JurPC Web-Dok. 171/2014 - DOI 10.7328/jurpcb20142911174
 

LG Berlin

Urteil vom 05.06.2014

14 O 395/13

"Online-Scheidungsformular"

JurPC Web-Dok. 171/2014, Abs. 1 - 44

 

Leitsatz (der Redaktion):

 

Alleine das Ausfüllen eines „Online-Scheidungsformulars" durch den Mandanten entbindet Rechtsanwälte nicht von ihrer Beratungspflicht, wenn die vertretene Partei Beratungsbedarf erkennen lässt.

 

Tatbestand:

Die beklagte Anwaltskanzlei besteht aus zwei Fachanwälten für Familienrecht und wirbt im Internet unter der Überschrift: "Scheidung Online" damit, dass eine bundesweite Ehescheidung ohne Anwaltsbesuch zu den geringstmöglichen Kosten von Fachanwälten durchgeführt werden kann. Sie wirbt u. a. mit einem "Onlineberatungsservice", wonach die beklagte Anwaltskanzlei den potentiellen Interessenten auf ihrer Homepage kostenlos umfassende Informationen über Trennung, Scheidung, Unterhalt, Sorge- und Umgangsrecht zur Verfügung stelle und bietet einen persönlichen Telefonservice an. Zum Download bietet sie Scheidungsformulare an. Wegen der Einzelheiten wird auf den Ausdruck der Homepage Bezug genommen (Anlage K 5 zum Schriftsatz der Klägerin vom 20.01.2014, Bl. 73, 74 d. A.). Abs. 1
Die Klägerin stammt aus Russland und kam im Jahre 2000 in die Bundesrepublik. Sie war verheiratet mit dem chilenischen Staatsangehörigen A. und aus der Verbindung ging ein Kind hervor, die Klägerin zu 2. Die Eheleute trennten sich jedoch und der Ehemann zog aus der gemeinsamen Wohnung aus. Die Eheleute leben seit dem 01.01.2010 getrennt. Die Klägerin ist Pianistin, ihr geschiedener Ehemann Musikdozent in Chile. Die Klägerin wollte sich scheiden lassen und füllte am 27.12.2010 das von der Beklagten ins Internet gestellte so bezeichnete Scheidungsformular aus. Darin gab sie u.a. die vorgenannten Daten an, ferner u.a., dass der Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle erfolge, beide Eheleute im Scheidungsverfahren auf den Versorgungsausgleich verzichten wollten und ebenso auf den Ehegattenunterhalt und dass das Nettoeinkommen beider Eheleute im Monat circa 1.600,00 € betrug. Wegen der Einzelheiten wird auf das ausgefüllte Scheidungsformular Bezug genommen (Anlage B 1 zur Klageerwiderung vom 05.12.2013, Bl. 40, 41 d. A.).Abs. 2
Die Beklagte übersandte zunächst an die Klägerin ein Bestätigungsschreiben, mit welchem sie dieser eine unverbindliche Kostenanfrage überreichte. Nachdem die Klägerin die Beklagte mit der Einreichung des Scheidungsauftrages beauftragt hatte, legte die Beklagte eine entsprechende Akte an und reichte den Antrag auf Ehescheidung vom 13.01.2011 beim Amtsgericht Leipzig ein. Wegen der Einzelheiten wird auf den Scheidungsantrag Bezug genommen (Anlage B 3 zur Klageerwiderung, Bl. 44 - 47 d. A.).Abs. 3
Als Ehescheidungstermin sah das Amtsgericht Leipzig den 14.04.2011 vor. Vor diesem Termin rief die Gesellschafterin der Beklagten, Rechtsanwältin K., die das Mandat federführend übernommen hatte, bei der Klägerin an und erörterte Einzelheiten in Bezug auf den nahen Ehescheidungstermin vor dem Amtsgericht Leipzig. Welche Einzelheiten bei diesem Telefonat besprochen worden sind, ist zwischen den Parteien streitig.Abs. 4
In der Sitzung des Amtsgerichts Leipzig am 14.04.2011 hörte das Amtsgericht die Parteien an. Sodann schlossen die Parteien einen Vergleich, den das Amtsgericht wie folgt protokollierte:Abs. 5
"Die Parteien verzichten auf die Durchführung eines Versorgungsausgleiches sowie auf einen nachehelichen Unterhalt und nehmen diesen Verzicht wechselseitig an.Abs. 6
Der Verzicht auf einen nachehelichen Unterhalt bezieht sich nicht auf den Fall der Not."Abs. 7
Die Klägerin war in diesem Termin von dem Mitgesellschafter der Beklagten, Rechtsanwalt S., vertreten, der die Terminsvertretung für seine Kollegin übernommen hatte.Abs. 8
Die Klägerin ist der Auffassung, die sie vertretenden Anwälte der Beklagten hätten mit diesem Vergleich pflichtwidrig gehandelt. Der Vergleich habe für sie sehr nachteilige Folgen, weshalb die beklagten Anwälte ihr von einem solchen Vergleich hätten abraten müssen. Die Anwälte der Beklagten hätten sich ihre Daten über das Internet zukommen lassen, sie aber nicht über etwaige nachteilige Folgen eines Unterhaltsverzichts aufgeklärt und auch nicht über die Tragweite des Verzichts auf nachehelichen Unterhalt. Sie hätten nur kurze telefonische Kontakte gehabt, auch am 01.04.2011 sei sie nicht vollständig aufgeklärt worden. Sie habe mitgeteilt, dass sie aktuell zwar Einkünfte habe, allerdings nur geringe, weil sie als Pianistin bzw. selbständige Musiklehrerin tätig sei und die Einkünfte unregelmäßig kämen. Das gleiche gelte für ihren damaligen Ehemann bei seiner Tätigkeit als Musikdozent in Chile und in Leipzig. Er gebe Musikunterricht und komponiere. Wie hoch seine Einkünfte tatsächlich waren, habe sie nicht genau gewusst, was sie auch mitgeteilt habe. Sie habe auch darüber informiert, dass sie ein kleines Kind, die Klägerin zu 2., habe und sie sei der Meinung gewesen, dass sie deshalb, weil sie damals arbeitete, keine Alternative gehabt habe und deshalb erforderlich sei, auf den nachehelichen Unterhalt zu verzichten. Das hätten die Anwälte ihr auch nahe gelegt. Sie sei auch nicht darüber belehrt worden, dass sie im Ehescheidungsverfahren Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hierfür habe. Jedenfalls sei eine nähere Erläuterung dieser Möglichkeit nicht erfolgt. Sie habe das Mandat nicht eingeschränkt erteilt. Die Pflichten der Beklagten seien nach der ständigen Rechtsprechung daher sehr weit gewesen. Die Rechtsanwälte der Beklagten hätten ihre Interessen in jeder Hinsicht optimal vertreten müssen. Ihr Einverständnis in den Vergleich vom 14.04.2011 sei daher auf Grundlage einer völlig unzureichenden Beratung zustande gekommen. Am 25.08.2011 habe sie einen Erstantrag zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts stellen müssen. Musikunterricht habe sie nicht erteilen können, weil sie für ihre Tochter, die Klägerin zu 2., hätte sorgen müssen. Die Anwälte der Beklagten hätten nicht einmal Kindesunterhalt geltend gemacht, vielmehr sei wider besseren Wissens vorgetragen worden, dass der Unterhalt für die gemeinsame Tochter nach der Düsseldorfer Tabelle gezahlt werde. Auch das sei pflichtwidrig gewesen. Sie sei nicht über die Möglichkeit der Titulierung von Kindesunterhaltsansprüchen für ihre Tochter, die Klägerin zu 2., aufgeklärt worden. Damit habe die Klägerin zu 2. ebenfalls Schadensersatzansprüche.Abs. 9
Die Klägerin zu 1. beantragt,Abs. 10
was erkannt worden ist.Abs. 11
Die Klägerin zu 2. stellt folgenden Antrag:Abs. 12
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, A., geb. am 02.09.2009, jegliche Schäden zu ersetzen, die darauf beruhen, dass die Beklagte für die Antragstellerin nicht im Ehescheidungsverfahren der Kindeseltern ./. A. vor dem Amtsgericht Leipzig AZ. 330 F 0020490/11 Kindesunterhaltsansprüche geltend gemacht hat und zwar einschließlich Auskunftsansprüchen gegenüber dem Kindesvater.Abs. 13
Die Beklagte beantragt,Abs. 14
die Klage abzuweisen.Abs. 15
Die Beklagte trägt vor:Abs. 16
Die Feststellungsanträge seien bereits unzulässig, weil bei hypothetischer Betrachtung des Kausalverlaufes bei einer unterstellten Pflichtverletzung ein konkreter Schaden bezifferbar wäre.Abs. 17
Eine Pflichtverletzung liege jedoch nicht vor. Ein Anwalt dürfe und müsse sich auf die Angaben von Mandanten verlassen, so auch im vorliegenden Fall. Sie habe sich daher auf die Angaben der Klägerin zu 1. verlassen dürfen, und zwar in Bezug auf die Angaben auch der Klägerin zu 2. Da nach den Angaben beide Ehegatten zusammen 1.600,00 € netto monatlich Einnahmen gehabt hätten, habe der geschiedene Ehemann der Klägerin nicht leistungsfähig sein können. Der Vortrag, dass die Klägerin einen Anspruch auf nachehelichen Ehegattenunterhalt haben würde, werde ausdrücklich bestritten. Grundsätzlich gelte beim nachehelichen Ehegattenunterhalt das Eigen- und Mitverantwortungsprinzip. Sie hätten daher entsprechend dem Wunsch der Klägerin den Verzicht auf den nachehelichen Unterhalt vor dem Amtsgericht Leipzig protokollieren lassen, aber darauf gedrungen, dass der Verzicht nicht für den Fall der Not gelte. Wenn die Klägerin daher der Ansicht sei, dass ein Fall der Not vorliege, könne sie jederzeit nachehelichen Unterhalt geltend machen. Die Klägerin sei durch Rechtsanwalt S. über die Voraussetzungen und die Folgen des Verzichts bzw. des nachehelichen Unterhalts belehrt worden, und zwar noch vor dem Gerichtstermin (Zeugnis: Rechtsanwalt S.). Auch das Gericht selbst habe im Scheidungstermin die Klägerin über die Folgen eines Verzichts des nachehelichen Unterhalts belehrt. Die Klägerin habe diese Belehrung zur Kenntnis genommen und sie verstanden und sie hätte auch Fragen stellen können. Im Übrigen sei die Klägerin in dem Telefonat vom 01.04.2011 über alle Umstände ausführlich durch Rechtsanwältin K. unterrichtet worden. Im Übrigen sei ein Schaden nicht annähernd substantiiert vorgetragen worden. Auch bezüglich des Verzichts auf den Versorgungsausgleich sei die Klage unbegründet. Auch hier könnte ein Schaden, sofern er entstanden wäre, beziffert werden, hierzu wäre nur eine einfache Auskunft beim Rentenversicherungsträger nötig, um aufzuklären. Hinsichtlich des Kindesunterhaltes hätten die Klägerin und ihr damaliger Ehemann übereinstimmend angegeben, dass Kindesunterhalt gezahlt werde und beide sich dahingehend geeinigt hätten. Die Klägerin habe aus diesem Grund keine Beratung zum Thema Kindesunterhalt gewünscht. Ein Rechtsanwalt dürfe grundsätzlich auf die Aussagen der Mandantschaft vertrauen. Die Klägerin habe im Übrigen die Möglichkeit, den Unterhaltstitel für ihr Kind kostenlos beim Jugendamt zu stellen.Abs. 18
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihren Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.Abs. 19
Das Gericht hat die Klägerin sowie die Gesellschafter der Beklagten, Rechtsanwälte K. und S., in der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2014 angehört. Wegen der Einzelheiten dieser Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.04.2014 Bezug genommen.Abs. 20

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig.Abs. 21
Ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO ist gegeben. Die Klägerinnen haben ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten. Die Leistungsklage ist nur dann vorrangig ist, wenn damit alle zukünftigen Schäden erfasst werden können. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn ein Zahlungsantrag könnte nur die momentane Situation berücksichtigen, nicht aber, was den Klägerinnen an Schaden zukünftig entsteht.Abs. 22
II. Die Klage der Klägerin zu 1. ist begründet. Die Klage der Klägerin zu 2. ist unbegründet und abzuweisen.Abs. 23
In Bezug auf die Klägerin zu 1. hat die Beklagte ihre Anwaltspflichten verletzt, im Übrigen ist bezüglich der Klage der Klägerin zu 2. eine Verletzung von Anwaltspflichten nicht festzustellen, so dass die Klage insoweit abzuweisen ist.Abs. 24
1. Der Rechtsanwalt ist aufgrund des Anwaltsvertrages verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers in den Grenzen des erteilten Mandats nach jeder Richtung umfassend wahrzunehmen. Er muss sein Verhalten so einrichten, dass er Schädigungen des Auftraggebers, auch wenn dies nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden kann, vermeidet. Dabei richten sich die konkreten Pflichten nach dem erteilten Mandat und den Umständen des Einzelfalles (BGH NJW 1988, 1079; NJW-RR 1990, 1241, 1242). Bei der Vertretung der Interessen seines Mandanten muss der Rechtsanwalt den sichersten und zweckmäßigsten Weg wählen, um den angestrebten Erfolg zu erreichen (BGH NJW 1988, 486, 487). Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rats nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Unkundige muss er über die Folgen der Erklärungen belehren und vor Irrtümern bewahren. In den Grenzen des Mandats hat er den Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu den erstrebten Zielen zu führen geeignet sind und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (BGH NJW-RR 2007, 569, 570 m.w.N.).Abs. 25
Ein Rechtsanwalt, der konkrete Anhaltspunkte dafür hat, dass sein Mandant erwartet, durch einen Vergleich eine bestimmte Rechtsposition gewahrt zu wissen, hat den Mandanten aufzuklären, wenn er beabsichtigt, den Vergleich mit einem abweichenden Inhalt abzuschließen (BGH NJW 1993, 1325). Der Wunsch des Mandanten, schnell geschieden zu werden, berührt nicht die anwaltlichen Beratungspflichten wegen der Scheidungsfolgen, auch wenn der Mandant insoweit mit festen Vorstellungen an den Rechtsanwalt herantritt (OLG Düsseldorf NJW-RR 2006, 343). Erhält der Anwalt nur einen eingeschränkten Auftrag, beschränkt sich die Verpflichtung des Anwalts, den Sachverhalt umfassend und erschöpfend aufzuklären, auf diese eingeschränkte Prüfungspflicht, nicht mehr.Abs. 26
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin zu 1. Ihren Auftrag zwar eingeschränkt, weil sie den beklagten Anwälten von vornherein schon in dem Scheidungsformular die Vorgabe gemacht hatte, dass beide Eheleute im Scheidungsverfahren auf den Versorgungsausgleich und den Ehegattenunterhalt verzichten, dennoch durften die Anwälte der Beklagten von einem solchen eingeschränkten Anwaltsauftrag nicht ausgehen. Es war von vornherein klar, dass ein über das Internet bereit gestelltes Scheidungsformular der Anwaltskanzlei nur ein erster Kontakt zum Mandanten sein kann und sich erst in einem Beratungsgespräch herausstellen wird, inwieweit der Mandant Beratung braucht. Der erkennende Richter hält es für grundsätzlich pflichtwidrig und fehlerhaft, allein aufgrund eines solchen Scheidungsformulars im Internet oder aufgrund einer telefonischen Rücksprache von einem bestimmten Sachverhalt auszugehen und die weitere Beratung auf diesen Sachverhalt zu beschränken, wenn der Mandant Vorgaben gemacht hat, die in den Formular oder in dem Telefonat geäußert werden. Die Tätigkeit des Anwalts ist schon nach den o.g. Anforderungen an die Beratung verantwortungsvoller und lässt sich weder in einem Telefonat erledigen noch durch ein Onlineformular ersetzen.Abs. 27
Es erscheint von vornherein verfehlt, auf der Homepage mit einer Ehescheidung "ohne Anwaltsbesuch zu den geringstmöglichen Kosten von Fachanwälten" zu werben.Abs. 28
Um die übernommene Rechtsbetreuung fehlerfrei vornehmen zu können eine zuverlässige Grundlage für sein weiteres Vorgehen zu haben, hat der Rechtsanwalt zunächst den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen. In Wechselwirkung hierzu steht zwar die Informationspflicht des Mandanten, sind dessen Informationen aber unklar oder drängt sich auf, dass der Auftraggeber von falschen Vorstellungen ausgeht, muss der Anwalt nachfragen und aufklären. Dabei ist es Sache des Rechtsanwalts, Unklarheiten durch Rückfragen zu beseitigen und den Mandanten über alle Probleme aufzuklären. Der Anwalt muss die maßgeblichen tatsächlichen Umstände und ggf. die zu erwartenden Einwände des Gegners sammeln, ordnen und berücksichtigen. Dabei muss er den Mandanten gezielt befragen und um Vorlage der einschlägigen Unterlagen bitten (vgl. ausführlich: Handbuch der Anwaltshaftung, 3.Aufl., Rdnr.562ff). Das muss rechtzeitig geschehen, damit die richtigen Rechtsbehelfe ergriffen werden. Dies alles ist bei einer Vertretung eines Mandanten allein mit Hilfe eines Online-Formulars nicht möglich. Auch eine Erstberatung kurz vor oder nach einem Verhandlungstermin ist aus diesen Gründen verspätet.Abs. 29
Hier kam die Besonderheit hinzu, dass völlig unklar war, inwiefern die Klägerin Beratungsbedarf hatte. Die Klägerin wollte zwar auf Ehegattenunterhalt und Versorgungsausgleich verzichten, unklar war aber, warum. Beratungsbedarf bestand von vornherein insbesondere hinsichtlich der Einkommensverhältnisse der Ehepartner. Angesichts der unsicheren Einkommenslage beider Ehepartner und insbesondere der zukünftigen Einkommen durften die Anwälte der Beklagten sich nicht mit den Angaben der Klägerin zu 1. Zufrieden geben, dieses belaufe sich ungefähr gleich hoch bei ca. 800 €. Das war völlig ungewiss und bedurfte der Nachfrage. Das gleiche gilt grundsätzlich auch hinsichtlich des Kindesunterhalts betreffend die Klägerin zu 2. Hier aber gibt es die Besonderheit, dass die Klägerin der Beklagten auf Nachfrage erklärt hatte, dass der Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle gezahlt werde und geregelt sei. Auf diese Angabe durften sich die beklagten Anwälte verlassen, hier musste nicht nachgefragt werden, denn wenn die Klägerin sogar schon den nur für Juristen verständlichen Begriff "Düsseldorfer Tabelle" verwendete, durften die beklagten Anwälte davon ausgehen, dass die Klägerin schon wusste, was damit gemeint war und diese Frage tatsächlich auch geklärt war. Allerdings wäre auch hier eine Kontroll-Rückfrage sinnvoll gewesen um zu klären, ob die Klägerin zu 1. tatsächlich hierüber Bescheid wusste.Abs. 30
Die Klägerin zu 1. hatte den Beklagten jedenfalls bezüglich der Klägerin zu 2. einen Auftrag nicht erteilt, weshalb die Beklagten insoweit auch nicht haften.Abs. 31
Anders stellt sich die Sachlage bezüglich der Klägerin zu 1. dar, denn hier war klar, dass die Klägerin ganz erheblichen Beratungsbedarf hatte. Sie war nicht nur aus Russland gekommen - hatte also keine Vorstellung von dem deutschen Recht - und mit einem Chilenen verheiratet, so dass verschiedene Rechtssysteme eine Rolle spielten, insbesondere aber waren die Einkommensverhältnisse völlig unklar.Abs. 32
Wenn die Klägerin zu 1. den Beklagten erklärte, auf den Ehegattenunterhalt und den Versorgungsausgleich solle verzichtet werden, war hier klar, dass Beratungsbedarf vorlag und die Klägerin - bevor sie den Verzicht ausdrücklich erklärte - beraten werden musste. Zumindest hätten die beklagten Anwälte Rückfragen stellen müssen und auch in Frage stellen müssen, inwieweit die Klägerin den von ihr in Aussicht genommenen Verzicht insbesondere in Bezug auf seine Tragweite verstanden hatte.Abs. 33
Die Klägerin ist vom erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung zu diesem Punkt angehört worden, und sie wirkte sehr unsicher. Es mag sein, dass die Klägerin in der Anhörung vor dem Gericht interessengerecht auszusagen versucht hat und deshalb unsicher wirkte. Solche Unsicherheiten mag sie im Gespräch mit der beklagten Rechtsanwältin K. im Telefonat am 01.04.2011 nicht gezeigt haben. Dessen ungeachtet musste die beklagte Anwältin K. nachfragen und überdenken, ob nicht eine persönliche Beratung in der Anwaltskanzlei oder sonst wo - jedenfalls über einen persönlichen Kontakt - nötig war. Der Hinweis im Internetauftritt auf eine schnelle und kostengünstige Scheidung entband die beklagte Anwaltskanzlei nicht von der Verpflichtung, die Mandanten umfassend zu beraten, weshalb ein solcher Hinweis im Internet irreführend und falsch ist.Abs. 34
Dessen ungeachtet war jedenfalls eine umfassende Aufklärung der Klägerin nötig, was die Beklagte unterlassen hat. Dies ergibt sich schon daraus, dass offenbar keine Nachfragen gestellt worden sind. Die Beklagte Rechtsanwältin K. hat in der mündlichen Verhandlung persönlich gehört erklärt, sie könne sich auf die Angaben der Klägerin verlassen, wenn diese zu den Einkommensverhältnissen etwas sagt. Dies stellt eine Verkennung und verkürzte Sicht der Anwaltspflichten dar. Die Klägerin kam aus Rußland. Sie hatte möglicherweise fehlerhafte Vorstellungen von dem Ablauf eines Scheidungsprozesses in Deutschland; und auch über die Pflichten einer Ehefrau. Die Rolle der Ehefrau in Rußland ist sehr stark noch an dem traditionellen Bild einer Ehefrau orientiert mit entsprechender Aufgabenverteilung in der Ehe einschließlich anderer Vorstellungen dahin, was die Ehefrau an erzieherischen und finanziellen Beiträgen zu leisten imstande sein muss.Abs. 35
Aufgabe der beklagten Rechtsanwältin K., die das Mandat geführt hat, aber spätestens auch des Rechtsanwalts S. im Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht Leipzig am 14.04.2011 wäre es doch gewesen, diese Aussage kritisch zu hinterfragen und im Interesse der Klägerin und des Mandats umfassend aufzuklären, dass möglicherweise eine solche Vorgehensweise völlig fehl am Platze war. Insbesondere die Tatsache, dass die Klägerin als Pianistin selbständig tätig war und nur ein geringes Einkommen hatte und auch die Tatsache, dass sie noch ein kleines Kind zu versorgen hatte und ihre Mutter aus Russland kommen lassen musste, um überhaupt Geld verdienen zu können, hätte alle Alarmglocken bei der beklagten Anwaltskanzlei klingeln lassen müssen um zu verhindern, dass die Klägerin einen so unvorteilhaften Verzicht erklärte.Abs. 36
Möglicherweise gibt es Mandanten, die dessen ungeachtet auf einen solchen Verzicht beharren und diesen auch protokolliert haben wollen. Dem hat sich selbstverständlich der Rechtsanwalt unterzuordnen und dem zu folgen. So etwas trägt die Beklagte jedoch nicht vor. Unstreitig ist die Beratung nur dahin erfolgt, dass die beklagte Rechtsanwältin K. und auch Rechtsanwalt S. die Klägerin nur kurz dazu befragt und sich damit zufrieden gegeben haben, dass die Klägerin erklärte, sie wolle auf den Ehegattenunterhalt und den Versorgungsausgleich verzichten, das Einkommen beider Eheleute betrage circa 1.600,00 € und damit bestehe ohnehin kein Anspruch auf Versorgungsausgleich oder Ehegattenunterhalt. Das aber stellt keine Beratung dar, die die Beklagte der Klägerin schuldete.Abs. 37
Die Beklagte wollte entsprechend ihrem Internetauftritt der Klägerin zu einem günstigen und schnellen Scheidungstermin ohne große Probleme verschaffen, was ihr auch gelungen ist. Nicht gelungen ist ihr damit aber eine umfassende rechtliche Beratung, die sie der Klägerin ebenfalls schuldete. Das Angebot einer schnellen und unkomplizierten und billigen Scheidung verträgt sich nicht mit den Pflichten des Anwalts, die dahin gehen, den Mandanten umfassend zu beraten. Bei einer umfassenden Beratung hätten die beklagten Anwälte erfahren, wie schlecht die finanziellen Verhältnisse bei der Klägerin bestellt sind und dass es völlig unklar ist, welche finanziellen Verhältnisse bei dem geschiedenen Ehemann bestehen. Auch heute noch ist völlig unklar, welche Einkünfte der geschiedene Ehegatte der Klägerin nunmehr in Chile als Musikdozent erhält. Diese Einkünfte mögen zur Zeit niedrig sein, sicher ist das aber nicht. Sie können eben auch ganz andere Dimensionen erreichen. Bei einer solchen Sachlage der Klägerin zu einem Verzicht zu raten wäre fehlerhaft. Aber bei einer solchen Situation nicht weiter nachzufragen und einen von der völlig unerfahrenen Klägerin zu 1. einen Verzicht protokollieren zu lassen, der für die Klägerin ausschließlich Nachteile bringen kann, war jedenfalls pflichtwidrig und fehlerhaft und verpflichtet die Beklagte wegen Verletzung des Anwaltsvertrages zum Schadensersatz, §§ 675, 611, 280, 276 BGB.ffAbs. 38
Es ist offen, ob der geschiedene Ehemann der Klägerin nicht doch zeitweilig sehr viel höhere Einkünfte im Monat in Chile erzielt und deshalb unterhaltspflichtig gewesen wäre mit der Folge, dass die Klägerin nicht auf Sozialhilfe angewiesen wäre und ihr Kind zu Hause versorgen könnte ohne arbeiten gehen zu müssen. Denn wenn die Klägerin - wie der Fall nunmehr eingetreten ist - keine Einkünfte erzielen kann - insbesondere aufgrund der Betreuungspflicht zugunsten ihrer Tochter, der Klägerin zu 2., wäre sie dringend auf Ehegattenunterhalt angewiesen, selbstverständlich auch auf einen Versorgungsausgleich. Die Beklagte hat sich einfach mit den Angaben der rechtsunkundigen Klägerin begnügt und nicht weiter nachgefragt, was pflichtwidrig ist. Da die Anwälte der Beklagten Nachfragen an die Klägerin nicht gestellt haben, konnten sie auch nicht davon ausgehen, dass ihr Mandat diesbezüglich nur eingeschränkt war, weil die Klägerin etwa darauf bestanden hätte, den Verzicht auf jeden Fall zu protokollieren. Die Klägerin wusste nicht, worauf sie sich damit einließ und die Beklagten hätten der Klägerin dringend anraten müssen, einen solchen Verzicht nicht zu erklären, weshalb ein Mitverschulden der Klägerin zu 1. (§254 BGB) ausscheidet.Abs. 39
Soweit die Beklagten darauf verweisen, sie hätten immerhin darauf gedrungen, dass der Verzicht für den Fall der Not nicht gilt, ist dies nicht ausreichend. Wann der Fall der Not eintritt und ob er hier gegeben ist, ist von vielen Dingen abhängig. Es spricht zwar alles dafür, dass im vorliegenden Fall in der momentanen Situation der Klägerin ein solcher Fall der Not vorliegt. Wenn ein solcher Fall der Not nicht gegeben wäre, wäre es für die Klägerin äußerst beruhigend, einen solchen Verzicht nicht erklärt zu haben und ihre Unterhaltsansprüche uneingeschränkt gegen den geschiedenen Ehemann verfolgen zu können mit der möglichen Folge, sich ohne die Verpflichtung zur Erzielung von Einkünften ihrer Tochter umfassend widmen können.Abs. 40
Die uneingeschränkte Verfolgung von Unterhaltsansprüchen ist nun nicht mehr möglich, weil der Verzicht uneingeschränkt erklärt worden ist.Abs. 41
Dies gilt unabhängig davon, dass die Klägerin z. Zt. Schwierigkeiten hat, solche Ansprüche gegen den Ehemann (im Falle der Not) überhaupt durchzusetzen. Die Tatsache, dass der geschiedene Ehemann mit allen Kräften versucht, solchen Ansprüchen zu entgehen, entlastet die Beklagte nicht. Inwieweit ein Schaden entstanden und der geschieden Ehemann leistungsfähig ist, ist dem Betragsverfahren vorzubehalten.Abs. 42
2. Die Klage der Klägerin zu 2. ist jedoch abzuweisen, weil die Klägerin als Vertreterin der Klägerin zu 2. unzweideutig erklärt hat, die Klägerin zu 2. erhalte Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle und - wie bereits oben ausgeführt - durften die beklagten Anwälte in Anbetracht dieser offensichtlich vorhandenen rechtlichen Kenntnisse der Klägerin als Vertreterin der Klägerin zu 2. davon ausgehen, dass die Klägerin zu 1. umfassend über die Rechte informiert war und Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle gezahlt wird. Auf mehr als einen solchen Unterhalt hätte die Klägerin auch nicht Anspruch gehabt. Das Mandat war insoweit nicht auf die Vertretung der Klägerin zu 2. ausgeweitet worden und im Übrigen ist der Klägerin zu 2. auch insoweit kein Schaden entstanden.Abs. 43
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92, 708 Nr.11, 711 S.1 ZPO.Abs. 44
 

(online seit: 11.11.2014)
 
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Berlin, LG, "Online-Scheidungsformular" - JurPC-Web-Dok. 0171/2014