JurPC Web-Dok. 151/2021 - DOI 10.7328/jurpcb20213611151

Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht

Beschluss vom 09.09.2021

8 B 34/21

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Datenschutzrecht

JurPC Web-Dok. 151/2021, Abs. 1 - 14


Leitsätze (der Redaktion):

1. Der Antrag, der Antragsgegnerin zu untersagen, in dem Fahrstuhl an der … ein Warnschild anzubringen, auf dem es wörtlich oder sinngemäß heißt: „Die Zuwiderhandlung gilt als Einverständnis zur Veröffentlichung in den Sozialen Medien!“, ist unzulässig.

2. Ein solcher Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Entstehen von unzumutbaren Nachteilen voraus. Solche sind nicht erkennbar, insbesondere, da die Antragsgegnerin vorgetragen hat, dass sie ohnehin keine Weiterverarbeitung der Aufnahmen durch Übersendung an die Sozialen Medien beabsichtigt. Eine abschließende Klärung hat daher in einem Hauptsacheverfahren zu erfolgen.

Gründe:

Der von dem Antragsteller gestellte Antrag,Abs. 1
der Antragsgegnerin zu untersagen, in dem Fahrstuhl an der ein Warnschild anzubringen, auf dem es wörtlich oder sinngemäß heißt: „Die Zuwiderhandlung gilt als Einverständnis zur Veröffentlichung in den Sozialen Medien!“,Abs. 2
ist unzulässig.Abs. 3
Zunächst ist der Antrag gemäß dem erkennbaren Begehren gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller neben der Untersagung auch die Beseitigung des bereits im Fahrstuhl angebrachten Schildes beantragt.Abs. 4
Da es sich insoweit um die Geltendmachung eines öffentlich-rechtlichen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs i. S. d. § 1004, § 823 Abs. 1 BGB handelt, der im Rahmen einer Leistungsklage zu verfolgen wäre, ist der Antrag nach § 123 VwGO als statthafte Antragsart anzusehen.Abs. 5
Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller über die für die Zulässigkeit eines Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Antragsbefugnis in entsprechender Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO verfügt, indem er durch die aufgrund von § 14 Landesdatenschutzgesetz (LDSG) erhobenen Daten im Rahmen der Videoaufzeichnung im Fahrstuhl aufgrund eines Verstoßes gegen die mit einer Einwilligung verbundenen Informationspflichten gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. c Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt wird.Abs. 6
Denn dem Antrag fehlt es mangels vorheriger Antragstellung bei der Antragsgegnerin bereits an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, welches grundsätzlich zu verneinen ist, wenn der den Antrag stellende Bürger sich nicht zuvor an die zuständige Verwaltungsbehörde gewandt hat (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. April 1981 – 10 B 1572/80 –, NVwZ 1983, 106; Kuhla in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Edition, Stand: 1. Juli 2021, § 123, Rn. 37a). Etwas anderes gilt nur dann, wenn zu befürchten steht, dass durch Zeitablauf schwere, nicht mehr rückgängig zu machende Nachteile entstehen oder wenn der Antrag offensichtlich aussichtslos ist oder eine qualifizierte Eilbedürftigkeit vorliegt (vgl. OVG Schleswig Beschluss vom 30. Juli 2018 – 4 MB 70/18, juris, Rn. 10; Kuhla in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 58. Edition, Stand: 1. Juli 2021, § 123, Rn. 38; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 123, Rn. 71 m.w.N.).Abs. 7
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwar stellt der Antragsteller darauf ab, dass ein solcher vorheriger Antrag offenkundig aussichtslos gewesen wäre, weil aus den Einlassungen der Antragsgegnerin in der Presse hinreichend deutlich werde, dass die Antragsgegnerin eine Änderung des Schildes nicht beabsichtige und dazu auch nicht bereit sei. Allerdings lässt sich dem von dem Antragsteller eingereichten Presseartikel aus den A-Stadter Nachrichten vom 1. Juli 2021 lediglich eine kontroverse Diskussion um das in dem Fahrstuhl angebrachte Schild entnehmen, in welcher die Antragsgegnerin sich nur dahingehend geäußert haben soll, dass das Schild mit einem Augenzwinkern zu verstehen sei und dieses als eine „reine Abschreckungsgebärde“, die in Abstimmung mit dem Rechtsamt und dem Datenschutz installiert worden sei, handele. Es ist nicht erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde eines von der Videoaufzeichnung Betroffenen auseinandergesetzt hätte oder im Falle einer solchen eine Abhilfe von vornherein abgelehnt hätte.Abs. 8
Dass ein solcher vorheriger Antrag erforderlich ist, entspricht auch der Systematik der Regelungen in der DSGVO und im LDSG, die jeweils mehrere Möglichkeiten vorsehen, sich noch vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutz an die jeweiligen Behörden bzw. die Aufsichtsbehörden zu wenden. Zum einen ist hier die Einlegung einer Beschwerde i. S. d. § 77 Abs. 1 DSGVO bzw. § 36 LDSG möglich sowie das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen eine Aufsichtsbehörde gemäß § 78 DSGVO oder Verantwortliche und Auftragsverarbeiter gemäß Art. 79 DSGVO bzw. § 37 LDSG. Aus diesen Regelungen wird teilweise bereits der Schluss gezogen, dass ein gerichtlich geltend gemachter Unterlassungsanspruch nach §§ 1004, 823 BGB ausgeschlossen ist (vgl. VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 6. August 2010 – RN 9 K 19.1061 –, juris, Rn. 16 ff.). Jedenfalls wird man auch aufgrund der datenschutzrechtlich geregelten Rechtsschutzmöglichkeiten verlangen müssen, dass sich ein Antragsteller vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes zuvor an die Verwaltungsbehörden bzw. den Landesdatenschutzbeauftragten wendet, sofern nicht eine besondere Ausnahmekonstellation vorliegt, die hier, wie dargelegt, nicht erkennbar ist.Abs. 9
Der Antrag hat aber auch in der Sache keinen Erfolg.Abs. 10
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sowie einen sicherungsfähigen Anspruch (Anordnungsanspruch) voraus.Abs. 11
Vorliegend steht dem Antragsteller bereits kein Anordnungsgrund zur Seite. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ohne die beantragte einstweilige Anordnung bei einem Abwarten einer Hauptsacheentscheidung schwere und unzumutbare Nachteile drohen. Das Entstehen von derartigen unzumutbaren Nachteile ist auch sonst nicht erkennbar, insbesondere, da die Antragsgegnerin vorgetragen hat, dass sie ohnehin keine Weiterverarbeitung der Aufnahmen durch Übersendung an die Sozialen Medien beabsichtigt. Eine abschließende Klärung hat daher in einem Hauptsacheverfahren zu erfolgen.Abs. 12
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.Abs. 13
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 63 Abs. 2 GKG. Die Kammer hat den vollen Auffangstreitwert (5.000,00 €) eines möglichen Hauptsacheverfahrens angesetzt. Eine Halbierung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren kommt nach der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts mangels gesetzlichem Anhaltspunkt nicht in Betracht (vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 13. Januar 2020 - 4 O 2/20 -).Abs. 14

(online seit: 09.11.2021)
Zitiervorschlag: Gericht, Datum, Aktenzeichen, JurPC Web-Dok, Abs.
Zitiervorschlag: Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Datenschutzrecht - JurPC-Web-Dok. 0151/2021