54 Abs. 1, § 54b Abs. 1 und 2 UrhG) aufzunehmen. Die analoge Anwendung des § 54b Abs. 1 UrhG auf Internet-Marktplätze kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht.
34/2023   LG Frankfurt a.M.: Keine anwaltliche Tätigkeit bei Einschaltung eines "Entschädigungsmangers" II (Urteil vom 23.02.2023, 2-24 S 97/22)
 Die Einschaltung eines "Entschädigungsmanagers" im Rahmen von Ansprüchen nach der Fluggastrechteverordnung zum Zweck der Generierung einer E-Mail an den Verpflichteten führt nicht zu einer Beauftragung mit einer anwaltlichen Tätigkeit vor Eintritt des Verzuges. Durch die Zurverfügungstellung eines "Entschädigungsmanagers" als digitale Plattform, mittels derer Fluggäste durch Eingabe von Daten eine E-Mail generieren können, die eine Zahlungsaufforderung beinhaltet, wird keine anwaltliche Tätigkeit erbracht. Denn der Entschädigungsmanager erstellt die E-Mail als automatisiertes Verfahren unter Einsatz eines Algorithmus. Eine anwaltliche Tätigkeit wird hierdurch nicht ausgeführt, weil kein Rechtsanwalt die Berechtigung der Forderung prüft und die E-Mail auch nicht von einem Rechtsanwalt entworfen wird.
35/2023   AG Frankfurt a.M.: Keine anwaltliche Tätigkeit bei Einschaltung eines "Entschädigungsmanagers" I (Urteil vom 23.05.2022, 30 C 3493/21 (71))
 Ein Generator ist Ergebnis einer entweder selbst entwickelten oder zumindest nach bestimmten Vorgaben erstellten Software. Dies mag bei der Bewältigung von Anspruchsmassen praktisch sein, führt jedoch nicht dazu, dass eine vergütungspflichtige anwaltliche Tätigkeit vorliegt.
36/2023   AG München: Unzulässige E-Mail-Werbung nach Erlöschen einer ursprünglich erteilten Einwilligung (Endurteil vom 14.02.2023, 161 C 12736/22)
 Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine Einwilligung in E-Mail-Werbung grundsätzlich zeitlich unbegrenzt gilt, kann je nach den Umständen des Einzelfalls nicht mehr von einem Fortbestehen der Einwilligung des Klägers auszugehen sein. Dies ist etwa der Fall, wenn ein E-Mail-Account unstreitig für die Dauer von 4 Jahren nicht mehr genutzt worden war und in dieser Zeit auch keine E-Mail-Werbung mehr an diesen Account gerichtet wurde. In einem solchen Fall kann die Pflicht des Versenders bestehen, sich zunächst zu erkundigen, ob die ursprüngliche Einwilligung noch fortbesteht.
 
Ausgabe vom 07. März 2023
29/2023   Hessischer VGH: Örtliche Zuständigkeit bei Klagen im Rahmen der DSGVO (Beschluss vom 01.12.2022, 10 B 1898/22)
 Die Vorschrift des Art. 79 Abs. 2 DS-GVO wird durch § 44 Abs. 1 und 2 BDSG um Regelungen zur innerstaatlichen örtlichen Zuständigkeit für zivilrechtliche Klagen ergänzt, die die Regelungen zur internationalen Zuständigkeit eins zu eins auf die innerstaatliche örtliche Zuständigkeit übertragen. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 BDSG können Klagen der betroffenen Person gegen einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter wegen eines Verstoßes gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen im Anwendungsbereich der DS-GVO oder der darin enthaltenen Rechte der betroffenen Person zum einen bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem sich eine Niederlassung des Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiters befindet. Zum anderen können Klagen nach Satz 1 gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 BDSG aber auch bei dem Gericht des Ortes erhoben werden, an dem die betroffene Person ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort hat.
30/2023   OVG Rheinland-Pfalz: Sperre für Glücksspielinternetseiten (Beschluss vom 31.01.2023, 6 B 11175/22.OVG)
 Soweit § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Halbs. 1 des am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen Staatsvertrages zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland vom 29. Oktober 2020 (Glücksspielstaatsvertrag 2021 GlüStV 2021) Maßnahmen zur Sperrung unerlaubter Glücksspielangebote gegen im Sinne der §§ 8 bis 10 des Telemediengesetzes TMG verantwortliche Diensteanbieter, insbesondere Zugangsvermittler und Registrare, ermöglicht, wird hierbei das in §§ 8 bis 10 TMG vorgesehene System abgestufter Verantwortlichkeit im Wege einer dynamischen Rechtsgrundverweisung in Bezug genommen. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Halbs. 1 GlüStV 2021 trifft eine abschließende Sonderregelung für das Ergreifen von Maßnahmen zur Sperrung unerlaubter Glücksspielangebote gegen Diensteanbieter, die der Anwendung der allgemeinen Auffangermächtigung nach § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV 2021 unter Heranziehung der allgemeinen ordnungsrechtlichen Grundsätze über die Inanspruchnahme Nichtverantwortlicher entgegensteht.