| OVG Schleswig-Holstein | |
| Beschluss vom 13.06.2022 | |
| 1 LA 1/22 | |
| Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen nicht möglichen Übermittlung als elektronisches Dokument | |
| JurPC Web-Dok. 116/2022, Abs. 1 - 20 | |
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| Leitsatz (der Redaktion): |
| Der Hinweis, es sei „dem Unterzeichner derzeit nicht möglich, einen Schriftsatz per beA an das Gericht zu senden“, beinhaltet keine Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen nicht möglichen Übermittlung, sondern - ohne jede Bezugnahme auf technische Gründe - nur die tatsächliche Behauptung der Unmöglichkeit einer Übermittlung des Antrags als elektronisches Dokument. Die Glaubhaftmachung setzt aber eine Erläuterung des technischen Grundes voraus. |
| Gründe: | |
| Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig und daher in entsprechender Anwendung von § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verwerfen. Der gegen das am 6. Dezember 2021 zugestellte Urteil gerichtete Antrag hätte gemäß § 55d VwGO, § 78 Abs. 4 AsylG innerhalb eines Monats nach Zustellung, mithin am 6. Januar 2022, beim Oberverwaltungsgericht in elektronischer Form und nicht, wie geschehen, als Telefax eingehen müssen. Damit ist die gesetzlich vorgeschriebene Form nicht gewahrt. | Abs. 1 |
| Nach dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden § 55d VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die u.â¯a. durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen. Gemäß § 55a Abs. 3 VwGO muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Sicherer Übermittlungsweg ist gemäß § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO u.â¯a. der Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach § 31a BRAO oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts. | Abs. 2 |
| Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt seit dem 1. Januar 2022 für sämtliche Verfahren. Sie bezieht sich auf alle an das Gericht adressierten Schriftsätze, Anträge und Erklärungen. Die Einhaltung der Vorschrift ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Eine herkömmliche Einreichung – etwa auf dem Postweg oder per Telefax – ist prozessual unwirksam. Für die Frage, ob die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften gemäß § 55d Satz 3 VwGO zulässig bleibt, weil eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist, spielt es nach dem Willen des Gesetzgebers keine Rolle, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen des Rechtsanwalts soll dem Rechtsuchenden nicht zum Nachteil gereichen. Angesichts der Vielzahl denkbarer Störungsfälle handelt es sich um eine einheitliche Heilungsregelung. Die Beteiligten sollen nicht damit belastet werden, den Ursprung der technischen Störung zu eruieren. Aus diesem Grund ist die Möglichkeit der Ersatzeinreichung verschuldensunabhängig ausgestaltet und erfordert nur die (unverzügliche) Glaubhaftmachung der technischen Störung als solcher (so zum Rechtsmittel der Beschwerde gemäß § 146 VwGO Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 25.01.2022 - 4 MB 78/21 -, Rn. 2 ff., juris, m.â¯w.â¯N.). | Abs. 3 |
| Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist ein schriftlich einzureichender Antrag im Sinne von § 55d Satz 1 VwGO. Das folgt entweder aus § 125 Abs. 1 VwGO i.â¯V.â¯m. § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO (so Sächs. OVG, Beschluss vom 06.11.2019 - 3 A 866/19 -, Rn. 3, juris) oder aus allgemeinen Grundsätzen des Rechtsmittelrechts (so Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 151). | Abs. 4 |
| Der Kläger hat den Antrag auf Zulassung der Berufung nicht im Sinne von § 55d Satz 1 VwGO als elektronisches Dokument übermittelt. Die Voraussetzungen von § 55a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO erfüllen weder das vom Prozessbevollmächtigten des Klägers am 6. Januar 2022 eingereichte Telefax (1.) noch der am selben Tag von einer mit ihm in Bürogemeinschaft tätigen Rechtsanwaltskollegin aus deren besonderen Anwaltspostfach übermittelte Schriftsatz (2.). | Abs. 5 |
| 1. Ein Telefax ist kein elektronisches Dokument im Sinne von § 55a Abs. 3, Abs. 4 VwGO. Es ist weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen noch wird es bei Gericht auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht. Die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften ist auch nicht ausnahmsweise gemäß § 55d Satz 3 und 4 VwGO deshalb zulässig, weil der Kläger die vorübergehende Unmöglichkeit einer Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft gemacht hätte. | Abs. 6 |
| Am 6. Januar 2022 ist beim Verwaltungsgericht ein sechs Seiten umfassendes Telefax eingegangen, das als Seiten 2 bis 6 den Zulassungsantrag und als Seite 1 ein Schreiben mit dem Hinweis enthält, es sei „dem Unterzeichner derzeit nicht möglich, einen Schriftsatz per beA an das Gericht zu senden“. Diese Formulierung beinhaltet keine Glaubhaftmachung einer aus technischen Gründen nicht möglichen Übermittlung des Zulassungsantrags, sondern – ohne jede Bezugnahme auf technische Gründe – nur die tatsächliche Behauptung der Unmöglichkeit einer Übermittlung des Zulassungsantrags als elektronisches Dokument. Die Glaubhaftmachung setzt aber eine Erläuterung des technischen Grundes voraus (vgl. zur Glaubhaftmachung Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 25.01.2022 - 4 MB 78/21 -, Rn. 4 ff., juris). | Abs. 7 |
| Eine Glaubhaftmachung ist auch nicht unverzüglich nach der Ersatzeinreichung erfolgt. Auf die unter Hinweis auf § 55d VwGO erfolgte Bitte des Senats in der Eingangsverfügung vom 10. Januar 2022, die vorübergehende Unmöglichkeit der Übersendung per beA kurzfristig nachzuweisen, erfolgte keine Reaktion. Erstmals auf die gerichtliche Verfügung vom 25. April 2022, mit der unter Hinweis auf die o.â¯g. Entscheidung des 4. Senats darauf hingewiesen worden ist, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf Zulassung der Berufung als unzulässig zu verwerfen, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 11. Mai 2022 ausgeführt, dass er am 6. Januar 2022 beim Versuch der Übersendung die Mitteilung erhalten habe, dass ein Senden nicht möglich sei, da keine Client-Security vorhanden sei. Er sei selbst nicht in der Lage gewesen, diesen Fehler zu beheben. In der Hotline seines Softwareanbieters sei er in der Warteschleife gelandet. Nachdem er am 7. Januar 2022 nicht im Hause gewesen sei, habe erst ein technisch begabter Kollege den Fehler am Wochenende 8./9. Januar 2022 beheben können, wobei die Client-Security und die Verbindung zur Anwalts-Software hätten vollständig gelöscht und anschließend wieder neu installiert werden müssen. Dieser Vortrag ist jedenfalls nicht unverzüglich, d.â¯h. ohne schuldhaftes Zögern, nach dem Hinweis des Senats vom 10. Januar 2022 erfolgt. | Abs. 8 |
| 2. Ein fristgerechter Eingang des Zulassungsantrags ergibt sich auch nicht daraus, dass eine im gleichen Büro wie der Klägervertreter tätige Rechtsanwaltskollegin den Zulassungsantrag aus ihrem besonderen Anwaltspostfach übersandt hat. | Abs. 9 |
| Ausweislich des Prüfvermerks vom 6. Januar 2022 ist aus dem besonderen Anwaltspostfach der Rechtsanwaltskollegin des Prozessbevollmächtigten des Klägers um 18.39 Uhr ein Schriftsatz beim Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht eingegangen. | Abs. 10 |
| Dieser war jedoch nach den „Angaben zu den Dokumenten“ des Prüfvermerks nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen und erfüllte deshalb nicht die Anforderungen an ein elektronisches Dokument im Sinne von § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 VwGO. Es kann deshalb an dieser Stelle offenbleiben, ob angesichts der Angabe des Namens des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf dem Zulassungsantrag eine qualifizierte elektronische Signatur der Rechtsanwaltskollegin eine solche der „verantwortenden Person“ wäre. | Abs. 11 |
| Der Schriftsatz erfüllte auch nicht die Anforderungen an ein elektronisches Dokument im Sinne von § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Danach muss das elektronische Dokument von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Die (einfache) Signatur im vorgenannten Sinne ist die Wiedergabe des Namens des Urhebers am Textende oder seine eingescannte Unterschrift (Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 55a Rn. 14). Der aus dem besonderen Anwaltspostfach der Rechtsanwaltskollegin des Prozessbevollmächtigten des Klägers übermittelte Schriftsatz enthält den Nachnamen des Prozessbevollmächtigten des Klägers sowohl getippt als auch als eingescannte Unterschrift. Beides erfüllt die Anforderungen an eine (einfache) Signatur im Sinne von § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Der Schriftsatz ist ausweislich des Prüfvermerks auch auf einem sicheren Übermittlungsweg aus einem besonderen Anwaltspostfach eingegangen. | Abs. 12 |
| Die Voraussetzungen an die wirksame Einreichung eines elektronischen Dokuments sind dennoch nicht erfüllt. Mit der Voraussetzung, dass das elektronische Dokument von der „verantwortenden Person“ signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss, stellt § 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 VwGO sicher, dass die vom sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der das Dokument verantwortenden Person identisch ist (Ulrich, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Juli 2021, § 55a Rn. 73; vgl. zur Sicherstellung von Authentizität und Integrität des elektronischen Dokuments auch Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 55a Rn. 14).). Ist diese Identität nicht feststellbar, ist das elektronische Dokument nicht wirksam eingereicht (Braun Binder, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 55a Rn. 110). Da das beA personenbezogen und ein Versand aus ihm durch Dritte nicht möglich ist (Schmitz, in: Posser/Wolff, BeckOK, Stand April 2022, § 55a Rn. 16), müssen Signatur und beA also derselben „verantwortenden Person“ zuzuordnen sein. Daran fehlt es hier. Die Signatur stammt vom Prozessbevollmächtigten des Klägers, während die Übermittlung aus dem beA einer Rechtsanwaltskollegin erfolgt ist. | Abs. 13 |
| Fehlt es nach alledem am fristgerechten Eingang eines die gesetzlich vorgeschriebene Form erfüllenden Antrags auf Zulassung der Berufung, kann offenbleiben, ob, wofür viel spricht, eine wirksame Einreichung eines elektronischen Dokuments in der Form hätte erfolgen können, dass die Rechtsanwaltskollegin in Untervollmacht des Prozessbevollmächtigten des Klägers (vgl. dazu § 173 VwGO i. V. m. § 81 ZPO) den Zulassungsantrag unter ihrem Briefkopf gemäß § 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO als elektronisches Dokument übermittelt hätte. | Abs. 14 |
| Nur ergänzend verweist der Senat darauf, dass der Zulassungsantrag auch in der Sache keinen Erfolg hat. Der Kläger meint, dass grundsätzlich Bedeutung im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG der Frage zukomme, ob die von ihm im Rahmen seiner Anhörung vorgebrachten Argumente seitens der Beklagten zu berücksichtigen sind, oder aber, ob diese trotz vorgetragener Relevanz unberücksichtigt bleiben dürfen, sowie der Frage, ob der einzige überlebende Angehörige einer Familie, trotz Verfolgung vor seiner Flucht, bei bestehender Rechtsunsicherheit in sein Heimatland abgeschoben werden darf. | Abs. 15 |
| Die erste Frage ist schon nicht klärungsbedürftig, weil sie ohne Weiteres zu bejahen ist und sich im Übrigen im vorliegenden Verfahren nicht stellt. Es versteht sich von selbst, dass relevantes Vorbringen von der Beklagten – und auch vom Gericht – zu berücksichtigen ist. Vorliegend stellt sich die vom Kläger auf Pflichten der Beklagten reduzierte Frage im Berufungsverfahren schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht Tatsacheninstanz ist und es deshalb darauf ankommt, was das Gericht zu berücksichtigen hat. Im Übrigen beruht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht darauf, dass es zu berücksichtigendes Vorbringen nicht berücksichtigt hat, sondern darauf, dass es zu berücksichtigendes Vorbringen anders bewertet hat als der Kläger. | Abs. 16 |
| Auch die zweite Frage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Sie zielt nach der fallbezogenen Formulierung darauf ab, den Einzelfall des Klägers über eine Einkleidung als grundsätzliche Frage einer Klärung zuzuführen. Den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sieht § 78 Abs. 4 AsylG, anders als die Verwaltungsgerichtsordnung in § 124 Nr. 1 VwGO, aber nicht vor. Abgesehen davon stellt sich die Frage einer Abschiebung bei bestehender Rechtsunsicherheit nicht, weil für das Verwaltungsgericht nach Prüfung des Falles keine Rechtsunsicherheit mehr bestanden hat. | Abs. 17 |
| Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. | Abs. 18 |
| Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG). | Abs. 19 |
| Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). | Abs. 20 |
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| (online seit: 23.08.2022) | |
| Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs. | |