JurPC Web-Dok. 172/2022 - DOI 10.7328/jurpcb20223712172

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken

Beschluss vom 03.11.2022

5 W 79/22

Keine einstweilige Verfügung zur Wiederherstellung eines Facebook-Nutzerkontos

JurPC Web-Dok. 172/2022, Abs. 1 - 19


Leitsatz:

Dem Betreiber eines sozialen Netzwerks, der nach erfolgter Sperrung dazu aufgefordert wurde, das Nutzerkonto wiederherzustellen, alle Daten zu speichern und eine endgültige und unwiderrufliche Löschung des Kontos zu unterlassen, steht angesichts des Umstandes, dass es sich dabei um einen Anspruch handelt, dessen Berechtigung einer Überlegung bedarf, nach Treu und Glauben eine angemessene Prüffrist zu, vor deren Ablauf Verzug nicht eintritt und auch die Beantragung einer entsprechenden einstweiligen Verfügung nicht veranlasst ist.

Gründe:

I.Abs. 1
Die Antragstellerin hat von der Antragsgegnerin, der für Europa zuständigen Anbieterin und Vertragspartnerin der Nutzer eines von der Muttergesellschaft der Antragsgegnerin betriebenen sozialen Netzwerks, im Wege der einstweiligen Verfügung die Unterlassung der Löschung ihres zwischenzeitlich deaktivierten Nutzerkontos bei „www.facebook.com“ sowie der dazu gespeicherten Daten begehrt. Sie nutzt die Dienste der Antragsgegnerin und ist dort mit der E-Mail-Adresse@web.de angemeldet. Die Antragsgegnerin hat in sog. „Gemeinschaftsstandards“ u.a. Regelungen zur Sperrung und Deaktivierung von Nutzerkonten bei Verstößen aufgestellt und sich in ihren Nutzungsbedingungen unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht zur Kündigung aus wichtigem Grund vorbehalten (im Einzelnen: Anlagen K42, K43). Die Informationen eines im Facebook-Dienst deaktivierten Kontos werden nach einer bestimmten Zeit dauerhaft und unwiderruflich gelöscht. Sobald der Löschvorgang eingeleitet wird, kann dieser nur noch innerhalb von 90 Tagen gestoppt werden. Der Löschvorgang wird nicht unmittelbar nach einer Kontodeaktivierung automatisch aktiviert. Die Daten werden zunächst für einen bestimmten Zeitraum aufbewahrt, um im Falle eines Einspruchs seine Wiederherstellung des Kontos vornehmen zu können. Nicht jedes deaktivierte Nutzerkonto wird automatisch nach sechs Monaten gelöscht.Abs. 2
Am 27. Mai 2022 wurde das Nutzerkonto der Antragstellerin deaktiviert; sie erhielt eine Nachricht, dass sie „Facebook oder den Messenger nicht verwenden“ könne, das damit verknüpfte Instagram-Konto „“ sei deaktiviert worden, weil die dortigen Aktivitäten gegen die Gemeinschaftsrichtlinien von Instagram oder andere Standards verstießen, und wenn sie der Meinung sei, dass die Konten fälschlicherweise deaktiviert worden seien, könne sie auf Instagram eine Überprüfung der Entscheidung beantragen (Bl. 15 GA). Die Antragstellerin war vor der Deaktivierung nicht angehört oder über die beabsichtigte Kontodeaktivierung informiert worden; durch die Kontodeaktivierung hatte sie keinen Zugriff mehr auf die auf dem Konto hinterlegten Daten (Bilder, Texte und Verknüpfungen zu „Facebook-Freunden“). Nach einem Versuch, die Antragsgegnerin selbst zur Wiederherstellung des Nutzerkontos zu bewegen, ließ sie diese mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Juni 2022 unter Fristsetzung auf den 16. Juni 2022 auffordern, das Nutzerkonto wiederherzustellen, sich schriftlich dazu zu verpflichten, das Nutzerkonto und alle kontenspezifischen Daten/Inhalte zu speichern und es zu unterlassen, eine endgültige und unwiderrufliche Löschung des Kontos vorzunehmen, alle Lösch- und Sperrvermerke zu beseitigen, sich schriftlich bei Meidung einer Vertragsstrafe zur Unterlassung weiterer Sperrungen oder Deaktivierungen zu verpflichten und die Klägerin von Rechtsanwaltskosten für dieses Schreiben sowie für die Einholung einer Deckungszusage beim Rechtsschutzversicherer freizustellen (Anlage K13). Hierauf reagierte die Antragsgegnerin nicht.Abs. 3
Die Antragstellerin hat die Deaktivierung ihres Nutzerkontos für rechtswidrig gehalten und mit ihrem am 20. Juni 2022 zum Landgericht eingereichten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, anzuordnen, dass es die Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen habe, ihr am 27. Mai 2022 deaktiviertes Nutzerkonto auf www.facebook.com und die dazu gespeicherten Daten endgültig und unwiderruflich zu löschen, hilfsweise anzuordnen, dass es die Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu unterlassen habe, das am 27. Mai 2022 deaktivierte Nutzerkonto der Antragstellerin und die dazu gespeicherten Daten endgültig und unwiderruflich mit der Folge zu löschen, dass der Antragsgegnerin eine Wiederherstellung des streitgegenständlichen Nutzerkontos, wie es zum Zeitpunkt der vorangegangenen Deaktivierung bestand, sowie nähere Angaben über die Gründe der vorhergehenden Deaktivierung des Kontos unmöglich seien (Bl. 1 ff. GA). Die Antragsgegnerin hat im Wesentlichen auf die ihres Erachtens fehlende Dringlichkeit des Anliegens verwiesen; am 19. Juli 2022 hat sie das Konto der Antragstellerin wiederhergestellt. In der Folge hat die Antragstellerin die Hauptsache für erledigt erklärt, die Antragsgegnerin hat sich dem angeschlossen, beide Parteien haben wechselseitig Kostenantrag gestellt.Abs. 4
Mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 119 ff. GA) hat das Landgericht die Kosten des Verfahrens gemäß § 91a ZPO der Antragsgegnerin auferlegt und zur Begründung ausgeführt, diese wäre bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten im weiteren Verfahren voraussichtlich unterlegen. Die Antragstellerin habe sowohl einen auf Unterlassung der Löschung gerichteten Verfügungsanspruch, als auch einen Verfügungsgrund ausreichend glaubhaft gemacht, weil für die Sperrung des Kontos keine sachliche Rechtfertigung ersichtlich gewesen sei und die Antragstellerin auch von der Eilbedürftigkeit ihres Anliegens habe ausgehen dürfen, nachdem unklar sei, wann genau nach der Deaktivierung des Kontos der 90-tägige Zeitraum beginne, nach dessen Ablauf die Daten unwiederbringlich gelöscht würden.Abs. 5
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde (Bl. 150 ff. GA), in der sie erneut insbesondere auf das Fehlen eines Verfügungsgrundes verweist, und der das Landgericht mit Beschluss vom 10. Oktober 2022 (Bl. 213 f. GA) nicht abgeholfen hat.Abs. 6
II.Abs. 7
Die gemäß § 91a Abs. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die erstinstanzliche Kostenentscheidung ist begründet. Unbeschadet der vom Landgericht auf Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes bejahten Erfolgsaussicht des ursprünglichen Begehrens der Antragstellerin entspricht es billigem Ermessen, ihr die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten erstinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen, weil sie den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne ausreichende Veranlassung – verfrüht – bei Gericht eingereicht hat.Abs. 8
1.Abs. 9
Die nach § 91a ZPO zu treffende Kostenentscheidung hat nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu erfolgen. Grundsätzlich sind im Rahmen der Billigkeitsentscheidung derjenigen Partei die Kosten aufzuerlegen, die bei Fortgang des Rechtsstreites voraussichtlich unterlegen wäre und nach kostenrechtlichen Regeln die Kosten hätte tragen müssen, wenn sich die Hauptsache nicht erledigt hätte (BGH, Beschluss vom 7. Mai 2007 – VI ZR 233/05, NJW 2007, 3429; Senat, Beschluss vom 16. Juni 2010 – 5 W 116/10-44, FamRZ 2011, 499); davon ist das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend ausgegangen. Übersehen hat es jedoch, dass darüber hinaus auch die Grundsätze der allgemeinen kostenrechtlichen Bestimmungen (§§ 91 ff. ZPO) ergänzend zu berücksichtigen sind, soweit dafür Anlass besteht; dabei ist insbesondere der Rechtsgedanke des § 93 ZPO heranzuziehen und zu prüfen, ob die beklagte Partei der klagenden Partei Veranlassung zur Klage gegeben oder ob der Kläger mutwillig Klage erhoben hat (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 – IX ZB 160/04, NJW-RR 2006, 773; Senat, Beschluss vom 2. Februar 2021 – 5 W 55/20, NJW-RR 2021, 646; Vollkommer, in: Zöller, ZPO 34. Aufl., § 91a Rn. 25). Die Kosten einer ohne Veranlassung erhobenen Klage sind vom Kläger zu tragen, selbst wenn er bei Fortgang des Rechtsstreits voraussichtlich in der Sache obsiegt hätte. Der Grundsatz, dass bei streitigen Verfahren die Prozesskosten regelmäßig von dem unterlegenen Teil zu tragen sind, wird hier durchbrochen von der Regelung des § 93 ZPO, der dem Schutz des Beklagten vor übereilten Klagen und der Vermeidung unnötiger Prozesse dient (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2006 – VI ZB 64/05, BGHZ 168, 57; Senat, Beschluss vom 13. August 2013 - 5 W 74/13).Abs. 10
2.Abs. 11
Vorliegend hatte die Antragsgegnerin der Antragstellerin keine Veranlassung zur Beantragung der auf Untersagung der Löschung des Nutzerkontos und der dazu gespeicherten Daten gerichteten einstweiligen Verfügung gegeben, so dass der Antragstellerin die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrens nach dem Rechtsgedanken des § 93 ZPO aufzuerlegen waren:Abs. 12
a)Abs. 13
Veranlassung zur Klageerhebung gibt eine Partei, wenn ihr Verhalten vor dem Prozess aus der Sicht des Klägers bei vernünftiger Betrachtung hinreichenden Anlass für die Annahme bietet, er werde ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu seinem Recht kommen (BGH, Beschluss vom 30. Mai 2006 – VI ZB 64/05, BGHZ 168, 57; SaarlOLG, Beschluss vom 5. Dezember 2016 – 4 W 19/16, NJW-RR 2017, 697). Entscheidender Zeitpunkt für diese Beurteilung ist derjenige des Eingangs der Klage bzw. – hier – der Einreichung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, weil dadurch die Kosten des Rechtsstreits anfallen (Senat, Beschluss vom 2. Februar 2021 – 5 W 55/20, NJW-RR 2021, 646; SaarlOLG, Beschluss vom 25. September 2017 – 4 W 18/17, VersR 2018, 696; Herget, in: Zöller, a.a.O., § 93 Rn. 3). Dagegen kann allein durch ein prozessuales Gebaren des Beklagten ein Klageanlass nicht „nachwachsen“; ihm kann lediglich indizielle Bedeutung zukommen, um Zweifelsfragen bzgl. einer vorprozessual angelegten Klageveranlassung zu klären (BGH, Urteil vom 27. Juni 1979 – VIII ZR 233/78, NJW 1979, 2040; Senat, Beschluss vom 2. Februar 2021 – 5 W 55/20, NJW-RR 2021, 646; Herget, in: Zöller, a.a.O., § 93 Rn. 3). Grundsätzlich besteht kein Anlass zur Klage, wenn der Beklagte weder im Verzug war noch den Anspruch bestritten oder die Leistung verweigert hat (KG, ZMR 2008, 447; OLG Köln NJW-RR 1992, 1592; Herget, in: Zöller, a.a.O., § 93 Rn. 6.54). Ob Verzug vorliegt, entscheidet sich nach § 286 BGB und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass einem Beklagten nach der Anmeldung eines Anspruchs, dessen Berechtigung einer Überlegung bedarf, eine gewisse Prüfungszeit zuzubilligen ist, vor deren Ablauf Verzug nicht eintritt und auch eine Klage nicht veranlasst ist (§ 242 BGB; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB 81. Aufl., § 286 Rn. 35; vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1983 – IVa ZR 116/81, NJW 1983, 1729; SaarlOLG, Beschluss vom 25. September 2017 – 4 W 18/17, VersR 2018, 696; KG, NJW-RR 1987, 995).Abs. 14
b)Abs. 15
Danach hatte die Antragstellerin hier zum Zeitpunkt der Einreichung ihres Antrages auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung keine Veranlassung, davon auszugehen, dass sie ohne Inanspruchnahme der Gerichte nicht zu ihrem Recht kommen würde. Denn die Antragsgegnerin, die im Anschluss an die am 27. Mai 2022 erfolgte Sperrung und einen vergeblichen Versuch der Antragstellerin, sie – nur – „zur Wiederherstellung des Nutzerkontos zu bewegen“ (Bl. 16 GA), erstmals mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Juni 2022 (Anlage K13) unter Fristsetzung auf den 16. Juni 2022 dazu aufgefordert worden war, auch die endgültige Löschung des Nutzerkontos und der entsprechenden Daten zu unterlassen, hatte dieses Ansinnen bis zur Einreichung des Antrages auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 20. Juni 2022 weder bestritten, noch zurückgewiesen, und sie war durch den Ablauf der ihr gesetzten Erledigungsfrist auch noch nicht wirksam in Verzug gesetzt worden. Da ein Anspruch geltend gemacht worden war, dessen Berechtigung – offensichtlich – einer Überlegung bedurfte, stand der Antragsgegnerin nach Treu und Glauben eine angemessene Prüffrist zu, vor deren Ablauf der Verzug nicht eintreten konnte (vgl. KG, NJW-RR 1987, 994, 995; Grüneberg, in: Grüneberg, a.a.O., § 286 Rn. 35). Diese Frist war jedenfalls bis zur Einreichung des Antrages, elf Tage nach der anwaltlichen Aufforderung und vier Tage nach Ablauf der darin gesetzten Frist, noch nicht verstrichen. Denn es ist zu berücksichtigen, dass die der Antragsgegnerin abverlangte Entscheidung von einer inhaltlichen Prüfung abhing, die eine vertiefte Befassung mit dem zugrunde liegenden Sachverhalt erforderte; außerdem, dass dieses Anliegen in dem Aufforderungsschreiben auch noch mit weiteren Forderungen, u.a. nach der Freistellung von Rechtsanwaltskosten, verbunden worden war, deren Berechtigung ebenfalls nicht auf der Hand lag, was die notwendige Prüfung zusätzlich erschwerte. Es liegt auf der Hand, dass ein international tätiges Unternehmen der Größe der Antragsgegnerin eine solche Einzelfallprüfung innerhalb eines so knappen Zeitraumes von lediglich elf Tagen nicht leisten kann und – im Hinblick auf die unstreitige Löschungsfrist von wenigstens 90 Tagen – auch unter Berücksichtigung der berechtigten Erwartungen der Antragstellerin nicht zwingend leisten musste. Demgegenüber bringt auch das nach Zustellung der einstweiligen Verfügung an den Tag gelegte Verhalten der Antragsgegnerin, das wegen seiner indiziellen Bedeutung mitberücksichtigt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1979 - VIII ZR 233/78, NJW 1979, 2040), einen erkennbaren Willen zur zeitnahen Erledigung der Angelegenheit zum Ausdruck. Dies alles berücksichtigend, war hier für die Antragstellerin im Zeitpunkt der Einreichung ihres Antrages auf Erlass der einstweiligen Verfügung nicht zu befürchten, dass sie ohne Hilfe des Gerichts nicht zu ihrem Recht kommen würde. Deshalb hat sie unbeschadet der Frage einer möglichen inhaltlichen Berechtigung ihres Anliegens aus Gründen der Billigkeit die Kosten des übereinstimmend für erledigt erklärten Verfahrens zu tragen; dementsprechend war der angefochtene Kostenbeschluss zu ihren Lasten abzuändern.Abs. 16
3.Abs. 17
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; danach hat die Antragstellerin, weil sie der sofortigen Beschwerde der Antragsgegnerin entgegengetreten ist (Bl. 160 GA), auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.Abs. 18
Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde kam nicht in Betracht, weil dies gesetzlich nicht vorgesehen ist (§ 574 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 542 Abs. 2 ZPO; vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2003 – I ZB 41/02, FamRZ 2003, 1269; Althammer, in: Zöller, a.a.O., § 91a Rn. 29).Abs. 19

(online seit: 06.12.2022)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Keine einstweilige Verfügung zur Wiederherstellung eines Facebook-Nutzerkontos - JurPC-Web-Dok. 0172/2022