JurPC Web-Dok. 224/2002 - DOI 10.7328/jurpcb/2002177160

Thema: Internet-Apotheken

Auszug aus dem XIV. Hauptgutachten der Monopolkommission der Bundesregierung

JurPC Web-Dok. 224/2002, Abs. 1 - 6


Anmerkung der Redaktion:
JurPC veröffentlicht nachfolgend einen Auszug aus dem 2002 veröffentlichten XIV. Hauptgutachten der Monopolkommission der Bundesregierung. Die Gliederungsziffern und die Fußnotenzählung des Originals sind beibehalten worden. Näheres zur Monopolkommission unter http://www.monopolkommission.de.
JurPC Web-Dok.
224/2002, Abs. 1

4.5 Probleme des Online-Arzneimittelvertriebs

705. Der internetbedingte Prozess der De- und Reintermediation wird zum Teil erheblich durch den Widerstand etablierter Intermediäre und einer schleppenden Anpassung des Rechtsrahmens behindert. Dies ist insbesondere hinsichtlich des Vertriebs von Arzneimitteln über das Internet der Fall. Die Zulässigkeit des Versandes von Arzneimitteln aus den Niederlanden nach Deutschland wurde in zwei Urteilen des Landgerichts Frankfurt unter Berufung auf Vorschriften des Arzneimittelgesetzes, des Heilmittelwerbegesetzes und des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb verneint(65). Die niederländische Internetapotheke DocMorris hatte mehrere hundert apotheken- und teilweise verschreibungspflichtige Arzneimittel via Internet in der Bundesrepublik Deutschland angeboten und vertrieben. Das Landgericht Frankfurt kam zu dem Ergebnis, dass der Verkauf durch die niederländische Online-Apotheke gegen das Versandhandelsverbot von Arzneimitteln verstößt. Außerdem ist nach deutschem Recht Werbung für nicht zugelassene Medikamente untersagt.Abs. 2
Obwohl die Umsetzungsfrist im Entscheidungszeitraum noch nicht abgelaufen war(66), fand auf den Sachverhalt die EG-E-Commerce-Richtlinie(67) Anwendung. Nach dem darin normierten Herkunftslandprinzip sind die Vorschriften jenes Mitgliedstaates anzuwenden, in dem der Diensteanbieter niedergelassen ist(68). Da DocMorris in den Niederlanden niedergelassen ist, wäre im vorliegenden Fall niederländisches Recht anzuwenden gewesen. Das Gericht kommt allerdings im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass das Herkunftslandprinzip seiner Entscheidung nicht im Wege steht. Dies folge aus Art. 1 Abs. 3 der E-Commerce-Richtlinie, wonach "das Schutzniveau insbesondere für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz, wie es sich aus Gemeinschaftsakten und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu deren Umsetzung ergibt" unberührt bleibe. Das erlaubte Schutzniveau ergibt sich nach Meinung des Gerichts aus der Fernabsatzrichtlinie, Diese sieht vor, dass ein Mitgliedstaat den Fernabsatz von Arzneimitteln im Interesse der öffentlichen Gesundheit verbieten kann. Deutschland hat von dieser Bestimmung Gebrauch gemacht. Ein - weniger einschränkendes - Werbeverbot für Arzneimittel ist, nach Ansicht des Landgerichts Frankfurt, deshalb gemeinschaftsrechtlich jedenfalls erlaubt.Abs. 3
706. Das Argument des Landgerichts, das nationale Verbot des Arzneimittelversandhandels sei durch die Fernabsatzrichtlinie auf Gemeinschaftsniveau angehoben worden, geht jedoch fehl. Nach dem Herkunftslandprinzip wäre zwingend niederländisches Rechts anzuwenden gewesen; Erwägungsgrund 11 der E-Commerce-Richtlinie macht außerdem deutlich, dass das Schutzniveau sich ausschließlich aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt. Die Fernabsatzrichtlinie sieht in einer Kann-Bestimmung zwar die Möglichkeit vor, dass die Mitgliedstaaten den Fernabsatz von Arzneimitteln untersagen; ein solches Verbot müsste sich allerdings aus dem nach dem Herkunftslandprinzip anwendbaren mitgliedstaatlichen Recht ergeben. Es käme folglich darauf an, wie niederländisches Recht den Fernabsatz von Arzneimitteln regelt. Ein Rückgriff auf nationales Recht eines anderen als des Herkunftsstaates sollte durch die Richtlinie ja gerade verhindert werden.Abs. 4
707. Das Urteil des Landgerichts Frankfurt war nicht geeignet, in Deutschland den Vertrieb von Arzneimitteln über eine Internetapotheke zu verhindern. Der Internetauftritt von DocMorris ist nach wie vor insbesondere auf den deutschen Verbraucher zugeschnitten. Gegenwärtig ist diesbezüglich ein Vorlageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig. Die Produkte werden ohne zusätzliche Kosten mittels Kurier geliefert, für verschreibungspflichtige Medikamente muss ein gültiges Rezept vorgelegt werden. Eine Rezeptgebühr ist nicht zu entrichten. Angesichts der niedrigeren Arzneimittelpreise haben verschiedene private Krankenkassen ihre Kunden sogar ausdrücklich ermutigt, Medikamente über DocMorris zu beziehen. Auch die Bundesministerin für Gesundheit hält das Vertriebsverbot für Internetapotheken für nicht mehr länger haltbar und plant, den Versandhandel mit Arzneimitteln unter bestimmten Voraussetzungen zu ermöglichen.Abs. 5
Aus ökonomischer Sicht ist eine Öffnung des Arzneimittelmarktes auch für den Internethandel im Hinblick auf die im internationalen Vergleich hohen Endverbraucherpreise in Deutschland wünschenswert. Zur Sicherung eines angemessenen Niveaus des Verbraucher- Daten- und Gesundheitsschutzes wurden von Verbraucherverbänden und Krankenkassen bereits Kriterien- und Maßnahmenkataloge vorgeschlagen(69). Diese sehen unter anderem vor, dass Versandapotheken besondere personelle, räumliche und technische Mindestvoraussetzungen zu erfüllen haben, nur im Empfängerland zugelassene Medikamente versenden dürfen und behördlicher Zulassung und Aufsicht unterstehen.
JurPC Web-Dok.
224/2002, Abs. 6

Fußnoten:

(65) Vgl. LG Frankfurt a.M., Urteile vom 9. November 2000, 2-03 O 365/00 und 2-03 O 366/00 [= JurPC Web-Dok. 31/2001, Anm. der Red.], in; Kommunikation und Recht, 2001. S. 153 ff.
(66) Art. 10 EGV verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die Verwirklichung der Vertragsziels gefährden könnte. Ein Abweichen von einem bereits erlassenen, aber noch nicht in Kraft getretenen europäischen Rechtsakt bedeutet deshalb eine Vertragsverletzung.
(67) Richtlinie 2000/31/EG, ABI. EG Nr. L 178 vom 17. Juli 2000, S. 1
(68) Vgl. Abschnitt 4.11.
(69) Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände, Internethandel mit Medikamenten: In Europa Qualität sichern & Chancen für Verbraucher nutzen, 13. Dezember 2000, http://www.agv.de/politik/patientenschutz/kriterienkatalog.htm; Eichler, A., Arzneimittel im Internet in: Kommunikation und Recht, Jg. 4, 2001. S. 144 ff., hier: S. 148.
[online seit: 22.07.2002]
Zitiervorschlag: Titel, JurPC Web-Dok., Abs.
Zitiervorschlag: -WK-, Redaktion, Thema: Internet-Apotheken - Auszug aus dem XIV. Hauptgutachten der Monopolkommission der Bundesregierung - JurPC-Web-Dok. 0224/2002