JurPC Web-Dok. 61/2022 - DOI 10.7328/jurpcb202237461

Norbert P. Flechsig [*]

Cloudcomputing und Privatkopieabgabe

JurPC Web-Dok. 61/2022, Abs. 1 - 14


Abs. 1
Art. 5 Abs. 2 lit. b) InfoSoc-RL, § 42b österr UrhGAbs. 2

1. Art. 5 Abs. 2 lit. b) der InfoSoc-RL 2001/29/EG ist dahin auszulegen, dass der Ausdruck „Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern“ im Sinne dieser Bestimmung die Erstellung von Sicherungskopien urheberrechtlich geschützter Werke zu privaten Zwecken auf einem Server umfasst, auf dem der Anbieter von Cloud-Computing-Dienstleistungen einem Nutzer Speicherplatz zur Verfügung stellt.
2. Der Umsetzung der Ausnahme im Sinne dieser Bestimmung steht eine nationale Regelung, nach der die Anbieter von Dienstleistungen der Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing keinen gerechten Ausgleich für Sicherungskopien leisten müssen, die natürliche Personen, die diese Dienste nutzen, ohne Erlaubnis von urheberrechtlich geschützten Werken zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke erstellen, nicht entgegen, sofern diese Regelung die Zahlung eines gerechten Ausgleichs an die Rechtsinhaber vorsieht. (Amtliche Leitsätze gekürzt)

EuGH C-433/20, Urteil vom 24.3.2022 gemäß Vorabentscheidungsersuchen des OLG Wien nach Art. 267 AEUV.Abs. 3

Sachverhalt

Abs. 4
Die österreichische Verwertungsgesellschaft Austro-Mechana verlangt im Ausgangsverfahren vor dem Oberlandesgericht Wien von der beklagten Strato AG eine Vergütung, weil diese für ihre Geschäfts- und Privatkunden eine Dienstleistung erbringe, mit der sie die-sen im Rahmen des Cloud-Computing „HiDrive“ Speicherplatz zur Verfügung stelle. Strato entgegnete, dass für diese Cloud-Computing-Dienstleistungen keine Speichermedienvergütung anfalle. Sie habe in Deutschland, wo ihre Server gehostet seien, bereits die Urheberrechtsabgabe geleistet, die vom Hersteller oder Importeur der Server eingepreist worden sei. Auch Nutzer in Österreich hätten bereits Urheberrechtsabgaben für die Anfertigung von Privatkopien auf den für die Hochladung erforderlichen Endgeräten gezahlt.Abs. 5
Das Handelsgericht Wien wies die Klage von Austro-Mechana ab, da Strato keine Speichermedien an ihre Kunden abgebe, sondern für diese lediglich eine Dienstleistung der internetgestützten Speicherung erbringe. Dem hiergegen angerufenen Berufungsgericht OLG Wien war nicht ganz klar, ob Art. 5 Abs. 2 lit. b) der InfoSoc-RL die Speicherung von Inhalten im Rahmen des Cloud-Computing erfasse, weshalb es dem EuGH diese Frage zur Vorabentscheidung vorlegte.Abs. 6

Entscheidung

Abs. 7
Zur ersten, dem EuGH gestellten Frage betreffend die Anwendbarkeit der Ausnahme für Privatkopien in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern stellt der EuGH klar, dass auch die Erstellung einer Sicherungskopie eines Werkes auf einem dislozierten Speicherplatz den Begriff der „Vervielfältigung“ erfüllt: Beim Hochladen (upload) eines Werkes in die Cloud wird eine Kopie gespeichert (Rn. 16-18). Der Ausdruck „auf beliebigen Trägern“ umfasst zudem alle Träger, auf denen ein geschütztes Werk vervielfältigt werden kann, einschließlich der im Rahmen des Cloud-Computing verwendeten Server. Dies gilt unbeschadet davon, ob der Speicherplatz Cloud-eigen ist oder einem Dritten gehört (Rn. 21-30, 33),Abs. 8
Infolgedessen ist die Beantwortung der Frage nach der Verpflichtung, ob Anbieter von entsprechender Cloud-Dienstleistungen zur Zahlung eines gerechten Ausgleichs verpflichtet sind, mit Hilfe der verschiedenen Regelungselemente eines gerechten Ausgleichs zu bestimmen (Rn. 51-54, Tenor 2).Abs. 9
Der EuGH weist darauf hin, dass hierzu grundsätzlich die Person den gerechten Ausgleich zu zahlen hat, welche die Privatkopie erstellt, d. h. der Nutzer der Dienstleistungen zur Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing hat den Ausgleich zu finanzieren. Insofern bei der Identifizierung der Endnutzer aber praktische Schwierigkeiten bestehen, sei es denkbar, eine Abgabe für Privatkopien einzuführen, die vom Hersteller oder Importeur der Server, mit deren Hilfe Privatpersonen Cloud-Computing-Dienstleistungen angeboten werden, zu zahlen sind. Infolgedessen werde der gerechte Ausgleich wirtschaftlich auf den Käufer solcher Server abgewälzt und letztlich vom privaten Nutzer getragen, der diese Vorrichtungen verwendet oder für den eine Vervielfältigungsleistung erbracht wird.Abs. 10
Wenn es Mitgliedstaaten freisteht, dass bestimmte Geräte und Speichermedien im Rahmen des Cloud-Computing zum Erstellen von Privatkopien genutzt werden können, so haben sie sich angesichts der Mehrgeräteverwendung zu vergewissern, dass der gerechte Ausgleich nicht über den sich für die Rechtsinhaber ergebenden etwaigen Schaden hinausgeht. Die RL 2001/29/EG steht hiernach einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die Anbieter von Dienstleistungen zur Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing keinen gerechten Ausgleich für Sicherungskopien leisten müssen, wenn diese Regelung dann anderweitig die Zahlung eines gerechten Ausgleichs vorsieht.Abs. 11

Fazit und Hinweis

Abs. 12
Die Globalität der Clouddienste zeigt, dass die „gegenwärtige“ (EuGH Rn. 46) nationalstaatliche Schrankenbestimmungsregelung in Art. 5 Abs.2 InfoSoc-RL überholt ist, weil besser europäisch einheitlich gefasst werden sollte.Abs. 13
Die deutsche Privatkopie regelt die Ausnahme vom ausschließlichen Recht der Urheber und Inhaber verwandter Schutzrechte, die Vervielfältigung ihrer Werke und Leistungen zu erlauben oder zu verbieten. Diese Ausnahmebestimmungen müssen aber auch sicherstellen, dass Rechtsinhaber über die §§ 54 ff UrhG einen gerechten Ausgleich von internationalen, insbesondere außereuropäischen Clouddiensten erhalten. Verwertungsgesellschaften haben dieser Frage im Rahmen ihrer jeweiligen Vertragsabsprachen gegenüber etwaigen Vergütungspflichtigen und damit auch gegenüber Clouddiensten nachzugehen. Deren Dienstleistungen können als ein zulässig einheitliches Verfahren zum Zweck des privaten Kopierens nur angesehen werden – wenn der Ausgleich hierfür gerecht ist.Abs. 14

Fußnoten:

[*] Rechtsanwalt Prof. Dr. Norbert P. Flechsig ist Honorarprofessor an der Eberhard Karls Universität Tübingen.

[online seit: 27.04.2022]
Zitiervorschlag: Autor, Titel, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Flechsig, Norbert P., Cloudcomputing und Privatkopieabgabe - JurPC-Web-Dok. 0061/2022