JurPC Web-Dok. 10/2021 - DOI 10.7328/jurpcb202136110

Wolfgang Kuntz [*]

Kuntz, Wolfgang

Gilt die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel auch für Rechtsanwälte?

JurPC Web-Dok. 10/2021, Abs. 1 - 16


Die Pandemie hat bestimmte Fragen bislang in den Vordergrund gerückt, z.B. Abstand halten, Masken-Tragen und Kontaktbeschränkungen. Weniger im Fokus sind die Auswirkungen, die die Pandemie auf die nähere Ausgestaltung und Veränderung der Arbeitswelt hat. In der Presse, in der Öffentlichkeit und auch in der juristischen Literatur kommen Fragen des Arbeitsschutzes nur am Rande vor. Doch hat die Pandemie auch gelehrt, wie wichtig z.B. das Lüften von Arbeitsräumen[1] ist, um die Konzentration und die Verbreitung von Aerosolen zu minimieren. Auch diese Fragen werden in Arbeitsschutzregeln behandelt.Abs. 1
Grundregel für den Arbeitsschutz ist § 4 Ziffer 1 des Arbeitsschutzgesetzes: „Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes von folgenden allgemeinen Grundsätzen auszugehen: 1. Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird;…“.Abs. 2
In der am 27.01.2021 in Kraft tretenden SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung (Corona-ArbSchV) wird eine Überprüfung und Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung durch den Arbeitgeber vorgeschrieben, ferner werden u.a. auch Lüftungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Nutzung von Räumen durch mehrere Personen festgeschrieben[2].Abs. 3
Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel[3] ist etwa Mitte Dezember 2020 in einer aktualisierten Entwurfsversion vorgestellt worden. Sie konkretisiert für den gemäß § 5 Infektionsschutzgesetz festgestellten Zeitraum der epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Anforderungen an den Arbeitsschutz in Hinblick auf SARS-CoV-2. Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel wird von den beratenden Arbeitsschutzausschüssen beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gemeinsam mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ermittelt bzw. angepasst und vom BMAS im Gemeinsamen Ministerialblatt bekannt gegeben. Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel enthält Konkretisierungen der Anforderungen der Verordnungen nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Bei Einhaltung dieser Konkretisierungen kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die Anforderungen aus den Verordnungen erfüllt sind.Abs. 4
Rechtsanwälte sind Arbeitgeber im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes, sofern sie Angestellte beschäftigen, was für die meisten Rechtsanwälte der Fall ist.Abs. 5
Die entsprechenden Vorschriften des Arbeitsschutzes sollen in erster Linie die Beschäftigten schützen. D.h. die Vorschriften beziehen sich auf "Arbeitsplätze". Dies kommt in § 1 der Arbeitsstättenverordnung zum Ausdruck. Nach § 1 der Arbeitsstättenverordnung dient die Verordnung der Sicherheit und dem Schutz der Gesundheit der Beschäftigten beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten.Abs. 6
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitsstättenverordnung sind Arbeitsstätten Arbeitsräume oder andere Orte in Gebäuden auf dem Gelände eines Betriebes. Arbeitsräume sind nach § 2 Abs. 3 der Arbeitsstättenverordnung die Räume, in denen Arbeitsplätze innerhalb von Gebäuden dauerhaft eingerichtet sind. Arbeitsplätze sind nach § 2 Abs. 4 der Arbeitsstättenverordnung Bereiche, in denen Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeit tätig sind.Abs. 7
Daraus ist zu schließen, dass zwischen Räumen unterschieden werden muss, in denen "Arbeitsplätze" von angestellten Mitarbeitern (d.h. auch angestellten Anwälten) eingerichtet sind und den Räumen der selbständigen Anwälte selbst, in denen nach der Definition keine (abhängige) Arbeit, sondern selbständige Tätigkeit und damit keine "Arbeit" im Sinne der Verordnung geleistet wird.Abs. 8
Dies führt zu der Differenzierung, dass die Arbeitsräume der selbständigen Rechtsanwälte sowie eigens eingerichtete Besprechungs- und Konferenzräume nur dann unter die Vorschriften der Arbeitsstättenverordnung fallen, wenn sie auch von Mitarbeitern genutzt werden oder für Mitarbeiterbesprechungen und -zusammenkünfte genutzt werden, bei sonstiger Nutzung durch den selbständigen Anwalt selbst oder z.B. für Mandantenbesprechungen aber nicht.Abs. 9
Ziel der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel ist es, die Gesundheit der Beschäftigten in der Zeit der SARS-CoV-2-Epidemie durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes wirkungsvoll zu schützen. Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen in den Betrieben, Einrichtungen und Verwaltungen wird durch Unterbrechung von Infektionsketten zugleich ein Beitrag zum Bevölkerungsschutz geleistet. Vor diesem Hintergrund soll die Arbeitsschutzregel nach ihrer Intention für alle Räumlichkeiten gleichermaßen gelten. Die Arbeitsschutzregel konkretisiert die Schutzmaßnahmen, die aufgrund SARS-CoV-2 hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitsplätze, der Gestaltung und Ausstattung der Sanitär-, Gemeinschafts- und Kantinenräume, hinsichtlich der Lüftung der Räume, einzuhaltender Sicherheitsabstände etc. zu ergreifen sind.Abs. 10
Damit wird aber ggf. in die Rechte eines selbständigen Rechtsanwalts eingegriffen werden, für den nach dem oben gesagten die Arbeitsschutzregeln z.B. der Arbeitsstättenverordnung in seinem eigenen Büroraum nicht gelten.Abs. 11
Das kann einerseits zu der Konsequenz führen, dass man die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel für die Arbeitsräume und Besprechungs- und Konferenzräume im Falle der Nutzung durch den selbständigen Anwalt selbst sowie für Mandantengespräche für unanwendbar hält.Abs. 12
Alternativ bei einer undifferenzierten generellen Anwendung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel auf alle Räumlichkeiten einer Kanzlei stellt sich die Frage nach der Rechtsgrundlage für den damit verbundenen Eingriff in die Rechte des selbständigen Rechtsanwaltes.Abs. 13
Der Eingriff erfolgt nicht durch Gesetz oder durch eine auf Gesetz beruhende Verordnung, sondern durch eine bloße "Regel", d.h. eine behördliche Anordnung. Dies rechtfertigt den damit verbundenen Eingriff in die Grundrechte des selbständigen Anwalts nicht.Abs. 14
Diese Feststellung wird durch die überlagernde Rechtsgrundlage des Infektionsschutzgesetzes mit den bestehenden Corona-Verordnungen relativiert. Viele Corona-Verordnungen beziehen jedoch Arbeitsstätten ausdrücklich generell ein, d.h. es wird angeordnet, dass sie auch für Arbeitsstätten gelten. Damit ist die Rechtsgrundlage zwar nicht mehr unmittelbar im Arbeitsschutzrecht angesiedelt. Bei der notwendigen Subsumtion unter die Vorschriften der von den Corona-Verordnungen in Bezug genommenen Arbeitsstättenverordnung ergibt sich aber gerade die Situation, dass zwischen den Arbeitsplätzen der Mitarbeiter und den Arbeitsräumen des selbständigen Rechtsanwalts unterschieden werden muss. Bei Anwendung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel generell auf alle Räumlichkeiten der Anwaltskanzlei erfolgt dies daher ohne taugliche Rechtsgrundlage.Abs. 15
Die oben erörterte Problematik kann sich analog für Büroräume in Chefetagen von Unternehmen stellen, ist damit kein spezifisches Thema nur für Rechtsanwaltskanzleien. Die Empfehlung der Bundesregierung für infektionsschutzgerechtes Lüften[4] will Handlungssicherheit bei der Gestaltung des Arbeits- und Bevölkerungsschutzes schaffen. Entsprechend § 4 Nummer 1 Arbeitsschutzgesetz ist es Ziel dieser Empfehlung, durch fachgerechtes Lüften von Gebäudeinnenräumen Gesundheitsgefährdungen durch SARS-CoV-2-Infektionen möglichst zu vermeiden beziehungsweise gering zu halten. Dies kann durch eine Empfehlung auf freiwilliger Basis erfolgen. Eine Verpflichtung im Einzelfall kann sich jedoch nur ergeben, wenn die Voraussetzungen der einschlägigen Vorschriften erfüllt sind. Wie oben gezeigt, ergeben sich hierbei noch Gesetzeslücken, die auszufüllen wären.Abs. 16

Fußnoten:

[*] Wolfgang Kuntz ist Rechtsanwalt in Saarbrücken, Syndikusanwalt der Makrolog AG, Wiesbaden, und verantwortlicher Redakteur von JurPC.
[1] Das Problem stellt sich auch bei Unterrichtsräumen in Schulen/Hochschulen.
[2] Verkündung im Bundesanzeiger vom 22.01.2021, unter V1, dort § 2 Abs. 1 und Abs. 5.
[3] Vorabversion vom 18.12.2020 unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/AR-CoV-2/pdf/AR-CoV-2-Entwurf-Neufassung.pdf?__blob=publicationFile&v=4, derzeit noch nicht im Gemeinsamen Ministerialblatt bekanntgemacht.
[4] http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Thema-Arbeitsschutz/infektionsschutzgerechtes-lueften.pdf;jsessionid=988E81F599BE6B75B42A9B9625A4C273.delivery2-master?__blob=publicationFile&v=3

[online seit: 26.01.2021]
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