JurPC Web-Dok. 35/2023 - DOI 10.7328/jurpcb202338335

AG Frankfurt a.M.

Urteil vom 23.05.2022

30 C 3493/21 (71)

Keine anwaltliche Tätigkeit bei Einschaltung eines “Entschädigungsmanagers” I

JurPC Web-Dok. 34/2023, Abs. 1 - 18


Leitsatz (der Redaktion):

Ein Generator ist Ergebnis einer entweder selbst entwickelten oder zumindest nach bestimmten Vorgaben erstellten Software. Dies mag bei der Bewältigung von Anspruchsmassen praktisch sein, führt jedoch nicht dazu, dass eine vergütungspflichtige anwaltliche Tätigkeit vorliegt.

Tatbestand

Die Klägerin fordert von der Beklagten Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten, die ihrer Mandantschaft, den Fluggästen (...), (...) und (...), durch die Inanspruchnahme der Klägerin entstanden sind. Abs. 1
Die Fluggäste hatten bei der Beklagten eine Flugreise von (...) nach (...) unter der Flugnummer (...) gebucht. Der Flug hatte eine große Verspätung, die nicht auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen war. Die Fluggäste forderten von der Beklagten jeweils Zahlung einer Ausgleichsleistung. Die Klägerin stellt auf ihrer Internetseite einschließlich einer Information über die Fluggastrechte einen „Entschädigungsmananger“, mit dessen Hilfe ein Forderungsschreiben erstellt werden kann, zur Verfügung. Nach Eingabe der Daten prüft das System, ob möglicherweise ein Anspruch besteht, und erstellt ein Forderungsschreiben, das dann unter der Emailadresse (...) versendet wird. Die Fluggäste nutzten den Service und gaben in das System ihre individuellen Daten ein. Es wurde mit Datum 23.08.2018 unter Fristsetzung bis zum 06.09.2018 ein Forderungsschreiben erstellt und an die Beklagte versandt. Die Beklagte zahlte nicht. Nach Auftragserteilung wurde die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 14.09.2018 erneut zur Zahlung der Ausgleichsleistungen aufgefordert. Daraufhin bezahlte die Beklagte auf das Anderkonto der Klägerin die Ausgleichsleistungen. Die Klägerin begehrte im Auftrag der Fluggäste erfolglos mit Schreiben vom 02.05.2019 Bezahlung der vorgerichtlichen Anwaltskosten. Die Klägerin hat sich die geltend gemachten Ansprüche ihrer Mandanten gemäß Abtretungserklärung vom 10.03.2021 abtreten lassen und begehrte diese nun klageweise. Abs. 2
Die Klägerin meint,Abs. 3
die Inanspruchnahme des Entschädigungsmanagers durch die Fluggäste sei kein Betreiben eines konkreten Geschäftes. Im Übrigen habe die Beklagte ihre Informationspflichten verletzt. Abs. 4
Die Klägerin beantragt, Abs. 5
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 147,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen. Abs. 6
Der Beklagte beantragt, Abs. 7
die Klage abzuweisen.Abs. 8
Die Beklagte meint,Abs. 9
sie habe sich im Zeitpunkt des Tätigwerdens der Klägerin durch das über die Internetseite generierte Forderungsschreiben nicht in Verzug befunden. Abs. 10
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.Abs. 11

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Abs. 12
Die Klägerin kann nicht mit Erfolg aus abgetretenem Recht der Fluggäste Bezahlung verzugsbedingter vorgerichtlichen Anwaltskosten von der Beklagten begehren. Denn wie bereits mit Beschluss vom 07.03.2022 dargelegt, teilt das Gericht die Auffassung des Amtsgerichts Köln mit Urteil vom 05.03.2020 (Aktenzeichen 120 C 137/19). Die Klägerin wurde bereits vor Eintritt des Verzugs mandatiert. Die Klägerin hat durch die Bereitstellung des Generators für ein Entschädigungsschreiben bereits das Geschäft der Fluggäste betrieben. Mit der Eingabe der individuellen Eingaben wird der Auftrag an die Klägerin, die Ausgleichsleistung einzufordern, konkludent erteilt. Unerheblich ist, ob den Fluggästen bewusst war, dass sie mit der Nutzung des Generators einen Auftrag zum Betreiben eines Geschäfts erteilt haben. Denn die Frage, ob ein Anwalt ein Geschäft betreibt, ist aufgrund des zugrundeliegenden Sachverhalts zu beurteilen, unabhängig davon, ob der Anwalt seine Vergütung einfordert. Soweit die Klägerin auf der Internetseite darüber informiert, durch die Inanspruchnahme des Generators erfolge keine Inanspruchnahme ihrer Dienste, mag diese Information den Fluggästen eine Einwendung nach Treu und Glauben gegenüber einer etwaigen Vergütungsforderung der Klägerin geben, lässt aber das Entstehen einer Mandatsbeziehung durch Inanspruchnahme des Generators und das Entstehen einer Gebühr durch Betreiben des Geschäfts im Sinne von Vorbemerkung 2.3 Abs. 3 RVG unberührt. Durch die Eingabe der individuellen Daten wird ein konkreter Bezug hergestellt und ein konkretes Geschäft im Sinne Nr. 2300 VV RVG betrieben. Zum Betreiben des Gerichts gehören die Prüfung eines Anspruchs und die Mitwirkung bei der Durchsetzung des Anspruchs. Beides ist erfolgt. Nach Eingabe der Daten erfolgt ausweislich des Anlagenkonvolutes eine summarische Prüfung, ob ein Anspruch besteht. Das Gericht teilt auch die Auffassung des Amtsgerichts Köln, dass es unerheblich ist, ob dies durch den Anwalt mündlich, telefonisch, schriftlich oder in anderer Weise, wie vorliegend durch den von der Klägerin bereitgestellten Generator erfolgt. Die Art und Weise der Kontaktaufnahme haben sich im Zuge des Internets und der Digitalisierung fortentwickelt. Die Nutzung moderner Technik vermag indessen die Vorschriften des RVG nicht aushebeln. Der Generator mag mit Hilfe von Algorithmen die Prüfung vornehmen und das Schreiben erstellen. Allerdings wurde der Generator von der Klägerin bereitgestellt und mit den Algorithmen gefüttert, um je nach Fallkonstellation das in ihrem Sinne rechtliche Prüfungsergebnis der Ansprüche der Fluggäste zu erstellen. Der Generator hat sich insoweit nicht selbst erstellt, sondern ist Ergebnis einer entweder selbst entwickelten oder zumindest nach ihren Vorgaben erstellten Software. Dies mag bei der Bewältigung von Anspruchsmassen praktisch sein, führt indessen jedoch nicht dazu, dass eine nicht vergütungspflichtige Tätigkeit vorliegt. Schließlich wird auch das Forderungsschreiben nach Individualisierung vom Server der Klägerin versendet. Die Fluggäste haben sich gerade nicht ein Musterschreiben zur Hand genommen, um selbst eines zu formulieren, sondern haben sich dies von der Klägerin erstellen lassen. Unstreitig setzten die Fluggäste die Beklagte mit dieser Email vom 23.08.2018 im Sinne von § 286 BGB erst in Verzug. Die Kosten einer verzugsbegründenden Mahnung sind indessen nicht ersatzfähig. Abs. 13
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten auf Basis eines Schadensersatzanspruches wegen Verletzung der Informationspflichten nach der fluggastrechte-Verordnung EG (VO) 261/2004, denn eine Kausalität zwischen Informationspflichtverletzung und Entstehen der Geschäftsgebühr ist nicht feststellbar. Insoweit kann dahinstehen, ob die Beklagte tatsächlich ihre Informationspflichten verletzt hat, denn offensichtlich waren die Fluggäste über ihre Rechte grundsätzlich in Bilde, als sie die Dienste des Generators in Anspruch nahmen. Abs. 14
Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.Abs. 15
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO. Abs. 16
Die Berufung wurde zugelassen, um eine Überprüfung durch das Landgericht zu ermöglichen, da bislang offensichtlich nur konträre Entscheidungen von Amtsgerichten vorliegen. Abs. 17
Rechtsbehelfsbelehrung…Abs. 18
Hinweis der Redaktion:
Bitte beachten Sie auch die Entscheidung des Berufungsgerichts, LG Frankfurt a.M. = Web-Dok. 34/2023.

(online seit: 14.03.2023)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Frankfurt a.M., AG, Keine anwaltliche Tätigkeit bei Einschaltung eines “Entschädigungsmanagers” I - JurPC-Web-Dok. 0035/2023