JurPC Web-Dok. 150/2008 - DOI 10.7328/jurpcb/2008239146

Roswitha Müller-Piepenkötter *

"e-justice"
Eröffnungsvortrag auf dem 17. Deutschen EDV-Gerichtstag, 18.09.2008

JurPC Web-Dok. 150/2008, Abs. 1 - 38

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Eröffnungsvortrag
von Frau Justizministerin
Roswitha Müller-Piepenkötter
auf dem 17. Deutschen EDV-Gerichtstag
am 18. September 2008

"e-justice"


Ich freue mich, heute hier in Saarbrücken sein zu können. Der EDV-Gerichtstag ist mittlerweile ein Muss, nicht nur für IT-Spezialisten, sondern auch und gerade für die Justizministerinnen und Justizminister, sowie die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre. Nirgendwo sonst ist es möglich, ein so aussagekräftiges Bild über die wesentlichen Entwicklungen der Informationstechnik für den Rechtspflegebereich zu gewinnen. JurPC Web-Dok.
150/2008, Abs. 1
Das Thema, zu dem ich heute sprechen möchte, steht bereits seit einigen Jahren im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des EDV-Gerichtstags und es hat sich noch lange nicht erschöpft: e-justice. Dieses Kunstwort mag vielleicht noch nicht allgemein vertraut sein, doch es hat sich in den letzten Monaten immer stärker in unserem Sprachgebrauch verfestigt und soll - gerade auch in Abgrenzung zum e-government - den eigenständigen Beitrag der Justiz als Dritter Gewalt in der Informationsgesellschaft zum Ausdruck bringen. Es umfasst damit als wohl wichtigsten Teilbereich den elektronischen Rechtsverkehr. Die Abkehr vom Papier als dem alleinigen Transport- und Informationsmedium im Justizalltag beschäftigt nicht nur den EDV-Gerichtstag seit vielen Jahren, sondern auch die Justizministerien von Bund und Ländern. Seit 2004 trägt die "Gemeinsame Kommission elektronischer Rechtsverkehr", die sich unter dem Vorsitz des EDV-Gerichtstags aus Vertretern der Anwaltschaft und des Notariats, der Landesjustizverwaltungen, des Bundesministeriums der Justiz, Vertretern der IT-Wirtschaft und verschiedenen Praktikern von Pilotgerichten zusammensetzt, maßgeblich dazu bei, die Entwicklung des elektronischen Rechtsverkehrs in Deutschland voranzubringen. Abs. 2
Es handelt sich dabei offensichtlich nicht nur um technisch-organisatorische Maßnahmen im Rahmen von optimierter Aufbau- und Ablauforganisation, sondern um einen kulturellen Wandel. Warum aber unterziehen wir uns den damit verbundenen Mühen? Lohnt sich der Aufwand überhaupt? Abs. 3
Die Justiz ist den Bürgern und der Wirtschaft verpflichtet - einem rechtssicheren Handel, dem Austausch von Gütern, der Sicherung von Investitionen, dem Schutz des Eigentums. Kein modernes Wirtschaftsleben kommt ohne Justiz aus. Abs. 4
Und wie im Wirtschaftsleben genügt es seit vielen Jahren auch in der Justiz nicht mehr, nur national oder allenfalls die nächste Grenze überschreitend zu denken. Europa als Wirtschaftsraum hat in der Welt mächtige Konkurrenten. Diese Konkurrenten bieten potenziellen Investoren Rahmenbedingungen an, die in vielen Fällen attraktiver erscheinen mögen als die Bedingungen in Europa. Auf anderen Gebieten hat Europa hingegen "die Nase vorn", und ich glaube, wir können hier alle ohne falsche Bescheidenheit sagen, dass die Justiz zu diesen positiven Standortfaktoren zählt. Lassen Sie uns also die Rahmenbedingungen "Rechtsgewährung" und "Rechtsdurchsetzung" weiter verbessern, um konkurrenzfähig zu bleiben und die Zukunft des Wirtschaftsraumes "Europa" zu sichern. Abs. 5
Die Nutzung der Informationstechnik zu diesem Zweck ist eine Selbstverständlichkeit geworden, aber haben wir wirklich schon alles erreicht? Lassen Sie uns eine Bilanz versuchen. Abs. 6
Schauen wir zunächst auf die "Haben"-Seite. Unsere gesetzlichen Regelungen zum elektronischen Rechtsverkehr sind fast vollständig. Mit dem Formvorschriftenanpassungsgesetz und dem Zustellungsreformgesetz im Jahr 2001, dem Justizkommunikationsgesetz im Jahr 2005 und dem Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister im Jahr 2006 hat der Gesetzgeber wichtige Weichenstellungen vorgenommen, um den Einsatz der Informationstechnik in der Justiz voranzutreiben. Die Einreichung von Schriftsätzen in elektronischer Form, die Zustellung elektronischer Dokumente an Verfahrensbeteiligte oder die Führung elektronischer Akten sind de lege lata in vielen Bereichen der Justiz möglich, und de lege ferenda wird auch in anderen Bereichen, zum Beispiel im Grundbuch, der Informationstechnik der Weg gebahnt. Abs. 7
Was wurde in der Praxis erreicht ? Hier ist insbesondere das elektronische Handelsregister über alle Maßen erfolgreich. So steht seit Anfang 2007 unter "www.handelsregister.de" eine bundesweite Veröffentlichungsplattform für die aktuellen Registerbekanntmachungen sowie zur Einsicht in den Datenbestand der deutschen Handels- Genossenschafts-, Partnerschafts- und Vereinsregister zur Verfügung. Die Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen ist auf der Grundlage entsprechender Staatsverträge von allen Ländern mit dieser Aufgabe beauftragt worden. Aktuell nutzen über 100.000 Teilnehmer diesen kostenpflichtigen Dienst. Allein im Jahr 2007 wurden ca. 800.000 elektronische Anträge rechtsverbindlich elektronisch bei den Registergerichten eingereicht. Abs. 8
Bundesweit werden amtlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren auf "www.insolvenzbekanntmachungen.de" veröffentlicht.
Gerichtliche Zwangsversteigerungssachen werden im Zwangsversteigerungsportal "www.zvg-portal.de" publiziert
und Notare, Sparkassen, Banken können kostenpflichtig Zugang zur Internetgrundbucheinsicht "www.solumstar.nrw.de" erhalten. In Nordrhein-Westfalen nutzen mehr als 3.500 Teilnehmer diesen Dienst. Monatlich erfolgen über 100.000 Abrufe.
Abs. 9
Als Dach für unsere Auskunftsverfahren dient das Portal www.justiz.de, das von Bund und Ländern gemeinsam betrieben wird. Zum 01.07.2008 haben die Länder der Bundesrepublik Deutschland darunter eine gemeinsame Plattform zur Veröffentlichung von Bekanntmachungen im Bereich der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen eingerichtet. Abs. 10
Auf der "Haben"-Seite unserer e-justice-Bilanz können wir auch die rechtssichere Übertragung von Daten verbuchen. Das Elektronische Gerichts-und Verwaltungspostfach ist nicht nur in der Justiz von Bund und Ländern im Einsatz, sondern wird inzwischen auch im Bereich der inneren Verwaltung eingesetzt. Es ist eine sichere Austauschbasis, die den Belangen der Prozessordnungen genügt und alle Anforderungen an den Datenschutz erfüllt. Gegenüber dem einfachen E-Mail-Verkehr bietet das EGVP eine sichere Kommunikation mit dem elektronischen Gerichtspostfach, eine Verschlüsselung vom Absender bis zum Empfänger und eine sofortige Eingangsbestätigung. Mit Blick auf 37.000 Nutzer und knapp 1 Million Transaktionen - insbesondere in den Bereichen Register und Mahnsachen - kann man sagen, dass sich dieses Verfahren in kurzer Zeit etabliert hat und heute eine wesentliche Stütze des gesamten elektronischen Rechtsverkehrs darstellt. Abs. 11
Mit Stolz betrachten wir auch unsere Standardisierungserfolge auf der Basis unserer X-Justiz-Schemata. X-Justiz ist nicht nur die notwendige Voraussetzung für alle weiteren Aktivitäten zum Datenaustausch, sondern zugleich ein Musterbeispiel für Standardisierungsprozesse in föderalen Strukturen. Wenn eines Tages elektronische Akten zwischen Flensburg und München ohne Probleme ausgetauscht werden, Antragsdaten in der Justiz ohne Erfassungsaufwand weiter verarbeitet werden und Staatsanwaltschaften und Gerichte in ihrer gegenseitigen Kommunikation Routineaufgaben wie Aktenzeichenvergaben automatisch abwickeln - dann ist alles das nur möglich, weil es X-Justiz gibt. Abs. 12
Und schließlich können wir uns als Erfolg die von der Bund-Länder-Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierung vorangetriebene Projektarbeit zurechnen, wo - in gemeinsamem Wirken von Vertretern aus Bund und Ländern - Themen des elektronischen Rechtsverkehrs bearbeitet und neue Vorhaben generiert werden. Eines dieser Vorhaben ist z. B. ein Portal für die rechtsverbindliche Online-Antragstellung, das für jedermann die Möglichkeit bieten soll, nicht nur das richtige Formular komfortabel auswählen zu können, sondern auch das zuständige Gericht in Deutschland direkt per Orts- und Gerichtsdatei zu adressieren. Abs. 13
So ist viel getan worden, aber - und davon bin ich tief überzeugt - wir haben den größten Teil der Aufgaben noch vor uns. Abs. 14
Lassen Sie mich bei unserer Aufgabenliste beginnen mit einem Thema, das auch Sie hier auf dem EDV-Gerichtstag heute noch beschäftigen wird - der elektronischen Akte. Noch wird wohl kaum jemand von Ihnen, der bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft tätig ist, ausschließlich mit solchen Akten arbeiten. Ich weiß von den Kollegen aus dem Handelsregister, dass die Arbeit mit den elektronischen Eingängen alles andere als ein Vergnügen ist und viel Konzentration erfordert. Wie soll man sich dann die richterliche Arbeit mit solchen Akten in einem komplizierten Zivilprozess oder in einem mehrjährigen Verwaltungsrechtsstreit überhaupt vorstellen? Abs. 15
Theoretisch scheint sich hier eine stärkere Strukturierung des Parteivortrags anzubieten, so dass leicht ein übersichtlicher Aktenauszug erzeugt werden kann. Gerade bei kontradiktorischen Verfahren wird aber nicht damit zu rechnen sein, dass beide Parteien den Streitstoff in ihren Schriftsätzen in übereinstimmender Weise strukturieren - ist doch oft gerade die unterschiedliche Sichtweise Gegenstand des Streits. Und schließlich muss vielleicht erst Rechtswissen im Dialog mit dem Gericht erarbeitet werden, das schon aus diesem Grunde nicht in den Anträgen verarbeitet sein kann. Damit wird in streitigen Verfahren - von Routinefällen einmal abgesehen - wohl immer eine nachträgliche Strukturierung notwendig werden. Abs. 16
Für diese nachträgliche Strukturierung fehlen uns bisher die technischen Hilfsmittel. Meiner Ansicht nach muss daher erst die soft- und hardwaretechnische Basis für das Arbeiten mit elektronische Akten verbessert werden, damit wir den medialen Umstieg in der Fläche wagen können. Lassen Sie es mich ganz deutlich sagen: Wir brauchen eine die richterliche Arbeit unterstützende inhaltliche Aufbereitung des Prozessstoffes und nicht nur ein elektronisches Bilderbuch. Wir brauchen aber nicht nur in funktionaler Hinsicht eine Verbesserung der elektronischen Akte. Die Erfahrungen, die wir heute mit Dokumentenmanagementsystemen machen, mit unseren Fachanwendungen in den Handelsregistergerichten zeigen deutlich, dass auch in ergonomischer Hinsicht die justizspezifischen Anforderungen an die elektronische Akte noch nicht gelöst sind. Abs. 17
Hier gilt es teilweise ganz einfache und daher umso stärker nachvollziehbare Anforderungen der Praxis zu erfüllen. Das Arbeiten mit elektronischen Akten darf nicht zeitaufwändiger sein als der Umgang mit Papierakten. Die Übersichtlichkeit darf nicht leiden - gerade bei Umfangssachen verspreche ich mir hier von der elektronischen Akte Vorteile. Ich halte daher die intensiven Arbeiten zum Thema elektronische Akte für ein Schlüsselthema des elektronischen Rechtsverkehrs. Um es auf den Punkt zu bringen: wir brauchen elektronische Akten, mit denen man wirklich arbeiten kann. Abs. 18
Ich bin sicher, dass die Diskussion zu diesem Thema heute Nachmittag hier auf dem EDV-Gerichtstag einen wichtigen Beitrag darstellen wird, um zeitnah zu praxistauglichen Lösungen zu kommen. Abs. 19
Die nächste Aufgabe aus der Arbeitsliste zum elektronischen Rechtsverkehr scheint einfacher zu sein, sie ist aber nicht weniger wichtig. Es handelt sich dabei um den Austausch von Daten mit dem Ziel, sie nicht mehrfach erfassen zu müssen, was nicht nur Arbeit bereitet, sondern auch wieder Erfassungsfehler mit sich bringt und die Datenqualität beeinträchtigt. Ein hervorragendes Beispiel für eine solche Datenerfassung und - übergabe haben uns die Notare im Handelsregister bereits gegeben. In anderen Bereichen ist der Datenaustausch aber leider noch ungenügend entwickelt. Dabei sind die volkswirtschaftlichen Rationalisierungseffekte, die man durch einen abgestimmten Datenaustausch erzielen könnte, gigantisch. So sind allein in Nordrhein-Westfalen jährlich über 2 Millionen Eintragungsanträge in Grundbuchsachen zu verzeichnen. Sobald die rechtlichen Voraussetzungen hierfür geschaffen sind, werden wir in Zusammenarbeit mit der Bundesnotarkammer die elektronische Antragstellung in Grundbuchsachen in Angriff nehmen. Abs. 20
Man braucht auch ansonsten nicht weit zu suchen, um praktische Anwendungsfälle für einen Datenaustausch zu finden. So wird vom OLG Düsseldorf zusammen mit der Deutschen Rentenversicherung - Bund - zurzeit ein Pilotprojekt zur Erprobung der elektronischen Kommunikation im Versorgungsausgleich durchgeführt. Der besondere Lösungsansatz besteht darin, dass die DRV-Bund eine Web-Maske zur Verfügung stellt, die von unserer Fachanwendung JUDICA aufgerufen und mit Daten gefüllt wird. Mehr als ein OK-Knopf muss nicht mehr betätigt werden, um die Anfrage elektronisch an die DRV-Bund zu übermitteln. Bei der DRV-Bund wird sofort geprüft, ob für den jeweiligen Ehepartner dort ein Versicherungskonto geführt wird. In diesem Fall erhält das Familiengericht sofort auf elektronischem Wege eine Eingangsbestätigung.
Andernfalls erfolgt eine entsprechende Mitteilung - ggf. mit Hinweis auf den zuständigen Versorgungsträger. Auf Seiten der DRV-Bund erfolgt eine umgehende Einbindung in die dortige Vorgangsverwaltung.
Abs. 21
So gewinnen beide Seiten - Justiz und Rentenversicherer. Jährlich werden 35.000 Formulare, entsprechendes Porto und entsprechende Zeit eingespart. Es wundert daher nicht, wenn auch die DRV Rheinland und die DRV Westfalen Interesse angemeldet haben. Abs. 22
Das Projekt "Datenaustausch zwischen den Familiengerichten und der Deutschen Rentenversicherung Bund" (Pilotprojekt des OLG Düsseldorf) hat in der Endrunde des diesjährigen eGovernment-Wettbewerbs den 3. Platz belegt. Abs. 23
Sie, meine Damen und Herren, können diese Lösung hier beim EDV-Gerichtstag am NRW-Stand besichtigen. Ich darf mich an dieser Stelle zugleich bei der Deutschen Rentenversicherung - Bund - für die gute Zusammenarbeit bedanken und hoffe, dass wir diese noch vertiefen können. Abs. 24
Die elektronische Kommunikation zwischen Familiengerichten und Versorgungsträgern wird uns nämlich noch im Zusammenhang mit der "Strukturreform des Versorgungsausgleichs" beschäftigen. Wir verfolgen das Ziel, möglichst die gesamte Kommunikation zwischen den Familiengerichten und den Versorgungsträgern elektronisch abzuwickeln. Dabei sind neben den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung auch alle anderen Versorgungsträger einzubeziehen. Eine entsprechende Arbeitsgruppe hat die BLK bereits eingerichtet. Abs. 25
Will man schon eine Erkenntnis aus den bisherigen Datenaustauschprojekten formulieren, so lautet diese ohne Zweifel: sucht das Gespräch, stimmt euch ab und ihr werdet beide gewinnen. Die Justiz ist inzwischen informationstechnisch so gut aufgestellt, dass sie mit den Systemen ihrer Kommunikationspartner kooperieren kann. Abs. 26
Schauen wir erneut auf unsere Aufgabenliste. Neben der praxistauglichen elektronischen Akte und der Aufwandsreduzierung durch Datenaustausch bleibt eine weitere Aufgabe zu lösen: die Authentifizierung über Ländergrenzen hinweg zur Förderung der Europäischen Zusammenarbeit im Justizsektor. Es muss möglich werden, dass ein italienischer Notar von Sizilien aus in das deutsche Handelsregister nicht nur hineinschaut, sondern anschließend auch auf elektronischem Wege die erforderlichen Eintragungsanträge rechtsverbindlich und sicher an das zuständige Registergericht in Deutschland übermitteln kann - und dies, ohne vorher einen gesonderten Registrierungsprozess in Deutschland durchlaufen zu müssen. Abs. 27
Glücklicherweise gibt es dazu bereits eine erfolgversprechende Initiative. Von der Justizministerkonferenz wurde nämlich schon Ende 2006 für den deutschlandweiten Einsatz das Deutschland-Online-Projekt S.A.F.E. - Secure Access to Federated E-Justice/E-Government - initiiert. Wir haben damit einen Ansatz gefunden, der geeignet ist, um auch ein europaweites Identitäts-Management aufzubauen. Unser gemeinsames Ziel ist es, auf Basis bereits existierender Technologien und Standards den berechtigten Benutzern rechtsverbindliche Daten einfach und sicher zur Verfügung zu stellen. Lassen Sie sich nicht irritieren von der Bezeichnung "Distributed Identity Management", die wir im europäischen Kontext verwenden - es handelt sich bei S.A.F.E. und D.I.M. um technisch identische, auf offenen Standards beruhenden Vorhaben. Abs. 28
Wir haben es jetzt bereits mehrfach berührt - das Stichwort "Europa". Hier von einer weiteren Aufgabe auf unserer Aufgabeliste zu sprechen, wäre schlichtweg eine Untertreibung. Was hier vor uns steht, ist eine Aufgabe für Generationen, der wir uns aber jetzt schon ohne Zögern stellen müssen. Erfreulich ist, dass entsprechende Aktivitäten bereits sichtbar sind. So hat der Rat der Europäischen Union die Ratsarbeitsgruppe e-justice eingerichtet, deren Aufgabe es vor allem ist, die Vernetzung der Registerinformationen in Europa voranzutreiben. Register wie z.B. die Handelsregister und Unternehmensregister, die Insolvenzbekanntmachungsplattformen, die Grundbücher oder die Zwangsversteigerungsregister sollen auf europäischer Ebene vernetzt werden, um damit einerseits die Publizität nach außen und gleichzeitig die Sicherung des Wirtschaftsverkehrs sicherzustellen, denn in Zeiten des Internets wächst insbesondere das Bedürfnis nach schnellen und aktuellen Informationen, unabhängig von den Öffnungszeiten der registerführenden Behörden. Elektronisch geführte und abrufbare Register werden diesem Bedürfnis gerecht und sind auf nationaler Ebene bereits erfolgreich im Einsatz. Abs. 29
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Abs. 30
ich bin der festen Überzeugung, dass der Einsatz der modernen Informationstechnik für den weiteren europäischen Einigungsprozess von eminenter Bedeutung ist; vielleicht ist e-justice auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit gar der Schlüssel zum Erfolg. Ein europäisches Justizportal kann heute noch allenthalben wahrgenommene Barrieren und Hindernisse in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit abbauen. So spielen Entfernungen in der Welt des Internets keine Rolle. Abs. 31
Noch bedeutender als die Überwindungen von Grenzen und Entfernungen ist im Europa der 27 aber die Überwindung der sprachlichen Barrieren. Hier kann ein europäisches Justizportal, das seine Inhalte und Erläuterungen in allen Amtssprachen der Europäischen Union bereit hält, heute noch weit verbreitete Informations- und Verständnisdefizite abbauen. Abs. 32
Ich bin mir durchaus der Tragweite und des Umfangs dieser Aufgabe bewusst. Ich halte sie allerdings für unabdingbar, wollen wir als Europäer ohne Verzicht auf unsere kulturelle Vielfalt in den nächsten Jahrzehnten im Konzert der globalen Wirtschaftsräume eine maßgebliche Rolle spielen. Abs. 33
Ein kleines Beispiel für erfolgreiches e-justice im europäischen Kontext möchte ich Ihnen gerne noch aufzeigen - gleichsam um uns Mut zu machen auf diesem anspruchsvollen Weg, der noch vor uns liegt. Mein Haus ist seit Anfang diesen Jahres Partner in dem von der europäischen Kommission geförderten BRITE-Projekt. Im Rahmen dieses Projektes ist u.a. ein elektronisches Mitteilungs- und Informationssystem für Registerbehörden - der sog. Branch Disclosure Service - konzipiert worden, das in den letzten Wochen von unseren Projektmitarbeitern validiert wurde. Als Ergebnis steht uns heute ein elektronischer Informationsdienst zur Verfügung, über den wir z.B. zu jeder in Nordrhein-Westfalen eingetragen Zweigniederlassung einer britischen Limited aktuelle Informationen des Companies House in Cardiff erhalten. Wird heute in Cardiff eine dort eingetragene Gesellschaft gelöscht, etwa weil der Geschäftsführer seinen Publizitätspflichten nicht nachkommt, erfahren wir dies unmittelbar durch eine über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach uns übermittelte Nachricht. So kann das hiesige Amtsgericht die erforderlichen Maßnahmen einleiten. Abs. 34
Bislang waren solche Informationen nur durch zeitaufwendige Recherchen, für die wohl keine Registergericht in Deutschland die Zeit hatte, zu erhalten. Bei der ersten Überprüfung der in Nordrhein-Westfalen eingetragenen Limiteds mussten wir daher auch feststellen, dass mehrere hundert Zweigniederlassungen von Gesellschaften eingetragen waren, deren Hauptniederlassung schon längst nicht mehr existierte. Abs. 35
Sie können sich das System hier auf dem NRW-Stand von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern demonstrieren lassen. Solche Anwendungen sind es, die den praktischen Nutzwert von e-justice auf europäischer Ebene eindrucksvoll belegen.
Wir müssen solche Erfolge auch deshalb kommunizieren, um das noch zarte Pflänzchen der europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet von e-Justice zu stärken und zu entwickeln. Hier ist in den letzten Jahren, insbesondere auch im Zuge der deutschen Ratspräsidentschaft, eine Aufbauarbeit geleistet worden, die fortzusetzen ist. Ich persönlich werde dies auch in meine Beratungen mit der französischen Justizministerin in der übernächsten Woche einbringen.
Abs. 36
Die Erfolge der letzten Jahre sind uns Ansporn, die noch vor uns liegenden Aufgaben mit Enthusiasmus anzugehen - so ist gewährleistet, dass wir auch in künftigen Jahren immer wieder Anlass haben, uns in Saarbrücken auf dem EDV-Gerichtstag zum Gedankenaustausch zu treffen. Abs. 37
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
JurPC Web-Dok.
150/2008, Abs. 38
* Roswitha Müller-Piepenkötter ist Justizministerin des Landes Nordrhein-Westfalen
[ online seit: 23.09.2008 ]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: Müller-Piepenkötter, Roswitha, "e-justice" Eröffnungsvortrag auf dem 17. Deutschen EDV-Gerichtstag, 18.09.2008 - JurPC-Web-Dok. 0150/2008