JurPC Web-Dok. 134/2022 - DOI 10.7328/jurpcb2022379134

OVG Mecklenburg-Vorpommern

Beschluss vom 14.06.2022

1 M 43/22 OVG

Widerspruchsschreiben in Gestalt einer PDF-Datei

JurPC Web-Dok. 134/2022, Abs. 1 - 45


Leitsatz:

Die Übersendung eines nicht qualifiziert signierten Widerspruchsschreibens in Gestalt einer PDF-Datei, die an eine einfache E-Mail angehängt ist, wahrt weder die Schriftform noch die elektronische Form nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 3a Abs. 2 VwVfG M-V.

Gründe:

I.Abs. 1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine für sofort vollziehbar erklärte naturschutzrechtliche Anordnung des Antragsgegners vom 24. März 2021 zur Wiederherstellung eines Biotops.Abs. 2
Sie ist Betreiberin eines Landwirtschaftsbetriebes in der Gemeinde A-Stadt und zugleich Eigentümerin des Grundstücks, Flurstück 1/1 in der Flur 1, Gemarkung C.Abs. 3
Am 24. März 2021 erließ der Beklagte eine Anordnung, wonach das auf dem streitgegenständlichen Grundstück befindliche, gesetzlich geschützte Biotop mit der Bezeichnung „F.15516 – Stehende Kleingewässer, einschließlich der Ufervegetation“ nach näheren Maßgaben wiederherzustellen sei (Ziffer 1.). Die Umsetzung der Maßnahmen der mit der unteren Naturschutzbehörde unter Ziffer 1. der Anordnung abgestimmten technischen Ausführungsplanung habe bis zum 30. November 2021 zu erfolgen (Ziffer 2.). Für die vorstehenden Anordnungen ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung an (Ziffer 3.); zudem drohte er die Festsetzung eines Zwangsgeldes an.Abs. 4
Der Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung folgenden Inhalts:Abs. 5
„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist beim Landkreis Mecklenburgische Seenplatte - Der Landrat -, Platanenstraße 43 in 17033 Neubrandenburg schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen. Der Widerspruch kann innerhalb der genannten Frist auch bei einem der auf Seite 1 unten genannten Regionalstandorte eingelegt werden.“Abs. 6
Gegen den der Antragstellerin am 27. März 2021 mit Postzustellungsurkunde zugestellten Bescheid vom 24. März 2021 erhob die Antragstellerin am 19. April 2021 Widerspruch. Die Antragstellerin übersandte an die vorgenannte E-Mail-Adresse dazu mit der Absenderadresse „G.“ und der Betreffzeile „Ihre Anordnung Az.: 66.1.37.3.3.033-04/21 vom 24.03.2021“ eine (einfache) E-Mail mit folgendem Inhalt:Abs. 7
„Bitte Anhang öffnen!Abs. 8
Mit freundlichen GrüßenAbs. 9
i.A.Abs. 10
D.“Abs. 11
Der Anhang bestand aus einem unterzeichneten Widerspruchsschreiben im PDF-Format, das beim Antragsgegner am 19. April 2021 ausgedruckt und mit einem Ausdruck der E-Mail zu den Akten genommen wurde. Am 4. Mai 2021 bestätigte der Antragsgegner den Eingang des Widerspruchs gegenüber der Antragstellerin.Abs. 12
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2021 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass der Widerspruch unzulässig sei. Eine einfache E-Mail genüge nicht dem Schriftformerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Widerspruchsbescheid wurde der Antragsgegnerin am 10. Juli 2021 zugestellt.Abs. 13
Am 21. Juli 2021 stellte die Antragstellerin hilfsweise einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, der Antragstellerin hätte es nicht bekannt sein müssen, dass der als Anhang der E-Mail beigefügte und eigenhändig unterschriebene Widerspruch nicht dem Schriftformerfordernis des § 70 Abs. 1 VwGO entspreche.Abs. 14
Am 23. Juli 2021 erhob die Antragstellerin erneut Widerspruch. Der Antragsgegner gab dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand mit Schreiben vom 27. Juli 2021 statt. Mit Bescheid vom 30. Juli 2021 nahm der Antragsgegner seinen Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2021 zurück.Abs. 15
Am 7. Oktober 2021 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Greifswald um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.Abs. 16
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. Dezember 2021 – 5 B 1633/21 HGW – hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Bescheid des Antragsgegners vom 24. März 2021 bestandskräftig sei. Die Übermittlung des Widerspruchsschreibens als PDF-Datei – sowie der Ausdruck durch den Antragsgegner – sei zwar am 19. April 2021 in der Monatsfrist erfolgt, habe jedoch weder die durch § 70 Abs. 1 VwGO vorgeschriebene Form noch die elektronische Form gewahrt. Im Übrigen sei der formgerechte Widerspruch vom 21. Juli 2021 erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist erfolgt. Der Antragstellerin sei auch nicht Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand in die Widerspruchsfrist zu bewilligen, da diese die Frist schuldhaft versäumt habe.Abs. 17
II.Abs. 18
Die nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 29. Dezember 2021 mit am 11. Januar 2022 eingegangenem Schriftsatz fristgemäß eingelegte und mit am 28. Januar 2022 eingegangenem Schriftsatz fristgemäß begründete Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.Abs. 19
§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO bestimmt, dass die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. In Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts an Hand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt.Abs. 20
Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe führen nicht zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung.Abs. 21
1.Abs. 22
Die Antragstellerin meint, das Widerspruchsschreiben vom 19. April 2021 sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sowohl frist- als auch formgerecht gewesen.Abs. 23
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, die Übermittlung des Widerspruchsschreibens als PDF-Datei habe weder die durch § 70 Abs. 1 VwGO vorgeschriebene Schriftform noch die elektronische Form gewahrt. Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO sei der Widerspruch binnen eines Monats ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Abs. 2 VwVfG oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die elektronische Übermittlung sei allerdings nur dann zulässig, wenn die Anforderungen des § 3a Abs. 2 VwVfG M-V erfüllt sind. Der Gesetzgeber habe durch die Einführung der Vorschriften zum elektronischen Datenverkehr – z. B. § 3a VwVfG, § 55a VwGO – unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er nur die gesetzlich normierten elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten als Gewähr in die Vertraulichkeit des Übermittlungsweges und als Garantie für die Unverfälschlichkeit der übersandten Dokumente ansehe. Entsprechend dieser gesetzlichen Wertung entspreche die Einlegung des Widerspruches als PDF-Dokument im Anhang einer E-Mail ohne eine qualifizierte elektronische Signatur nicht der Formvorschrift des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 3a VwVfG M-V. Anderenfalls würden die gesetzlichen Regelungen leerlaufen, wenn in den Fällen der Versendung eines Widerspruches in der Form eines einer E-Mail angehängten PDF-Dokuments es keiner qualifizierten elektronischen Signatur bedürfte. Soweit in der Rechtsprechung zu Telefax und Computerfax der Begriff der Schriftform in der Vergangenheit erweitert worden sei, rechtfertige dies nicht zuletzt aufgrund der geschaffenen Regelungen durch den Gesetzgeber keine Ausweitung. Die Rechtssicherheit erfordere vielmehr, dass die Formwirksamkeit nicht von Faktoren abhängig ist, auf die der Urheber des Dokumentes keinen Einfluss hat. Eine Heilung von Formmängeln der vom Absender gewählten elektronischen Übermittlungsform durch den Ausdruck des Dokumentes seitens einer Behörde bzw. eines Gerichts hätte aber gerade dies zur Folge. Anders als beispielsweise bei der Übermittlung per Fax hätte der Absender es nicht in der Hand, ob und wann das elektronisch übermittelte Dokument vom Empfänger ausgedruckt bzw. die PDF-Datei als vermeintliche Spam-Mail gelöscht wird.Abs. 24
Diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts werden durch das Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Frage gestellt.Abs. 25
Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entspricht der – soweit ersichtlich – überwiegend in der Rechtsprechung anzutreffenden Ansicht, dass das Übersenden eines nicht qualifiziert signierten Widerspruchsschreibens in Gestalt einer PDF-Datei, die an eine einfache E-Mail angehängt ist, nicht dem Schriftformerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO genüge (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2016 – 6 C 12/15 –, juris Rn. 18, wonach bei der Nutzung einer einfachen E-Mail zur Übermittlung eines Widerspruchs die auch durch das elektronische Dokument zu wahrende Funktion der Schriftform nur dann nicht beeinträchtigt wird, wenn das im Anhang beigefügte Widerspruchsschreiben seinerseits qualifiziert signiert ist; OVG Münster, Urteil vom 28. Mai 2015 – 2 A 188/15 –, juris Rn. 35 ff., 40; VGH München, Beschluss vom 23. September 2021 – 4 ZB 21.1847 –, juris Rn. 14; VG München, Beschluss vom 7. Dezember 2021 – M 10 S 21.4517 –, juris Rn. 42 ff.; VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 11. Februar 2021 – 4 K 758/20.NW –, juris Rn. 29 ff.; VG Bayreuth, Beschluss vom 23. Januar 2020 – B 1 S 19.1233 –, juris Rn. 26, und vom 19. Mai 2015 – B 4 K 13.333 –, juris Rn. 31 ff.; zur vergleichbaren Konstellation im Beschwerdeverfahren OVG Bautzen, Beschluss vom 13. März 2019 – 4 B 445/18 –, juris Rn. 3; vgl. im Übrigen auch BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 1/16 R –, juris Rn. 16; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. Juni 2016 – L 7 SO 4619/15 –, juris Rn. 28). Die vor der Novellierung des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergangenen Entscheidungen sind dabei noch einschlägig, da die Übersendung von elektronischen Dokumenten bei entsprechender qualifizierter elektronischer Signatur auch schon vor dem 1. Januar 2018 zulässig war und die ab diesem Zeitpunkt geltende Neufassung des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO lediglich klarstellenden Charakter hatte (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksache 18/9416 – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, BT-Drs. 18/12203, zu Artikel 20 zu Nr. 4, S. 87).Abs. 26
Dieser Ansicht ist zu folgen. Bei der Übermittlung per einfacher E-Mail besteht keine hinreichende Sicherheit für die Ermittlung der Identität und Urheberschaft des Absenders; der Inhalt der Erklärung ist gegenüber Eingriffen Dritter nicht geschützt (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2016 – 6 C 12.15 –, juris Rn. 21; Beschluss vom 14. September 2010 – 7 B 15.10 –, juris Rn. 24; OVG Münster, Urteil vom 28. Mai 2015 – 2 A 188/15 –, juris Rn. 38; VGH Kassel, Beschluss vom 18. Juli 2018 – 1 B 2029/17 –, juris Rn. 27; VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 11. Februar 2021 – 4 K 758/20.NW –, juris Rn. 35 ff.).Abs. 27
Der Bundesgesetzgeber verfolgte bei der Modifizierung des Begriffs der Schriftform in § 3a Abs. 2 VwVfG einerseits die Erleichterung der elektronischen Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung, wollte jedoch andererseits auch deren Interesse an der Sicherheit und Dauerhaftigkeit des entsprechenden Vorgangs gewährleisten. Insoweit können allgemeine Schriftformerfordernisse in Verwaltungsverfahren, die rechtsverbindliches Handeln des Bürgers verlangen, aufgrund der Generalklausel des § 3a Abs. 2 VwVfG stets (bzw. nur) durch eine mit einer qualifizierten elektronischen Signatur verbundene elektronische Form ersetzt werden, die die verschiedenen Funktionen der Schriftform für den Bereich der elektronischen Kommunikation in ihrer Gesamtheit sicherstellt (vgl. Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 14/9000, A. IV., Nr. 1, 4, S. 28, und B. zu Abschnitt I, Art. 1 Nummer 4 zu Absatz 2 Satz 1 und 2, S. 31, mit detailliierter Darstellung der Schriftformfunktionen und der Funktionsweise der qualifizierten elektronischen Signatur).Abs. 28
Vom Formerfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur kann auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden, selbst wenn sich aus einer E-Mail oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das elektronische Dokument in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt. Elektronische Dokumente zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur mittels Datenverarbeitung erstellt werden und auf einem Datenträger gespeichert werden können, sondern ausschließlich in elektronischer Form von einem Computer zum anderen über das Internet übertragen werden. Während die prozessuale Schriftform allein die Urheberschaft eines Dokuments gewährleisten soll, dienen die hohen Anforderungen an die Signatur elektronischer Dokumente zusätzlich dem Schutz vor nachträglichen Änderungen, also ihrer Integrität. Abstriche von den dafür normierten Sicherheitsanforderungen können nicht zugelassen werden (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 25. April 2012 – 8 C 18.11 –, juris Rn. 17 m. w. N.). Wegen der Manipulationsanfälligkeit elektronischer Übermittlung sind die Grundsätze, die zu Unterschriftsmängeln entwickelt wurden, nicht anwendbar (BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 2021 – 8 C 4.21 –, juris Rn. 9); folglich kann die Antragstellerin auch aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt (Weinstraße) vom 12. August 2008 – 5 K 408/08.NW – (juris) nichts zu ihren Gunsten ableiten. Die Einhaltung der Formvorschriften kann insoweit nicht zur Disposition des Widerspruchsführers oder der Behörde stehen.Abs. 29
Bei der Übermittlung der PDF-Datei mit dem unterschriebenen Widerspruchsschreiben handelt es sich auch nicht um einen der elektronischen Übertragung einer Textdatei mit eingescannter Unterschrift auf ein Telefax-Empfangsgerät der Behörde ("Computerfax") vergleichbaren Vorgang, der nach der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschluss vom 5. April 2000, GmS-OGB 1/98, juris Rn. 16) dem Schriftformerfordernis genügt. Der Gemeinsame Senat hat ausgeführt, maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit des elektronisch übermittelten Schriftsatzes sei nicht eine etwa beim Absender vorhandene Kopiervorlage oder eine nur im Textverarbeitungs-PC befindliche Datei, sondern allein die auf seine Veranlassung am Empfangsort erstellte körperliche Urkunde. Bei der Übersendung der PDF-Datei mit einfacher E-Mail wird die fragliche Datei – anders als in dem vom Gemeinsamen Senat entschiedenen Fall – nicht auf ein Telefaxgerät übertragen, welches sie automatisch in eine körperliche Urkunde umwandelt. Sie wird vielmehr in das E-Mail-Postfach der Behörde übertragen, wo sie ausschließlich in digitaler Form archiviert wird. Die Datei wird nur ausgedruckt und damit in eine körperliche Urkunde umgewandelt, wenn Bedienstete der Behörde gesonderte Befehle in die EDV-Anlage eingeben. Eine körperliche Urkunde wird damit nicht mehr auf Veranlassung des Absenders erstellt; die Erstellung setzt vielmehr zwingend ein aktives Handeln des Empfängers voraus, auf das der Absender keinen Einfluss hat (vgl. zum Ganzen Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. Februar 2012 – L 8 SO 9/12 B ER –, juris Rn. 11 f.; vgl. zur Nichtübertragbarkeit der Computerfax-Rechtsprechung BVerwG, Urteil vom 25. April 2012 – 8 C 18.11 –, juris Rn. 17 m. w. N.; BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 1/16 R –, BSGE 122, 71 – zitiert nach juris Rn. 16; VGH München, Beschluss vom 23. September 2021 – 4 ZB 21.1847 –, juris Rn. 14).Abs. 30
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin folgt aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18. März 2015 – XII ZB 424/14 – (juris Rn. 10 ff.) für das vorliegende Verfahren keine abweichende rechtliche Bewertung. Der Bundesgerichtshof hat angenommen, dass der vom Gericht erzeugte Ausdruck eines im Anhang einer E-Mail übersandten elektronischen Dokuments, das einen eingescannten unterschriebenen Beschwerdeschriftsatz enthält, zwar nicht die Anforderungen an ein elektronisches Dokument nach § 14 Abs. 2 Satz 1 FamFG i. V. m. § 130a ZPO erfülle, in Ansehung des § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO aber dem Schriftformerfordernis genüge. Diese Rechtsprechung ist auf die Erhebung des Widerspruchs nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht übertragbar. Dies folgt bereits daraus, dass § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ebenso wenig wie § 3a Abs. 2 VwVfG eine § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO vergleichbare Regelung enthält, wonach die vorbereitenden Schriftsätze bei Übermittlung durch einen Telefaxdienst (Telekopie) die Wiedergabe der Unterschrift – der Person, die den Schriftsatz verantwortet – in der Kopie enthalten sollen. Folgerichtig hat das Bundesverwaltungsgericht – wie bereits ausgeführt – klar gestellt, dass vom Formerfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden kann, selbst wenn sich aus einer E-Mail oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das elektronische Dokument in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt, weil die hohen Anforderungen an die Signatur elektronischer Dokumente auch dem Schutz vor nachträglichen Änderungen, also ihrer Integrität dienen und Abstriche von den dafür normierten Sicherheitsanforderungen nicht zugelassen werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2012 – 8 C 18.11 –, juris Rn. 17; zustimmend BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 1/16 R –, BSGE 122, 71 – zitiert nach juris Rn. 22). Eine „Mischform“ von Schriftform und elektronischer Form in Gestalt einer einfachen E-Mail, wie sie die vom Bundesgerichtshof nach Maßgabe von § 130 Nr. 6 Alt. 2 ZPO gebilligte Form darstellen würde, ist danach ausgeschlossen. Dies gilt auch bei systematischer Betrachtung, da § 3a Abs. 2 Satz 4 VwVfG neben der elektronischen Form einen abschließenden (vgl. Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl., § 3a Rn. 14a) Kanon an Möglichkeiten zur anderweitigen Ersetzung der Schriftform zur Verfügung stellt, nicht jedoch eine „Mischform“ im vorstehenden Sinne zulässt. Zudem hat der Gesetzgeber § 130 Nr. 6 ZPO in seiner jetzigen Fassung mit Gesetz vom 13. Juli 2001 und mit Wirkung zum 1. August 2001 eingeführt (BGBl. I S. 1542). Von einer entsprechenden Regelung hat der Gesetzgeber jedoch bei späteren Änderungen von § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG M-V abgesehen. Entscheidet sich also der Absender eines Widerspruchs für die elektronische Übermittlung, sind für die Beurteilung allein die hierfür vorgesehenen gesetzlichen Voraussetzungen maßgeblich (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 1/16 R –, BSGE 122, 71 – zitiert nach juris Rn. 16).Abs. 31
Mit ihrem Argument, im vorliegende Fall werde § 3a VwVfG M-V nicht umgangen, weil nicht die E-Mail als nicht signiertes elektronisches Dokument das Schriftformerfordernis des 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO wahre, sondern das ausgedruckte Widerspruchsschreiben, vermag die Antragstellerin nach alledem nicht durchzudringen. Gleiches gilt für die Ausführungen der Antragstellerin, wonach die elektronische Form nur für die Willenserklärung selbst ein qualifiziertes Erfordernis aufstelle, sofern sie in einer die Schriftform ersetzenden Art abgegeben werde, sie regele demgegenüber nicht, wie schriftliche Erklärungen übermittelt werden. Es kommt wie ausgeführt auch nicht darauf an, ob die Antragstellerin, wie sie meint, als Ausstellerin des Widerspruchs eindeutig zu identifizieren gewesen sei.Abs. 32
Soweit sich die Antragstellerin auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 8. Juni 2021 – 4 S 1004/21 – (juris) beruft, lag diesem ersichtlich ein in wesentlicher Hinsicht abweichender Sachverhalt zugrunde. Der Verwaltungsgerichtshof hat darin angenommen, dass dem Schriftlichkeitsgebot des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung in der Regel eine Textnachricht genüge, die im Kundenportal des Landesamts für Besoldung und Versorgung (LBV) über den persönlichen Account eingegeben und sodann an die Behörde geschickt werde, dies gelte erst recht für den Fall, in dem ein mit der eigenhändigen Unterschrift des Klägers versehenes Widerspruchsschreiben nach Einscannen in Form einer PDF-Datei als Anhang zu einer Nachricht im Kundenportal an das LBV übersandt werde (juris Rn. 18). Das Gericht nimmt dann selbst eine Abgrenzung vor, wonach das insoweit gewährleistete hohe Sicherheitsniveau im Rahmen der Erstregistrierung und bei Eingabe und Transfer der Nachricht einen wesentlichen Unterschied zu einem gewöhnlichen E-Mail-Postfach darstelle, bei dem sich grundsätzlich jeder unter jedem beliebigen Namen anmelden könne, wodurch gerade nicht gewährleistet sei, dass die versandte E-Mail tatsächlich auch vom namentlich Genannten stammt, und der Transfer der Nachricht auch nicht stets verschlüsselt erfolge. Es handele sich daher technisch um wesentlich verschiedene Sachverhaltskonstellationen (juris Rn. 27).Abs. 33
2.Abs. 34
Soweit sich die Antragstellerin hilfsweise dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung (§ 60 VwGO) in die versäumte Widerspruchsfrist verneint und dazu angenommen hat, sie habe die Widerspruchsfrist schuldhaft versäumt, führt die Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg.Abs. 35
Das Verwaltungsgericht hat dazu ausgeführt, verschuldet sei die Fristversäumnis, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten gewesen sei. Vorliegend sei nicht ersichtlich, warum die Antragstellerin ohne Verschulden an der form- und fristgerechten Widerspruchseinlegung gehindert gewesen sein könnte. Die Antragstellerin sei durch die Rechtsmittelbelehrung zum angefochtenen Bescheid vom 24. März 2021 sachlich richtig, eindeutig und vollständig über die erforderliche Form und die einzuhaltende Frist zur Widerspruchseinlegung belehrt worden. Ausweislich des Gerichtsregisters sei die Antragstellerin mindestens seit 10 Jahren rechtsgeschäftlich tätig, sie handele hierbei kraft ihrer Eintragung in das Genossenschaftsregister als juristische Person (§ 17 GenG).Abs. 36
Die Antragstellerin trägt zunächst im Wesentlichen vor, das Verwaltungsgericht Greifswald verkenne, dass die Unterscheidung der Schriftform und der Textform auch für einen seit einigen Jahren rechtsgeschäftlich Tätigen kaum bekannt sei. Ferner sei es den am Geschäfts- und Rechtsverkehr Beteiligten auch nicht bekannt, dass das Verwenden der E-Mail nicht als rechtlich sicher gelte, insbesondere da wirtschaftliche Unternehmen größtenteils per E-Mail kommunizierten, ohne dass dies von den Geschäftspartnern in Zweifel gezogen werde. Auch dem Landesgesetzgeber sei dies bewusst gewesen, wenn er davon ausgegangen sei, im allgemeinen Sprachgebrauch werde der Begriff „elektronische Form“ in einem weiteren Sinne – etwa als Abgrenzung zu papiergebundenen Verfahren – verwendet, deshalb könne es zu Fehlinterpretationen dieser Formvorschrift kommen. Der einzige Vorwurf, der der Antragstellerin gemacht werden könne, bestehe darin, dass sie vermeintlich den falschen Übermittlungsweg gewählt habe. Der Übermittlungsweg sei aber nicht Teil der Rechtsmittelbelehrung.Abs. 37
Dieser Vortrag genügt bereits nicht dem Darlegungserfordernis (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Er setzt sich zunächst nicht mit dem Argument des Verwaltungsgerichts auseinander, die Antragstellerin sei durch die Rechtsmittelbelehrung zum angefochtenen Bescheid vom 24. März 2021 sachlich richtig, eindeutig und vollständig über die erforderliche Form und die einzuhaltende Frist zur Widerspruchseinlegung belehrt worden. In diesem Zusammenhang ist das Verwaltungsgericht zudem davon ausgegangen, es sei unerheblich, dass die Rechtsbehelfsbelehrung keinen Hinweis darauf enthalte, dass der Antragsgegner einen Zugang zum elektronischen Postverkehr nicht eröffnet habe und die Einlegung des Widerspruchs folglich nicht in elektronischer Form habe erfolgen können. Diese Feststellungen stellt das Beschwerdevorbringen nicht in Frage. Ist dieser Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts jedoch zutreffend, ist nicht nachvollziehbar dargelegt, aus welchem Grund die Antragstellerin überhaupt auf den Gedanken gekommen ist, den Widerspruch per E-Mail übermitteln zu können. Dies gilt umso mehr, als in der Rechtsbehelfsbelehrung keine E-Mail-Adresse, sondern nur eine postalische Anschrift angegeben ist. Dies bestätigt auch der weitere Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Widerspruch innerhalb der genannten Frist auch bei einem der auf Seite 1 unten genannten Regionalstandorte eingelegt werden könne. Im Gegenteil ist auf der Seite 1 unten des Bescheids, bei der Angabe der Anschriften der Regionalstandorte für den Regionalstandort Waren (Müritz), von dem der Bescheid erlassen worden ist, nur die Fax-Nummer, nicht aber eine E-Mail-Adresse angegeben; für die anderen Regionalstandorte wird nur eine Besucheradresse und die Postanschrift angegeben. Soweit sie im Unklaren darüber gewesen sein sollte, was unter „schriftlicher“ Erhebung zu verstehen ist, hätte sie sich dazu als gewissenhafte und ihre Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmende Widerspruchsführerin etwa durch Aufsuchung eines Rechtsanwaltes oder durch Nachfrage bei der Behörde informieren müssen (vgl. Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 60 Rn. 83 f.). Der Hinweis auf das Verständnis des Landesgesetzgebers ist ebenfalls wenig nachvollziehbar, da dieser Fehlinterpretationen hinsichtlich des Begriffs der „elektronischen Form“, nicht jedoch bezüglich des Begriffs „Schriftform“ anspricht. Von der Erhebung in „elektronischer Form“ ist aber in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht die Rede. Welche Relevanz der Hinweis, es sei – vermeintlich – den am Geschäfts- und Rechtsverkehr Beteiligten auch nicht bekannt, dass das Verwenden der E-Mail nicht als rechtlich sicher gelte, für das Schriftformerfordernis haben soll, bleibt schließlich ebenfalls unklar. Auf das Schreiben des Antragsgegners vom 4. Mai 2021 kommt es im Übrigen nicht an, da zu diesem Zeitpunkt die einmonatige Widerspruchsfrist bereits abgelaufen war. Den Antragsgegner traf auch keine Pflicht zum Hinweis darauf, dass der Widerspruch nicht dem Formerfordernis des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO entsprach (vgl. VGH München, Beschluss vom 23. September 2021 – 4 ZB 21.1847 –, juris Rn. 15).Abs. 38
Auch aus den Ausführungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 28. März 2022 ergibt sich – soweit nach Ablauf der Begründungsfrist noch berücksichtigungsfähig – nichts Abweichendes.Abs. 39
Auf den materiell-rechtlichen Vortrag der Antragstellerin kommt es nach alledem nicht an.Abs. 40
3.Abs. 41
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.Abs. 42
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren folgt aus den §§ 52 Abs. 1, 47, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.Abs. 43
Hinweis:Abs. 44
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.Abs. 45

(online seit: 20.09.2022)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Mecklenburg-Vorpommern, OVG, Widerspruchsschreiben in Gestalt einer PDF-Datei - JurPC-Web-Dok. 0134/2022